"Achtung!", rufe ich und bahne mir einen Weg durch die Schülermenge vor einem Kursraum, während mir Sean und Xavier folgen.
"Ist es angenehm so?", fragt Sean grinsend seinen besten Freund, während er ihn schiebt und bekommt ein Nicken zusammen mit einem Lächeln zurück.
"Ist Addison eigentlich wieder gesund?"
Sean überbrückt den Weg zwischen uns, als wir an der Menge vorbei sind und läuft neben mir her auf dem Weg zur Cafeteria.
"Es geht ihr um einiges besser, trotzdem wäre sie lieber noch einen Tag zu Hause geblieben.
Die Klausur in Chemie nachzuschreiben kam für sie allerdings nicht infrage", erkläre ich und stoße die Tür des großen Raums auf, sodass Xavier durchkommen kann.
Nachdem das geschehen ist lasse ich die Tür zurück schnappen und folge den beiden zum Tisch, an dem Matt schon sitzt. "Guten Morgen."
Lächelnd schlage ich Matt über dem Tisch ein und lasse mich dann gegenüber von ihm nieder, während sich Sean und Xavier jeweils an eine der zwei freien Seiten fallen lassen.
Oder eben einfach sitzen bleiben.
"Wo ist Addison?"
"Toilette", antwortet mir Matt knapp und schiebt sich ein weiteres Salatblatt in den Mund.
Erst nachdem ich Xavier gefragt habe was er möchte, er auf das erste Menü gedeutet hat und ich mich erhebe, bemerke ich die Blicke.
Die interessierten, die verwirrten, die neutralen, die gelangweilten und die bemitleidenden.
Aber eines haben sie alle gemeinsam.
Alle gelten Xavier und dem Rollstuhl.
Ich wende mich von den Schülern ab und stelle mich an der kurzen Schlange an.
Mein Blick schweift wieder zu den anderen und bleibt letztendlich an Xavier hängen.
Wie er da sitzt, mit einem Stift und einem kleinen Block vor ihm.
In dem Rollstuhl, mit dem nicht identifizierbaren Blick.
Wenn es gut läuft sollte er die fünf Monate schaffen.
Sofort wende ich meinen Blick wieder ab und muss mich nun beinahe bei dem Anblick des Essens vor mir übergeben.
Widerwillig nehme ich die beiden Teller und laufe zurück an den Tisch, an dem Addison inzwischen auch sitzt.
Weiß er davon?
Weiß er, dass es bald so weit sein wird? Dass es bald vorbei ist?
Und was ist mit seinen Aussagen darüber, dass er sich selbst das Leben nehmen will?
Anstatt diese Fragen auszusprechen, lächle ich bloß und begrüße meine beste Freundin."Bis später!", rufe ich noch Sean, Addison und Matt zu, als Xavier und ich uns auf den Weg zum nächsten Kurs machen.
Da er nicht wollte, dass ich ihn die ganze Zeit schiebe, habe ich Zeit in meiner Tasche zu wühlen und nachzusehen, ob ich den passenden Ordner dabei habe.
Als ich seufzend wieder aufsehe, läuft uns Aaron entgegen, aber nicht allein.
"Aaron und Liam?"
Verblüfft und verwirrt zugleich ziehe ich die Augenbrauen zusammen und sehe zu Xavier, da ich bloß so eine Reaktion mitbekommen kann.
Er scheint ebenso verdutzt zu sein wie ich und starrt die beiden beinahe so an, dass ihm gleich die Augen ausfallen.
Aaron ignoriert uns, während Liam mir jedoch ein seltsames Lächeln schenkt.
Wahrscheinlich denkt er tatsächlich ich mache mir über seine Entschuldigung Gedanken.
"Seit wann sind die beiden befreundet?", spreche ich wahrscheinlich Xaviers Frage aus, denn er nickt bestätigend, als würde er das auch gerne wissen.
"Passt aber", ergänze ich als eine Anspielung auf ihre böse Art und wieder bekomme ich ein zustimmendes Nicken.
Wenige Momente später kommen wir am richtigen Raum an und stoppen in der letzten Reihe, da er die Treppen nicht runter kann, sodass wir weiter vorne sitzen könnten.
"Kann ich dich was fragen?"
Etwas unsicher stütze ich meinen Kopf auf meiner linken Hand als ich sitze, während er noch auspackt.
Xavier nickt.
"Ganz am Anfang hast du mir immer gesagt ich solle nicht weinen, wenn du stirbst, da du an einem besseren Ort sein würdest.
Irgendwo, wo es dir sehr gut gehen wird.
In dem Buch allerdings hast du betont, dass es deiner Meinung nach nichts gibt, was über den Moment des Todes hinausgeht.
Dass es kein Leben nach dem Tod gibt und dass dort nur diese Schwärze sein wird."
Ich muss meine Frage nicht richtig aussprechen, denn er versteht auch so den Widerspruch, den ich hierbei sehe.
Er zieht sein schwarzes Smartphone aus der Tasche und fängt an zu schreiben.
Währenddessen hat er immer Mal wieder ein Zucken in den Fingern und muss eine kurze Pause einlegen, bevor er seine Daumen wieder über das Display fliegen lassen kann.
Das Gefühl ist zurück, bloß scheint dennoch nicht wieder alles richtig zu funktionieren.
Er tippt mir gegen das Bein und ich bemerke, dass er mir schon das Handy hin hält.
Mit dem Handy geht es schneller zu schreiben als auf dem Blatt, lese ich den ersten Satz.
Ein besserer Ort und Schwärze.
Ich verstehe, dass du denkst, dass wäre ein Widerspruch.
Aber vielleicht ist die ewige Schwärze ein besserer Ort für mich.
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Das letzte halbe Jahr
Teen Fiction„Noch vor wenigen Tagen hätte ich nicht gedacht, dass ich diese Krankheit als Diagnose gestellt bekommen würde. Dass es ein Todesurteil ist, eine unheilbare Krankheit, die mich nach und nach in sogenannte Schübe versetzt, die mir irgendwann die Stim...