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M A N I A C
L O V E
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[Die Offenbarung]

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Das Taxi kommt zum stehen. Mit einem verwunderten Gesichtsausdruck steigen Lynn und ich aus dem Wagen. Die Fahrt hatte ungefähr eine halbe Stunde gedauert. Wir sind auf jeden Fall aus dem Zentrum der Stadt rausgefahren. Ich schätze wir sind in einem abgelegenen Stadtteil, da die Menge an Häusern entlang des Las Vegas Beltway abgenommen hatte. Ich schaue mich um. Hier ist weit und breit kein Mensch mehr zu sehen und das in Las Vegas. Okay wir sind ganz offensichtlich nicht mehr im Herzen des Touristenmagnets Nevadas, aber trotzdem.

Jayden steigt, nachdem er den Taxifahrer bezahlt hat, ebenfalls aus. Als Antwort auf unsere unausgesprochene Frage, aber einem ziemlich vielsagenden Blick, der sowas wie 'Wo-zur-Hölle-sind-wir-und-was-wollen-wir-hier-?' aussagen will, bekommen wir nur einen grinsenden Jayden. Anstatt uns also aufzuklären, wo wir denn seien, läuft Jay auf einen Weg zu.

Völlig nichtsahnend sind wir jedoch gezwungen, ihm zu folgen, andernfalls würden wir hier in dieser Pampa völlig verrotten.

"Ich hoffe ihr habt einigermaßen festes Schuhwerk Ladies, denn dieser Fußmarsch könnte einige Minuten dauern.", bricht Jay sein Schweigen in einem Ton, der dem eines Touristenführers ähnelt.

Seufzend schaut Lynn auf ihre fast nicht existierenden Schuhe hinab. Diese Riemchensandalen sind dann wohl nicht wirklich die beste Wahl gewesen. Funkelnd blickt sie zu ihrem Bruder wieder auf.

"Ist das dein Ernst? Hättest du das nicht irgendwie vorher sagen können?" Dieser jedoch schüttelt nur den Kopf.

"Nope, Schwesterherz. War vollkommen spontan, aber keine Sorge, es wird sich lohnen.", antwortet er gelassen.

"Och man, die waren neu...", quengelt Lynn. Ich und Jayden schütteln lachend den Kopf.

Einige Minuten später erreichen wir eine Art Wegverzweigung.
《Golden Lotus Overlook》steht auf einem schon etwas runtergekommenen Schild, welches am Rand des einen Weges steht.
Ohne zu Zögern steuert Jayden diesen Weg an. Wie der Nachwuchs einer Entenmutter trotten ich und Lynn ihm hinterher.

Die Pflanzen links und rechts am Weg werden immer weniger, bis wir mitten auf einer Lichtung stehen.

Jayden schiebt uns zum Rand dieser Lichtung. Dort angekommen trennt uns nur ein schon ziemlich verwahrloster Zaun von einem felsigen Abhang.

Staunend betrachte ich das Bild, was sich mir hier bietet. Ich bin nicht die einzige der es so geht, denn alle drei stehen wir hier mit weitaufgerissenen Mündern da.

Vor uns liegt die nie schlafende Stadt in ihren tausenden Lichtern. Sie erscheint so klein und unbedeutsam. Wie eine Legospielzeugstadt. Dabei ist Las Vegas ein so aufregender Ort. Aber von hier betrachtet, ist sie auch nur eine von vielen Städten. Es sind die Menschen mit denen du deine Zeit verbringst, die einen Ort zu einem denkwürdigen oder eben abscheulichen machen, je nachdem ob man diese Personen mag oder halt nicht.

Das wird mir in diesem Moment klar. Augenblicklich fange ich an zu grinsen. Diese Lichtung sieht aus, als hätte sie seit Jahren keine Menschenseele mehr besucht und dennoch ist sie schöner als jedes Schloss der Welt. Es sind Jayden und Lynn, die diesen staubigen und auf den ersten Blick bedeutungslosen Fleck der Erde so besonders machen.

Glück würde das Gefühl, welches sich in mir gerade ausbreitet wohl am besten beschreiben. Ich bin einfach nur glücklich. Glücklich solche tollen Freunde zu haben. Sie sind nicht nur Freunde, nein, sie sind so viel mehr. Sie sind für mich Geschwister und die einzige Familie die ich habe.

Weder die milden Morgentemperaturen, die mich ein wenig zittern lassen, noch die staubige Luft können mich davon abhalten. Ich bin einfach nur glücklich. Ich brauche keine 'richtige Familie', wenn ich doch die Zwillinge habe und das wird mir zum aller ersten mal in meinem Leben bewusst. Die unzähligen Momente, in denen ich wütend und traurig war, erscheinen auf einmal so unnötig und unbedeutend. Wütend auf meine Eltern und traurig vor Einsamkeit. Die Wahrheit ist, dass ich nie alleine war und meine Eltern es nicht wert sind.

Warte nie auf einen Menschen, der dir wichtig ist, denn würde es auf Gegenseitigkeit beruhen, hätte er dich nie warten lassen.

Gott sei Dank, dass ich so weiße bin. Nur ein Spaß. Den Spruch hab ich wahrscheinlich mal bei einer der vielen Emotanten auf Twitter aufgeschnappt.

Mein Grinsen ist nun nicht mehr zu stoppen. Blinzelnd blicke ich der Sonne, die langsam hinter der liechtererlöschenden Stadt aufgeht, entgegen. Ich bin glücklich. Und ich sollte jeden Tag nutzen, dieses Glück auszuleben. Es gibt so viele Menschen, denen es so viel schlechter geht als mir.

"CARPE DIEM!", rufe ich. Man sollte meinen ich bin verrückt.

Was du ja genaugenommen auch bist.

Meine innere Stimme hat eindeutig ein Talent, sich immer in den ungünstigsten Momenten zu melden.

"CARPE DIEM!", ruft nun auch Lynn. Beide fangen wir an zu lachen. Jayden schüttelt den Kopf, muss aber ebenfalls lachen.

"Du hast zu oft den Film 'Clubs der toten Dichter' gesehen.", schmunzelt Jayden.
"Ey, das ist nen toller Film.", meine ich und ramme ihm spielerisch meinen Ellenbogen in seine Rippen.

Erneut sehen wir schweigend in die scheinbar endlose Ferne. In London werde ich dieses Gefühl von Freiheit verdammt vermissen.

"Ich hab euch echt gern ihr Freaks.", unterbreche ich irgendwann das Schweigen.
Verwirrt schauen mich die Zwillinge an.
"Wie kommst du denn jetzt darauf?", fragt Lynn und Jayden fügt noch ein: "und wir sind keine Freaks!" hinzu.

Ich muss schmunzeln.

"Keine Ahnung-", sage ich ehrlich, "aber ich hatte das Bedürfnis, es euch mal mitzuteilen."

Das nächste was ich mitbekam ist, das ich von den beiden in eine knochenbrecherische Umarmung gezogen wurde.
"Wir haben dich auch lieb, JollyLolly.", sagt Jayden.

Ich muss lächeln.

"Danke ihr beiden. Die letzten Tage waren echt unvergesslich."
"Oh nicht dafür, du weißt du bist sowas wie eine Schwester für uns.", lächelt Lynn.

Ich wälze mich unelegant und mit einem gespielt geekeltem Gesichtsausdruck aus der Ummarmung.

"Alles klar, genug öffentliche Liebe und sozialer Kontakt für die nächsten achtzehn Jahre, die ich auf dieser Erde weile."

Erneutes Lachen füllt die Luft, bevor es in ein angenehmes Schweigen verebbt.

"Jay?-", frage ich nach einigen Minuten der Stille,
"-Wie bist du eigentlich auf diesen Platz hier gekommen?"

Er muss lachen. Ich und Lynn schauen ihn fragend an.
"Du kennst Drey...der vom Boxen? Der, der immer diese Bandana auf hat? Ich wusste, dass er mal in Vegas war zu einer Junggesellenparty und hab ihn halt gefragt, was er gut und so fand. Lange Rede kurzer Sinn, er war an einem der Abende total dicht und ist damals am nächsten Morgen hier aufgewacht. Er meinte, wenn er nicht so verdammt verkatert gewesen wäre, sei es ein echt schöner Ort."

"Nicht im ernst?", frage ich ihn ungläubig, aber unter Lachem.
"Doch doch", bestätigt Jay.

"Naja Recht hat der gute Drey ja.-" Ich starre wieder in die Ferne; meine Mundwinkel immer noch zu einem Lächeln verzogen.
"Es ist echt wunderschön hier."

Maniac LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt