7. Kapitel

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Ich musste ehrlich zugeben, dass das Ganze begann, mir Spaß zu machen. Erst Dennis' Verwirrung und dann seine überzogene Freude zu sehen, ließ mich ins Fäustchen lachen. Ein Schauspieler, der nicht sah, dass mit ihm gespielt wurde. Sowas sollte es eben auch mal geben. Es zeugte davon, dass entweder er zu leichtgläubig war oder ich zu gut in meiner Rolle. Wie auch immer es letztendlich war, ich war der Gewinner aus dieser entstandenen Situation und ich würde es dem Lulatsch liebend gerne ewig unter die Nase reiben, sobald ich die Katze aus dem Sack ließ. Aber auch ich musste meinen Schein vor der Presse bewahren. Der perfekte Unschuldsengel bleiben, da konnte ich es mir nicht leisten, wenn Nummer 2 der Liste plötzlich über mich auspackte und mich als den Bösewicht hinstellte. Denn eine Sache nagte schon immer tief in mir: Dennis Kostas Weiß war der absolute Liebling der Presse. Sogar noch beliebter als ich!

"Alles gut Marik?"

Ich schaute etwas irritiert auf, fing mich aber sofort wieder. Cafeteria, Frühstück, dritter Drehtag, neben mir Dennis. Augenblicklich war alles an Ort und Stelle in meinem Kopf. Ich hatte wahrscheinlich in Gedanken einfach mittendrin vergessen, weiterhin das Brötchen zu meinem Mund zu führen. Absolut kein Skandal, zum Glück, aber trotzdem dezent peinlich, dass ausgerechnet er es mitgekriegt und mich darauf angesprochen hatte.

Ich nickte einfach. "Alles gut, war nur schon nachher beim Dreh", log ich, um den Miniausrutscher gekonnt zu überspielen. Dennis sprang sofort wie ein begeisterter Hund drauf an: "Wie finden Sie eigentlich Ihre Rolle? Sind Sie soweit zufrieden damit?"

Dumme Frage. Erstens: Ich hatte einen Vertrag dafür unterschrieben. Zweitens: Das hier war ein Melzer-Film! Hallo? Er schrieb Scripte für hollywoodreife Filme mit tollen Charakteren für überragende Schauspieler in einem fort! Drittens und letztens: Ich hatte das Drehbuch noch immer nicht gelesen. Also wusste ich noch so gut wie gar nichts über Timo. Würde zwar nicht meine Sorge sein, aber Kollegen hörten es nicht gerne, wenn man sich nicht im Vornherein ausgiebig mit seiner Filmverkörperung auseinandersetzte und beschäftigte. Um Dennis nicht mit meiner ewig langen Antwort zu überrumpeln, beließ ich es bei einem "Ja, ich freue mich schon richtig drauf, die Rolle zu spielen!" und erntete einen leicht fassungslosen Blick. "E-ehrlich jetzt? Das macht Ihnen absolut nichts aus?"

Ich versuchte inständig, nicht wie ein unwissender Idiot dazustehen. "Gar nicht, warum sollte es?", gab ich zurück und sah meinen Gegenüber langsam rot anlaufen. Sein Blick schnellte zurück zu seinem Essen und sogar noch der nächste Biss von seinem Frühstück ließ ihn lautstark husten, sodass die Frau von der Lichttechnik auf seiner anderen Seite ihm kräftig den Rücken tätscheln musste, bis er sich wieder im Griff hatte. Der klatschmohnrote Schimmer an seinen Ohren und seinen Wangen wollte dennoch nicht verschwinden.

Es war ein seltsames Gefühl, plötzlich so viel weniger zu wissen als sein Setkollege. Er war mir mit einem Schlag so... überlegen, irgendwie. Er hatte mit Sicherheit den Ablauf der Handlung nahezu auswendig gelernt, wie unsichere Menschen es halt tun, doch jetzt hatte es ihm unermessliche Vorteile erbracht, die mir Dank meines Stolzes verwehrt blieben. Denn nur wegen einer blödsinnigen Reaktion von diesem blödsinnigen Typen würde ich nicht wie früher noch zum Drehbuch greifen, um herauszufinden, warum er so erschrocken gewesen war. Nein, das würde ich schon noch im Laufe der Aufnahmen mitbekommen und schließlich triumphieren, weil es sich als etwas ganz harmloses herausstellte...


"Und... Action!"

Ich lief los, warf zweimal einen raschen Blick über meine Schulter, krallte meine Hände in den Rucksack, den ich als Requisite gestellt bekommen hatte und prallte am Ende der mit grünen Klötzen symbolisierten Häuserecke mit Dennis aka. Robin zusammen. Heute wurde unser "erstes Aufeinandertreffen" gefilmt und bis zu seinem Part war ich zufrieden gewesen. Doch jetzt sah ich wieder überall seine Schusselfehler, wie kleine rote Kreuzchen brannten sie sich an den verschiedenen Stellen in mein Blickfeld. Die Überraschung, zu sehr gestellt. Der Rückstoß durch unseren Körperkontakt, zu heftig. Seine Wangen, noch immer blässlich rosa und sein Blick so hilflos, als hätte er soeben vergessen, dass sogar er schon ein paar wenige Jahre diesen Job hier hatte und halten musste. Ein blutiger Anfänger, wie ich es immer gesagt hatte.

"Tschuldigung, hatte Sie gar nicht gesehen!", fiel ihm dann doch irgendwann sein Text wieder ein und er bückte sich nach meiner Tasche, die ich hatte fallen lassen. "Gib her!", verlangte ich fauchend und schaute ein weiteres Mal hektisch um mich. Aus Timo einen Dieb zu machen war unerwartet gewesen, nachdem er erst wenige Einstellungen zuvor seine picobello perfekte Familie verlassen hatte. Und ich wünschte mir beinahe noch mehr Überraschungen! Sie machten Charaktere spannend, einzigartig, interessant, zu Melzer-Sammelstücken. Und ich war beim Entdecken dieser Facetten live dabei.

Etwas verschreckt drückte mir Robin meinen Rücksack zurück in meine Arme, bevor ich ihn stehen ließ und weiter rannte. Fünf Sekunden später hörte ich auch schon das laute "Cut! Spitze, so hab ich mir das vorgestellt!", dass uns beide in eine halbstündige Mittagspause entließ. Erleichtert atmete ich tief ein. Wir hatten schon viel geschafft für heute.

Und... Action!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt