21. Kapitel

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Unter der Dusche wechselten wir kein Wort. Es war so unendlich eng in dem kleinen Raum, dass ich kaum an Dennis vorbei zum Duschgel greifen konnte, geschweige denn mit ihm den Platz tauschen. Der Wohnwagen war halt eigentlich nur für eine Person ausgelegt. Trotzdem hatte uns das nicht davon abgehalten, gemeinsam duschen zu gehen, auch wenn wir jetzt so nahe beieinander waren, dass wir für eine Umarmung nur noch die Arme um den jeweils anderen hätten legen müssen. Aber nicht einmal das taten wir. Wir standen einfach nur stumm da und ließen das Wasser auf unsere Köpfe prasseln. Die Euphorie von eben noch war ausgeklungen...

Nach etwa fünf Minuten verließ mein Kollege dann mit gesenktem Blick und einem Handtuch das Bad, ich folgte ihm kurz darauf und sah, wie er sich gerade seine Klamotten anzog. Als er bemerkte, wie ich ihn ansah, lächelte er kurz und wandte seinen Blick schnell wieder ab. Und auch ich fühlte mich irgendwie ein wenig unbehaglich. Ich konnte nicht sagen, woran es lag. Am gestrigen Abend seltsamerweise schonmal nicht, denn der war erstaunlich... gut gewesen! Auch wenn ich schon wieder weitergegangen war als geplant in meinem merkwürdigen Rausch. Wir hatten miteinander geschlafen und wir hatten es beide scheinbar so gewollt und zugelassen. Und auch jetzt nach seiner betrunkenen Nacht sagte und tat Dennis nichts negatives. Machte uns das jetzt zu einem Paar..? U-und wenn ja, wie sollten wir damit umgehen? Meine sonst immer glänzende Sicherheit war verschwunden und ich wusste plötzlich nicht mehr, wie ich mit meiner momentanen Situation umgehen sollte. Planlos stand ich in der Küchennische, mein Oberteil von gestern ruhte in meinen ausgestreckten Händen, bereit um angezogen zu werden. Die erstarrte Position musste so seltsam aussehen, dass Dennis kurz darauf zu mir kam: "Alles okay bei dir?"

Ich nickte rasch und schaffte es endlich, diesen einen Schritt zu vollenden und mir das Shirt und meine restlichen Klamotten überzustreifen. Kurz sah ich etwas wie Bedauern bei meinem Gegenüber/Freund/One-Night-Stand aufblitzen, doch er bekam sich schnell wieder unter Kontrolle. "Und was jetzt?"

"Frühstück", murmelte ich leise. Das Gefühl, nach und nach die Kontrolle über alles zu verlieren, was ich mir so mühevoll aufgebaut hatte, war ungewohnt und unbefriedigend. Aber wenn ich jetzt wieder den typischen Marik raushängen ließ, Dennis großspurig ignorierte und ihm wie bisher außerhalb des Sets eher aus dem Weg ging, hatte ich auch nichts gewonnen. Nur meine Ehre verloren. Und so wie die Dinge jetzt standen, gab es vielleicht doch noch etwas für mich zu erleben. Ich musste mich nur noch darauf einlassen und dann aber auch hinter meinen Entscheidungen stehen! Es wäre zum ersten Mal kein einsamer Weg, doch auch einer, den ich nicht voraus ging, sondern jemand anderes. Mein ...Kumpel hier, der hatte mehr Erfahrungen mit sowas! Deswegen sagte ich auch nichts dagegen, als er mir wie ein Gentleman die Tür öffnete und während wir zum großen Crewfrühstück liefen seine Finger mit meinen verschränkte.

Es musste echt seltsam aussehen: die eher unausstehliche Großklappe schwieg wie ein Grab und der ruhige und eher schüchterne Tollpatsch strahlte über das ganze Gesicht. Auch noch dann, als wir beim restlichen Team angelangt und sofort das Thema Nummer Eins waren. Viele gratulierten Dennis, stellten ihm wie Reporter im Interview Fragen und wollten ernsthaft einen Kuss zwischen uns sehen. Wir beide lehnten aber dankbar ab, denn ich konnte auch abgeneigte Gesichter überall an den Tischen verstreut sehen. Zu mir kam während der ganzen Zeit aber niemand mit Kommentaren oder Glückwünschen. Außer natürlich-

"Na Mik? Endlich hats geklappt, was? Ihr seid aber auch echt ein süßes Pärchen zusammen!"

"Halt die Klappe Luca", flehte ich mit knallrotem Gesicht und brachte meine beiden Nebenmänner zum Lachen. Aber ich meinte es ernst: "Wir sind kein Pärchen! N-noch nicht jedenfalls!" Fragend drehte ich mich zu Dennis um und sah zum Glück, wie er zustimmend nickte. "Das wollte ich mir noch für einen anderen Moment aufheben!"

"Und action!"

Die Anzüge fühlten sich etwas seltsam an. Wie eine zweite Haut, und das waren sie ja quasi auch. Einen Ruhetag hatte uns Melzer vor dieser Szene eingeräumt, nachdem wir davor fleißig Einstellung um Einstellung in den Kasten bekommen hatten. Heute war es soweit: Der Moment, dem ich stets mit so viel Furcht und Anspannung entgegengesehen hatte! Die Nacktszene. Nur dass sowohl ich als auch Dennis jetzt kein Stück nackt waren.

Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich in das hübsch dekorierte Schlafzimmer trat und ihn dort auf der Decke sitzen sah, ebenfalls ab dem Hals abwärts in diesen Sensorenanzug gesteckt, der nach dem Dreh am Computer bearbeitet wurde. Fünf Kameras plus Kameramänner umringten ihn unangenehm nahe und ich begann Melzer dafür zu schätzen, dass er sich schließlich doch gegen echte Nacktheit am Set ausgesprochen hatte. Bei den vielen Leuten hätte ich mich dann doch ziemlich geschämt.

"Du hast gewartet", stellte ich als Timo leicht besorgt und doch erleichtert fest, während ich mich langsam dem Bett näherte, "musst du nicht morgen früh raus?"

Dennis lächelte zaghaft: "Schon okay! Ich hätte eh noch nicht schlafen können!" Er spielte das Schüchterne und Zurückhaltende echt gut wenn ich daran dachte, wie seine Rolle zum Anfang der Dreharbeiten noch eins zu eins seine wahre Persönlichkeit wiedergespiegelt hatte. Jetzt war er ein anderer geworden. Mutiger, selbstbewusster und cooler. Und trotzdem war er irgendwie er selbst geblieben mit den schönen Eigenschaften, die ihn so ausmachten. Und ja, ein Schusselchen war er auch immer noch! Er war toll und ich bereute, dass ich das nicht früher bemerkt hatte.

Schnell lenkte ich meine Gedanken zurück auf den Film und kniete mich zu meinem Kumpel. Geübt fuhr ich mit einer Hand seine Wange entlang, zog ihn vorsichtig zu mir und küsste ihn leidenschaftlich und völlig freiwillig. Es war okay. Es wurde akzeptiert und in diesen Momenten sogar so wahrheitsgetreu wie möglich gewünscht, aber wichtiger war noch, dass ich es wollte. Der Junge war mir wichtig geworden, gegenüber allen Vorurteilen von früher und auch meiner trotzigen, eigentlich unbegründeten Abneigung. Dennis erwiderte mir verlangend und schlang seine Arme um meine Hüfte. Nahezu in Zeitlupe sanken wir auf das Bett nieder, schmiegten uns immer auf die empfindlichen Anzüge bedacht aneinander und nahmen uns unsere Zeit zum Kuscheln und angedeuteten Liebkosungen. Bevor Melzer noch das Zeichen zum Cut geben konnte, löste mein Partner sich von mir und lächelte mich glücklich an. "Ich will mit dir zusammen sein! Ist das okay für dich?"

Erschrocken schaute ich ihn an. Das war nicht sein Text! Aber der Regisseur wartete nicht erst auf eine Antwort von mir, sondern ließ die Szene im nächsten Moment abbrechen. Noch immer sah Dennis mich fragend an und ich schaute erstarrt zurück. Meinte er das ernst? Oder fragte er Timo? Ich konnte es nicht wirklich sagen...

"Sehr gut gemacht ihr beiden! Sehr schön, sehr schön, ich habe nie an euch gezweifelt! Abbauen, der letzte Satz bleibt im Film! Als nächstes bitte das Set für den Bahnhof! Alle in einer halben Stunde wieder hier eintreffen!"

Und... Action!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt