Sorry dass es so spät geworden ist!
________________
Starr schaute ich Dennis hinterher, ehe ich auf die Knie sank und mir die Haare raufte. Was war das gewesen? Was in drei Teufels Namen war in mich gefahren, das ich das eben beinahe getan hatte. Ihn zu küssen! Angespannt kniff ich meine Augen zusammen, versuchte ruhig zu atmen und schüttelte mechanisch meinen Kopf. Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Warum, warum warum WARUM?! Ich sollte mich doch mehr unter Kontrolle haben und trotzdem wäre mir beinahe so etwas passiert, etwas, was ich nie, nie im Leben hatte tun wollen! Einen Typen küssen. Meinen Rivalen küssen. Dennis... küssen...
Das einzige, was ich gewollt hatte, war doch bloß die Kontrolle über ihn zurückzugewinnen, nachdem ich sie bei unserem Streit im Wohnwagen verloren hatte. Ihn verwirren. Wieder in einer falsche Sicherheit wiegen, täuschen und an der Nase herumführen. Und dann hatte etwas in meinem Kopf plötzlich umgeschalten. Ich war ohne es zu wollen oder steuern zu können zu Timo geworden, obwohl ich es bisher immer geschafft hatte, Job - Film - Fiktion, all das sauber von der Realität und meinem Privatleben abzutrennen. Aber es war passiert. Die Art, wie er sich in der Cafeszene zu Robin herübergelehnt und ihn mit dieser Seelenruhe angeschaut hatte, war unerklärlicherweise von einem Moment auf den anderen auf mich übergesprungen wie eine Flamme auf den trockenen Holzscheit. Zum Glück hatte die Frau von der Lichttechnik uns unterbrochen! Sonst... ja, sonst wäre ich jetzt wohl am Ende. So konnte ich es immer noch zu meinem Vorteil drehen und wenden, falls uns jemand beobachtet hatte oder Dennis sich dazu genötigt fühlte, das später vor der Presse breitzutreten.
Vorsichtig wie ein Schwerstkranker stand ich auf, hielt mich an einem Geländer fest und taumelte, als ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, in Richtung meines Wohnwagens. Sollte mein Kollege doch selbst schauen wo er blieb. Ich wollte ihn heute nicht nochmal sehen. Mir ging es schlecht und ich brauchte dringend eine Auszeit von allem. Und ganz besonders musste ich mich darauf konzentrieren, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen und das, was schief gegangen war, in Ordnung zu bringen. Ich war Marik Aaron Roeder, Schauspieler, Deutschlands amtierende Nummer Eins. Und ich war nicht schwul! Ich würde nie wieder einen Jungen küssen, geschweige denn auch nur daran denken!
Das Drehbuch raschelte verheißungsvoll in dem Windzug, der durch das Öffnen der Tür im Trailer entstand. Ich warf ihm einen verachtenden Blick zu. Es konnte mich mal. JETZT würde ich erst recht nicht mehr nachgucken, wie Melzers Story weiterging. Der Trotz beherrschte mich dafür zu stark.
"Dann befreie dich davon! Du darfst dich deinem Schicksal nicht einfach ergeben, kämpfe dagegen an! Du bist doch stark, beweise es!"
Stumm sah ich Dennis in seiner Rolle als Robin an. Er hatte sich verbessert, das musste ich voller Neid anerkennen. Seine Stimme war fester, sein Blick gefüllt mit einer seltsamen Leidenschaft und seine Gestik spiegelte seine absolute Überzeugung wieder. Ohne Zweifel, dieser Filmdreh hatte ihn aufblühen lassen. Keine roten Kreuzchen mehr, nirgendwo. Jede Bewegung saß fehlerfrei. "Nagut", erwiderte ich mit festem Blickkontakt meinen letzten Textteil, bevor Melzer den Cut ausrief und uns kurz Pause gab. Dennis wandte beinahe augenblicklich sein Gesicht ab, schaute sich leicht lächelnd nach seiner Technikerfreundin um, Sofie oder Sofia oder so ähnlich, und zupfte sich am Kragen seines Outfits herum. Als ich bemerkte, dass ich ihn anstarrte und analysierte, ruckte ich etwas erschrocken auf meinem Stuhl zurück. Quatsch, ich war doch nicht eifersüchtig auf ihn, auf die Nummer Zwei. Lachhaft! Hastig wollte ich aufstehen, doch der Regisseur machte mir mit ein paar raschen Handbewegungen klar, dass ich sitzen bleiben sollte. Hm, mussten wir die Stelle etwa doch noch einmal drehen? Oder kam jetzt eine neue Szene gleich im Anschluss, die ich vorhin beim Überfliegen des Drehbuchs vergessen hatte?
Vorsichtig schielte ich zur Seite und bemerkte, wie Dennis mich nun seinerseits ansah. Nervös, mit einem leichten Rotschimmer auf seinen Wangen. Verwirrt erwiderte ich. Kurzzeitig herrschte Stille zwischen uns. "Was?", fragte ich dann kurz angebunden mit hohler Stimme, was meinen Gegenüber dazu brachte, sich leicht verlegen auf der Unterlippe herumzubeißen. "Fühlst du dich bereit für die nächste Szene?", entgegnete er. Mir wurde warm. Ich hatte tatsächlich nicht bemerkt, dass noch etwas im Anschluss hierrauf folgte und kannte dementsprechend auch meinen Text nicht. Ob ich jemanden rufen sollte, damit sie mir mein Buch brachten, wenn ich schon nicht aufstehen durfte? Oder sollte ich besser schnell Dennis fragen, das wandelnde Lexikon musste doch mittlerweile alle Takes kennen wie seine Westentasche! Hastig entschied ich mich für zweiteres. War vor der Crew nicht ganz so peinlich.
"Was kam jetzt nochmal?", flüsterte ich ihm deswegen zu. Seine Augen verbanden sich leicht schüchtern mit meinen. "Die Kussszene", hauchte er.
Ich kippte kurzerhand betäubt von meinem Stuhl. Nur ein geistesgegenwärtiges Manöver rettete mich davor, der vollen Länge nach auf dem Boden aufzuschlagen, stattdessen fing ich mich geradeso und landete sauber und doch leicht schmerzhaft auf meinen Händen und meinem Hintern. WAS? Kussszene?! Das konnte nicht sein verdammter Ernst sein! Nein! Da machte ich nicht mit! Vergesst es! Nicht vor laufender Kamera und auch nicht ohne! Nein, nein! Nur über meine Leiche!
Dennis interpretierte meine erschrockene Reaktion dummerweise auch noch genau richtig. Er lächelte leicht überheblich: "Hat da wohl jemand das Drehbuch nicht gelesen? Oder vorgehabt, sich ohne jede Gefühlsregung dran vorbeizuschleichen? Vergiss unsere Wette nicht Marik!"
"Herr Roeder, was ist los? Geht es Ihnen nicht gut?", mischte sich jetzt Melzer besorgt ein und stand von seinem Korbstuhl auf. Auch mehrere Leute von den Kameras und der Tonaufzeichnung schienen aus ihrer Starre aufgetaut und kamen schnell näher zu mir. Ich wurde derweil schneeweiß im Gesicht und starrte noch immer ungläubig zu dem jungen Mann über mir auf. Kussszene. Das Wort schien mir übergroß in den Kopf gedruckt worden zu sein. Ich musste ihn jetzt küssen... Es gab keinen Weg drumherum. So oft hatte ich das schon getan, aber nie mit einem Mann. Das waren immer hübsche Mädels gewesen, die ich auch gerne geküsst hatte, aber jetzt war das eine völlig neue Situation!
Da kam die Kraft in meinen Körper zurück und ich hievte mich noch etwas wackelig zurück auf meinen Stuhl. Schaute die Leute um uns an und scheuchte sie zurück an ihre Plätze. Nickte Melzer beinahe unmerklich zu. Es musste getan werden, so sehr es mir auch widerstrebte! Und dann wollte ich es lieber ganz schnell hinter mich bringen, ganz zu schweigen davon, Dennis sein Lächeln aus dem Gesicht zu wischen. Ein Kuss, ach Gott, davon ging die Welt nicht unter! Das war doch in wenigen Sekunden vorbei! Wenns nicht mehr ist, dachte ich leichtsinnig, wartete bebend die Klappe für die neue Einstellung ab und lehnte mich dann hastig nach vorne. Vollendete das, was ich vor einigen Tagen angefangen und glücklicherweise nicht durchgezogen hatte. Küsste den von meiner plötzlichen Entschlossenheit völlig perplexen Kerl vor mir auf den Mund, bewegte für einige Augenblicke meine Lippen sacht gegen seine und gab ihn danach wieder frei. Sein Blick brannte mir noch lange Zeit im Rücken, während ich vom Set rannte und mich in meinem Wohnwagen einschloss.

DU LIEST GERADE
Und... Action!
Fiksi PenggemarMarik Roeder und Dennis Weiß sind die wohl bekanntesten Schauspieler Deutschlands und werden gebeten, im neuesten Topfilm die beiden Hauptcharaktere zu spielen. Noch haben sie sich nie persönlich getroffen und sind sehr voreingenommen, was die Meinu...