9. Kapitel

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Im nächsten Augenblick ging auch schon die Cafe-Szene, oder auch "zweite Begegnung", los und mit dem Verhallen der Klappe stapfte ich aus dem angedeuteten Gebäude heraus auf die Straße. Für den Film hatte ich sogar extra eine Packung Kippen bekommen, die ich jetzt aus meiner Jackentasche fischte, und mir so lässig wie möglich auch direkt eine genehmigte. Wie locker ich auch immer dabei rüberkommen mochte, Rauchen war eine Sache, die mir höchste Disziplin abverlangte, um nicht zu würgen oder durch den Qualm in meinen Lungen zu husten. Ich rauchte generell nicht, stand nicht mit Rauchern zusammen und selektierte sie sogar sorgfältigst aus meinem eh schon kleinen Freundeskreis strikt aus. Ich hasste das! Es erinnerte mich an meinen Vater. Er war ein kiffendes, saufendes Ekelpaket gewesen und außerdem ein echt lausiger Elternteil.

Ich merkte plötzlich, wie sehr mich die Gedanken vom Dreh ablenkten und katapultierte mich sofort zurück ins hier und jetzt. Gesichtszüge wieder unter Kontrolle bekommen, Zigarette kurz aus dem Mundwinkel ziehen, ausatmen, sich zwingen, das Drecksding nicht sofort auf dem Boden auszutreten, und dann das andere Requisit zur Hand nehmen. Der Rucksack aus der ersten gemeinsamen Szene mit Dennis, in dem angeblich ein riesiger Batzen an Geldscheinen gewesen war. Laut dem Drehbuch war ich beim Leiter des Cafes undercover angestellt als, sagen wir es so, illegale zweite Lohnquelle. Ein einfaches 0815 Cafe konnte sich schließlich nicht nur von Cappucino und Kuchen am Leben erhalten. Also stahl Timo allerhand Sachen, gab sie an die Angestellten ab und bekam dafür Rückendeckung und eine angemessene Auszahlung. Welche ich gerade wohlbemerkt in meinen Händen hielt und durchblätterte. Hm, an Timos Stelle hätte ich dem Job auch zugestimmt, dachte ich verschmitzt und lauschte auf die Schritte, die Robins Ankunft andeuten würden. Und da waren sie auch schon, man hörte sogar an seinem Tribbeln, wie nervös er war! Egal, Melzer schien das ja seltsamerweise super zu gefallen. Die Schuhe stoppten und ich schaute genervt auf. "Was? Verzieh dich man!"

"Hey, dich kenne ich doch! Wir sind gestern ineinander gerannt!", lächelte Dennis mit fleckigen Wangen über mir, ich verleierte meine Augen und blies ihn mit dem Zigarettenqualm an. Obwohl die Szene vergleichsweise lang war, hatte sich der Ablauf in meinen fünf Minuten Vorbereitungszeit praktisch in mein Hirn eingebrannt. Dennis hustete, er hustete sogar wirklich und nicht nur gespielt und stieß mir den Rucksack aus meinen Händen, als er sich eine Armbeuge vor seinen Mund riss. Sein. Verdammtes. Glück! Dass das genau so im Scribt stand! Noch einen Glimmstängel hätte ich mir für Zehntausend Euro nicht angezündet, um die Stelle zu wiederholen!

"Sorry, t-tut mir leid!", murmelte Robin mit rauer Stimme und erblickte dann die Geldbündel, die beim Aufprall herausgepurzelt waren. Hastig kniete ich mich nieder, schnappte die Scheine und stopfte sie zurück, ehe ich wütend aufschaute. "Pass doch auf du Trottel! Du hast nichts gesehen, klar?", zischte ich und als er nicht sofort erwiderte, sprang ich auf und drückte ihn an seinen Schultern gegen die Wand. "Hast du mich verstanden?"

"K-klar! Aber-?", setzte er an, doch da presste ich ihm auch schon den Zeigefinger gegen die Lippen und brachte ihn so zum Schweigen. "Nichts aber. Keine Polizei, kein Geld, kein gar nichts!" Dann schulterte ich den Rucksack und ließ Dennis stehen. "Cut! Nochmal zurück bis zu der Stelle, wo Timo Robin entgegentritt!"

W-was?! Hatte Dennis es echt noch geschafft die letzten Sekunden zu versauen oder wie? Wütend funkelte ich ihn an und wartete darauf, das Melzer oder einer seiner Helfer ihn gleich zurechtweisen würde, doch stattdessen kam der Regisseur zu mir. "Marik, Sie haben doch bestimmt das Drehbuch gelesen? Die Szene bitte wiederholen, und dieses Mal eine Spur weniger aggressiv, sondern ruhiger! Ist kein großes Ding, aber sehr wichtig für später. Alles klar soweit?, dann bitte gleich nochmal!"

Ich kannte dieses neue Gefühl nicht mehr. Bodenlose Enttäuschung von der eigenen Leistung. Es war doch alles perfekt gewesen! Wie sollte ich die Szene denn anders spielen als so, wie sie perfekt war? Okay, runter kommen und zwar schnell! Ich hörte schon, wie die neue Klappe vorbereitet wurde, hastete zurück zu meinem Ausgangspunkt und zermarterte mir angestrengt das Gehirn. Ruhiger spielen. Aber wie? Er sollte ihn doch bedrohen, oder nicht? Nicht so aggressiv, wie dann? Nett und freundlich fragen, ob er sich wohl verziehen wollte und wenn möglich auch noch schnell. Es war so bescheuert! Ich begann leicht zu verzweifeln. "Cafeszene, Klappe die Zweite..."

Denk nach, denk nach! Ruhig! Wie spielte ich das nur ruhig?!

Das laute Klatschen ertönte und ich wurde wieder zu Timo.

"Sorry, t-tut mir leid!", murmelte Robin mit rauer Stimme und erblickte dann die Geldbündel, die beim Aufprall herausgepurzelt waren. Hastig kniete ich mich nieder, schnappte die Scheine und stopfte sie zurück, ehe ich wütend aufschaute. "Pass doch auf du Trottel! Du hast nichts gesehen, klar?", knurrte ich und als er nicht sofort erwiderte, sprang ich auf und drückte ihn an seinen Schultern gegen die Wand. "Hast du mich verstanden?"

"K-klar! Aber-?", setzte er an, doch da presste ich ihm auch schon den Zeigefinger gegen die Lippen und brachte ihn so zum Schweigen. Dann kam das Blackout. Wie machte ich an dieser Stelle weiter? Dennis hatte seinen Teil fehlerfrei über die Bühne gebracht, absolut kein Unterschied zum ersten Take. Nur ich war dieses Mal unsicherer denn je gewesen. Und jetzt immer noch. Aber nochmal wollte ich das hier auch nicht wiederholen!

Ich drängte meine sich überschlagenden Gedanken in weite Ferne und tat das, was mir als erstes einfiel. Langsam beugte ich mich nach vorne zu seinem Ohr. "Nichts aber. Keine Polizei, kein Geld, kein gar nichts!", brachte ich dieses Mal leise über meine Lippen. Langsam, betont, ruhig. Jedes Wort tropfte wie süßer, klebriger Honig. Und trotzdem verfehlten sie ihre Wirkung nicht, sie klangen noch immer bedrohlich genug, um am Hals meines Gegenübers eine Gänsehaut entstehen zu lassen. Wenn diese, auf meinen Spielereien mit ihm basierende, Interpretation auch nicht richtig war, musste ich mir die genauen Anweisungen von Melzer persönlich und detailliert beschreiben lassen und wenn nötig sogar von ihm ansehen und -hören müssen.
Langsam zog ich mich zurück und sah Furcht und ungreifbare Unsicherheit in den dunklen Augen über mir schimmern. Ein letztes, überlegenes Lächeln meinerseits, dann schulterte ich den Rucksack und ließ Dennis stehen. Wartete auf das erlösende Zeichen. "Cut! Das nenne ich perfekt! Schluss für heute, morgen gehts weiter!"

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