Weit war ich nicht gekommen. Genauer gesagt: keine drei Schritte. Ich hatte mich auf die unterste Stufe der Treppe zu Dennis' Wohnwagen gesetzt und versuchte herauszufinden, was immer mit mir los war, sobald ich mich in seiner Nähe befand. Ich wusste zwar aus unendlich vielen Quellen, dass ich nach außen wirkte wie ein riesiger, arroganter Arsch und gestört hatte mich das bisher nie, aber jetzt eben hatte ich alles versucht, um das zu ändern. Nicht ich selbst zu sein. Sondern... keine Ahnung! Reumütig wahrscheinlich. Es war kein Schauspiel gewesen, es hatte meine volle Überzeugung dahinter gestanden! Ich konnte nicht spontan in einer Nacktszene mit einem anderen Mann auftreten! Dennis hatte ja selber gesagt, das wäre so gut wie unmöglich, das authentisch zu verkaufen. Und danach war alles schief gegangen. Erst sein plötzlicher Rückzieher und dann war ich in alte Verhaltensmuster zurückgerutscht. Soweit alles irgendwie nachvollziehbar. Doch warum ich schon wieder Timos Rolle angenommen und meinen Setkollegen geküsst hatte, konnte ich wirklich nicht verstehen. Erst sagen, ich würde das nie im Leben wieder machen und dann passierte es quasi freiwillig aus heiterem Himmel heraus. Es war so verwirrend und ich stieß tief meine Atemluft aus. Was wenn es die beiden Male tatsächlich keine Kurzschlussreaktion gewesen wäre? Wenn ich vielleicht... Gefühle für Dennis hätte?
Es klang so absurd, doch wenn ich in mich hineinhorchte, gab es nur einen Teil von mir, der gegen diese fixe Idee sprach: der Stolz und die Arroganz, die ich wohl als einzige positive Eigenschaften von meinem mehr als nur lausigen Vater geerbt hatte. Sie hatten mich hochgezogen und zu dem gemacht, was ich heute war: Ein Star am deutschen Schauspielhimmel! Eine Ikone, die unangefochtene Nummer Eins! Ein mehrfacher Preisträger mit seinen ganz eigenen Prinzipien und oft umstrittenem Erfolgsrezept. Sie hatten mich zu Marik Aaron Roeder gemacht. Einem Teilnehmer an einem Melzer-Film. Zu einem manipulativen, kühlen, gefühlslosen Mistkerl!
Ich zuckte zusammen, als sich Dennis' Stimme in meinen Kopf dazugesellte und die Lobrede kurzerhand beendete. Gefühlslos? Vielleicht war das wahr, weil mir die Handlung von Drehbüchern schon lange nicht mehr ans Herz ging. Kühl? Auch das, sonst hätte ich eben weiter gebettelt und versucht, den Kerl so weich zu kriegen. Manipulativ? Das wusste ich nicht so recht. Es war nie meine Absicht gewesen, sondern einfach meine Art, mit anderen Leuten umzugehen. Sie zu umgarnen, wenn ich sie für etwas brauchte und dazu zu bringen, mir diesen Wunsch zu erfüllen. War das nicht auch normal, dass man so handelte? Man konnte ja nicht mit jedem von ihnen tiefe Freundschaft schließen und das bis in alle Ewigkeiten aufrecht erhalten! Das wäre doch schlichtweg unmöglich! Ein wenig Egoismus in dieser Beziehung war meiner Meinung nach vollkommen legitim und vertretbar!
Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Dennis hatte ein Fenster angekippt und ich hörte ihn leise weinen. Wegen mir? Er hatte mich zwar weggeschickt, meinen Kuss aber zuerst auch erwidert und es selbst so gewollt. Vielleicht wusste er ja auch nicht so richtig, was mit ihm los war. Ob ich klopfen sollte, damit wir uns bei einander aussprechen konnten? Wäre zwar auch das erste Mal, dass ich sowas außerhalb vom Set tat, aber ich brauchte dringend den Testdurchlauf der Nacktszene, bevor ich mich vor Melzer und der Filmcrew gänzlich blamierte!
Ehe ich mich jedoch entscheiden konnte, öffnete sich die Tür schon von alleine und hastig drehte ich mich um. Dennis starrte nach draußen und hatte mich scheinbar noch nicht bemerkt, während er einen Fuß die Treppe hinuntersetzte. Er würde gleich über mich stolpern, wenn er weiter so unaufmerksam war! "Dennis!", zischte ich und er zuckte zusammen. Sein nächster Schritt ging ins Leere und er kam ins Stolpern.
Doch es endete nicht in schweren Verletzungen. Gerade rechtzeitig war ich aufgesprungen und hatte ihn im Fallen aufgefangen. Sein erster Impuls war es gewesen, sich an mir festzuklammern und so standen wir jetzt da, in einer etwas seltsamen und sehr kräftigen Umarmung. Noch im Schock keuchten wir beide erschrocken und ich begann etwas an Dennis zu riechen, was ich so ganz und gar nicht mochte: "Hast du dich etwa betrunken?" Langsam spürte ich ihn nicken. Ich löste mich sanft aus seiner Klammer und tatsächlich, seine sonst so tiefen, klaren Augen waren trüb und fixierten mich erst nach längerer Zeit. "Und wieso?"
Der junge Mann schluckte ertappt. "Ich wollte es vergessen", nuschelte er schließlich ertappt, "Alles von heute. Du bist nicht gut für mich Miki..."
Sanft dirigierte ich ihn ins Wageninnere zurück und nahm wieder meinen Platz ihm gegenüber auf der Sitzbank ein. Mir war ein Einfall gekommen, wie wir zusammen zwei, wenn nicht sogar drei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnten. Im nüchternen Zustand hätte er das bestimmt wieder als Manipulation meinerseits verschriehen, doch ich musste das jetzt durchsetzen. Eine bessere Möglichkeit gab es nicht! "Dennis? Ich glaube, wir sollten reden. Dafür ist einfach schon zu viel zwischen uns absichtlich und unabsichtlich passiert, das mich und sicherlich auch dich extrem verwirrt... Also, bist du... bist du schwul?" Ich sah ihn nachdenken und dann, wie er seinen Kopf ein wenig schwang. Es hätte sowohl ein Nicken, als auch ein Kopfschütteln sein können, das konnte ich so klar nicht sagen. Volltreffer! "Ich weiß es ehrlich gesagt von mir selbst auch nicht. Das ist mir noch nie passiert. Dass ich so unsicher in irgendeiner Sache oder Entscheidung war." Ich ließ eine Kunstpause, damit mein Gegenüber mitkam. Er sah ziemlich mitgenommen aus, doch ich glaubte, dass er trotzdem alles verstand, wenn er es auch vielleicht morgen schon wieder vergessen hatte. Zögernd legte ich eine meiner Hände auf seine und streichelte seine weiche Haut. Beinahe so zart wie die der unzähligen Frauen, denen ich vor ihm am Set den Kopf verdreht hatte. Hoffnungsvoll schaute ich zu ihm auf: "Wie wäre es, wenn wir es herausfinden? Jetzt gleich, nur mit unseren wahren Gefühlen? Lass uns die Nacktszene proben, Dennis!"
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Und... Action!
FanfictionMarik Roeder und Dennis Weiß sind die wohl bekanntesten Schauspieler Deutschlands und werden gebeten, im neuesten Topfilm die beiden Hauptcharaktere zu spielen. Noch haben sie sich nie persönlich getroffen und sind sehr voreingenommen, was die Meinu...