Bild: Delirium Z
Ich vergrub meine klammen Hände tiefer in meiner dunkelblauen Kingsland-Daunenjacke. Eine Brise vom Meer, dass hinter dem Deich lag, fegte über den Turnierplatz und ließ mich erschaudern. Nervös trippelte ich auf der Stelle, um mich warm zu halten.
Meine weiße Reithose war nicht besonders dick und ließ den kühlen Wind auf meine Haut brausen. Mit der rechten Hand fuhr ich mir durch meine geöffneten braunen Haare, die in langen Strähnen meinen Rücken hinunterflossen.
Meine dunkelblauen Augen verfolgten jeden Trabtritt, den das Pferd machte, das grade im Prüfungsviereck war. Auf dem Rücken des Fuchses saß Katharina van der Slooten, eine Dressurreiterin aus Norddeutschland, die ungehobelter Weise- mit dem super ausgebildetem Turnierpferd ihres Vaters gemeldet war.
Das tat sie jedoch nur, weil ich sie bei den letzten Late-Entry-Turnieren immer geschlagen hatte, aber heute sah es überraschend gut für sie aus und sie verließ den Platz mit einer 7,2.
,,Tja, da können du und dein hässlicher Niederländer-Klepper ja gleich ab zischen!", sagte sie höhnisch, als sie an mir vorbeiritt.
Eigentlich hatte ich vor zu sagen, das mein Pferd Delirium Z und ich, schon viel höhere Wertnoten errungen hatten, ließ es aber lieber und lächelte einfach nur mild.
Dann drehte mich auf dem Absatz um und ging zurück zum Anhänger. Meine Mutter gab meiner Schwester die letzten Anweisungen, bevor diese in den Parcours reiten würde.
Marie Lindström war drei Jahre älter als ich und ritt Springen. Mit ihrem Holsteiner Rappwallach Black Pearl hatte sie schon viele Prüfungen für sich entschieden. Heute ritt sie ein L***-Springen und M-Zwei-Phasen-Springen, in dem sie -laut meiner Mutter- eine gute Chance haben würde, denn der Rappe war relativ klein und wendig im Gegensatz zu den meisten anderen Pferden, die schon für das M abritten.
Im vorbeigehen klopfte ich dem Wallach einmal den starken Hals bevor er samt meiner Schwester und meiner Mutter zwischen den Anhängern verschwand.
Der Niederländer-Klepper,wie Katharina mein Pferd genannt hatte, stand noch alleine auf dem Transporter, weshalb ich ihn schnell ablud und überputzte.
Sein graues Apfelschimmelfell war noch weich und flauschig von dem Winterpelz , doch bald würde er sich wieder in ein schönes, sportliches Pferd verwandeln.
Noch während ich die Hufe einölte, klingelte mein Handy in der Jackentasche.
Jan Terve, ruft an..., stand auf dem Display. Ich klemmte mein iPhone zwischen Ohr und Schulter und legte den Sattel auf.
,,Hallo? Eva?", sagte die Stimme im Handy.
,,Hi, Jan! Wann kommst du?", fragte ich.
,,Bin schon da, beeil dich, ich warte beim Abreiteplatz!", dann legte er auf.
Ich steckte mir mein Handy in die Innentasche meiner Jacke, davor knipste ich noch ein Foto von meinem Pferd auf Instagram und setzte einen Schriftzug darunter: Delirium Z is ready for the big show today .
Dann schob ich meinem Pferd vorsichtig die Kandare in das Maul und gurtete nach.
Auf dem Weg zum Abreiteplatz kam mir Jan bereits entgegen. ,,Du musst aufpassen, Eva. Das Team vom Elb-Hof ist heute echt stark, die haben ein neues Pferd am Start: einen De Niro-Sohn."
,,Okay, und ich versuche ihn dann ein bisschen mehr einrahmen, sonst läuft er mir weg.", bedachte ich und schwang mich in den Sattel.
Jan Terve nickte, er stapfte mutig zwischen die galoppierenden und trabenden Pferde auf dem Abreiteplatz und stellte sich mitten in die Mitte.
Ich arbeitete den Apfelschimmel sehr lange im Schritt, dann trabte ich ein paar Runden und galoppierte schließlich ein bisschen herum.
Der Abreiteplatz war immer eine gute Gelegenheit, um die Konkurrenz zu checken; das Mädchen auf dem Rappen machte einen sehr fokussierten Eindruck, der Junge auf dem dunkelbraunen hatte ein Gesicht, als hätte er längst gewonnen.
,,Und jetzt begrüßen wir die Startnummer 154. Eva Lindström auf Delirium Z, Germany!", schepperte der Ansager aus den großen Lautsprecherboxen.
Gelassen ritt ich hinüber und trabte einmal um die ganze Bahn, bevor ich mich aufrichtete und auf die Mittellinie ritt.
Ich hatte während der ganzen Prüfung ein sehr gutes Gefühl, dieses wurde später mit einer tollen Wertnote von 8,7 belohnt.
,,Die Startnummer 154 hat den Ersten Platz in der laufenden Prüfung.", verkündete der Ansager, Musik ertönte und ich umarmte mein Pferd.
,,Toll gemacht, ganz, ganz super, Deli!", flüsterte ich und drückte meinem Apfelschimmel einen Kuss auf die Nüster.
Die weiteren Starter kamen alle nicht an mich heran, das führte dazu, dass ich siegte. Mein Trainer nickte vom Rand des Vierecks bedeutungsvoll zu, als ich nach vorne gerufen wurde, die Medaille entgegennahm und mein Pferd eine schöne, goldene Schleife angeklickt bekam.
,,So früh in der Saison war er doch noch nie so gut drauf!", sagte meine Schwester erstaunt, als ich grade an der Umzäunung vorbeiritt.
,,Stimmt. Aber vielleicht hat die Futterumstellung etwas damit zu tun.", erwiderte meine Mutter, die tatsächlich im Winter auf der Pferdemesse in Hannover einen neuen Futterplan für Deli hatte aufstellen lassen.
Meine Schwester zog ihren blonden, dicken Zopf fester und zog ihre dunkelblaue Animo-Reithose hoch.
Nach der Ehrenrunde beeilten wir uns, nach Hause zu fahren. Am Morgen hatte ich schon meinem zweiten Hengst und meine Stute geritten, es fehlte nur noch Disney, die ich auf den späten Nachmittag vertrösten mussten.
Als wir am Nachmittag im Auto zurückfuhren, waren wir alle vollkommen zufrieden mit unseren Leistungen. Marie hatte das erste M-Springen gewonnen und im L-Springen war sie als vierte platziert worden.
Ich gähnte und lehnte mich gegen das Autofenster, an das dicke Regentropfen schlugen, dass es nur so trommelte.
Es war purer Wahnsinn, wie schnell die Zeit verging. Vor ein paar Jahren war ich noch mit meiner Hannoveraner Stute Wonderwoman in E- und A-Dressuren herumgegurkt und jetzt war ich im Bundeskader und ritt Turniere bis S-Dressur.
Ich hatte unglaublich viel dafür arbeiten müssen. Hatte Kindergeburtstage versäumt wegen eines Turnieres. War zu manchen Klassentreffen nicht erschienen, weil ich ein Training hatte und war oft sofort nach der Schule in den Stall gefahren, um die Arbeit zu erledigen.
Aber die Arbeit hatte sich ausgezahlt. Und das wusste ich zu schätzen, nicht jeder hatte die Chancen, die ich hatte und deshalb musste ich sie auch nutzen. Überhaupt müsste man im Reitsport schnell Entscheidungen treffen können.
Wie etwa im Springparcours: Soll ich hinten um den Blumenkübel oder vorne rum?
Und so eine Entscheidung hatte der Besitzer meines Berittpferdes Disney Dream hatte treffen müssen. Sie war ein vielversprechendes Nachwuchspferd und viele bekannte Reiter hatten sie probe geritten.
Warum sich ihr Besitzer grade für mich entschieden hatte, wusste ich nicht. Aber er hatte die Wahl zwischen Helen Langehanenberg und mir, einer damals noch unerfahrenen, Dressurreiterin gehabt.
Und irgendwann -vom unregelmäßigem Regentropfen-Geräusch- schlief ich mit dem Gedanken an meine Stute an das Fenster gelehnt ein.
Think of riding as a science, but love it as an art
~George Morris
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We are Dancer
Teen FictionEva Lindström. Jeder der heutigen Reiterwelt kennt ihren Namen. Auf fast jedem wichtigen Turnier steht sie auf der Starterliste. Die 14 jährige gehört zu den Hoffnungen Deutschlands. Jeder Trainer reißt sich darum, einmal das Mädchen mit diesem ungl...