19.

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Bild oben: Marie und Call of Nite

Mit gesenktem Kopf hastete ich über den durchweichten Rasen.

Der Regen pladderte unaufhörlich vom Himmel - dagegen half selbst mein bester Regen-Anorak nicht.

Das Neujahrsturnier schien buchstäblich ins Wasser zu fallen, und doch wollte meine Schwester heute starten.

Wir hatten Sylvester gemeinsam mit Wiedmanns gefeiert. Lasse hatte mir das Haus und sein Zimmer gezeigt und hatte mich mehr als einmal geküsst. Und er hatte mir genau um Mitternacht nochmal gesagt, wie sehr er mich liebte.

Mein Herz war beinahe explodiert vor Gefühlen und auch jetzt, als ich ihn an der Tribüne der Reithalle sah, wurden meine Knie weich.

,,Hi, ist der Parcours schwer?", fragte ich und stellte mich neben ihn.

,,Nein. Eigentlich ziemlich unkompliziert, nur hier in der Ecke, schau, da musst du ein bisschen gucken, wie der Galoppsprung deines Pferdes ist. Manche Pferde machen ihn größer und brauchen weniger Galoppsprünge zum Sprung, andere brauchen mehr und dann muss man sehen, wie man passend kommt. Aber das dürfte kein Problem werden.", erklärte er sachlich und zeigte mir die Stelle.

Er würde erst nach der Pause reiten und ich war froh, dass er da war, um mir Maries Ritt ein wenig zu erklären.

Sie war heute früh mit Lasse, Dianas Bruder Thilo und deren Pferden Quite Magic, Thunderstorm und Call of Nite losgefahren. Heute gegen neun waren sie in Verden angekommen.

Papa und ich waren erst später hier. In dem ersten Springen, an dem sie teilgenommen hatte, war sie sechste geworden und hatte eine grüne Schleife bekommen.

Das jetzige L-Springen sah recht simpel aus und ich zweifelte nicht daran, dass es ihr große Schwierigkeiten bereiten würde.

Thilo und Thunder verließen mit einer neuen Bestzeit die Reithalle und Lasse machte sich auch auf, um ihn zu suchen.

Ich ging vor Maries Start nochmal kurz auf die Toilette, wo ich Diana vor einem der großen Spiegel fand.

,,Oh, hi Eva! Ich wusste gar nicht, dass du auch schon da bist.", sagte sie und verzog ihren Mund, um den mattrosanen Lippenstift nachzuziehen.

,,Doch, seit einer Stunde. Dein Zwilling ist grad fertig, es sieht gut für ihn aus.", brachte ich sie auf den neuesten Stand.

Thilo und Diana waren wirklich Zwillinge, auch wenn sie nicht so aussahen. Die eine blond und blauäugig, der andere hellbraunhaarig mit braunen Augen. Und außerdem war Thilo viel netter als Diana, ich mochte ihn ganz gut leiden, obwohl ich ihn nicht so oft sah.

,,Dann geh ich da mal gucken. Dein Freund ist übrigens auch hier. Es ist mir schon auf der Fahrt hierher aufgefallen: er ist echt verdammt heiß.", sie zwinkerte mir verschwörerisch zu und ich ballte meine Fäuste.

Bloß nicht provozieren lassen, dachte ich mir und zeigte ihr in Gedanken den Mittelfinger.

Marie gewann überraschend das L, nur eine halbe Sekunde schneller war sie als Thilo. Sie war glücklich, dass sah man ihr an. Ihr erster Sieg nach dem verhängnisvollem Sturz und was für einer.

Thilo gönnte es ihr von Herzen, er kannte ihre Geschichte wahrscheinlich schon und umarmte sie nach der Siegerehrung.

Fröhlich vor mich hin summend aß ich, nachdem wir Calle versorgt hatten, gemeinsam mit Marie, Papa und Anne Goldschmied ein Mettbrötchen. Anne's Vater war ein bekannter Investor und Sponsor von vielen Reitern, er war sehr nett und trieb sich mit seiner Tochter viel auf Turnieren herum, um sich seine Reiter anzusehen.

Annes Vater hatte großes Interesse an Marie, er hatte ein paar Beziehungen die er spielen lassen könnte, um meiner Schwester möglicherweise eine Werbe-Kooperation via Soziale Medien mit einer bekannten Firma verschaffen könnte. Es ging um irgendeine Uhrenmarke, von der ich aber noch nie gehört hatte.

,,Eva, kannst du kurz nach Calle sehen? Er steht mit Thunder auf dem LKW.", fragte Papa, nachdem ich fertig gegessen hatte.

Ich nickte und Anne sagte: ,,Ich komm mit!"

Gemeinsam rannten wir über den schlammigen verregneten Parkplatz auf einer leer stehenden Weide. Anne in ihren teuren Stiefeln, ich in meinen praktischen Winterstallstiefeletten.

,,Das ist er, oder?", fragte Anne und zeigte auf den Pferde-LKW, der von den Zollern gehörte. ,,Jep.", sagte ich und stieg durch die kleine Tür in das Pferdeabteil ein.

Dem Fuchs ging es gut. Er stand mit gesenktem Kopf in seinem Abteil und mümmelte das Heu, dass Marie ihm mach seinem warmen Mash hingehängt hatte.

,,Brr, mir ist total kalt. Sollen wir uns Tee holen?", fragte ich meine Freundin, die wortlos nickte.

Aus Erzählungen wusste ich, dass es in dem luxuriösem Wohnabteil sogar eine Mikrowelle und einen Wasserkocher gab, Teebeutel und Tassen gab es dann doch bestimmt auch, schloss ich.

Ich öffnete die Fahrertür und kletterte dicht gefolgt von Anne nach hinten durch.

Dann erstarrte ich. Anne griff nach meiner Hand und drückte sie. Tränen traten in meine Augen.

Diana und Lasse. Lasse hatte die Blonde gegen die metallene Wand gedrückt und küsste sie nachdrücklich. Mit der einen Hand war er in ihren Haaren, die andere stützte er neben ihrem Kopf ab.

Sie hatten uns nicht bemerkt, ich konnte Dianas Gesicht nicht sehen und Lasses auch nicht, aber ich war mir sicher das sie es waren.

Stumm rollte mir eine einzelne, glasklare Träne die Wange herunter. Diana seufzte und Lasse lachte rau.

,,Nein.", sagte ich leise mit zitternder Stimme.

Anne sah mich mindestens genauso schockiert an. Sie wusste, das wir ein Paar waren.

,,Wir wollten ja nicht stören. Macht ruhig weiter und du Lasse, zerstör einem Mädchen ruhig das Leben.", übernahm Anne, denn ich war unfähig etwas zu sagen.

Sie fuhren herum. Lasses blaue Augen erfassten die Situation und er sah mich direkt an. Den Ausdruck in seinem sonst so schönen Augen konnte ich nicht deuten.

,,Du bist so ein Wichser, Lasse Wiedmann.", rief Anne wütend und zog mich aus dem LKW.

Draußen schlug sie die Tür zu und nahm mich in den Arm. ,,Alles wird gut. Er ist scheiße, dass war der Beweis.", sagte sie und ich war unendlich froh, dass sie da war.

~

,,Ich kann's gar nicht glauben.", seufzte ich mit tränenerstickter Stimme. ,,Er hat noch nichtmal was gesagt! Und das, obwohl wir seit drei Monaten zusammen sind! Er hat doch gesagt, dass er mich liebt!"

Ich hatte mir Unterstützung von Marie geholt. Zu dritt saßen wir in Papas Auto auf der Rückbank. Sie beide sprachen mir Mut zu in bestätigten, wie doof Lasse war. Marie wollte ihn sogar suchen gehen, aber davon rief ich ihr ab. Sonst hätten wir letzten Endes noch eine Anzeige wegen Körperverletzung am Hals.

,,Alles wird gut, du musst nur daran glauben.", sagte Marie. ,,Du bist eine Kämpferin und Kämpfer geben niemals auf. Du stehst auf wie ein Phönix aus seiner Asche."

Ich warf ihr einen skeptischen Blick zu, doch sie machte weiter.

,,Du hast doch noch mich und Mama und Papa und deine Pferde und Anne und Lily. Du schaffst alles, was du willst. Den du bist eine Reiterin und Reiterinnen geben niemals auf!"

We are Dancer ~ Wir sind Tänzer

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