Der Junge auf der Straße

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Die Geräusche des leeren Waldes sind nicht unvertraut und vielleicht wirft genau das Taris so aus der Bahn, weil doch eigentlich alles anders sein müsste jetzt. Der Prinz hält sich sicher und aufrecht auf seinem Pferd, das Taris ihm führt sobald das Gelände nicht mehr gar so unwirtlich ist, und er sieht so aus als würde er noch lieber absteigen und selbst gehen. Aber er weiß, dass er es nicht kann und dass er auf all das hören muss, was die Heilerin ihm mitgegeben hat und dazu gehört so wenig körperliche Anstrengung wie möglich.

Dazu gehört es, unentdeckt zu bleiben. Auch wenn sie dafür so weit fort reisen müssen, dass es fast Taris' Vorstellungskraft sprengt.

***

Das Nachbarkönigreich ist ihrem eigenen gespenstisch ähnlich. Sie treiben die Pferde die ganze Nacht über an, bis ihr Fell vom Schweiß durchnässt ist und zügeln sie nur dann freiwillig, wenn vor ihnen die Nachtlichter eines Dorfes auftauchen, das sie leise und vorsichtig umreiten müssen.

Manchmal begegnen ihnen auch auf freiem Feld eingemummte Gestalten, die zu Fuß weiter gen Osten ziehen und nur kurz und müde die Köpfe nach ihnen heben, bevor sie wieder vorbei sind, unerkenntlich in der Dunkelheit der Nacht.

Das Nachbarkönigreich ist ihrem eigenen so ähnlich darin, wie sehr die Furcht überall um sich gegriffen hat.

***

Bei seinen Ausflügen fort von Hütte der Heilerin hat es Ilfrid öfter über die Grenze geführt, durch die nahen Dörfer und Städte, mit Wanderstab und wild wucherndem Bart, der ihn aussehen lässt wie einen Landstreicher.

Sein Wissen ist es jetzt, das sie die ersten Tage durch das unbekannte Land führt. Sie halten sich fern von allen größeren Siedlungen, aber er kennt abgelegene Höfe und versteckte Walddörfer, in dem man noch nicht einmal den Namen des drohenden Nachbarn gehört hat, in der die Erwähnung von Calred nur Unverständnis bewirkt. Dort finden sie fast immer ein klammes Zimmer oder eine Ecke in einer Scheune, wenn die Nächte kalt und ungemütlich werden, und auch wenn die Reise beschwerlich bleibt, müssen sie wenigstens nicht um das Leben des Prinzen fürchten.

Taris ist fast überrascht darüber, wie viel er dieses Mal tun kann, über ein Jahr später. Er weiß, welche Heilzutaten sie auch im Winter finden können, er kann für ein paar zusätzliche Münzen den Dorfleuten mit ihren Arbeiten zur Hand gehen, er fängt ihnen Fisch aus dünn überfrorenen Bächen, um ihre Vorräte zu strecken.

Wenn sie eine abendliche Herberge früh erreicht haben und keine Arbeit zu finden ist, wenn der Prinz von der Erschöpfung des täglichen Rittes eingeschlafen ist, dann nimmt Ilfrid ihn manchmal mit vollem Ernst zur Seite und redet mit ihm wie mit einem Vertrauten.

Er bringt ihm bei, wie man ehrliche Menschen von unehrlichen Menschen unterscheidet, wie man mit Fremden redet ohne sich zu offenbaren oder Misstrauen auf sich zu lenken. Taris lernt, seine Sinne nicht nur auf die Natur zu richten, sondern auch auf die Menschen, wer ihnen helfen kann, von wem sie sich besser fernhalten, wer eine Gefahr ist.

„Wohin ziehen wir?", wagt er es einmal zu fragen, aber Ilfrid hebt zur Antwort tadelnd die Augenbrauen.

„Fort", sagt er nur. „So weit fort, wie möglich."

***

Hinter ihnen steigt schwarzer Rauch am Horizont empor und wenn sie über die breiten Straßen reiten, dann werden sie manchmal fast auf Schrittgeschwindigkeit heruntergebremst, weil so viele Leute versuchen zu fliehen.

Der Prinz wendet sich nach dem Rauch um und seine Augen sind danach voller Dunkelheit.

„Es darf nicht sein", flüstert er, mehr zu sich selbst als zu irgendjemandem sonst. Taris hört es trotzdem. Natürlich hört er es. Er verlässt die Seite des Prinzen nur dann, wenn es gar nicht anders geht und er ihn sicher in Gesellschaft von Ilfrid weiß.

Besonders jetzt, wo zu der stetigen Schwäche seines Körpers die Erinnerung an die alten Schmerzen zurückkommt. Er fühlt sie selbst, als der Wind vom Westen weht und ihnen den Geruch von brennenden Dörfern in die Nase trägt.

***

Es ist kein schönes Gefühl, wieder auf der Flucht zu sein. Aber dieses Mal waren sie wenigstens vorbereitet. Dieses Mal haben sie Übung.

***

„Es ist nicht richtig", sagt er zum Prinzen nachts am Lagerfeuer. Ilfrid versucht, neue Kräuter für seine Heilung zu finden, aber noch lässt ihn die Mixtur fahrig und unruhig zurück, unfähig, auch nur ein Auge zuzutun. Taris will ihn nicht allein wach bleiben lassen, wo ihnen die Schatten so eng nachschleichen.

„Hat ihnen denn ihr eigenes Land nicht gereicht? Warum mussten sie in unser Zuhause kommen und jetzt hierher, warum nehmen sie so vielen Menschen den Platz weg?"

Der Prinz seufzt. „Oh Taris", sagt er erschöpft. „Was können wir denn tun?"

Sie können sich glücklich schätzen, dass sie am Leben sind. Das können sie tun.

Der Vergessene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt