Der Mann und die Jahre

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Es kommen Seuchen, und schlechte Ernten und ein paar Reiche im Süden, die gerade so von Calred verschont wurden und vergessen haben, wem sie das zu verdanken haben. Es gibt gierige Statthalter und Dorfleute, denen die neue Toleranz für Vergessene Kunst unheimlich ist.

Stürme, Neid, Hochmut, Feuer, Ambitionen, viel bedroht das Reich der Alten Könige.

Altair meistert alles, weil er immer weiß, wie es sich anfühlt.

***

„Sie machen sich Sorgen, dass Ihr Euch immer noch keine Frau genommen habt, mein Prinz", sagt Taris.

„Oh, wirklich?", erwidert der König mit milder Überraschung und öffnet nicht einmal die Augen, die er in der Ruhe der kleinen Stube geschlossen hat.

„Ihr werdet alt, aber noch ist es nicht zu spät", erläutert Taris. „Sie bestehen nicht einmal auf eine Prinzessin, Hauptsache, ein Thronfolger."

„Warum haben sie mir das nicht selbst gesagt?", fragt der König und seine Mundwinkel heben sich belustigt. „Heute noch in der Ratssitzung habe ich sie gefragt, ob sie etwas zu beklagen haben."

Taris zuckt mit den Schultern und sieht ihn an, seinen Prinzen, wie er nah am Feuer sitzt und nur die Wärme genießt. Falten sitzen tief um seine Augen und auf seiner Stirn, aber noch ist nicht klar zu sagen, wie viel graue Strähnen sich in sein Haar und seinen Bart geschlichen haben.

„Wahrscheinlich hatten sie Angst, dass Ihr sie wieder nicht ernst nehmt", entgegnet er. „Sie meinten, auf mich würdet Ihr vielleicht eher hören."

Der König schmunzelt.

„So feige sie manchmal sind, muss man ihnen doch ein wenig Weisheit lassen."

„Also werdet Ihr es tun?", fragt Taris und versucht, keine Wertung in seiner Stimme mitklingen zu lassen. Ihm gefällt der Gedanke nicht, dass ihre gemeinsame abendliche Ruhe von einer fremden Königin gestört werden könnte, aber das Reich wird einen König nach Altair brauchen. Er denkt nicht gerne daran.

„Natürlich nicht", sagt der König und öffnet erst jetzt die Augen. Sie sind für dieses Thema ungewöhnlich ernst.

„Ich will nicht, dass irgendein Kind das gleiche Schicksal erleiden muss wie ich, nur weil es von mir abstammt", fügt er ruhig hinzu. „Ich bereue nicht, was mit mir geschehen ist, aber ich wünsche es niemandem sonst."

Taris schweigt überrascht, weil es selbst nach all den Jahren noch Dinge gibt, die sie sich nicht gesagt haben.

„Aber das Reich ...", beginnt er schließlich, als das Schweigen unangenehm zu werden droht.

„Ich habe eine Idee", unterbricht der König ihn sanft. „Vielleicht werde ich sie dir morgen sagen. Jetzt möchte ich schlafen."

Wie alt sie doch geworden sind, denkt Taris sich nur.

***

Der Rat mag die neue Idee nicht, zuerst. Doch der König erklärt sie ihnen nochmal, in ruhigen, überlegten Worten, und Taris wiederholt sie und erinnert an lang vergangene Winter, die den Prinzen fast getötet haben und ein Reich wie dieses verhindert hätten.

„Niemand sollte durch seine Abstammung verdammt werden", sagt er. „Niemand sollte seinem Schicksal seines Blutes wegen nicht entfliehen können. Und dieses Reich soll nicht sterben, nur weil eine Familie ausgelöscht wird."

Der Rat willigt ein, zögerlich zwar, aber dann immer freudiger.

Jeder kann zum König vorgeschlagen werden, egal wo er geboren wurde, egal ob er reich oder arm ist, egal was er gelernt hat, egal wie alt er ist. Nur eine Prüfung müssen sie bestehen, damit sie in die Auswahl aufgenommen werden können: sie sollen sich auf die Reise machen, so lange, bis sie gelernt haben, was es heißt, ein König zu sein.

Altair sieht zu, wie der Plan Frucht trägt, wie nach und nach eine kleine Gruppe von brillanten, tatkräftigen Männern den Hof bevölkert, die alle über die Weisheit und die Weitsicht besitzen, die nötig ist, um das Reich weiter zu führen.

„Einer von euch wird den Thron besteigen und die anderen werden ihm zur Seite stehen, wo immer er Hilfe braucht", sagt er zu ihnen und sie nicken und schwören dem Königreich und einander ewige Treue. „Ohne Brüder wäre es ein graues Leben. Und eines Tages Schwestern, wer weiß."

Taris sieht ihnen allen in die Augen und weiß, dass sie alle mehr als bereit sind, das Reich weiter und höher zu führen und dass keiner von ihnen das Volk oder die neuen Traditionen verraten wird. Wenn jemand kommt wie Calred, dann wird er scheitern an ihnen.

***

„Ich mag den Schmiedesohn", erklärt er dem König später. „Er hat gute Ideen. Ungewöhnliche Ideen, aber gute."

„Hmm", brummt Altair unbestimmt. „Ich hätte gedacht, der Bauerssohn würde dir mehr ins Auge stechen. Aber der Schmiedesohn ... ich sehe, was du meinst."

Sie lachen beide, in der Gewissheit einer endlichen Zukunft.

Es war nicht Altairs Schicksal, Calred zu besiegen, um ihn besiegt zu haben, denkt sich Taris. Es war sein Schicksal, danach das Königreich in genau diese Richtung zu führen. Den Abgrund zu kennen, und ihn zuzuschütten. 

Der Vergessene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt