Der Jüngling zwischen Mauern

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Es ist mitten in der Nacht, als sie über den steinernen Hof rumpeln, die Pferde schnaubend, als sie rasch gezügelt werden. Licht tanzt vor der Plane und es sind nur zwei Männer, die ihnen mit Fackeln begegnen, ihre Gesichter grimmig und verschlossen.

„Schnell, mein Prinz", sagten sie und ziehen die Jünglinge aus dem Wagen. Taris erschauert bei den Worten und erinnert sich erst später, wie lange niemand mehr außer Ilfrid und ihm den Prinzen einen Prinzen genannt hat.

„Und der da?", fragen sie ihn mit hastigen Stimmen. „Ist das Euer Diener?"

„Gewissermaßen", antwortet der Prinz und hält sich fest und aufrecht, obwohl Taris weiß, wie wenig Ruhe er bekommen hat. Er lächelt ihm zu, während hinter ihm grau und dunkel eine fremde Burg in den Nachthimmel ragt, die kleine Tür, durch die sie eintreten sollen, winzig im Verhältnis. Vielleicht sind es ja dicke Mauern, die sie sicher halten können.

Vielleicht halten sie wenigstens dieses Mal das Böse vom Prinzen fern.

***

„Sei meine Augen und Ohren", sagt der Prinz zu ihm, denn er selbst kann die Gemächer nicht verlassen. Nur wenige haben Zutritt zu ihm, und ein Soldat steht zu jeder Zeit des Tages mit starrer Miene Wache vor der Tür, die hinaus in den Gang führt. Taris kann sich immer noch nicht recht an seinen Blick gewöhnen, auch wenn er jeden Tag mehrmals an ihm vorbei muss, um dem Prinzen sein Essen zu bringen.

„Dem Herrn Grafen gemundet es wohl", sagt er dann in der Küche, und „Die Frau Oberst jammert immerzu über den Tod des Mannes, man muss ihr erst zwei Stunden zuhören, bis sie endlich isst" ein paar Tage später, oder „Ich bin mir sicher, der düstre Gast aus dem Ausland hat sich in der Vergessenen Kunst erprobt, als ich das Zimmer betrat", wenn die Küchenmägde sich besonders für seine Geschichten interessieren.

Gerüchte verbreiten sich rasend schnell in der Burg. Solange er sie füttert, ahnt niemand, dass sich die ganze Zeit nichts als ein einsamer, verlorener Prinz in den Gastgemächern verborgen hat.

Dass Taris jede Nacht bei ihm im Zimmer auf dem Boden schläft, weil sie sich sonst beide unwohl fühlen, ganz gleich wer sonst den Raum mit ihnen teilt, das ahnen die Leute in der Burg noch viel weniger.

***

Einmal schickt der Prinz ihn noch spät abends los, weil das Feuer im Kamin auszugehen droht und kein Holz mehr da ist, und als er zurückkommt, da sitzt einer von den hohen Würdenträgern neben ihm am Tisch. Taris merkt sich nur ihre Gesichter, nicht ihre Namen, dann kann er den Unwissenden spielen, wenn man ihn nach ihnen fragt.

Als er hereinkommt, unterbricht sich der Würdenträger bei einem Schwall schneller, eindringlicher Worte und sieht ihm ungehalten entgegen, die Stirn in tiefe Falten gelegt.

„Er soll bleiben", sagt der Prinz. „Ich habe keine Geheimnisse vor ihm."

„Er ist nur ein Diener", sagt der Würdenträger ungläubig. „Weder Lesen noch Schreiben kann er, wie soll er da verstehen, was wir zu bereden haben? Wer sagt uns, dass er nicht alles gedankenlos herausplaudern wird, wenn er sich mit dem anderen Gesindel mischt?"

„Ich sage das", erwidert der Prinz ruhig und Taris bleibt, während ihm von Soldaten und Übergriffen, Vorsichtsmaßnahmen und politischen Neuigkeiten berichtet wird.

Er ist ein Diener, das stimmt, aber nicht auf die Weise, wie sie alle anzunehmen scheinen. Die Arbeit in der Burg, nur manchmal für den Prinzen, ist nicht unter seiner Würde, aber sie ist dennoch nicht der Grund, warum er hier ist. Er ist ein Diener, dessen wahre Aufgabe nicht im Schleppen von Holz und von Wasser, dem Bringen von Speisen und dem Waschen der Kleidung besteht sondern darin, dem Prinzen bedingungslos zu folgen, ihm alle erdenkliche Sicherheit zu versprechen, die ein einfacher Jüngling vom Dorf bieten kann und genau zu wissen, wie er ihm jeden Tag helfen kann, die Langeweile und die Unruhige zu besiegen. Er ist ein Diener, der berichtet, ein Diener, der berät, ein Diener, der zuhört.

„Sagen sie mir alles?", fragt der Prinz ihn, als der Würdenträger gegangen ist. „Ist es wirklich friedlich da draußen?"

„So friedlich es eben sein kann, ohne dass irgendjemand die Waffen zieht", antwortet Taris ihm, „Der Winter ist länger und härter als andere Winter, sagen sie, und jeder ist froh, wenn er eine warme Stube und eine gute Mahlzeit bekommen kann."

Der Prinz sieht nachdenklich aus dem Fenster, auf dessen Glas sich die Eisblumen winden und den Blick auf die rau überfrorenen Tannen dahinter verzerren.

„Harte Winter", sagt er leise. „Ich dachte immer, ihr größter Kummer wäre die knapper gedeckte Tafel."

Es ist keine Beschwerde über die einfache Kohlsuppe, die Taris ihm die letzten zwei Tage gebracht hat, und das wissen sie beide.

***

Taris weiß nicht, was sie dem Hausmarschall gesagt haben, aber er kommt kaum noch zur Ruhe. Hat er eine Aufgabe vollendet, da brüllt man ihm schon die nächste zu, knapp und grob und ohne ihn dafür überhaupt anzusehen. Er schleppt Wasser und Holz, bis ihm die Arme taub werden, schaufelt den gesamten Hof vom Schnee frei, hält dem Schmied seinen Hammer und dem Tischler die Säge, hetzt von einem Teil der Burg in den anderen, um nichtige Notizen der jungen Höflinge zu überbringen.

„Du musst echt was ausgefressen haben, dass der Alte dich so rannimmt", sagt ein anderer Diener grinsend zu ihm und Taris hat schon keine Kraft mehr, ihm dafür auch nur ein müdes Lächeln zu schenken. Was er ausgefressen hat – dass er dem Prinzen zu nahe steht – das kann er ohnehin niemandem sagen. Selbst diejenigen, die es wissen, würden Ahnungslosigkeit vortäuschen, sollte er sich in einer Position befinden, sie zur Rede zu stellen.

Er hofft nur, dass sie einfach nur misstrauisch sind, ihm gegenüber. Er hofft, dass sie nichts verbergen.

Der Vergessene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt