Natürlich kommt nichts von selbst, danach. Natürlich ist es harte Arbeit, den Folgen des Krieges und der Zerstörung zu begegnen. Selbst ein Meister der Vergessenen Kunst könnte die Toten nicht wieder ins Leben rufen und die unbearbeiteten Felder Ernte tragen lassen. Keiner kann ungeschehen machen, was den Ländern angetan wurde.
Aber Hoffnung nährt fast so gut wie eine gefüllte Speisekammer und die Geschichte vom Prinzen, der vergessen war und zurückkehrte, um seinen rechten Thron zu besteigen, verbreitet sich so rasch von Dorf zu Dorf und Land zu Land dass es nur der Wind selbst sein kann, der die Nachricht überbracht hat.
Die hellsten Köpfe aus allen Königreichen stehen dem neuen König zur Seite, genauso entschlossen wie er, den Krieg zu vergessen und all die Zeit in Ungewissheit doppelt und dreifach aufzuwiegen. Manche von ihnen werden Minister und Berater, manche von ihnen Statthalter und Generäle, Chronisten, Barden, Richter, Wohltäter.
„Wer ist er?", fragen sie über den Mann, der dem König nie von der Seite weicht. „Was ist er?"
„Er ist Taris", antwortet der König vergnügt. „Nicht mehr und ganz bestimmt nicht weniger."
Und die neuen Köpfe des Reiches beschließen, dass die neue Blütezeit die ein oder andere Eigenart auf jeden Fall wert ist.
***
Es dauert ein paar Jahre, bis die Äcker wieder in voller Frucht stehen und die Dörfer nicht mehr gespickt sind von Ruinen wie das verfaulte Gebiss eines alten Mannes.
Manche verlieren den Glauben an den König.
Andere wollen die Veränderung für sich selbst ausnutzen.
Einige nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand.
Aber Krieg gibt es keinen, für lange Zeit.
***
Taris kehrt nicht in sein Dorf zurück.
Manchmal denkt er daran, weil er sich nach der Einfachheit sehnt, die er zurückgelassen hat, nach schwieligen Händen und dem Schmutz von harter Arbeit und der Sorge über die nächste Mahlzeit. Im Schloss kann er sich kaum denken hören von all den Mündern, die gleichzeitig über so viele Probleme reden, die an ganz anderen Orten zu finden sind. Aber wenn es ihm zu viel wird dann bricht er auf in den Wald und sucht nach Kräutern und Wurzeln und Pilzen, die er trocknet und mischt und dem neuen Hofarzt bringt, der immer noch nicht ganz überzeugt ist, dass Taris es nicht auf seinen Posten abgesehen hat.
Manchmal denkt Taris daran, sich als sein Gehilfe zu verdingen, obwohl er von Ilfrid und von Nemeris mehr weiß als er.
Manchmal denkt Taris daran, sich eine Frau zu suchen und eine Familie zu gründen.
Manchmal denkt Taris daran, Eianda dieses Mal zu begleiten, wenn sie wieder ins Schloss kommt und es ihm anbietet.
Manchmal denkt Taris daran, wieder aufzubrechen und sich auf die Suche nach neuen Abenteuern zu machen.
Aber noch öfter sitzen er und der König allein in der kleinen Stube, die ihre Zimmer verbindet, am Feuer im Kamin, dass sie immer selbst schüren und reden, als wären sie zwei Männer ohne Pflichten.
„Ich habe an kaum einem Tag nicht das Gefühl, dass es mir über den Kopf wächst", seufzt er dann. „Es gibt so viel, woran man denken muss, so viele Abzweigungen und Möglichkeiten und noch mehr Möglichkeiten, alles zu ruinieren."
„Ihr macht eure Aufgabe vorbildlich und ich höre kaum ein böses Wort gegen Euch, mein Prinz", erwidert Taris und der König grinst.
„Es heißt, ein alter Hund lernt keine Kunststücke mehr", sagt er, „Aber dass du schon alt warst, als wir hier angekommen sind, das hätte ich nicht gedacht, Taris."
Taris zuckt entschuldigend mit den Schultern und nennt ihn doch wieder einen Prinzen, den König.
„Ich bin so froh, dass du hier bist", sagt der König und wird wieder ernst. „Ohne dich wäre es eine Qual, hier zu sitzen. Ohne dich würde ich mich womöglich nicht daran erinnern, dass ich einmal kleiner war als der einfachste Bauer in meinem Reich. Ohne dich wäre ich ein schlechterer König."
Deshalb denkt Taris nur daran, das Schloss zu verlassen. Deshalb würde er es nie tun, nicht ohne seinen Prinzen.
***
Der König tritt alle diplomatischen Reisen selbst an, anstatt Vertreter zu schicken. Er kann es sich leisten, sein Reich gedeiht unter seiner ruhigen Führung, seine Anweisungen sind klar, ein paar Wochen ohne ihn schaden niemandem.Selbstverständlich ist Taris bei ihm, und wenn sich junge Höflinge in ihrem Gefolge über seine Aufgabe wundern, dann werden sie barsch von ihren Älteren zurechtgewiesen und hören auf zu reden bevor sie richtig angefangen haben.
Für Taris' Geschmack hat es viel zu lange gedauert, bis er endlich einmal ein Schiff besteigen kann und er hält sein Gesicht in den salzigen Wind und denkt an eine ganz andere Zeit am Meer zurück.
„Und, zufrieden?", fragt der König, als er zu ihm an die Reling tritt.
„Sehr", antwortet er. „Ihr seid Euch im Klaren, dass Eure Berater erwarten, dass Ihr an unserem Ziel um die Hand der Prinzessin anhalten werdet, nicht wahr?"
„Natürlich", antwortet Altair. „Vielleicht werde ich es tun, wenn sie mir gefällt."
Bisher haben sie ihm nie gefallen, die Prinzessinnen. Bisher gab es immer genug andere Dinge, die wichtiger waren.
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Der Vergessene Prinz
AdventureEs ist nur der Zufall, der den einfachen Dorfjungen Taris und den fliehenden Prinzen seines gefallenen Königreichs in Zeiten des Chaos zusammenbringt. Doch mit jedem Schritt durch eine unsichere, feindliche Welt, verflechten sich ihre Schicksale meh...