Der Mann in der Flut

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Sie durchqueren jenen Wald, in dem sie einst gerade so den Kopfgeldjägern entkommen sind und obwohl so viel Zeit vergangen ist erkennt Taris ihn wieder.

Der Prinz tut es auch.

Taris sieht ihn zum ersten Mal seit langem wieder alleine, als er abends abseits vom Lagerfeuer steht, dort wo sich der Weg kreuzt und auf der einen Seite zu ihrer kleinen Hütte hinführt. Er ist gerade mit Eianda von einem kleinen Waldsee zurückgekehrt und sie haben noch nicht gegessen, aber er tritt ohne Zögern zu ihm.

„Wo warst du all die Zeit?", fragt der Prinz tonlos und die letzten Zweifel, die Taris hatte, sind fortgeblasen.

„Ihr ward beschäftigt", gibt er zurück, aber er fühlt sein Herz schuldbewusst klopfen dabei. Er weiß genau, wie sehr er sich in seinem Selbstmitleid gefallen hat, dass er viel zu früh aufgegeben hat. Dass er sich zu wohl gefühlt hat, allein mit Eianda und fern der vielen fremden Männer, mit denen er nicht umzugehen weiß.

Der Prinz hebt die Augenbrauen und Taris schimpft sich selbst einen Toren, denn natürlich ist der Prinz nicht weniger aufmerksam geworden, natürlich hat er die Augen offen gehalten und gesehen, wie er sich freiwillig zurückgezogen hat. Er sagt nichts dazu, und es ist auch nicht nötig. Sie verstehen sich immer noch, Taris und Altair, der Dorfjunge und der Prinz. Das kann keiner der anderen Männer ersetzen.

„Ich will die Hütte noch einmal sehen", sagt der Prinz stattdessen und richtet den Blick wieder nach vorne in die Dunkelheit. „Dort, wo du mir deine Treue geschworen hast. Ich will den Ort sehen, der mich geschaffen hat. Der uns geschaffen hat."

Taris weiß, dass er dem Prinz viel früher die Treue geschworen hat, dass ihr Schicksal sich in einer ganz anderen Hütte, noch weit entfernt von ihnen verbunden hat.

„Dann sollten wir gehen", erwidert er. „Jetzt. Solange die anderen rasten. Wenn ich mich recht entsinne, dann ist der Weg kurz genug, dass wir es bis zum Morgengrauen wieder hierher schaffen."

Der Prinz lächelt.

„Dann sollten wir gehen", bestätigt er.

***

Taris stolpert beschämend oft über vorstehende Wurzeln am nächsten Tag, aber die Müdigkeit ist es wert. Der Prinz zwinkert ihm verschwörerisch zu und die Männer scherzen darüber, wie ungeschickt er auf den Beinen ist; und Taris fühlt sich leichter als seit Tagen.

Eianda schüttelt den Kopf darüber am nächsten Abend, als sie nur gemeinsam am Feuer sitzen, weil er kaum noch ein Auge offen halten kann.

„Das war unvernünftig", sagt sie.

„Aber nötig", entgegnet er.

„Was, wenn Euch etwas geschehen wäre und keiner hätte gewusst, wo ihr seid?"

„Du hättest es gewusst", sagt er und sie schüttelt wieder nur den Kopf und versucht das Lächeln zu verstecken, das sich auf ihre Lippen stiehlt.

***

Man merkt, dass sie der Grenze näher kommen, weil sie immer wieder kämpfen müssen.

Die Länder hinter ihnen sind vergiftet von Calreds Herrschaft ohne dass er sich ihren König nennt, aber jetzt erreichen sie bald das Gebiet, das er wirklich regiert – jenes Nachbarkönigreich, durch das sie von Nemeris' Hütte aus geflohen sind mit den schwarzen Rauchwolken im Nacken gehört nun in das Königreich, das ihre Heimat ist.

Es sind nur Patrouillen, die sie antreffen, keine großen Armeen. Die Armeen sind in den Westen gezogen und in den Süden, um dort die gleiche Verwüstung zu bringen wie überall sonst. Mit Patrouillen kommen sie gut klar, die Männer im wachsenden Gefolge des Prinzen, immer sind sie überrascht von ihrer Anzahl und nie schaffen sie es zurück, um ihren Herren zu warnen.

Einmal entwischen ihnen zwei der Soldaten, aber als sie ein paar Stunden später ein Dorf erreichen, da liegen sie tot in den Betten des Wirtshauses und die Wirtin grinst ihnen zufrieden entgegen.

„Ist es wahr, dass ihr einen Prinzen unter euch habt?", fragt sie und das ganze Dorf scheint aufzuhorchen.

„Ja", antworten die Männer ihr, aber zeigen tut er sich nicht, der Prinz, und die Gerüchte verbreiten sich langsam und schleichend, unter ehrfürchtigem Wispern und zersetzt mit Geschichten von Hoffnung und Legende.

Der Prinz kommt, um das Unrecht zu richten, heißt es, und auch wenn niemand genaueres dazu sagen kann und die Worte fern in der Stadt der alten Könige als Humbug und aufrührerische Lügen abgetan werden, so zittert er, der Unrechte.

***

„Ich werde gehen", sagt Eianda zu Taris, kurz bevor sie die Grenze erreicht haben. Sie hat ihn weiter fort geführt, dieses Mal, denn die Schar um den Prinzen ist längst so groß, dass immer irgendwo jemand unterwegs ist. „Mein Platz ist nicht in einer Schlacht."

Sein Mund ist trocken und er braucht länger als gewöhnlich, bis er weiß, was er sagen soll.

„Wohin wirst du gehen?"

Sie zuckt mit den Schultern.

„Wer weiß das schon? Zurück ins Land der Alten Könige, nur auf einem anderen Weg, nehme ich an, was immer mir der Wind zuflüstert. Vielleicht sehe ich noch einmal nach Nemeris' Hütte, ob sie noch steht."

Ihr Blick wandert zu ihm, durchdringend und fest selbst in der Dunkelheit, sodass er sich tausendmal jünger fühlt als sie.

„Du solltest mit mir kommen", sagt sie. „Der Prinz hat deine Hilfe nicht mehr nötig. Und du bist ebenso wenig jemand, der Schlachten schlägt."

Sie hebt die Hand und will sie nach seinem Arm ausstrecken, aber noch bevor sie ihn berührt, hat Taris seine Antwort.

„Nein", sagt er leise, „Das bin ich nicht. Aber ich habe vor langer Zeit einmal entschieden, dass ich dem Prinzen folgen werde, und auch wenn ich vielleicht nicht mit ihm in die Schlacht reite, so will ich da sein, wenn er wieder aus ihr zurückkehrt."

Eianda schweigt lange und sieht ihn nur an.

„Hättest du zu einem anderen Zeitpunkt anders geantwortet?", fragt sie und jetzt klingt sie wieder jung, und ungewohnt verletzlich noch dazu.

Taris seufzt, lange und schwer. „Nein, ich glaube nicht."

Sie küsst ihn nicht an diesem Abend, aber sie sitzen länger da als sonst, ohne zu sprechen, ohne sich zu berühren. Es fühlt sich dennoch so an, als würden sie sich so gut verstehen wie noch nie. Irgendwann erhebt sie sich steif und nickt ihm zu und Taris lächelt schwach und nickt zurück. Er sieht ihr zu, wie sie rasch mit der Nacht verschmilzt, bis er nicht mehr weiß ob das Knacken im Unterholz ihre Schritte oder fernes Getier sind.

Als er zu den anderen Männern zurückkehrt sind nur noch wenige von ihnen wach. Der Prinz sieht auf bei seinen Schritten und erkennt seinen Blick und schenkt ihm ein kurzes, aufmunterndes Lächeln. Auch, wenn Taris sich am liebsten hinlegen würde und schlafen, bis er an gar nichts mehr denken kann, hält er inne.

„Sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr kommen will", sagt er leise, ohne den Prinzen dabei anzusehen.

„Ich hätte dich nicht davon abgehalten", erwidert der Prinz vorsichtig.

„Ich weiß", sagt Taris.

Er fühlt sich kaltherzig an dafür, wie einfach ihm die Wahl gefallen ist.

Der Vergessene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt