Der Jüngling und der Blick zurück

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Bis.

Sie sind Stürme gewöhnt, in ihrem Turm, sie machen sich keine Sorgen, wenn sie Türen und Fensterläden klappern hören -

Bis.

Das Blöken der Schafe, die sich im nahen Stall drängen, ist vertraut –

Bis.

Gewöhnlich sitzen sie an der Feuerstelle und machen sich Suppe, oder wärmen cremige Milch auf –

Bis.

Ihre Schwerter liegen in der Ecke und werden nicht mehr angerührt, wofür auch –

Bis.

Sie erzählen sich Geschichten, wilde Märchen, die sie aus ihren Abenteuern zusammenstückeln wie alte Männer –

Bis.

Taris denkt nicht an die Stürme ihrer Vergangenheit und Altair lacht zu laut, um sie in sich hineinzulassen.

Bis die Frau auf der Wiese steht, mitten im Sturm, umtost von Wind und Blitz und Donner und völlig durchnässt, aber sie geht unbeirrt vorwärts, lässt sich von der Natur nicht aufhalten auf ihrem endgültigen Weg hin zu der Burgruine und zu dem verlassenen Turm. Sie sehen sie aus dem Fenster eine geraume Weile, bevor sie bei ihnen angelangt ist, blau umflackert von Flammen aus Vergessenen Worten wie Ilfrid früher, und wissen nicht, was sie fühlen sollen.

Es ist, als hätten sie die Angst verlernt, abgestreift wie das Leben jenseits der Ödnis, vergessen, begraben und im Meer versenkt. Vielleicht ist sie diejenige, die vor ihnen hier gewohnt hat, denkt Taris, bevor ein Blitz das Gesicht der Frau erhellt und sie ihm irgendwie bekannt vorkommt, auch wenn er nicht sagen kann, woher.

Er spricht sich nicht mit Altair ab, bevor er vom Fenster zurücktritt und die Treppe hinunterstürmt, um unten die Tür aufzureißen und sie einzulassen, sich ihr entgegenzustellen, wenn es nötig sein wird.

Aber so bedrohlich sie über die Wiesen auf sie zugeschritten ist, so gewöhnlich stolpert sie jetzt in die warme Stube hinein, ihr langes, braunes Haar wirr am Kopf klebend und ihr Kleid schlicht und abgerissen.

„Endlich", japst sie, „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so langer hierher brauche."

Sie stellt sich ihm nicht vor, geht ganz selbstverständlich vorwärts zum Kochtopf über der Feuerstelle und schöpft sich von der übrigen Suppe.

„Das hier ist ein wildes, unbändiges Land", erklärt sie Taris mit einem begeisterten Funkeln in den Augen. „Die Vergessenen Worte kommen wie von selbst zu mir."

Er fragt sich, wo Altair bleibt und warum er nicht ebenfalls längst nach unten gekommen ist. Sein Blick streift die Treppe und die Frau lacht laut auf.

„Ich wollte erst einmal nur mit dir sprechen, Taris", sagt sie fröhlich. „Der Prinz und ich, wir können unser Wiedersehen schon noch feiern."

Im warmen Schein des Feuers kann er ihr Gesicht besser betrachten und es sieht unendlich jünger aus als draußen mit den Blitzen. Aber älter, als Taris es in Erinnerung hat.

„Eianda", sagt er dumpf.

Sie kichert darüber und ihm wird schmerzhaft bewusst, wie schlecht ihm die Verwirrung stehen muss, nachdem er sie doch so bereitwillig hereingelassen hat.

„Was tust du hier?", fragt er rasch, bevor er über seine Worte stolpern kann.

Eianda erwidert seinen Blick und Ernst zieht über ihr Gesicht. Der Sturm draußen tobt weiter, aber er ist merkwürdig tonlos, als würde er ihn durch dicke Vorhänge hören, die sie nicht haben. Als wäre es ein Schneesturm.

Der Vergessene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt