Der Jüngling in den Bergen

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Irgendwann ist Taris genug geheilt, dass er nicht mehr zwischen Traumwelt und Realität umherdriftet und er sich nach und nach einem gewissen Rhythmus anpasst.

Der Prinz verlässt die Höhle morgens, wenn die Sonne den Schnee in ein warmes Gold taucht und bleibt oft den ganzen Tag weg, bis die Sonne hinter den Bergspitzen verschwunden ist und ihr Schein nur noch ein leiser Nachklang auf den Hängen ist, und dann kommt er zurück mit Holz oder Jagdbeute oder ganz selten den wenigen Kräutern, die er erkennt und unter dem Schnee entdeckt hat.

Taris liegt am Feuer, schiebt das Holz nach, wenn die Glut zu verlöschen droht und beginnt mit dem Erstarken seiner Kräfte nach und nach, sich um ihre Vorräte zu kümmern, wieder das Kochen zu übernehmen, ihre Kleidung zu flicken. Als seine Glieder ungeduldig zu kribbeln beginnen, fängt er an selbst die Höhle zu verlassen, der Schmerz stechend in seinem Körper mit jedem Schritt, aber nicht stark genug, um ihn von kleinen Erkundungsgängen abzuhalten.

Ihm wird schnell kalt und er spürt die eisige Luft in seinen Lungen stechen, also sind die Ausflüge nur kurz, am wärmsten Teil des Nachmittags.

Es ist ein solcher Nachmittag, als ihm unvermutet der Prinz begegnet, der mit schnellen Schritten aus dem Tal herangeeilt kommt. Er sagt kein Wort dazu, Taris draußen zu sehen.

„Jemand kommt", sagt er nur und dann ist alles wie immer.

Sie gehen den Weg zurück zur Höhle, auch wenn Taris nur langsam auf den Beinen ist und das Gesicht verzieht, wenn er rutscht und sich abstützen muss, aber er ignoriert die besorgten Blicke des Prinzen und beißt die Zähne zusammen. Er hat gerade angefangen, sich nach ihren Sachen zu bücken, als er merkt, dass der Prinz es ihm nicht gleichtut, sondern ihn nur nachdenklich beobachtet.

„Wir werden nicht gehen", verkündet er schließlich. „Du bist noch nicht so weit."

Taris will protestieren, aber ihm entfährt nur ein scharfes Keuchen.

„Es war nur einer", fährt der Prinz entschlossen fort. „Ich werde mich unserem Verfolger im Kampf stellen."

Am liebsten würde Taris ihm sagen, dass er verrückt ist, aber er kann es nur in seinen Blick legen. Der Prinz sieht es und lächelt schwach.

„Du hättest es für mich getan", sagt er und Taris sinkt auf seinem Lager zusammen und möchte nicht zugeben, wie erleichtert er ist.

Sie warten.

„Ich werde ihm entgegen gehen", sagt der Prinz irgendwann und Taris schluckt, weil er ihn nicht einfach ziehen lassen will, nicht, wenn er womöglich nicht mehr zurückkommt. Sie wissen nicht, ob der Mann da draußen wirklich allein ist, und wie gut er kämpfen kann.

„Pass auf dich auf", sagt Taris und sieht ihm hinterher, wie sein Umriss kurz dunkel und fest im Höhleneingang innehält, bevor er verschwunden ist.

Die Stille drückt ihm auf die Ohren, wie sie das noch nie getan hat und dann hört er irgendwann Schritte, schwer und fest und er spürt sein Herz lauter pochen, weil es nicht die Schritte des Prinzen sind. Aber es ist die Stimme des Prinzen, die zuerst erklingt, als er mit leichtem Schritt im Eingang der Höhle auftaucht.

„Es ist alles gut, Taris", sagt er und klingt ungewöhnlich froh dabei und bevor er sich erklären kann, schiebt sich eine zweite Gestalt in die Höhle.

„Ihr habt es mir wahrlich nicht leicht gemacht, euch zu finden", brummt Ilfrid. „Aber immerhin seid ihr in Sicherheit."

Als Taris ausatmet, verlässt ihn eine Anspannung, von der er jetzt erst merkt, wie schwer er an ihr getragen hat.

Der Vergessene PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt