Taris spürt mit großer Besorgnis, wie sehr die neue Flucht an seinen Kräften zu zehren beginnt. Sie sind schon mehrere Wochen unterwegs, und auch wenn es wieder wärmer wird und sie Calreds zerstörender Armee weit voraus sind, ist das ständige Reiten und aufmerksam sein und vorsichtig bleiben anstrengend. Und wenn er es spürt, dann tut es der Prinz erst recht.
„Wir brauchen eine Pause", sagt Taris verzweifelt zu Ilfrid, nachdem dem Prinzen schon wenige Stunden nach dem Aufbruch fast die Zügel aus der Hand fallen, sein Gesicht voller Schweiß und seine Augen glasig. „Wenn er keine Ruhe bekommt, dann war alles umsonst."
Sie verbringen jeden Tag mindestens eine Stunde damit, ihn mit Kräutern und Tränken und Vergessener Kunst weiter zu heilen. Ilfrid geht bis an seine Grenzen, um ihm immer wieder die Rückstände der bösen Vergessenen Worte aus den Adern zu treiben, aber wo sie keine zwei Nächte am selben Ort verbringen, da gesellen sich Erschöpfung und Krankheit mit Leichtigkeit zu den endlosen Schatten in ihrer Nähe.
„Ich weiß", seufzt der alte Heiler. „Aber es wird schwer, diese Ruhe zu bekommen."
Der Prinz behauptet, dass es ihm nicht schlechter geht als sonst und dass sie seinetwegen nicht anhalten müssen. Taris hat längst gelernt, seinen Edelmut von der Wahrheit zu unterscheiden.
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Sie müssen ihr Lager draußen im Regen aufschlagen und Taris müht sich ab, dem Prinzen mit Stöcken und Decken einen trockenen Unterstand zu bauen, als Ilfrid wortlos davongeht.
Weil sie weit ab von den Straßen sind und der Regen die Sicht einschränkt wagt Taris, ihm zu folgen und findet ihn am Ursprung eines Baches, der gurgelnd aus dem Felsen springt und in klare, tiefe Becken fließt, nur von den Tropfen aufgeraut.
Ilfrid sitzt mit geschlossenen Augen da und das Licht umfließt ihn, ohne dass es einer der Regentropfen durchdringen kann. Er sieht furchtbar edel und unnahbar aus. Taris stockt der Atem in den Lungen bei dem Anblick und er wagt nicht, sich zu bewegen, bis das Licht ganz plötzlich flackernd erlischt und Ilfrid fällt. Da eilt Taris ohne zu denken vorwärts und versucht ihn aufzufangen, oder zumindest seinen Sturz zu bremsen, denn der Ausdruck der Erschöpfung auf seinem Gesicht ist ihm nur zu sehr vertraut.
„Wir werden wohl eine Weile ohne Vergessene Kunst auskommen müssen, wenn wir weiter reisen", murmelt Ilfrid müde. „Aber wenigstens weiß ich, wohin wir uns jetzt wenden müssen."
Er muss sich den ganzen Weg zurück auf Taris stützen und humpelt noch stärker als in jener Nacht, als sie so knapp den Flammen entflohen sind. Die Angst lodert hell und beißend in Taris auf, weil er an diesem Tag von ihnen allen die meiste Kraft besitzt.
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Taris vergisst die neuen Namen schnell. Die von der Bäuerin, bei der sie eine Weile bleiben können und ihrer drei Kinder genauso wie die, die Ilfrid sich selbst und dem Prinzen gegeben hat. Er soll sie Vater und Bruder nennen, aber die Titel wollen ihm nur schwer über die Lippen kommen, selbst wenn die Bäuerin in der Nähe steht und sie mit ihrem scharfen Blick mustert, weil sie ihnen nicht traut.
Der Hof liegt einsam auf der Hochebene, zu allen Seiten von weiten Feldern und Wiesen umgeben, die im jungen Frühling noch weit und grenzenlos blicken lassen, sodass man schon Stunden vorher sieht, wenn sich jemand über den einzigen Weg zu ihnen aufmacht. Aber niemand kommt.
Der Frühling ertrinkt im Regen und das Land ist leer, die meisten Männer wie der Mann der Bäuerin ausgezogen in den Krieg. Sie kann die Hilfe gut gebrauchen, und je härter Taris und Ilfrid auf dem Hof arbeiten, desto weniger Fragen stellt sie über den Prinzen.
Er kann sich endlich wieder ausruhen, ihr Unterhalt ist ehrlich verdient und Taris muss nicht denken, nur tun, was die Bäuerin ihm aufträgt. Trotzdem schläft er nachts unruhiger als je zuvor.
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Der jüngste Sohn will Ilfrid nur fragen, ob er ihm mit seinem zerbrochenen Spielzeug helfen kann, aber er klopft nicht und sieht nur das Licht in der Kammer, mit dessen Hilfe der Prinz seine Stärke wiederfinden soll. Taris rennt ihm hinterher, doch der Junge ist flink und kennt sich auf dem Hof besser aus und dann steht die Bäuerin mit ihrem scharfen Blick da, die Arme verschränkt.
„Ihr werdet nur Unglück über uns bringen", sagt sie hart und Taris würde gerne widersprechen. Doch der Prinz fasst ihn sanft am Arm und sie reiten ohne Protest und ohne letzte Worte weiter, durch den Regen hindurch, fort.
„Der Hof wird brennen", sagt Ilfrid, während er nachdenklich in die Tropfen vor ihnen starrt, als sie schon eine Weile unterwegs sind. „Mit oder ohne uns."
Der Prinz packt seine Zügel fester und drückt seinem Pferd die Fersen in die Seiten und Taris bemüht sich vergeblich, zu ihm aufzuschließen.
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Zum Ende des Sommers überqueren sie auch die östlichste Grenze dieses Königreichs. Der Prinz reitet mit Kraft und mit Entschlossenheit, aber zu Taris sagt er kaum noch ein Wort. Abends dreht er sich direkt nach dem Essen auf seinem Lager von ihnen weg und wenn sie morgens losreiten, dann drängt er sein Pferd an die Spitze.
Einmal gelingt es Taris, ihn zu überholen und er sieht, wie das Gesicht des Prinzen vor Anstrengung und Schmerzen verzerrt ist. „Kein Wort", knurrt er ihn an, „Zurück mit dir!"
Taris ist so überrascht über die ungewohnte Grobheit in seinen Worten, dass er ihm stumm gehorcht. Er sieht dem Prinzen nicht in die Augen am Feuer, das Schweigen drückt ihm auf die Schultern.
„Weiter im Norden werden sie Hilfe mit der Ernte brauchen", sagt Ilfrid. „Wir könnten wohl wieder ein paar Wochen unterkommen, vielleicht auch über den Winter, wenn wir uns geschickt anstellen."
„Ich will nirgendwo unterkommen!", entgegnet der Prinz aufgebracht, „Von mir aus können wir den ganzen Winter weiterreiten!" Er springt auf und stürmt hinaus in die Nacht und Taris reißt die Augen weit auf, weil er es nicht so Recht fassen kann.
„Es geht ihm viel besser", murmelt er.
„Ich wünschte", sagt Ilfrid düster.
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„Mir geht es gut", sagt der Prinz, wenn ihn Taris oder Ilfrid nach seinem Befinden fragen.
„Mir geht es gut", beharrt er mit zusammengepressten Zähnen, wenn ihm auch die einfachsten Bewegungen Mühe zu bereiten scheinen.
„Mir geht es gut", flüstert er so kraftlos und bleich wie damals, als er mitten auf dem Weg zusammenbricht. Ilfrid und Taris tragen ihn gemeinsam zum Ort ihres nächsten Lagers, weil sie Angst haben, dass er vom Pferd fällt. Drei Tage lang können sie sich nicht vom Fleck rühren, während der Prinz von Krämpfen und Fiebern geschüttelt wird und vor Schmerzen schreit, wenn man versucht, ihn anzufassen.
***
Taris fleht Ilfrid an, dem Prinzen mit der Vergessenen Kunst zu helfen, aber Ilfrid schüttelt nur den Kopf. Er hat ihren Weg gesehen, im Dunst des Baches, und wenn die Vergessene Kunst einem so viel Wissen gewährt, dann kann man sie nicht bedenkenlos jeder Zeit wieder anrufen.
Die neue Krankheit des Prinzen ist von einer Natur, der sie mit jenen Heilmitteln beikommen müssen, die auch Taris bekannt sind.
„Hab Vertrauen in das, was du gelernt hast", sagt Ilfrid zu ihm. „Die Vergessene Kunst kann dir nicht immer helfen, und auch ich werde nicht immer in der Nähe sein."
Taris erschrickt über seine Worte und denkt wieder an Ilfrids Kraftlosigkeit dort am Bach. Er betrachtet das Gesicht des Mannes unauffällig und sein Mund ist trocken, als ihm zum ersten Mal die vielen Falten darin auffallen.
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Der Vergessene Prinz
AdventureEs ist nur der Zufall, der den einfachen Dorfjungen Taris und den fliehenden Prinzen seines gefallenen Königreichs in Zeiten des Chaos zusammenbringt. Doch mit jedem Schritt durch eine unsichere, feindliche Welt, verflechten sich ihre Schicksale meh...