Hinter den Zweigen

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Einen Pulsschlag lang prickelte angespannt die Luft zwischen uns, dann stieß ich hervor:

>>Was?<<
>>Ich bin Hals über Kopf losgelaufen als ich deine Nachricht bekommen hab. Außerdem durfte ich keine Zeit verlieren, da ich die Mailbox viel zu spät abgehört hatte... nur Zed war bei mir. Er hat versucht mich aufzuhalten, damit wir auf Verstärkung warteten, aber ich ...<<
Sie presste die Lippen aufeinander und sah weg.
>>Ich musste dich finden. Nicht vorstellbar was dir hätte passieren können! Also zog ich allein los und hoffte du würdest kommen.<<

Abrupt hob sie den Kopf.
>>Es tut mir leid Maddi.<<
Dabei sah sie so ernst aus, dass ich ihre Hand nahm und sie einmal drückte, um ihr zu zeigen wie viel mir ihre Worte bedeuteten.

>>Danke.<<, gab ich ehrlich zurück.
Was ich nicht sagen konnte war:
>>Schon vergessen.<<
Denn vergessen konnte ich nichts. Dafür war zu viel geschehen.
Eine Weile lang sagte niemand etwas und Ally war erstaunlich ruhig geworden.
Sehr untypisch für ihre sonst so aufbrausende Art. Wahrscheinlich ging auch ihr die letzte Nacht und alles was dazugehörte ziemlich nah.
Ich konnte es ihr nicht verübeln.
Auch an mir zogen die Ereignisse der vergangenen Stunden und ich fühlte mich wie eine Fee, die von ihren Flügeln beraubt worden war.
Alles wofür sie geschaffen war, wurde ihr genommen.
Sie war nicht weiter vollständig.
Ein Teil von ihr war für immer verloren gegangen.

Da erhob sich plötzlich etwas hinter den Zweigen und verlangte nach meiner Aufmerksamkeit.
Ich blickte zur Seite und zuckte zusammen als ich ihn dort stehen sah.
Inmitten von langen herunterhängenden Ästen tauchte sein helles Gesicht auf.
Selbst aus dieser Entfernung konnte ich das kräftige Blau seiner Augen erkennen, die direkt in meine sahen.
Meine Gliedmaßen waren so starr, sodass sie wie eine leere Hülle an mir hingen und nur das dumpfe Klopfen meines Herzschlags hallte in ihnen nach, was mich daran erinnerte, lebendig zu sein.
So als hätte er mich mit seinen Augen zu Eis erstarren lassen, war es unmöglich sich jetzt zu bewegen.

Auch Ally schien das zu bemerken und drehte sich in die Richtung in die mein Blick gewandt war.
In dieser Sekunde in der Ally mit dem Rücken zu mir stand, begann Amons Silhouette zu flackern. Die Farben um ihn verwischten, sein Körper vibrierte als würde ein Störsender die Verbindung kappen. Seine Züge verschwammen und innerhalb eines Augenblicks löste er sich in Luft auf.

Nun wieder frei von jeglichen Fängen, setzte ich unwillkürlich einen Fuß nach hinten, und wich entsetzt einen Schritt zurück.
Das war doch gerade nicht wirklich passiert oder?
Von einem Moment auf den anderen war er spurlos verschwunden.
Wieder einmal.

Langsam hegte ich den Verdacht, dass er mich um den Verstand bringen wollte, indem er mir Dinge vorgaukelte, die in Wahrheit gar nicht existierten.
Beinahe hätte ich aufgelacht und nach der versteckten Kamera gefragt, wenn mir Ally nicht gerade einen verständnislosen Blick zugeworfen hätte, der mir verriet, dass sie rein gar nichts von dem gesehen hatte, was sich für mich wie einen Schlag in den Magen manifestierte.

Bekam ich etwa Halluzinationen?
Um Himmels Willen, wenn du so weitermachst, endest du in der Klapse!, rief mir das letzte Stückchen gesunden Menschenverstandes zu, das noch in mir übrig war und jetzt seine Stimme erhob.
Tatsächlich hatte ich wirklich Angst verrückt geworden zu sein.
Irre. Psychisch krank. Geistesgestört.
Und vollkommen unzurechnungsfähig.
Dass ich dabei ein hysterisches Lachen unterdrücken musste, half nicht.

Stattdessen legte sich eine eisige Kälte über mich, die langsam abflaute und sich dann urplötzlich warm durch meine Venen drängte.
Und dann wurde mir schlagartig übel.

Ally sah mich an und das Fragezeichen das ihr ins Gesicht geschrieben war, stach deutlich hervor.
Um nichts darauf erwidern zu müssen drehte ich mich in leicht gebückter Haltung um und ging ein paar Schritte von ihr fort.
Als meine Beine mich Richtung Seeufer trugen, hielt ich unversehens inne, weil ich mich wieder an das erinnerte, was in den Tiefen des Gewässers verborgen war.
Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass sich das Abbild mit den dunklen Schattenaugen in mein Bewusstsein schlich.
Was war das nur für eine Kreatur?

Ich wusste es nicht.
Einzig und allein durch die aufkommende Gänsehaut, die mir die Gestalt bescherte, beschloss ich, dass ich es zumindest fürs erste nicht weiter hinterfragen sollte.

>>Was hast du gesehen?<<
Ihre Stimme holte mich zurück auf den Boden der Tatsachen, sowie sie mich dazu brachte mich zusammenzureißen und die Übelkeit zu verdrängen.
>>Es war nichts.<<, gab ich lahm zur Antwort.
Und genau wie ich dachte, nahm sie mir das natürlich nicht ab.

>>Nichts? Für mich sah es aber nicht aus, als wäre es nichts gewesen.<<
Ich winkte rasch ab, bevor sie noch weiterreden konnte.
>>Da war ein seltsames Geräusch. Wahrscheinlich war es nur ein Tier.<<
>>Klar, es war nur ein Tier.<<, betonte sie, was die Ironie in ihrem Tonfall unterstrich.

Es war offensichtlich, dass sie mir kein Fünkchen Glauben schenkte.
In ihren Augen blitzte es, als sie weitersprach.
>>Du willst mir doch nicht etwa weismachen, du wärst ganz umsonst zurückgewichen und warst weiß wie ein Laken, wenn da nichts gewesen wäre!<<
Ally stemmte die Hände in die Hüften und nagelte mich mit ihren Blicken an Ort und Stelle fest.
Da war es wieder:
Ihr ungezügeltes Temperament.
Ich konnte nicht umhin, dass sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen stahl.
Ja, ich hatte sie einfach zu sehr vermisst.

Doch leider sorgte das nur für noch mehr Aufruhr in Allys Stimme.
>>Findest du das auch noch witzig?<<
>>Ganz und gar nicht.<<, verneinte ich und meinte es auch so.
Sie hob resigniert die Hände, schüttelte ungläubig den Kopf und warf genervt die Haare, die ihr ins Gesicht gefallen waren, in abwehrender Geste zurück.

Für einen kurzen Moment war Stille eingekehrt und ließ uns beiden einen Augenblick zum nachdenken.
Es war Ally, die sich schließlich zuerst gegen die ausbreitende Ruhe zwischen uns durchsetzte.

>>Du hättest dich sehen sollen. Diesen Schrecken in deinem Gesicht.<<
Dabei schloss sie die Lider, als würde sie die Erinnerung noch einmal im Geiste aufrufen. >>Egal was es war, es war genug um mir zu verraten, dass dort mehr als nur ein harmloses Tier zu sehen war.<<

Und aus irgendeinem Grund wusste ich plötzlich, was sie mir damit sagen wollte, obwohl sie es unausgesprochen ließ.

In ihren geöffneten Augen stand es geschrieben:

Es war als ob der Tod persönlich vor dir stand.

When It's Dark OutsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt