Nur ein Lufthauch entfernt

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>>Schwarz?<<, quiekte ich.

Ally verstärkte den Druck ihrer Finger und nickte eindrücklich.
>>Meinst du schwarz wie die Nacht? Denn die Nacht ist gar nicht schwarz, sondern blau. Und wenn du blau meinst, dann - <<

Sie rüttelte an meinem Arm und fiel mir - viel zu ernst - ins Wort.
>>Wenn ich schwarz sage, dann meine ich auch schwarz.<<
Etwas in ihren Augen schimmerte, als sie das sagte, aber dann war der Moment vorbei und sie blickte zur Seite.
>>Oder vielleicht habe ich einfach nicht genau hingesehen.<<, murmelte sie abwesend.
Sie presste die Lippen aufeinander, bis nur noch ein blasser Strich zu erkennen war und strich sich das Haar hinters Ohr.

Ehrlich gesagt wusste ich in dem Moment nicht was ich sagen sollte. Vielleicht hatten ihr ihre Sinne nur einen Streich gespielt.
Womöglich war gar nichts passiert und die ganze Sache war harmlos.
Nichts weiter als Hirngespinste.

Aber was ... wenn nicht?

Ich erinnerte mich an das Wesen im See, welches nah an der Oberfläche schwamm und mein Gesicht trug.
Was wäre, wenn ich das Schattenwesen bin?
Was würde geschehen?

Als hätte sich plötzlich der Sauerstoff um mich herum verflüchtigt, atmete ich geräuschvoll ein und presste die Luft, gierig nach einem Lebensgefühl, in meine Lungen.
All diese Gedanken erschwerten es mir ruhig zu bleiben.
Ich meine:
Konnte das wirklich sein?

Könnte ich, Maddison Leaves, ein Mädchen aus Rosewyn, je auch etwas anderes sein?
Die Antwort darauf blieb jedoch aus.

Also wandte ich mich wieder an sie, um herauszufinden wie es dazu kommen konnte.
>>Wie meinst du das?<<
>>Wie ich das meine? Ja ich weiß nicht, sagst du mir denn immer die Wahrheit? Oder nur das was ich hören will?<<
Ich schreckte zurück, als hätte sie zu einem Schlag ausgeholt.

Es war nicht fair von ihr so etwas zu sagen, das wussten wir beide.
Und dennoch sah sie mich so vorwurfsvoll an, wie man es tut, wenn auch die Gefühle tiefreichend genug verletzt wurden.
>>Du solltest dir lieber mal selbst zuhören. Gott, Ally. Jetzt ist nicht der richtige Moment dafür.<<

Doch sie ging noch einen Schritt weiter, als sie spitz zurückfeuerte:
>>Ach nein? Für dich wäre es doch nie ein passender Zeitpunkt.<<

Eigenartiger Weise stellte sich genau Zedric vor mich und fuhr in beschwichtigem Ton fort:
>>Allyssa. Beruhige dich.<<
Fast, als würde Ally aus einer Art Trance erwachen, blinzelte sie zu ihm hoch und nickte schließlich.
>>Ja.<<, stimmte sie zu.
Und ein wenig später: >>Ja ich denke du hast recht.<<

Fragend hob ich eine Augenbraue, die jedoch beide geflissentlich ignorierten.
Was auch immer da zwischen ihnen lief, es war immerhin ... etwas.
Etwas, dass es schaffte sie auf eine Art ruhig zu stellen, wie ich es nie tun könnte.
Zedric sah ihr noch einmal tief in die Augen, ehe er sie mit wenig Aufwand ein Stück zur Seite schob.
Regungslos stand Ally nun mit dem Gesicht abgewandt zu mir, so wie sie es immer getan hat, wenn sie mir wegen irgendwas beleidigt war.
So konnte es nicht weitergehen, das war mir klar.
Also gab ich mir selbst einen Ruck und streckte schon in versöhnlicher Geste meinen Arm aus, als plötzlich Zedric dazwischen ging.
Wieder einmal.

Allmählich ging mir das gewaltig auf die Nerven! Konnte dieser aufgeblasene Typ nicht einfach verschwinden?
Als ich einen zweiten Versuch starten wollte, verstellte er mir erneut den Weg.
Entnervt stieß ich einen Seufzer aus, der einem Hurrikan gleichkam.
>>Was in Gottes Namen ist dein Problem?<<, fuhr ich ihn an.
Doch er ging gar nicht darauf ein.

>>Maddison Leaves, was für eine Freude dir endlich von Angesicht gegenüber zu stehen.<<, hauchte er mir mit seinem warm glühenden Atem entgegen.
Seine Augen funkelten dabei begeistert und er glitt einen Schritt näher.
Oh Gott, dachte ich und ahnte böses.
Was, wenn das eine Art Anmache von ihm war? Erst ein Mädchen klar machen, es dann geschickt aus dem Weg räumen, nur damit er dann an die Freundin rankam?
Angewidert schüttelte es mich.
Das war nichts weiter als billig.

>>Bitte? Was redest du denn da?<<
War er jetzt völlig abgedreht?, fing ich an zu spekulieren.
Sicherheitshalber vergrößerte ich den Abstand und gelangte langsam immer näher an das Ufer des Sees.
Ob ich mir große Chancen einräumen konnte ihm zu Entwischen, falls es darauf ankam?
Ich konnte nur hoffen schneller zu sein als er.
Doch so sehr ich mich bemühte eine Distanz zwischen uns aufrechtzuerhalten, es schien, als wäre er genauso sehr darauf bedacht diese zu überbrücken.
Und so kam es wie es kommen musste...
Eins meiner Beine steckte knöcheltief im Wasser und das saugte sich in meinem Kleid fest.
>>Verflucht aber auch!<<
Nicht, dass es dem Kleid großen Schaden zugefügt hätte ... es waren ohnehin nur noch Fetzen, die an mir klebten, aber jetzt waren auch noch die Schuhe hinüber.
Irgendwo in mir starb gerade mein Herz für Mode.

Als ich gerade zurück auf festen Untergrund wechseln wollte, stieß ich unsanft gegen Zedric, der mir anscheinend weiter gefolgt war und geriet ins Taumeln.
Mit rudernden Armen versuchte ich verzweifelt die Balance zu halten, aber eine Sekunde später wurde ich schon von Zedric zurückgezogen, der mich in eine Art Umarmung schloss.
Er war mir so nah, dass nur die Erde einmal beben müsste und ich würde wissen, wie sich seine Lippen auf meinen anfühlten.

Dieser Gedanke war mir so zuwider, dass ich ihn augenblicklich mit beiden Armen von mir stieß.
Sein Griff war jedoch eisern und mein Versuch ihn von mir zu stoßen, hatte genau das Gegenteil bewirkt:
Anstatt mich von ihm zu befreien, hatte ich es geschafft, mich noch dichter an seinem Gesicht wiederzufinden.
Nur ein Lufthauch entfernt von einem Kuss.

When It's Dark OutsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt