Winterblau

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Ich schrie.
Aus einem Reflex heraus, sprang ich von der Kirchenbank und wedelte wild mit den Armen, um die Gefahr von mir fern zuhalten.
Ein schaler Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus, den ich trocken herunterzuschlucken versuchte.

So schmeckte also Angst.

Hart schluckte ich schließlich die wenig verbliebene Spucke nach unten und starrte geradeaus.
Hände streiften meine Arme, die mich festhalten wollten.
Doch das war gar nicht nötig.
Ich war zu Eis erfroren.
So kalt wie die Augen vor mir, durchdrang mich diese Kälte genau an den Stellen, die Amon mit seinen Händen bedeckte.
Ich schüttelte ihn ab und brachte einen angemessenen Abstand zwischen mir und seinen Eishänden.

>>Maddison.<<
Er hauchte mir meinen Namen entgegen.
Ich fixierte ihn mit meinem Blick.
Wer war er nur? Und was erlaubte er sich?
Dass er von diversen Stalkeradern durchzogen war, hatte er gerade bestens bewiesen.
Und das verhieß ganz bestimmt nichts gutes.
Langsam entwickelte ich einen gewissen Ekel gegen diesen Typen, so viel war klar.

Ich versuchte ihn mit einer abweisenden Haltung verstehen zu geben, dass ich nicht interessiert war.
Zudem stellte ich mir gerade Hannahs vergammelte Kürbissuppe vor, die sie tagelang in ihrem Zimmer hat verderben lassen. An diesen miefigen Geruch erinnerte ich mich nur ungern, aber vielleicht würde er mir jetzt einmal behilflich sein können.

>>Gehts dir nicht gut? Willst du dich nicht lieber wieder setzen? Du siehst aus, als müsstest du dich gleich übergeben.<<
So viel zur abstoßenden Wirkung.
Danke, Kürbissuppe.

Vielleicht müsste ich mich ja tatsächlich übergeben, schoss es mir wie ein Pistolenknall durch den Kopf.
Schnell schickte ich ein Stoßgebet Richtung Himmel.
Oh Gott, bitte erhöre mich und lass nicht zu, dass ich gleich wie eine schwangere und sich krampfhaft übergebende Seekuh ende.
Ein leichter Anfall von Hysterie packte mich und verpasste mir ein herab rieselndes Gefühl, wie nur der Wind es schaffte, sobald er mir Schneeflocken ins Gesicht blies.
Eine Hand schloss sich um meinen Ellenbogen und gab mir Halt.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich zu schwanken begonnen hatte.
Und jetzt fing auch noch der Boden an, sich in wackeliges, unebenes Gelände zu verwandeln.
>>Maddison, sieh mich an.<<
Amons Gesicht tauchte in mein Blickfeld
und mir schwirrte der Kopf, sobald ich wieder in seine winterblauen Augen sah.
Plötzlich spürte ich etwas Festes unter mir.
Und als ich meinen Kopf zur Seite drehte, verstand ich auch was es damit auf sich hatte.
Ich saß wieder!
Hörte sich vielleicht unspektakulär an, aber für mich gab es in diesem Moment nichts angenehmeres.

Amon kniete vor mir und umfasste mein Gesicht.
Und ich könnte schwören, gehört zu haben, wie sich Frost auf meiner Wange bildete.
Doch ich stieß diesen Gedanken fort und schob ihn auf meinen fragwürdigen Zustand.
>>Wann hast du zuletzt etwas getrunken?<<
Seine Stimme hallte in der Kapelle wider und schwirrte wie unsichtbare Wellenbewegungen durch den Raum.
>>Ähm...Vorhin?<<
Ich konnte mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern.

Oder doch:
Das letzte, was ich getrunken habe, war Allys Blutkrautmischung gewesen.
Verdammt, was hatte sie da nur alles zusammengemischt?
Ally war normalerweise kein Fan von übermäßigem Alkohol.
>>Hier. Trink das.<<
Mir wurde eine kalte Flasche in die Hände gedrückt.
Und obwohl ich weiß, dass man von Fremden nichts annehmen soll, tat ich es trotzdem.
Mein trockener Hals lechzte förmlich danach.
Ohne zu überlegen, goss ich mir die Flüssigkeit in den Rachen und trank die Hälfte der Flasche aus.
Es fühlte sich gut an.
Als ich das nächste Mal aufschaute, sah ich Amons Blick an mir hängen.

Die Nebelschwaden in meinem Kopf verzogen sich und schenkten mir langsam kühle Klarheit.
>>Was?<< ,schnaufte ich.
Doch Amon schüttelte nur wortlos den Kopf.
Ich kniff die Augen dünn zusammen und versuchte aus ihm schlau zu werden.
Er wendete den Blick nicht ab.
Ich tat es auch nicht.
Momente verstrichen.
Lieferte ich mir gerade wirklich so ein Wer-sieht-zuerst-weg Ding?
Sah ganz so aus.

When It's Dark OutsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt