Bei diesem einen Wort dämmerte es mir.
Totenreich.Ich befand mich gar nicht mehr in der richtigen Welt, in der ich siebzehn Jahre mein Leben gelebt habe. Ich hatte die Grenze überschritten, die die Lebenden von den Toten trennte, war über die Brücke gegangen wie manche zu sagen pflegten, hatte mein Leben verloren ... war gestorben.
Egal wie ich es drehte oder wendete, es lief immer auf dasselbe hinaus:
Ich war tot.Nicht weiter kam ich, als bis zu den ersten Grabsteinen die sich am Wegesrand aus der Erde hievten, da nahm die gesamte Last überhand. Strauchelnd kippte ich vornüber, fiel auf meine Knie und konnte nur noch dem einen Gedanken in meinem Kopf lauschen, der sich nun auftat.
Irgendwo hier auf diesem gottverlassenen Friedhof würde es sehr bald einen weiteren verwitterten Stein geben, in dessen Fassung mein Name eingraviert sein würde.
Wer würde dies in Auftrag geben?
Natürlich meine Familie ... aber wir hatten nie darüber gesprochen, welche letzten Worte in Stein gemeißelt werden sollen.
Wieso auch? Ich hatte schließlich noch ein ganzes Leben vor mir gehabt, das ich leben wollte.Dabei erkannte ich, dass selbst das Leben keine Selbstverständlichkeit war.
Es war ein Geschenk, auf das es auszupacken sich nicht jeder freuen durfte.Und da mein Unterbewusstsein es anscheinend darauf anlegte mich zunehmens zu quälen, malte ich mir unwillkürlich aus, welch besondere Inschrift meinen Grabstein zieren würde, um alle wissen zu lassen, dass das Leben das ich einst führte unwiederbringlich fort ist. Und ich mit ihm.
In ewiger Erinnerung an
Maddison Leaves
* 29. September 2003
+ 1. November 2020Das Sichtbare vergeht,
doch das Unsichtbare bleibt ewig.Ein Bild von meiner Beerdigung überlagert das Empfinden von tiefer Verlorenheit und zeigt mir wie sie alle in Trauerkleidung - einen Halbkreis bildend - in mein ausgehobenes Grab hinab starren, darin ein dunkel melierter Kordelsarg, geschmückt mit blauem Blütengesteck, das weiße Band bereits von der feuchten Erde angegriffen.
Auch wenn schmutzige Spuren auf dem Gedenkband zu erkennen waren, war es dennoch gleichzeitig das einzige was sich von den dunklen Schatten um sich herum abhob.
Jeder, der noch einen Blick nach unten wagte konnte die Zeilen lesen, die mich bis unter die Erde begleiten würden:
Erinnerungen, die unser Herz berühren, gehen niemals verloren.Ich sah wie Mom und Dad sich an den Händen hielten, Mom leicht weggedreht von dem Loch in der Erde vor ihr als könnte sie den Anblick nicht ertragen. Ein Taschentuch bedeckte beinahe ihr ganzes Gesicht doch ihre tränennassen Augen sprachen Bände.
Sie waren rot gerändert und richteten sich nun auf Dad, der ihren Blick erwiderte, bevor er sie noch enger an sich zog und seine Lippen zu einem ausdruckslosen Strich zusammendrückte, damit er nicht die Fassung verlor und drückte sie auf den Scheitel meiner Mutter. Wie gerne würde ich ihre Gesichter lächeln sehen.
Abseits von der Gruppe der Trauergäste löste sich eine einzelne Gestalt, die jetzt nach vorne an das Grab trat, eine weiße Rose zwischen Daumen und Zeigefinger baumelnd.
Hannah, meine Schwester.Sie trug ein schlichtes schwarzes Gewand, die Haare halb nach oben gesteckt, sodass ihr Gesichtsausdruck klar zu erkennen war. Aber statt Trauer, wie sie die Mienen aller anderer umspielte, war ihr Gesicht wie aus Stein gemeißelt und blickte wie eine Tote starr auf meinen Sarg hinab. Jegliche Emotion war aus ihrem Körper verschwunden. Die Rose drehte sie einmal in ihrer Hand bevor sie sie über den Leichensarg ausstreckte und kurz inne hielt.
Dabei warf sie einen Blick zurück zu unseren Eltern und ließ in dem Moment los als der Schrei einer Krähe ertönte.Ich konnte nicht verhindern, dass ich plötzlich aufschreckte. Diese Rufe waren mir einfach zuwider.
Alleine die Vorstellung, meine Familie für immer aufgeben zu müssen und mich noch nicht mal von ihnen verabschieden zu können, bewirkte, dass mir übel wurde.
Furchtbar übel.
So übel, dass ich schon dachte, gleich müsste ich zum Grabschänder deklariert werden.
Amon war sofort an meiner Seite und zog mich, dicht an sich gedrückt, wieder auf die Beine und gab mir Halt.
Wie sollte ich das nur durchstehen?
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When It's Dark Outside
Teen Fiction>>Es war Halloween. Und ich wünschte es wäre nie so weit gekommen.<< Zwei Freundinnen, die nachts an Halloween durch die Straßen ziehen und sich dann entschließen auf den Friedhof zu gehen... obwohl Maddison das eigentlich für keine so gute Idee hä...