Die Vorahnung

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Dunkle Wellen schlugen über mir zusammen, so stark, dass sie mich mit in die Tiefe zogen.
Ich wusste nicht, ob ich meine Augen geöffnet hatte. Doch wenn ich es getan hatte, erkannte ich keinen Unterschied.

Die Welt war pechschwarz.

Kaltes Schneewasser drückte mir auf die Lunge und befahl meinem Mund sich zu öffnen, damit ich ganz den wirbelnden Fluten gehören konnte.
Sie hielten an mir fest, streiften meinen Körper mit kühlen Berührungen und drangen in mein Herz.
>>Lebe, Maddison.<< , hörte ich eine Stimme um mich herum flüstern.
Aber alles was ich spürte war die Hand des Todes, die sich in meine legte.
Und so kam der Moment an dem ich losließ.

Mit starkem Herzklopfen schreckte ich hoch.
Das war nur ein Traum, nur ein Traum! ,versuchte ich mich zu beruhigen.
Ein Albtraum, verbesserte ich mich.
Mein Kopf fuhr Karussell und brachte meine Sinne durcheinander.

Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich wieder klar sehen konnte und drückte mir eine Hand an die Schläfe, damit ich einen Punkt hatte, auf den ich mich konzentrieren konnte, während ich darauf wartete, dass sich mein Schwindel legte.

Die Gedanken noch immer im Traum versunken, spürte ich die eisige Welle wieder auf mich zudonnern.
Ihr Rauschen hallte in meinen Ohren nach, als sie sich über mir zusammenfallen ließ und meine Kleider in Eiswasser tränkte.
Panisch schüttelte ich meinen Kopf und presste meinen Körper hart auf den Boden, um mir selbst versichern zu können, dass mir nichts passierte.

Hinter meinen Augen brannte es heiß und ich wünschte ich könnte das Feuer löschen.
Blind tauchte ich meine Hand in die dünne Schneedecke, die sich auf dem Felsen ausgebreitet hatte und packte eine großzügige Ladung davon auf mein Gesicht.
Wohltuende Frische drang in meine Poren und weckte mich auf.
Ich seufzte leise.
Die Abkühlung im Schnee tat gut und ich nahm mir fest vor, ab jetzt jeden Wintermorgen so zu beginnen.
Da krochen plötzlich meine Erinnerungen zurück an ihren Platz und ich hielt erschrocken in der Bewegung inne.

Ich war noch immer im Wald.
Natürlich.

Schwer atmend setzte ich mich auf und strich meine zerwühlten Haare nach hinten.
Zwei Herzschläge später wurde mir die Dunkelheit bewusst, die sich zwischen den Bäumen und überall wohin ich meinen Kopf wandte, erstreckte wie schwarzer Nebel.
Die Nacht dauerte noch an und sorgte dafür, dass sich kein Licht hindurch stahl.
Eine Königin der Nacht, die ihr Reich bis zum letzten Atemzug verteidigte.
Aber irgendwann würde der Tag siegen und sie musste sich zurückziehen und das Zepter weiterreichen.
Beinahe ehrfurchtsvoll sank ich den Kopf und starrte zu Boden.

Aber es fühlte sich falsch an, obwohl ich nicht sagen konnte wieso.

Also erhob ich mich und ging die wenigen Schritte, die mich aus meinem Versteck und raus auf die kleine Lichtung bringen würden.
Ich fühlte mich gleich viel freier als zuvor und blieb schließlich stehen, als ich die Spitze eines kleinen Hügels erreicht hatte.
Dort angekommen zog ich mein Handy aus der Tasche und suchte angestrengt nach Empfang.
Dabei stach mir zuerst die Uhrzeit auf dem Display ins Auge: 6:39
Bald würde die Sonne sich über den Horizont erheben und die ersten Lichtstrahlen auf die Erde schicken.
Es konnte nicht mehr lange dauern.

Mit einem Finger tippte ich ungeduldig auf dem Handy herum und hoffte es würde sich dadurch schneller mit dem Netz verbinden.
Vergeblich.
Verärgert schob ich es zurück in die Tasche und murmelte fluchend vor mich hin.
Da hatte man ein Handy und wozu?
Es war zu nichts zu gebrauchen!
Ein Wunder, dass der Akku noch hielt, dachte ich in bitterem Ton.

Wie zum Zeichen vibrierte es jetzt an meinem Bein, wo sich die Handytasche befand.
Neugierig zog ich es heraus und linste auf den hell erleuchteten Bildschirm.
Gleich darauf schimmerte mir ein Text entgegen:
Nachricht von Allyssa May
Mein Herz machte einen Satz und trommelte danach wie wild los.
Ally muss auf der Suche nach mir sein!
Bestimmt war sie schon halb krank vor Sorge.
Eilig entsperrte ich mein Handy mit einem Muster, das ich auf den Bildschirm malte und tippte mich zu den Nachrichten durch.
Dann öffnete ich unseren Chat und laß:

Bin beim Waldsee, nahe der Eiche.
Denkst du, du schaffst es dorthin? Treffe dich dort. Keine Angst, es ist nicht weit. Hoffe es geht dir gut!

Der Waldsee! Ally und ich waren dort oft im Sommer schwimmen gewesen. Ich erinnerte mich an unsere vielen Verabredungen am See.
Er war unser geheimer Treffpunkt, den wir mit niemandem zu teilen brauchten.
Denn alle anderen fürchteten den See, weil man sich von den Geistern erzählte, die dort angeblich ihr Unwesen trieben.
Der Ort hatte etwas magisches an sich mit dem von Trauerweiden umsäumten Gewässer, das wagten Ally und ich nicht zu bestreiten, aber anders als die anderen hatten wir keine Angst.

Nein, wir fühlten uns zu Hause.

When It's Dark OutsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt