Die Hand des Todes in meiner

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Das Wasser teilte sich für mich, bereitete mir ein Bett und streckte dann seine Zungen nach mir aus, um mich für immer behalten zu können.
Es umschlang meine Arme und Beine, schwappte zum Hals und zog meinen Kopf mit sich. Von den entstandenen Wellen wurde ich ganz unter Wasser gedrückt und tiefer in den See getrieben, wo das Licht sich der Dunkelheit verschrieben hatte.

Von den Lichtstrahlen, die sich eben noch in den Wellen des Wassers gebrochen hatten, war nichts mehr zu sehen. Selbst der Abgrund des Sees lag stumm da und verriet mir nicht, wohin er mich bringen würde.
Ob die Welt etwa zusammengeschrumpft war?
Vielleicht existierte alles außerhalb dieser verfinsterten Unendlichkeit gar nicht mehr ... oder aber es war genau andersherum.

Das Gefühl für Zeit hatte ich verloren, zusammen mit meiner Angst, was folgen würde, wenn ich in den See sprang und so umspielten fließende Strömungen die Ränder meines Körpers und zeichneten ihn nach, damit sich der See an seine Form gewöhnen konnte.

Und plötzlich spürte ich es wieder:
Etwas wie eine Hand legte sich in meine und zog mich mit sich. Es war dasselbe Gefühl wie noch Stunden zuvor im Wald ...
Nur, dass diese hier für ein merkliches Ziehen in meinen Fingern sorgte und winzige Stromschläge in meinen Arm schickte.
Begleitet wurde dieses Gefühl von unendlicher Schwerelosigkeit, als etwas auch noch anfing mir pure Energie aus all meinen Gliedern zu saugen und damit das Wasser um mich herum in einen Spiegel verwandelte.

Mein Blick traf den eines Mädchens neben mir.
Ihr Gesicht war erschreckend blass und so hell, dass es zu leuchten schien.
Da kam mir ein Gedanke, der mir sehr passend erschien:
Mondmädchen.
Als trüge dieses Mädchen das Mondlicht in sich, erhellte damit das finstere Gewässer und ließ etwas völlig neues daraus entstehen.
Auch ihre Lippen wirkten silberfarben, ohne jegliches Blut.
Sie würde sterben, das war ihr doch klar, oder nicht ?
Ich wollte den Mund öffnen um ihr sagen, dass sie verschwinden sollte, doch im selben Augenblick bewegte sie sich.
Seltsam.
Es kam weder ein Laut über ihre Lippen noch irgendwelche Luftblasen, die sie beim Sprechen aussonderte und von einer Lebendigkeit zeugten, die sie in sich tragen sollte, aber längst verloren hatte.
Eine weitere Tote.

Bitterkeit stieg in mir hoch, denn ich dachte an den Tod, der mich selbst dann nicht verließ, nachdem ich ihm gerade noch ins Gesicht geblickt hatte.
Ob er nur darauf wartete, dass ich aufgab ?

In diesem Moment begriff ich es.
Vor mir lag nicht bloß irgendein gewöhnliches Mädchen, nein.
Dieses tote Mädchen ... das bin ich.
Der Tod zeigte mir meine Zukunft, so wie sie sein könnte.
So wie sie sein wird.
Und da wurde mir bewusst, dass ich das hier nicht zum ersten Mal erlebte und starrte mit offenen Augen in die Erinnerung, die sich vor mir ausbreitete:

Die Welt war pechschwarz.
Kaltes Schneewasser drückte mir auf die Lunge und befahl meinem Mund sich zu öffnen, damit ich ganz den wirbelnden Fluten gehören konnte.
Sie hielten an mir fest, streiften meinen Körper mit kühlen Berührungen und drangen in mein Herz.
>>Lebe, Maddison.<< , hörte ich eine Stimme um mich herum flüstern.
Aber alles was ich spürte war die Hand des Todes, die sich in meine legte.
Und so kam der Moment an dem ich losließ.

Ich erschrak, doch ich merkte gleichzeitig, wie meinem Körper jegliche Bewegung mehr und mehr abverlangte.
Nicht mehr lange und er würde meinem Willen entzogen werden und stattdessen dieser endlosen Stille aus Wasser gehorchen.
Doch meine Gedanken kreisten um die nun eingetretene Vorahnung, die sich als Albtraum getarnt hatte.
Schrecklicherweise wusste ich dadurch, wie dieser endete.
Wovon ich aber keine Ahnung hatte, war, wie ich diesem Albtraum lebend entkommen konnte.

Stumm forschte ich in dem bleichen Gesicht vor mir nach Antworten, die mir weiterhelfen könnten, aber es war reines Wunschdenken.
Nur Tote behielten ihre Geheimnisse.

Also starrte ich meinem verstorbenen Ebenbild auf die versteinerten Gesichtszüge und kam einer Frage immer näher:

War es mir denn nicht bestimmt zu leben?

Hätte ich meinen Blick in diesem Moment nicht auf die Tote gerichtet, wären mir ihre geöffneten Augen entgangen, die mich fokussierten.

When It's Dark OutsideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt