Prolog:

94 2 0
                                    


Tapp, tapp, tapp. Die schweren, schnellen Schritte hallten dumpf durch die prachtvoll geschmückten Gänge des königlichen Palastes. Rechts und links von ihm prangten in angemessenem Abstand die blutrot-goldenen Banner des Königs, welche er mit tiefen, sorgsamen Falten im Vorbeieilen bedachte. Das Gesicht des Mannes war schwer von der Zeit gezeichnet, einige Narben und halb verheilte Verbrennungen, die auf alte Kriege zurückführen würden (falls er sie jemals  mit einem Wort erwähnen würde), wurden von dem wirren, gräulichen Bartwuchs überwuchert, in dem sich, von dem schnellen Ritt durch den Sturm, glitzernde kleine Schneeflocken verfangen hatten. Sein mitternachtsblauer Umhang wirbelte aufgeregt hinter den kleinen, beinahe unnatürlichen hinkenden Schritten und gab der Szenerie einen dramatisch bewegten Beigeschmack. Immer wieder griff seine krumme Hand nach dem zerknitterten, rot-versiegelten Dokument in seiner Brusttasche. Dieser verzweifelten Handlung folgte ein altes, brüchiges Gebet, welches sich über seine bläulichen Lippen bahnte, als hoffte er es das nächste Mal, wenn er danach greifen wollte, es nicht mehr aufzufinden vermochte. Eilig bog er in einen rechten Seitengang und stürmte auf die hohe, kunstvoll geschnitzte Flügeltür, die von zwei Soldaten der königlichen Garde bewacht wurde. Schwer atmend machte er Halt, erklärte ihnen mit eindringlich murmelnden Wörtern sein plötzliches Erscheinen, bekreuzigte sich ein letztes Mal und wurde durch die aufschwingende Tür geleitet. 

Vor ihm erstreckte sich nun, in seiner ganzen Pracht, der Thronsaal, in dem sich schon all die Lords und Ladys, welche von den entlegensten Orten und Königreichen angereist waren, in aller Eile versammelt hatten, und nun tuschelnd und bedeutsame Blicke zuwerfend an dem langen Tisch saßen. Grund für die Aufregung war die brennende Unwissenheit, welche sie bis hier hin verfolgt hatte, nachdem sie doch so dringlichst ohne wirklich benannten Grund in die Königsstadt gerufen wurden.

Der Mann, wessen Schritte nun sehr viel bedächtiger waren, schritt zögernd an die Seite des leeren Throns, welcher sich am anderen Ende des Tisches befand und klopfte sich den letzten Schnee aus dem Gewand, bevor er sich laut räusperte. Sofort kehrte Ruhe ein und alle Blicke richteten sich auf ihn. "Mylords, Myladies" begann er und zog mit zittrigen Fingern das Stück Pergament aus den Tiefen seines Umhangs. Während er vorsichtig das Siegel brach, herrschte eine gespannte, fast bedrückte Stille im Raum. "Ich überbringe Ihnen tragische Botschaften aus dem Norden". Er schluckte und fuhr mit lauter Stimme fort: "Unser König Thrindul ist vor einigen Monden mit seinem Heer und seiner Gattin nach Gulbron aufgebrochen, um dort Friedensverhandlungen mit dem Nordvolk zu schließen, damit endlich der
jahrzehntelang tobende Streit zwischen ihnen beendet werden konnte. Vor einigen Wochen ereilte mich die Nachricht, dass jene auf brutalste Weise abgelehnt wurden, da sich das Nordvolk dem Anschein nach schon vor einiger Zeit mit dem Feind verbündet hatte". Erneut legte er eine Pause ein und sah über den Tisch hinweg durch eines der schmalen Fenster, wo der Schnee tanzend vorbei wehte. "Sagt mir,Lord Errendal, wer war es, der sich mit dem Nordvolk verbündete?" ertönte plötzlich die helle, kristallklare Stimme eines jungen Waldelfenlords, welcher vor lauter Aufregung von seinem Stuhl aufgesprungen war. In den winzigen, von Falten gezierten Augen des Mannes bahnte sich etwas Ängstliches, ja beinahe etwas Panisches an und er wand den Blick wieder der Tafel zu. Mit einigen Schwierigkeiten, so als benötigte es seine gesamte Kraft, um diesen einen Satz hervorzubringen, formte Lord Errendal seinen Mund, seufzte und fasste all seinen Mut, um diese eine Botschaft zu verkünden. "Es war Ragnar, Thrindul's jüngerer Bruder. Die Königsfamilie ist gefallen" stieß er hervor und ließ das Dokument sinken. Nun hörte man nur noch das einsame Pfeifen des Windes, gleich einem klagenden Ruf an den Gemäuern des Palastes entlang wehen. Alle Augen richteten sich betreten dem Boden zu, unfähig das eben Gehörte zu verarbeiten, geschweige denn zu glauben. Ragnar war zurück, und noch viel schlimmer: der König und die Königin, welche noch den Thronfolger im Bauche trug waren... tot?!  "A..aber, Ragnar ward doch verbannt, von König Thrindul selbst! In die ewige Schattenschlucht von Dhukar, er kann nicht zurück sein" kam es plötzlich von Lady Monaria und ihre schlangenähnliche Augen füllten sich mit Tränen. Ein trübes Lächeln schlich sich auf die Lippen des Mannes. "Er kann und ist zurück, und er wird hierher kommen, schon bald. Ein Nordwind zieht auf". Sein Blick richtete sich wieder auf den immer stärker wütenden Sturm, welcher nun durch das ganze Land zog, Hunger und Tot brachte, doch war er nur der Vorbote des eigentlichen Unheils, was sich unermüdlich vom tiefsten Norden anbahnte...

The Legend of Manar Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt