Kapitel 1: Alpträume

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Die Luft roch nach verbranntem Fleisch. Zitternd lief ich über die aufgewühlte Erde, zu beiden Seiten türmten sich lodernde Schutthäufen. Grausame Schreie drangen von überall in mein Ohr, jedoch konnte ich ihnen nicht folgen. Der Himmel lag blutrot flimmernd über mir, jedoch verspürte ich eine unnatürlich- beißende Kälte. Hagon war gekommen. Die Flammen tanzten freudig zuckend über die kleinen Häuser des Dorfes. Das stürmische Schlagen von schweren Hufen lag in der brennenden Luft. Überall lagen die leblosen Körper der Dorfbewohner. Ein boshaftes Lachen erfüllte die Luft, welches mir den Atem raubte.

Schweißgetränkt schreckte ich hoch. Einen Moment blieb ich ruhig sitzen, lauschte. Keine Schmerzensschreie, kein krankhaftes Lachen, bloß der sanfte Regen trommelte gegen mein kleines Dachfenster. Erschöpft ließ ich mich zurück fallen und schloss erneut die Augen. Bloß ein weiterer Alptraum. Noch immer zitternd richtete ich mich auf und tapste die Treppe hinunter. Meine Mutter stand in der Küche und schnitt eine krumme, kaum erkennbare Karotte entzwei. Dies erinnerte mich erneut an unsere momentane Situation. Seitdem Ragnar vor einigen Jahren nach dem Tot unseres Königs zurück gekehrt war, verfielen die Siedlungen abseits des großen Wassers in Armut. Die Steuern wurden erhöht, die Menschen leideten Hunger und immer wieder überfielen Plünderer aus dem Norden die Dörfer, raubten und mordeten. In Gedanken versunken räusperte ich mich kurz, worauf sie sich umdrehte. "Luna, liebes! Schon wach"? Doch als sie meinen Gesichtsausdruck sah, fiel ihre ihre freudige Stimme in sich zusammen und sie blickte mich mitleidig an. "Wieder ein Alptraum" fragte sie, obwohl es eher eine Feststellung war. Betreten nickte ich dem Boden zu. Mutter zog mich darauf in eine Umarmung und strich mir durch mein langes Haar. "Luna, dass sind bloß Alpträume. Alles wird gut" flüsterte sie sanft, und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Mir war natürlich bewusst das es nur Träume waren, nur wiederholten sie sich Nacht für Nacht, kamen mir immer realer und schrecklicher vor. "Wo sind Vater und Darius" murmelte ich abwesend in die Tiefen ihrer Schürze, welche stark nach Pfeffer roch und mich mehrmals zum Niesen brachte. "Darius ist mit deinem Vater im Walde jagen" erklärte sie und blickte heimlich auf die Ecke zwischen Tisch und Bank, wo Vaters Bogen seinen Platz hatte, als befürchtete sie ihn dort nie wieder zu erblicken. "Aber Darius ist noch viel zu jung für die Jagd" rief ich erschrocken und riss an ihrer Schürze. "Keine Sorge Luna, dein Vater weiß was er tut" sagte sie beruhigend, jedoch hörte ich wie sie ein weniger überzeugendes, jedoch kaum hörbares "hoffentlich" hinzufügte, und ihre Schürze glatt strich, als könnte sie so ihre Gefühle richten. Einen Moment überlegte ich, ob ich ihnen nach eilen sollte, doch dann sagte meine Mutter: "Du könntest für mich auf den Markt gehen und zwei Wollknäuel und ein neuen Eimer holen". Ich nickte gleichgültig und huschte ins Bad hinauf. Dort wusch ich mich mit dem aufgefangenen Regenwasser von gestern und kämmte mir so gut es ging mein zerzaustes Haar mit den Fingern. Ich zog mein ledernes Gewand an, und setzte mir einen Haarkranz aus geflochtenem Leder, in welches mittig ein kleiner Stein eingelassen ward, auf. Es war mein einziger Wertgegenstand, welches Mutter an mich weitergegeben hatte, da es ein sehr altes Schmuckstück der Familie mütterlicherseits war. Lächelnd dachte ich an jene Zeit zurück, wo noch alles in Ordnung war und richtete noch einmal mein Gewand. Dann eilte ich hinunter, griff mir mein Korb und nahm noch die bronzenen Gulden von Mutter entgegen. Es war Anfang September und ein rot-goldener Schimmer lag über dem Wald. Der Regen hatte sich gelegt und ein paar Sonnenstrahlen durchbrachen die Wolkendecke. Zufrieden summend lief ich durch unseren Garten, vorbei an unserem eigens angelegten Salatbeet, und machte mich auf den Weg. Ein paar Vögel schwebten über mir, ließen sich drehend fallen, nur um wieder flügelschlagend aufzusteigen. Ich lief am Rand des grauen Waldes entlang, sprang über kleine Flüsse und kletterte über die hohen Wurzeln der alten Buchen. Unter mir knirschten fröhlich die Blätter. Unser Haus lag etwas abseits des Dorfes, direkt am Waldrand. Ich liebte es im Wald mit meinem kleinen Bruder verstecken zu spielen, oder dem Gemurmel der Flüsse zu lauschen. Aber meine größte Leidenschaft war das Bogenschießen. Mein Vater hatte es mir in frühen Jahren beigebracht, so wie es wiederum er von seinem Vater gelernt hatte. Jeden Sommer waren wir dann gemeinsam über mehrere Wochen jagen gewesen. Am Tag unserer Rückkehr gab es dann immer ein großes Festessen, Mutter lud Freunde und Verwandte ein und es wurde viel gelacht. Doch als Darius geboren ward, widmete sich mein Vater bloß noch seiner Ausbildung. Er sagte, ich müsste von nun an meiner Mutter zur Hand gehen, und im Haushalt helfen, jedoch wusste er genau, dass ich so etwas verabscheute und heimlich im Hintergarten weiter übte.

The Legend of Manar Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt