Nichts.

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Wenn du in einer Achterbahn sitzt und die Wagen ratternd bis an den höchsten Punkt fahren, folgt ein Moment in dem du glaubst die Luft bleibt dir weg. Vielleicht werden deine Knie weich und du kannst dich kaum bewegen. Du glaubst es nicht schaffen zu können. Und wenn du oben bist, ganz oben, dort wo du glaubst den Himmel anfassen zu können, bist du dir sicher das du es nicht schaffen wirst. Aber dann fällst du in die Tiefe und noch während dein Haar in der Luft herumwirbelt und du schreist bemerkst du das es vorbei ist.
Genau so ist das Gefühl wenn du aus mitten einer unglaublich schrecklichen Trauer aufwachst. Dann wenn du dich wenigstens für eine Weile wieder stark und lebendig fühlst.
Und genau so fühlte sich Clove in genau diesem Moment.

"Distrikt 1 ist der letzte vor dem Kapitol", sagte Cessica, "Ihr müsst ein letztes Mal alles geben. Und im Kapitol nützen euch Küsse und Umarmungen nichts mehr. Dort sehen euch die Menschen in jeder wachen Sekunde zu und beurteilen jeden eurer Schritte."
Sie überreichte beiden ihre Karten.
"Wie siehts in den Distrikten aus?", fragte Cato.
Enobaria nahm einen Bissen von einem der giftgrünen Keksen die sie so liebte. 
"Die Informationen die wir hatten, haben wir alle von Cessica bekommen. Seit sie sich vor euch versprochen hat, schweigt sie wie ein Grab", meinte Brutus.
"Aber solange wir noch nicht den Lärm von Hovercrafts und Explosionen vernehmen führen wir zumindest erst einen leisen Krieg", sagte Enobaria. Ihre Worte waren nicht immer einfühlsam, aber ehrlich.
Clove und Cato wussten beide das auch Enobaria nicht immer so abgestumpft gewesen war. Manchmal stellten sie sich vor wie sie wohl vor den Spielen war. Bevor sie sich die Zähne abschleifen liess und sich entschied alles und jeden zu hassen. Oder war sie wie Clove einfach schon immer dazu erzogen worden.
"Ich habe mich etwas gefragt", fing Clove nach einer Weile an, "Wie kann ein Mann wie Snow wissen wie wahre Liebe aussieht?"
Alle starrten sie an. Nicht nur weil ihre Augen seit langem nicht rot und geschwollen und ihre Stimme wieder laut und kräftg war. Sondern auch weil ihre Frage völlig unlogisch schien.
"Er glaubt unsere Geschichte nicht. Das ich dich Liebe. Weil er glaubt das ich gar nichts fühlen kann. Doch woher sollte jemand, der Eltern die Kinder nimmt und sich nichts als Blut und Tränen wünscht, wissen wie Liebe aussieht?" Clove sah im zwischen den Anwesenden hin und her. Sie wusste das ihre Worte vielleicht völlig naiv erschienen. Aber die anderen fingen an zu verstehen. 
"Kein Mensch kann ohne Liebe leben. Auch Snow hat Menschen die er liebt oder zumindest solche die er beschützen möchte. Und ich denke, er sieht sich selbst in dir Clove", sagte Brutus.
"Clove ist nicht ansatzweise wie er!", zischte Cato.
"Nein, natürlich nicht. Aber sie kann etwas das er auch kann. Sie lügt ohne darüber nachdenken zu müssen. Ihre Emotionen liegen normalerweise in ihrer Hand. Sie stellt sie ein und aus wie ein Spiel. Und sie schafft es das man sie mag ohne etwas dafür zu tun", erklärte Brutus.
Was er sagte war eigentlich völlig offensichtlich gewesen, doch sie hatten alle nie darüber nachgedacht. Doch woher schien genau er immer zu wissen was in den Köpfen anderer gerade vorging? 
"Hast du Angst?", fragte Cato.
"Der Punkt an dem ich wusste was Angst und was Wut ist habe ich überschritten", antwortete Clove.
Ihr Blick blieb einige Sekunden an Catos hängen. Seine Augen waren nicht mehr so trüb wie noch vor ein paar Tagen. Als wäre er seit langem wieder glücklicher. In seine Augen zu sehen war manchmal fast so als könnte sie für eine Sekunde aus dieser kaputten Welt in eine ganz andere, wunderschöne eintauchen. 
Und in Cloves Augen sah er die Angst, die sie leugnete. In ihnen lag aber auch schon immer diese Kälte, die einem unglaublich verunsicherte, da sie einem auch schon mal einschüchtern konnte. Cato wusste es war besser wenn Clove diese Kälte als die tiefe Trauer empfinden würde. Doch musste er verhindern, dass sie sie wieder beherrschte.

"Marvel und Glimmer waren unsere Verbündeten. Die Leben von beiden haben uns und unsere Liebe gerettet. Wir verdanken ihnen unser Glück und das Leben, dass uns das Kapitol geschenkt hat. Wir bedauern den Verlust und sprechen beiden Familien unser Beileid aus." Clove las die Worte vor. Sie brennten in ihrer Kehle, dröhnten in ihrem Kopf. Marvel war ihr Freund gewesen. Er hatte sie beschützt und ihr geholfen. Marvel war da gewesen als es selbst Cato nicht war. Und nun stand sie hier und las die Lügen vor, die Cessica geschrieben hatte. Er hätte mehr verdient als das. Auch wenn Glimmer keine Bedeutung für sie hatte war es furchtbar ihre Mutter zu sehen. Eine blonde, zierliche Frau, die ununterbrochen weinte. Etwas in Clove war unfassbar traurig, dass selbst Glimmer eine solche Mutter hatte, zu der sie hätte wiederkehren können. Eine Mutter die um ihr Totes Kind weinte und nicht weil ihre Tochter den Sieg geteilt hatte.
Cato nahm Cloves Hand. Er wusste das Berührungen für Clove schwierig geworden waren und so versuchte er nichts zu tun das sie nicht wollte. Und dann küsste sie ihn. Zum ersten Mal tat sie es von sich aus. Und es fühlte sich beinahe so an als ob sie es auch wirklich gewollt hätte und es nicht tat, weil sie es musste. Auch wenn das vermutlich der Hauptgrund gewesen war. Sie lächelte obwohl die Situation völlig die Falsche war. Doch Snow sollte sehen das sie nicht gebrochen war, nicht mehr. Sie war aufgestanden und sie würde ihn büssen lassen. Snow sollte spüren wie es war nichts mehr zu spüren. Er sollte nie wieder irgendetwas spüren. Nie wieder.

Clove und Cato - Rache ist weissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt