Sind Träume immer traumhaft?

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Wenn es etwas gab, das noch schlimmer als die Realität war, dann waren es Träume. Denn in ihnen kann man gefangen sein. Es sind deine eigenen Gedanken die sie Formen und dein tiefsten Inneres zum Vorschein bringen. Sie sind einfach da, lassen dich Bilder sehen die du nicht aussuchen kannst. Und ist es nicht genau das, was Träume so unglaublich real erscheinen lassen kann.
Jeder von uns ist einst schon seinen grössten Ängsten in seinen Träumen begegnet.
Cato war furchtlos gewesen. Doch seit den Spielen plagten selbst ihn die Träume. Wie er sie verlor, immer und immer wieder. Jede Nacht. Fast jedes mal wenn er die Augen schloss, lag Clove vor ihm. Reglos. Leblos.
Cato hatte Clove nicht nur seine Liebe gegeben. Sie hatte die Macht ihn zu zerstören. Ihr Verlust würde er nicht überleben. Egal auf welche Weise sie gehen würde.
Das Messermädchen war seine grösste Angst geworden.
Clove hatte irgendwann aufgehört viel zu schlafen. Der Schlaf selbst war eine ihrer unzähligen Ängste geworden. In ihrem Traum sah sie Katniss. Sie sah Katniss und Peeta. Das kleine Mädchen, die Schwester des Feuermädchens. Aber meist sah sie sich selbst. Nicht in Form eines Monster. Sondern als ihre eigene Mutter, zu der sie über die Jahre geworden war. Ihr ganz persönliches Monster. Und dann sah sie sich selbst wie sie Cato tötete. In der Arena, als er schlief und sie über ihm kniete.
Irgendwann gehörte die Müdigkeit einfach zum Alltag. Niemand fragte die beiden was sie geträumt hatten. Zumal sie so wie so nicht darüber reden würden.
Aber die Nächte waren Still. Clove schrie nicht. Cato bewegte sich kaum.
Dennoch wussten beide, dass der andere sich gleich fühlte. Nicht weil sie darüber sprachen oder weil sie sich gegenseitig nächtliche Besuche machten. Sie wussten es daran wie sie einander Morgens ansahen. Es war wie ein Gespräch unter Leidensgenossen. Bloss durch einen Blick sagten sie einander wie schlimm es diese Nacht gewesen war.
Cato hatte wieder diesen Traum gehabt. Wie er die Salbe auf Cloves Wunde auftrug und sich ihr Körper dann in diese schleimige Masse verwandelte und in seinen blossen Händen dahin schmolz.
Cloves Traum war nicht anders. Sie hatte einmal mehr geträumt wie schön Katniss Leben geworden wäre. Wie sie ihre Schwester umarmt. Wie sie und Peeta heiraten. Wie Snow sich für die beiden gefreut hätte, denn sie hatten eine Liebe die echt gewesen war.
Beide schwiegen am Frühstückstisch. Essen gehörte zu Cessicas wenigen Aufträgen auf ihrem Tagesplan, die sie täglich ausführen mussten. Auch wenn ihnen nach den Alpträumen kein bisschen danach war.
Clove kaute lange auf ihrem Brötchen herum und beobachtete wie Cato sich zu einer Tasse Kaffee zwang.
"Die Feier heute Abend wird...G-R-A-N-D-I-O-S", schwärmte Cessica. Es war natürlich nicht ihre erste Tour der Sieger. Aber sie freute sich auf alles wie ein kleines Kind.
"Snow hat seinen Palast wunderschön gestalten lassen. Dieses Jahr soll er sogar ein wenig mehr bezahlt haben für das Feuerwerk. Das munkelt man zumindest", verkündete sie stolz.
Keiner der anderen war wirklich beeindruckt davon, aber sie alle spielten ihre Bewunderung gekonnt.

Eine Dusche im Kapitol ist nichts worauf man sich freuen konnte. Das Wasser war ungewöhnlich heiss. Und es roch nach Rosen. Wie eigentlich alles hier. Doch in der Dusche war dieser Geruch besonders stark. Als wollte Snow all seine Bewohner in seinem persönlichen Lieblingsduft ertränken.
Clove hielt den Atem an. Solange sie konnte. Bis sie prustend nach Luft hechelte und dann wieder von vorne anfing. Sie trocknete sich ab bis ihre Haut rot wurde. Doch der Geruch wich nicht von ihrer Seite - oder ihrem Körper.
Cato kämpfte mit der guten Laune der Bewohner. Er musste sich oftmal zusammen reissen, die Leute die vor dem Trainingscenter standen und sie durch alle möglichen Scheiben zu sehen versuchten, nicht mit irgendetwas zu bewerfen.
An diesem Tag, dem letzten der Tour, beschloss Cato Clove etwas zu zeigen.
Er brauchte lange um sie zu überzeugen ihr Zimmer zu verlassen aber dann begleitete sie ihn.
Cato brachte sie aufs Dach. Brutus hatte ihm davon erzählt. Zuerst hielt er es für keine gute Idee, was sich aber änderte als sie oben ankamen. Die Höhe war unheimlich. Man fürchtete das Fallen. Aber gleichzeitig fühlte man sich frei. Von hier aus konnte man alles sehen und man glaubte beinahe die Wolken mit den Fingerspitzen berühren zu können.
Clove war überwältigt. Einige Minuten sagte sie gar nichts und starrte bloss in die Ferne, sie betrachtete ihre Welt, die Welt in der sie lebte. Panem, die Berge am Horizont.
Und Cato wechselte seinen Blick zwischen ihr und dem zart blauen Himmel. Ganz gleich wie lange er darüber nachdachte. Sie war und blieb das schönste was er sah. Wie sie dort stand. Völlig ohne Make-up. Mit Sommersprossen auf Nase und Wangen. Die Art wie der Wind ihre Haare nach hinten wehte. Wie sie mit den Fingern ihre Hand massierte.
Die beiden setzten sich einige Meter vom Rand des Daches entfernt.
"Du hast sie auch oder?", fragte Clove.
"Die Träume?"
Clove nickte. Cato grinste.
"Jede Nacht", sagte er dann.
Dann schwiegen sie. Selbst in diesen kurzen Phasen, in denen keiner von beiden ein Wort über die Lippen brachte, war es kein bisschen komisch zwischen ihnen. Selbst Stille war wunderschön wenn sie, sie gemeinsam hatten.
"Wie war ich früher?" Clove wischte sich die Haare aus dem Gesicht und versuchte, geblendet von der Sonne, Cato anzusehen, "Vor den Spielen meine ich."
Cato überlegte. Eigentlich kannte er sie kaum. Nur von den kurzen Malen in denen er sie gesehen hatte.
"Du warst still. Niemand wusste wer du warst und was du denkst", antwortete er.
"Du warst ein Macho. Arrogant und Faul", erwiderte Clove.
Cato lachte. Das stimmte, er war unerträglich gewesen.
"Wieso hast du nie mit jemandem gesprochen?", fragte Cato.
"Ich brauchte keine Freunde und ich wollte auch keine. Und bemerkt habt ihr mich eh nie", sagte sie und zuckte mit den Schultern.
"Du bist jeden Tag um vier Uhr aus der Schule gekommen. In der Mittagspause warst du immer draussen, hast etwas gegessen oder gelesen. Und trainiert hast du im letzten Zimmer rechts." Cato legte die Stirn in Falten und lehte etwas zurück. Nun lächelte auch Clove.
"Bist du ein Stalker oder so etwas?", fragte sie lachend.
"Nein. Aber ich habe das Mädchen mit den dunklen Haaren nur einmal schiessen sehen müssen um zu wissen das ich mehr erfahren will", erklärte er.
"Nun herzlichen Glückwunsch, du bist lebenslänglich an sie gebunden"
"Ich wünschte du würdest das freiwillig sagen", sagte er seufzend.
Und damit endete Cloves Grinsen. Sie liebte Cato. Aber es auszusprechen  war wie ein Versprechen zu geben. Ein Versprechen ihn zu lieben. Ihm zu gehören. Ihn nicht zu verletzten. Und dass konnte sie nicht.

Clove und Cato - Rache ist weissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt