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Kurz nachdem Alex geklingelt hatte, öffnet sich schon die Tür. Eine Frau mit kurzen lockigen Haaren und Brille kommt dahinter zum Vorschein. Dass sie Alex' Mutter ist kann man sofort erkennen. Alex ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Hinter ihr erscheint ein Mann mittleren Alters. Beide lächeln uns freundlich an.

"Hallo Mama. Hi Dad. Das ist Melissa."

"Willkommen im schönsten Land der Erde, Melissa. Ich bin Karin und das ist mein Mann Henry."

"Freut mich Sie beide kennenzulernen. Es ist wirklich sehr schön hier.", sage ich und gebe beiden kurz die Hand.

"Na, na. Du kannst ruhig du sagen. Aber kommt doch erstmal rein. Vielleicht wollt ihr ja erstmal deinen Koffer hochbringen? Das Essen braucht sowieso noch einen Moment. Oh und die Sonne geht gleich unter. Das solltest du dir ansehen."

Karin redet einfach drauf los und hört erst wieder auf, als ihr Mann Henry sie mit sich zieht. Sie erinnert mich etwas an Kate, aber meinem ersten Eindruck nach sind sie wirklich nett. Alex nimmt meinen Koffer und trägt ihn die Holztreppe hoch. Ich folge ihm.

"Meine Mutter wollte unbedingt, dass Nathan und ich jeder ein Zimmer hier bekommen, damit wir quasi einen Zufluchtsort haben.", sagt er, während er die Tür zu seinem Zimmer öffnet.

Es ist ein kleiner Raum mit einem Bett und einer Kommode, aber aufgrund von Postern an den Wänden und einer beachtlichen Büchersammlung wirkt alles sehr gemütlich und schön.

"Es ist doch okay wenn wir im selben Bett schlafen oder?"

"Ja, klar." Etwas abwesend sehe ich aus dem Fenster. Die Sonne steht schon sehr tief.

"Möchtest du rausgehen?"

"Gerne. Ich mache mich nur eben etwas frisch, wenn das in Ordnung ist."

"Natürlich. Komm, ich zeige dir das Badezimmer."

Als wir das Haus wieder verlassen können wir einen wunderschönen Sonnenuntergang bestaunen. Alex lässt mich eine Weile gucken und ein paar Fotos machen, dann bittet er mich aber wieder mit reinzukommen, mit der Begründung dass er noch eine Überraschung für mich habe, die ich erst später sehen soll. Etwas verwirrt, weil es mir vorkommt als passe das was Alex sagt nicht ganz zusammen, folge ich ihm zurück in das kleine Zimmer unter dem Dach. Wir unterhalten uns etwas über das kleine Dorf, als mein Handy in meiner Tasche vibriert.

Ich ziehe nach Düsseldorf. Du hattest Recht, das wird großartig. xx

Beim Lesen von Fabians Nachricht muss ich lächeln. Mein bester Freund kommt zurück und wir werden uns bald wieder täglich sehen können. Es ist, als gäbe man mir ein Stück Kindheit zurück, mit der Änderung, dass wir wohl nur noch Erwachsenen-Dinge tun werden. Aber das ist egal, hauptsache wir sind wieder in der selben Stadt.

"Wieso grinst du denn so? Von wem ist die Nachricht?" Alex beginnt mich zu kitzeln und entzieht mir mein Handy. Oh nein, das darf jetzt nicht falsch rüber kommen.

"Wer ist Fabian?"

"Mein geheimer Lover. Eigentlich bist du nur zweite Wahl."

"Haha, witzig. Ist das der Typ von den Bildern?"

"Welche Bilder?" Ich habe nicht die leiseste Ahnung wovon Alex spricht.

"Guckst du eigentlich nie mal ins Internet? Es gibt Bilder von dir mit einem Mann in Düsseldorf. Man glaubt schon, dass du mich nur hintergehen willst."

"Ich lese keine Klatschmagazine. Das ist Fabian. Wir sind seit unserer Kindheit beste Freunde, weil wir mal Nachbarn waren. Er wohnt in Köln, weil er dort studiert hat und Kate hat ihn zum Wiedersehenskaffeekränzchen eingeladen und er hat danach bei mir geschlafen."

"Auf dem Sofa.", füge ich beim skeptischen Blick von Alex hinzu.

"Beste Freunde also?"

"Wir waren tatsächlich mal zusammen. Aber es passte von beiden Seiten nicht und ich bin tierisch froh, dass das unsere Freundschaft nicht zerstört hat. Du bist jetzt aber nicht eifersüchtig oder? Dazu gibt es wirklich keinen Grund, okay?"

Schliesslich triffst du dich ja auch mit anderen Mädchen füge ich in Gedanken hinzu, aber ich spreche es nicht aus, weil ich ihn nicht verärgern möchte. Wir müssen immerhin noch das Essen mit seinen Eltern überstehen.

"Okay."

Ich beuge mich vor, um ihm einen Kuss zu geben. Alex ist so niedlich wenn er schmollt. Wie ein kleiner Junge. Alex erwidert den Kuss kurz, lässt dann aber wieder von mir ab, denn Karin ruft zum Essen.

Unten ist sie gerade dabei die Töpfe auf den Tisch zu stellen. Ich folge ihr in die Küche und nehme ebenfalls einen Topf und bringe ihn ins Esszimmer.

"Danke, das ist wirklich lieb."

Im Esszimmer sitzen Henry und Alex schon und unterhalten sich. Ein gut gebauter Mann steht am Fenster und wendet mir den Rücken zu. Erst als ich ihn antippe dreht er sich zu mir um.

"Hey Nathan."

"Melissa." Er schließt mich kurz in seine Arme. Dann nehmen auch wir Platz und nachdem Karin die letzte Schüssel auf dem Tisch platziert hat, setzt auch sie sich und wir beginnen mit dem Essen. Karin ist eine wirklich gute Köchin, aber sie hat wahrscheinlich viel zu viel gemacht.

"Wie gefällt es dir denn bis jetzt so in Island, Melissa?", fragt Henry. Er scheint mir eher der zurückhaltende Typ zu sein, denn er spricht wenig und überlässt die Fragerei eher seiner Ehefrau.

"Sehr gut. Ich meine, ich habe die Landschaft nur vom Auto aus sehen können, aber es gefällt mir wirklich sehr. Hier ist so viel Natur und die Luft ist so frisch. Ich kann wirklich verstehen, dass es euch hier her gezogen hat."

"Ja, das stimmt. Es ist sehr ruhig hier. Weißt du, in Blönduós ist es nicht gerade warm und manchmal ist es vielleicht auch etwas einsam, aber es ist doch eine ganz schöne Gegend und für Leute wie Karin und mich ist es perfekt."

"Es ist aber nicht so, als würden wir Deutschland nicht mögen. Wir vermissen unsere Söhne tierisch, aber Island ist einfach die Ruhe nach der wir uns gesehnt haben.", ergänzt Karin.

Mir gefällt sehr, dass sich das Gespräch nicht die ganze Zeit um Alex und mich dreht, wie es sonst immer der Fall gewesen ist. Ab und zu tauchen auch Fragen über uns auf, aber es hält sich sehr in Grenzen.

"Aber vermisst ihr nicht manchmal auch den warmen Sommer? Oder fahrt ihr trotzdem ab und zu mal in den Urlaub und besucht wärmere Gebiete?", frage ich interessiert. Für mich wäre ein Leben in dieser Kälte das ganze Jahr über äußert schwierig und gewöhnungsbedürftig.

"Wisst ihr, Melissa und Alex stehen eher auf heißes.", sagt Nathan mit einem großen Grinsen auf dem Gesicht. Ich verschlucke mich an meinem Wasser und fange an zu husten, Alex lässt seine Gabel auf den Teller fallen.

"Nathan.", zischt er und versucht gute Mine zum bösen Spiel zu machen.

"Was denn? Es ist doch nur die Wahrheit."

"Ich hasse diese Insider-Witze.", murmelt Henry.

"Gibt es da etwas, was wir wissen sollten?", fragt Karin, während sie sich den Mund an der Serviette abtupft.

"Nathan hat gesehen wie Melissa und ich uns geküsst haben.", erklärt Alex. Ich sehe verlegen auf meinen Teller.

"Nathan.", sagt auch Karin nun entrüstet und schlägt ihm die Serviette sanft drohend auf die Schulter. "Habe ich dir gar keine Manieren beigebracht? Du machst Melissa ganz verlegen."

Nathan kriegt sich vor Lachen kaum noch ein. Als er jedoch den bösen Blick seiner Mutter bemerkt, murmelt er eine Entschuldigung und wendet sich wieder seinen Teller zu.

Ja, ich glaube in dieser Familie könnte ich mich wohl fühlen.

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