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17:53 Uhr. Ich trage meine Uniform für das Kellnern und meine Haare habe ich zu einem tiefen Pferdeschwanz zusammengebunden. Mein Auto steht bereits auf dem Parkplatz vorm Restaurant von Tobias' Eltern. Soweit ich weiß, hatte er die Schicht vor mir, sodass er nicht mehr da sein sollte. Und selbst wenn, wo ist das Problem kurz hallo zu sagen?

Ich trage schnell eine weitere Schicht meines roten Lippenstiftes auf und kontrolliere ihn im Rückspiegel. Immerhin sehe ich wacher aus als ich mich fühle. Seufzend öffne ich die Tür und schnappe meine Handtasche vom Beifahrersitz. Dann schließe ich mein Auto ab und betrete das kleine Restaurant, in dem ein paar Gäste sitzen. Hinten in einem kleinen Raum kann ich meine Handtasche ablegen und noch einmal in den Spiegel sehen.

"Melissa, wie schön dich hier zu sehen.", begrüßt Maria mich. Tobias' Mutter, eine Frau mit langen dunklen Haaren und ihrem perfekten Aussehen. Sie hat einen leicht südländischen Touch, im Gegensatz zu Tobias, der ganz nach seinem Vater blond und blauäugig ist.

"Hey, wie geht es dir? Ich hatte heute nichts vor deshalb dachte ich mir, dass ich gut mal vorbeikommen könnte."

Ich schnappe mir Stift und Block und stecke beides in die Tasche meiner Schürze.

"Uns geht es sehr gut. Ich muss jetzt wieder in die Küche. Es ist sehr schön dich wieder hier zu haben und du siehst wirklich gut aus."

"Danke, Maria."

Ich begebe mich zu den Gästen. Wenn sich welche setzen bringe ich ihnen die Speisekarte und wenn sie sich ihre Menüs ausgesucht haben nehme ich ihre Bestellung auf, welche ich ihnen anschließend bringe. Es läuft sehr gut. Die Gäste sind zufrieden und ich bekomme sehr viel Trinkgeld. Maria setzt sich immer wieder dafür ein, dass wir das Trinkgeld komplett für uns alleine haben. Ihr Mann findet das zwar nicht so toll, aber ich bin froh, dass es so ist wie es ist.

Aus den Lautsprechern von der Decke kommt laute Musik, die den ganzen Raum erfüllt. Die Bar wird geöffnet. Trotzdem bleibt die Atmosphäre ruhig und angenehm. Es wird die ganze Zeit TheFitzaFrenic gespielt. Ich war einmal gemeinsam mit Tobias in Dublin und an einem Tag hat die Band auf der Grafton Street gespielt. Wir sind stehen geblieben und haben uns das gesamte Straßenkonzert angesehen. Ich war so begeistert, dass ich sofort zwei CDs gekauft eine und eine haben wir dann Tobis Eltern geschenkt. Seitdem läuft hier eigentlich jeden Tag die selbe Musik. Aber sie ist angenehm. Typische irische Pubmusik, bei der es sich gut essen und den Abend genießen lässt und das ist schließlich was ein Restaurant ausmacht.

Als ich gerade einem Pärchen das Essen bringe und mich wieder zurückziehen möchte, geht die Tür des Restaurants auf. Sofort wird mir heiß und kalt, denn kein anderer als Tobias betritt den Laden. Okay, es ist das Restaurant seiner Eltern und er konnte nicht wissen, dass ich hier bin. Vielleicht war das doch eine doofe Idee. Immerhin scheint er genauso überrascht wie ich, denn er sieht ebenfalls dumm aus der Wäsche.

"Hey."

Seine ersten Worte nach unserer Trennung. Naja, nachdem ich wutentbrannt aus unserem Schlafzimmer gestürmt bin und mich tagelang bei Kate und Dean versteckt habe. Seine Stimme ist so vertraut, dass es mich für einen Moment aus der Bahn bringt und ich ihn nur anstarre. Ich habe keine Gefühle mehr für ihn, eigentlich bin ich noch ziemlich sauer, aber dieses große Stück Vergangenheit kann man nicht einfach ausradieren.

"Hey."

Mein Mund ist trocken. Die Situation ist äußerst unangenehm und ich würde am liebsten weglaufen. Aber ich bin erwachsen. Ich werde mich dem stellen müssen.

"Ich ähm.. Ich wusste nicht dass du hier bist. Ich hab nur meine Schlüssel vergessen, bin gleich wieder weg."

Ich wusste, dass du eigentlich nicht hier sein solltest.

"Nein, ist schon okay. Ist schließlich das Restaurant deiner Eltern."

"Tut mir echt leid. Ich.."

"Tobias", unterbreche ich ihn. Als er seinen Namen aus meinem Mund hört schreckt er auf und sieht mich an. Gott, wo führt das nur hin? "Ich komme klar."

"Okay."

"Tobias. Schatz, was machst du denn hier?" Maria kommt auf ihn zugelaufen und macht die Situation noch schlimmer als ohnehin schon. Mein schlimmster Albtraum wird gerade wahr.

"Ich hab meine Schlüssel vergessen, Mom.", antwortet er und geht schnellen Schrittes an ihr vorbei.

Erleichtert atme ich auf und entschuldige mich kurz Maria, um die Toilette aufzusuchen. Dort verharre ich so lange, bis ich sicher sein kann, dass Tobias nicht mehr da ist. Dann erst arbeite ich weiter. Ich war für die Konfrontation alles andere als bereit. Es ist nicht so, als täte es weniger weh, nur weil wir so lange nicht mehr zusammen sind, aber mit seiner Aktion hat er auch meinen Stolz verletzt. Ich war ihm nicht mehr gut genug, also hat er sich eine andere gesucht. Ich hoffe, dass mir das nie wieder passieren wird. Ich will diese Bilder nicht noch einmal erleben müssen. Dieser Schmerz, der Schock, das Entsetzen.

Am Ende des Abends habe ich gut verdient. Ich werde wohl die nächsten Wochen über die Runden kommen und ein Kleid kann ich auch irgendwie finanzieren. Aber ich werde wieder öfter hier arbeiten müssen. Nur bis zum Examen.

Ich falle erschöpft ins Bett. Meine Laune ist ziemlich auf dem Tiefpunkt, dabei wusste ich doch, dass es irgendwann so weit kommen würde. Und es hätte mich viel schlimmer treffen können. Meine Gedanken schweifen zu Alex. Was macht er wohl gerade? Arbeiten? Würde er mir das was Tobias mir angetan hat je antun? Nein, bestimmt nicht.

Was mache ich nur, wenn er sich für eine andere entscheidet? Das ist schließlich immer noch nicht so abwegig. Amy und er hatten ein Kind. Wenn er ihr eine Rose gegeben hat, bin ich so gut wie raus. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass er genau das getan hat und dass das nicht gut gehen kann.

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