Kapitel 3

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Am Anfang setze ich mich erst einmal auf einen Stuhl ihm gegenüber und beobachte ihn. Ich spreche ihn jetzt nicht gleich an, denn ich will nicht, dass er sich unter Druck gesetzt fühlt. Dann wird er sicherlich nur so wenig antworten wie möglich, doch ich will, dass er sich mir öffnet. „Wie lange willst du mich jetzt noch anstarren?", fragt er deshalb nach ein paar Minuten und er sieht mich provozierend an. Okay ... Angst scheint er zumindest schon einmal nicht zu haben, was sicherlich seine Vorteile haben wird. „Ich bin May und hier die Anführerin. Ich begrüße dich, Stock, du bist hier auf der schönen Lichtung bei uns gelandet. Ich weiß, du wirst doch wahrscheinlich an nichts außer deinem Namen erinnern, doch wir werden dir helfen, dass dein Leben hier so angenehm wie möglich wird. Du brauchst gar nicht zu fragen, wo die anderen Jungen sind, du bist nämlich der einzige hier", ich mache kurz ein Pause von meinem Redeschwall, den jeder Frischling über sich ergehen lassen muss und laufe ein Stück im Raum umher, „noch etwas: dass ich die Anführerin bin, bedeutet, du sollst mir gegenüber Respekt zeigen, deswegen unterlasse solche spitzen Bemerkungen in Zukunft!" Nun sieht der Junge wirklich etwas verwirrt aus. „Mein Name ist Newt und ich erinnere mich tatsächlich an nichts mehr, außer noch an eine Sache ... Ich brabbele die ganze Zeit diesen einen Namen vor mich hin: Sonya. Ich weiß, dass sie meine Schwester ist, woher ich das weiß, weiß ich aber nicht und ich habe auch keine Ahnung, wie sie aussieht, doch ich habe einfach dieses Gefühl der Verbundenheit." Er steht nun ebenfalls auf. „Ich habe das Gefühl, dass das hier gleich eine Inquisition werden wird, obwohl ich eigentlich doch gar nicht wissen dürfte, was das ist, und ich kann es wohl nicht vermeiden, doch ich bitte dennoch, dass ich mit Sonya sprechen darf. Ich fühle, dass sie hier ist." Was ist denn das für ein komischer Kauz? Der kann einem ja wirklich Angst einjagen. Doch er ist der einzige, der sich außer an seinen Namen an noch etwas anderes erinnert. Das muss doch ein Zeichen sein. Deshalb beschließe ich, so gnädig zu sein und Sonya hier zu uns zu holen. Wer weiß, vielleicht löst es etwas in ihr aus, wenn sie mit ihm spricht. Newt sieht mich flehend an, woraufhin ich nach draußen gehe und Sonya suche. Sie spricht gerade mit Anne, blickt aber sofort zu mir, als ich auf sie zukomme. „May, ist was passiert? Du siehst ziemlich durcheinander aus. Soll ich dir helfen?" Ich nicke. „Komm bitte mit! Unser Frischling möchte mit dir sprechen. Ich sage dir jetzt noch nicht, wieso, ich will nämlich nichts beeinflussen." Nun sieht Sonya mich so verwirrt an, wie ich sie sicherlich gerade gesehen haben muss. Ohne zu zögern, packe ich sie am Handgelenk und trete mit ihr zu Newt. Ich setze mich wieder auf meinen Stuhl, versuche damit, dass das hier alles einen natürlichen Lauf nimmt. Sonya streicht sich eine strohblonde Strähne aus dem Gesicht und sieht mich an. „May, was ist denn nun? Kannst du mich bitte etwas aufklären?" Ich will gerade etwas antworten, als Newt das schon übernimmt. „Sonya?" Sie dreht sich verwirrt zu der Stimme um und sieht in der ersten Sekunde noch verwirrter an, warum er denn ihren Namen kennt. „Newt", flüsterte sie dann seinen Namen. Moment einmal! Woher kennt sie denn seinen Namen? Das ist doch völlig verrückt! Ich bin mir so sicher, dass ich ihn nicht erwähnt habe und außer mir weiß ihn hier keiner. Sie hat ja nicht mit ihm alleine gesprochen, das hätte sie mir gesagt. „Bist du es wirklich?", fragt dieses Mal wieder Newt und ich höre, dass er am Schluchzen ist, als wollte er nicht, dass er anfängt, zu weinen. Was ist denn jetzt auf einmal los? Gibt es hier irgendwo eine versteckte Kamera und die beiden veräppeln mich und kennen sich doch? Sonya fängt nun ebenfalls an, zu schluchzen und rennt auf ihn zu. Sie wirft sich ihm in die Arme, während ich höre, dass sie wie ein Schlosshund weint. Ich glaube, ich sollte die beiden nicht so anstarren, da dieser Moment sicherlich ziemlich intim für sie ist, doch ich kann meinen Blick einfach nicht von den beiden abwenden. Newt, wie er Sonya an sich drückt, als hätte er sein ganzes Leben lang nach ihr gesucht und nun endlich wiedergefunden. Für ihn muss das sich sicherlich auch so anfühlen. „Du bist mein Bruder. Mein großer Bruder. Ich erinnere mich, dass wir als kleine Kinder zusammen gespielt haben, eine einzige kleine Erinnerung. Doch obwohl du jetzt völlig anders aussiehst, spüre ich diese Verbundenheit einfach. Ich bin gerade so froh, dass ich es nicht beschreiben kann. Wie ist das nur möglich? All die Jahre wusste ich nicht, wer du bist!" Die beiden lösen sich langsam aus der Umarmung, legen sich dann allerdings die Hände an das jeweilige Gesicht des anderen und tasten das Gesicht ungläubig ab, als könnten sie nicht glauben, dass das hier wirklich passiert ist. Langsam bin ich auch richtig gerührt. Die Verwirrung hat nun Platz gemacht, für ein wirklich großes Glücksgefühl. Ich bin so froh, meine beste Freundin so unendlich glücklich zu sehen. Es ist der erste richtige Glücksmoment, seit wir alle hier sind. Sie sind vereint, das ist einfach zu wundervoll, um zu wahr zu sein. „Sonya, ich muss dir etwas sagen! Ich habe diesen Zettel in meiner Hand gehabt. Ich erinnere mich, dass ich das Ende auslösen soll. Die letzte Etappe beginnt und ab nun wird das Leben auf der Lichtung noch viel schwerere werden. Ich weiß nicht, woher ich das weiß. Ich erinnere mich nur an ein Gefühl, als wenn ich ertrinken würde und Stimmen, die wispern, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Dass wir uns beeilen sollen, die Griewer kommen würden und dass der Weg aus dem Labyrinth unsere einzige Rettung sein würde." Trotz dieser freudigen Atmosphäre, die gerade herrscht, krampft sich mein Magen zusammen, als ich das höre. Denn ich weiß, dass er recht hat. Ab nun müssen wir alle auf der Hut sein.

The Maze Girl [Maze Runner/Newt]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt