Dana
»Ich bin morgen um diese Zeit wieder bei dir, mein Schatz. Ich verspreche es«, sagte er nun schon zum tausendsten Mal, doch ich wollte ihn einfach nicht gehen lassen. Ich konnte nicht. Das letzte Mal, als er mich verließ musste ich vier Tage auf seine Rückkehr warten und dann noch weitere drei bis er aufwachte, weil er verletzt wurde.
Nicolas, der wohl erkannte worin das Problem lag, nahm mein Gesicht in seine warmen Hände. »Ich komme zurück zu dir. Versprochen. Nichts und niemand hält mich von meiner Prinzessin fern. Morgen, wenn die Sonne untergeht, bin ich wieder bei dir, einverstanden? Und dann werde ich dich küssen bis du ganz vergessen hast, dass ich überhaupt weg war.«
Er küsste mich sanft auf die Lippen um das Gesagte zu untermalen. Auch wenn ich Nicolas vertraute und wusste, dass er unter allen Umständen zu mir zurückkehren werden wird, wollte ich ihn schlicht und ergreifend einfach nicht gehen lassen. Er sollte bei mir bleiben. Vor allem nach dem Zwischenfall mit der Königin fürchtete ich mich ohne ihn zu sein. Und wie sollte ich die Nacht ohne ihn überstehen. Ich brauchte ihn.
Ich barg meinen Kopf an seiner Brust. Schniefend schüttelte ich den Kopf, wollte ihn nicht loslassen. Ich war doch nur mit ihm ins Schloss gekommen um bei ihm zu sein und nun musste er mich erneut verlassen. Konnte er denn niemanden schicken, der das, was auch immer er zu tun hatte, für ihn erledigte? Er war der Kronprinz. Weshalb konnte er nicht einfach jemanden beauftragen dies für ihn zu erledigen?
Beruhigend strich er mir mit den Händen den Rücken auf und ab. »Schsch«, machte er leise, wie jedes Mal, wenn er versuchte mich zu besänftigen. »Alles ist gut, mein Schatz.« Er trat einen kleinen Schritt zurück um mir in die Augen blicken zu können. »Weißt du es hat sogar einen Vorteil, dass ich einen Tag lang nicht da bin«, meinte er mich auf einmal liebevoll anlächelnd.
Verwirrt erwiderte ich seinen Blick. Woran lag darin denn ein Vorteil? Ich sah nur Negatives. Er sollte nicht weggehen. Abermals kuschelte ich mich an seine Brust, nicht gewillt ihn loszulassen.
»Schatz, lass mich doch ausreden, bevor du voreilig darüber urteilst«, ermahnte mich Nicolas spielerisch. Ich konnte sein Grinsen förmlich aus seiner Stimme heraushören. Ihm gefiel es wohl, dass ich ihn nicht loslassen wollte. Wäre es nicht tatsächlich so, dann würde ich nun auf ihn wütend sein.
Einen Kuss auf meine Schläfe hauchend, fuhr er fort: »Hab ich dir schon über Lina erzählt?«
Augenblicklich versteifte ich mich. Wenn sie eine dieser Adelsdamen, von denen seine Mutter ständig schwärmte, dass sie so viel geeignetere Schwiegertöchter wären, war, dann würde ich nie wieder mit ihm reden. Kurz machte mich mein eigener Gedanke stutzig, dann bemerkte ich meinen Fehler und wunderte mich, dass ich das überhaupt gedacht hatte. Ich musste zugeben, dass es mir so vorkam als würde ich ganz gewöhnlich mit Nicolas sprechen. Doch dem war nicht so. Ich sprach nicht. Nur er. Und dennoch verstand er jedesmal problemlos was ich sagen wollte. Es war seltsam, dass unsere Beziehung daran noch nicht gescheitert war. Allerdings bezweifelte ich, dass Nicolas das zulassen würde. Auch wenn er mir Zeit gab um mich an die neue Situation zu gewöhnen, hieß das noch lange nicht, dass er vorhatte mich jemals wieder gehen zu lassen. So endgültig dies auch klang, mir war bewusst, dass Nicolas sich einfach kein Leben mehr ohne mich vorstellen konnte und es auch überhaupt nicht wollte. Und ich ebenfalls nicht, wenn ich ehrlich war.
»Lina ist James Gefährtin und sie würde dich gerne kennenlernen«, erzählte er weiter.
Auf der Stelle wich die Anspannung aus meinem Körper. Ich erinnerte mich. In seinem Brief hatte er sie erwähnt. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, wenn ich daran dachte. Ich hatte seinen Brief, den er mir damals, als er mich das erste Mal verlassen musste, geschickt hatte, als eine der wenigen Dinge, die ich von Zuhause hierher mitgenommen hatte, nicht zurücklassen können. Er lag unter meinem Kopfkissen. Als er bei seiner Ankunft verletzt wurde und drei Tage lang geschlafen hatte, pflegte ich seinen Brief neben seinem Bett sitzend zu lesen. Es half mir beim Einschlafen und als hätte ich es geahnt, hatte ich ihn mitgenommen um ihn mir durchzulesen, wenn ich nicht schlafen konnte.
»James hat mir erzählt, dass sie sich schon auf dich freut und am liebsten sogar schon früher hergekommen wäre, doch wurde sie von James selbst sehr in Beschlag genommen«, erzählte er grinsend. »Doch jetzt hat sie Zeit, weil James mit mir mitkommen wird. Ich bin mir sicher, ihr werdet euch gut verstehen.«
Mittlerweile hatte ich mein Gesicht zwar ihm zugewandt, jedoch lehnte ich immer noch an seiner Brust und hatte nicht vor ihn in nächster Zeit aus meiner Umklammerung zu entlassen. Seinen einen Arm um meine Taille geschlungen und mit der anderen Hand Kreise auf meinen Oberarm malend, sah er mich verträumt an.
»Ich könnte ewig so stehen bleiben«, sprach er meine Gedanken aus. Ich nickte bloß zustimmend.
Seine kristallklaren Augen suchten meine. Obwohl er dieselben Augen hatte wie die Königin fand ich doch, dass sie wunderschön waren. Seine strahlten Wärme aus, vor allem, wenn er mich ansah. Es brachte mein Herz jedesmal zum Flattern, wenn er mich so zärtlich und liebevoll anblickte. Ich fühlte mich dadurch stets wie das Wertvollste auf der Welt. Wahrscheinlich fühlte sich jede Gefährtin so, wenn sie diesen Blick von ihrem Liebsten zugeworfen bekam.
»Nicolas, bist du soweit?«, unterbrach der König unseren Moment.
Widerwillig bejahte dieser, sah jedoch weiterhin mich an.
»Nicolas!«, rief sein Vater erneut, trat zu uns und als er uns erblickte, lächelte er nachsichtig, »Verabschiede dich noch ordentlich und mach dich dann bitte auf den Weg. Je schneller du gehst, desto schneller bist du wieder da.«
»Ja, Vater«, meinte er nur vollkommen in seinen Gedanken gefangen.
Abermals traten mir die Tränen in die Augen. Nein. Mein Griff um ihn verstärkte sich. Ich brauchte ihn doch. Meine Finger, die sich an seinem Rücken in sein Hemd krallten, zerknitterten dieses.
»Dana, ich liebe dich, das weißt du. Ich komme so schnell ich kann zurück.« Er drückte mich behutsam von sich. Obwohl ich mich an ihn klammerte, schaffte er es einen kleinen Abstand zu erzeugen. »Bitte, mach es nicht schwerer als es ist.«
Seine rauen Finger wischten mir sanft die Tränen von den Wangen weg. Während er die Hände auf meine Wangen ließ, beugte er sich vor und küsste mich auf die Stirn. Als er mir einen Kuss auf die Nasenspitze gab, musste ich unwillkürlich kichern. Auch auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln. Wir sahen uns einen Moment lang an. Ich wollte ihn immer noch nicht gehen lassen, allerdings verstand ich, dass meine Meinung in diesem Fall nicht von Bedeutung war. Das Volk ging vor, auch wenn Nicolas stets das Gegenteil behauptete. Solange er der Kronprinz war, musste er sich um das Volk kümmern und statt ihn dabei zu behindern, sollte ich anfangen weniger egozentrisch zu sein und ihn unterstützen.
Mit diesem neuen Vorsatz richtete ich mich auf meinen Zehenspitzen ein wenig auf und gab ihm meinerseits einen Kuss auf das Kinn. Seine Lippen konnte ich nämlich selbst auf den Zehenspitzen ohne seine Hilfe nicht erreichen.
Leise lachte er. »Na, ist meine Prinzessin etwa zu klein um mich auf den Mund zu küssen?«
Zuerst wollte ich schmollen, aber sein atemberaubendes Lächeln steckte mich an. Ich stellte mich wieder auf die Zehenspitzen und wartete diesmal, dass er mir entgegenkam, was er natürlich auch sofort tat.
Langsam bewegten wir unsere Lippen im Einklang zueinander bis Nicolas mit seiner Zungenspitze an meine Unterlippe stieß. Zögerlich öffnete ich ebenfalls meinen Mund. Diese Art von Kuss war mir noch relativ unangenehm, da er viel intimer war und ich kaum Übung darin hatte. Ich wollte zwar nicht daran denken, wie viele Frauen Nicolas wohl vor mir geküsst hatte, doch es mussten einige sein, sonst könnte er schließlich nicht so gut küssen.
Wie auch beim letzten Kuss ließ ich mich komplett von ihm leiten und ahmte so gut es ging seine Bewegungen nach. Wie auch beim letzten Mal war der Kuss wundervoll und berauschend.
»Dominik wird hier bleiben und auf dich aufpassen. Wunder dich also nicht, wenn du ihn plötzlich in deiner Nähe siehst, obwohl du ihn zuerst gar nicht bemerkt hast«, erklärte mir Nicolas die Zügel seines Pferdes bereits in der Hand. »James kommt mit mir und Lina wird wie gesagt den heutigen und morgigen Tag mit dir verbringen. Wahrscheinlich wird meine Mutter euch Aufgaben für die Ballvorbereitungen aufgeben. Aber mach dir darüber keine Sorgen, ich habe bereits mit Lina darüber geredet und ihr bewusst gemacht, dass sie dich selbst dann nicht alleine mit ihr lassen soll und Dominik ist sowieso immer da. Wenn irgendwas ist, scheu dich nicht dich an ihn zu wenden. Dafür ist er schließlich da.«
Er schenkte mir eines seiner atemberaubenden Lächeln, ehe er erneut den Mund aufmachte um etwas zu sagen.
»Nicolas, kommst du endlich?«, rief James auf einmal dazwischen.
Genervt drehte dieser sich zu ihm. »Einen Moment noch!«
Ein Seufzen verließ seine Lippen, als er sich zu mir drehte. »Ich möchte nicht gehen, aber du weißt, dass ich muss. Mach dir einfach nicht zu viele Sorgen. Es wird schon alles gut gehen. Wir müssen nur schauen, ob die Probleme im Süden sich nicht ausbreiten. Dann lass ich eine Legion dort und die kümmert sich um die weitere Grenzsicherung, damit diese Ganoven nicht weiter randalieren können. Wenn ich dann wieder da bin, muss ich nur noch meinem Vater Bericht erstatten und das war es dann auch schon. Dann bin ich nur noch für dich da. Einverstanden?«
Ich nickte lächelnd. Es rührte mich wie er noch versuchte mir alles zu erklären, damit ich mir nicht allzu große Sorgen machte. Denn Sorgen würde ich mir machen, gleichgültig wie oft er noch betonte, dass ich es nicht sollte.
»Ich liebe dich«, flüsterte er an meinen Lippen, ehe er mir einen letzten Kuss darauf hauchte. Er war kurz und nicht annähernd so leidenschaftlich wie die vorigen, doch es störte mich nicht. Hauptsache er war derjenige, der mich küsste.
Nachdem er auf seinem dunkelbraunen Hengst davongeritten war, stand ich noch eine Weile im Schlosshof und sah ihnen nach, auch wenn ich sie schon lange nicht mehr sehen konnte. Ich hoffte bloß, dass er unverletzt zu mir zurückkehren würde.
»Eure Hoheit«, sprach mich auf einmal eine Person neben mir an.
Ich wandte mich dieser zu und erkannte eine junge Frau. Sie hatte blonde beinahe goldene Haare, die locker hochgesteckt worden waren, hellgrüne, strahlende Augen und viele kleine Sommersprossen, die ihre Nase umrahmten. Außerdem trug sie ein helles, rosafarbenes Kleid, das keine aufwendigen Verzierungen hatte wie die meisten meiner Kleider.
»Ich bin Lina«, stellte sie sich vor, als ich meine Musterung abgeschlossen hatte.
Einen Moment lang verwirrt, zog ich meine Augenbrauen zusammen, doch verstand kurz darauf sofort, dass dies James Gefährtin sein musste.
Lächelnd nickt ich ihr zu. Ich hatte zwar bemerkt, dass neben James eine Frau stand, von der er sich offenbar verabschiedet hatte, allerdings hatte ich gar nicht weiter darüber nachgedacht, sodass ich erst jetzt realisierte, dass diese Frau Lina war.
»Nicolas hat mich schon angekündigt, nicht wahr?«, versicherte sie sich.
Ich nickte immer noch lächelnd.
»Gut. Da uns die Königin noch nicht mit Aufgaben, die wir zu erledigen haben, überhäuft hat, würde ich sagen wir lernen uns erstmal etwas kennen. Was meinst du?«
Abermals nickte ich. Anschließend wies ich auf den Schlossgarten, der mich schon seit meiner Ankunft hier im Schloss faszinierte.
Lina verstand glücklicherweise recht schnell. Zusammen gingen wir den vorgegebenen Weg entlang und betrachteten das schöne Grün. Mittlerweile war es doch schon sehr kalt geworden. Es würde langsam Winter. Der Spätsommer mit seinem schönen Wetter streckte sich weit in den Herbst hinein, aber nun wurde er von der Kälte des Winters abgelöst. An den Blumen erkannte man dies am besten. Kaum welche waren nicht eingegangen und die wenigen, die noch blüten, verloren an Farbintensität.
»Ich habe von James gehört, dass es anfangs bei dir und Nicolas nicht sehr gut lief, aber o wie ich euch vorhin gesehen habe, scheint ihr euch mittlerweile ziemlich nah zu sein«, fing Lina zu sprechen an.
Meine Mundwinkel zuckten, als ich daran dachte, dass ich noch vor einigen Wochen nicht einen Gedanken an meinen Gefährten verschwendet hatte. Kein Wunder, dass ich mich anfangs ziemlich gegen Nicolas gesträubt hatte, vor allem da er noch der Kronprinz Ilonas war. Allerdings könnte ich mir jetzt ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen.
»Weißt du–«, fing Lina an, doch unterbrach sich erschrocken selbst. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und blickte mich aus weit aufgerissenen Augen an. »Es tut mir unendlich leid, Eure Hoheit. Ich habe gar nicht gefragt, ob ich Euch so persönlich ansprechen darf.«
Erleichtert, dass es nichts Ernsteres war, atmete ich kurz auf und als ich dann nochmal über den Grund ihrer Aufregung nachdachte, musste ich auf einmal fürchterlich anfangen zu lachen. Schließlich hatte sie mich nach der formellen Begrüßung ständig mit 'du' angesprochen, sodass ich ihre plötzliche Besorgtheit, dass dies womöglich unhöflich mir gegenüber war, ziemlich amüsant fand.
Anscheinend erkannte dies auch Lina, denn sie stieg in mein Lachen mit ein.
»Entschuldige bitte«, sagte Lina abermals, nachdem wir uns wieder gefasst hatten. »Ich möchte nur zur Sicherheit nochmal fragen: Ist es in Ordnung, wenn ich dich mit 'du' anspreche und die formellen Titel weglasse?«
Breit lächelnd nickte ich. Ich würde es gar nicht anders wollen. Dafür war mir Lina viel zu sympathisch.
»Gut, dann wäre das mal geklärt«, wischte sie sich den imaginären Schweiß von der Stirn.
Erneut begann ich zu lachen aufgrund dieser theatralischen Geste. Allerdings blieb mir das Lachen wenige Sekunden später im Halse stecken, als ich die uns entgegen kommende Königin erblickte.
Sie sah mich mit ihren stechend blauen Augen mahnend an. Ich konnte förmlich ihre Stimme in meinem Kopf hören wie sie mich ermahnte, dass so ein Verhalten als Prinzessin nicht ziemte. Doch als sie uns erreichte, schenkte sie uns nur einen schnellen Blick und sagte: »Mitkommen.«
Offensichtlich kamen jetzt die mir zugeteilten Aufgaben für die Ballvorbereitungen. Das würde mit Sicherheit Spaß machen.
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Die stumme Prinzessin (alte Version)
Teen FictionNach diesem erfrischenden Spaziergang im Wald fühlte ich mich nun unantastbar. ... Bis ich in zwei eisblaue Augen sah, die mir unheimlich vertraut waren. Das konnte nicht sein. Langsam wich ich zurück in den Wald. Bitte, lass ihn mich nicht gesehen...