Dana
Staunend blickte ich die hohen Palastmauern hoch. Wie war so etwas Großes bloß von Menschenhand erschaffen worden?
Nachdem wir die bunte und laute Stadt, die das Schloss umgab, hinter uns gelassen hatten, mussten wir noch eine Weile auf leerer Fläche reiten um schließlich vor diesem Ungetüm Halt zu machen. Ich wusste nicht was ich dahinter erwarten sollte, wenn mich schon die Mauer so sehr zum Staunen brachte.
»Groß, nicht wahr?«, rief mir James von seinem Pferd zu.
Ich nickte bloß. Selbst wenn ich sprechen würde, würden mir in diesem Augenblick die Worte fehlen.
»Sollen wir rein?«, fragte mich Nicolas, der diesmal wieder hinter mir auf dem Pferd saß, leise.
Obwohl sich ein unangenehmes Gefühl in mir breit machte, nickte ich, denn ich wollte niemanden zusätzlich warten lassen. Die Soldaten, die uns die ganze Nacht über bewacht hatten, mussten schließlich ihren wohlverdienten Schlaf nachholen.
Als hätte ich mit meinem Nicken irgendeinen Schalter umgelegt, öffneten sich die gewaltigen Tore langsam. Derweil setzte sich der Reisetrupp wieder in Bewegung. Mein Herzschlag beschleunigte sich zusehends, während ich den Toren beim Öffnen zu sah. Ich hatte Angst davor, was mich dahinter erwartete. Angst vor dem Ungewissen, das hinter den Toren lauerte.
Zwar hatte ich Nicolas, meinen Seelengefährten, an meiner Seite, doch er war diesen Anblick gewöhnt. Ich nicht. Und das machte mir Angst. Was wenn ich nicht in seine Welt passte? Wenn er sich schlussendlich doch eine andere Frau suchen musste, mit der er zusammen alt wurde?
Würde ich das überleben? Denn gewollte oder nicht, Tatsache war, dass Nicolas dabei war mir mein Herz zu stehlen und ich war mir keineswegs mehr sicher, ob ich noch fähig dazu war es ihm wieder wegzunehmen, wenn ich ihn verlassen musste.
Trompetenspiel und Trommelschläge holten mich schließlich aus meinen Gedanken. Allerdings konnte ich das reflexartige Zusammenzucken, mit dem ich Nicolas Aufmerksamkeit auf mich zog, nicht verhindern.
Ich hatte gedacht, dass das Jubeln der Stadtbewohner schon laut und angsteinflössend war, doch dieses Empfangsorchester übertraf all meine Vorstellungen. Die Menschen standen an den Seiten und ließen einen schmalen Weg, den wir passierten, frei. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ein Pferd gescheut hätte und einem zu nahe stehendem Menschen mit den Hufen verletzten würde. Doch aus irgendeinem Grund blieben die Pferde ruhig, auch unseres. Allerdings war ich alles andere als ruhig.
Die vielen Menschen machten mich nervöser denn je und ich konnte nicht verhindern, dass ich deswegen unruhig vor Nicolas auf dem Sattel herumrutschte. Dieser bemerkte meine innerliche Anspannung wohl, denn er drückte mich fester an sich und machte irgendeine Bewegung, die die Soldaten dazu verleitete die Menschen zum leiser werden zu bringen.
Die nun leise Musik war jetzt nicht mehr ohrenbetäubend, sondern angenehm und auch die Menschen schrien, nicht mehr wild durcheinander, sondern riefen uns nur hin und wieder Glückwünsche zu.
Endlich kamen wir an einer etwas kleineren Mauer an, die anscheinend den Palast von den gewöhnlichen Häusern abgrenzte. Mir war bewusst, dass die Mauer nur zum Schutz der Königsfamilie da war, doch fragte ich mich, ob dieses isolierte Leben nicht doch etwas zu einsam war.
Als wir auch dieses Hindernis überwunden hatten, verklang die Musik völlig und ein riesiger Garten erstreckte sich vor uns. Trotz der Kälte blühten in diesem wunderschöne Blumen. Sie säumten den Weg, auf dem wir ritten. Weiter vorne erkannte ich auch einen Springbrunnen. Vor ein paar Jahren hatte mein Dorf geplant einen kleinen Springbrunnen in die Mitte des Dorfplatzes zu errichten, doch leider wurde das Geld knapp und der Plan blieb ein Plan. Nun einen vollständigen, großen Springbrunnen zu sehen, aus dem sogar Wasser floss, war einfach nur atemberaubend.
Das Schloss allerdings ließ mich dann mit offenem Mund da sitzen. Es war größer und schöner, als ich es mir jemals hätten erträumen können. An edlen Materialien würde nicht gespart und goldene Verzierungen oder fein ins Mauerwerk gehauene Ornamente gab es reichlich. Jedes der Dutzenden Fenster war verglast und ich entdeckte sogar einige mit bunten Fensterscheiben, wie man es sonst nur von Kirchen kannte.
»Willkommen in deinem neuen Zuhause«, hauchte mir Nicolas ins Ohr.
Ich bekam daraufhin prompt Gänsehaut. Einerseits durch seinen Atem, der auf meine Haut schlug und andererseits wegen der Bedeutung seiner Worte. Erst in diesem Augenblick würde mir richtig bewusst, dass ich nun in einem Schloss leben würde. Als eine Prinzessin. Die Prinzessin. Seine Prinzessin.
Ich wandte ihm meinen Kopf zu. Er lächelte erfreut und blickte auf das Schloss. Ich vergaß manchmal, dass er hier aufgewachsen war. Für mich war dieser Palast etwas, wovon man träumte oder Geschichten erzählt bekam, doch nichts, in dem man lebte, aufwuchs. Aber es war sein Zuhause und das würde es auch für immer bleiben.
Schlagartig verschwand das glückliche Lächeln und er starrte vernichtend auf einen Punkt vor uns. Ich folgte seinem Blick und erkannte eine ältere Frau, die wütend auf uns zu marschierte. Sie trug ein wunderschönes nachtblaues Kleid und ihre schwarzgrauen Haare waren zu einer strengen Frisur hochgesteckt. Ihre stechend blauen Augen erinnerten mich an die von Nicolas und doch waren sie so verschieden. Nicolas Augen strahlten Geborgenheit und Liebe aus und ihre in diesem Moment nur Hass und Wut.
Erst als die Frau, die mittlerweile neben unserem Pferd zum Stehen gekommen war, zu sprechen anfing, wurde mir klar, wer da vor mir stand.
»Nicolas, wie kannst du es wagen dich so zu benehmen?!«, fauchte sie ihren Sohn an. »Ich bin die Königin und du musst mir Respekt zollen!«
Während ich mich immer kleiner machte, damit ihre Wut nicht auf mich umschwenkte, sah ihr Nicolas nur unnachgiebig in die Augen.
»Mutter, falls es dir noch nicht aufgefallen ist, werde ich bald König. Außerdem bist du eigentlich nur irgendeine Adelige, die mein Vater erwählt hatte seine Frau zu werden«, sprach mein Gefährte mit gefährlich ruhiger Stimme und blickte auf sie hinab.
»Trotzdem bin ich die Königin und du hast mir zu gehorchen, solange du noch nicht die Krone auf dem Haupt trägst!«
»Nein, Mutter«, er betonte das Wort zusätzlich, als wäre es eine Verwünschung, »Ich muss gar nichts und jetzt lass mich passieren. Ich möchte meiner Gefährtin ihr neues Zuhause zeigen.«
Meine Augen wurden groß, als er das sagte. Auch die Augen der Königin wurden größer, aber vor Wut statt vor Angst. Ihr Blick traf meinen. Ich wollte wegsehen, doch ihre Augen, ihre eiskalten Augen, ließen das nicht zu.
»Geht«, sagte sie auf einmal. Sie klang beinahe gelangweilt, aber ihr Blick hing immer noch an mir. Irgendwie neugierig.
Mit einem Nicken verabschiedete Nicolas sich von seiner Mutter und lenkte das Pferd bis vor die Treppen, die zu den Türen des Palastes führten. Gemächlich stieg er ab und half dann auch mir, auch wenn ich sehr gut alleine vom Pferd gekommen wäre.
Er hakte mich bei sich ein und zusammen erklommen wir die wenigen Stufen. Die Türen schwangen auch sogleich auf, sodass wir gleich weitergehen konnten. Schnell war die unheimliche Begegnung mit Nicolas Mutter vergessen und ich kam gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. So etwas Unbeschreibliches hatte ich noch nie gesehen.
Während ich die kunstvoll mit Blumen geschmückte Eingangshalle betrachtete, merkte ich gar nicht wie Nicolas mich fasziniert beobachtete. Mit geröteten Wangen blickte ich zu ihm hinauf. Manchmal vergaß ich wie groß er doch war. Seine Lippen umspielte ein sanftes Lächeln, das mich förmlich dazu zwang es zu erwidern.
»Gefällt dir der Palast?«, fragte er mich neugierig. Seine Hand platzierte er währenddessen auf meine, die immer noch seinen Arm umschlossen.
Ich konnte ihn bloß strahlend anlächeln, denn zu mehr war ich nicht fähig. Diese ganzen neuen Eindrücke, der Palast, die Stadt, die vielen Leute. Beinahe hätte ich gemeint es wäre zu viel ... doch seltsamerweise war es das nicht.
Mein Herz schlug zwar schneller als es wahrscheinlich sollte, meine Handflächen schwitzten unangenehm und meine Augen schmerzten leicht von dem vielen glänzenden Edelmetallen, doch es ging mir gut. Besser als gedacht. Und das verdankte ich nur dem Mann an meiner Seite.
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Die stumme Prinzessin (alte Version)
Ficção AdolescenteNach diesem erfrischenden Spaziergang im Wald fühlte ich mich nun unantastbar. ... Bis ich in zwei eisblaue Augen sah, die mir unheimlich vertraut waren. Das konnte nicht sein. Langsam wich ich zurück in den Wald. Bitte, lass ihn mich nicht gesehen...