Ihre Geschichte

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»Lady Eleonore, Ihr Vater erwartet Euch«, teilte ihr die Zofe mit.
Eleonore nickte, doch machte keinerlei Anzeichen sich von ihrem Stuhl zu erheben. Geistesabwesend kämmte sie ihr langes, rabenschwarzes Haar und betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut und Haare so schwarz wie Ebenholz.
Das junge Mädchen wusste, dass sie von vielen beneidet wurde. Die einen wollten so schön und schlank sein wie sie, die anderen so viel Schmuck und Kleider besitzen wie sie und wieder andere wollten so graziös und anmutig sein wie sie. Doch niemand würde gerne im eigenen Haus gefangen halten werden ... so wie sie.
Ein tiefer Seufzer entfloh ihren fein geschwungenen Lippen. Was würde sie bloß alles für ein wenig Freiheit geben ...
»Lady Eleonore, Ihr Vater«, sprach erneut die ältere Zofe mit einer Dringlichkeit in ihrer Stimme, die die junge Lady nicht überhören konnte.
»Ich komme«, erwiderte sie sanft und legte ihre Bürste auf das kleine Schminktischchen.
Wissend, dass sie niemals ihr Gefängnis, das sich ihr Zuhause nannte, verlassen würde, trat sie aus der Tür um ihren verhassten Vater entgegenzutreten. Früher hatte sie ihn geliebt, ihn geradezu verehrt, er war ihr Held. Doch seit eben dieser Mann seine Hand nicht nur gegen sie, sondern auch gegen ihre Mutter und jüngere Schwester erhoben hatte, war jegliche Liebe ihm gegenüber mit ihrer Mutter und Schwester gestorben.
»Ihr hattet gerufen«, trat Eleonore erhobenen Hauptes in den großen Saal, in dem ihr Vater pflegte Besuch zu empfangen.
Der bereits in die Jahre gekommene Mann lümmelte auf einem prächtigen Thron, den er sich nach dem Tod seiner Frau und Tochter, hatte anfertigen lassen. Sein Äußeres war zwar ordentlich gepflegt, doch sah man hinter die Fassade, erblickte man nichts weiter als eine leere Hülle, die unfähig war auch nur den Hauch einer Emotion zu fühlen. Eine leere Hülle eines seelenlosen Mannes, der am liebsten der König der Welt wäre, es jedoch nicht einmal schaffte seine eigenen Leute vor ein paar räudigen Wölfen zu schützen, die das Vieh der Bauern rissen.
Es würde die junge Lady nicht wundern, wenn ihre Leute wegen seiner Unfähigkeit bald an einer Hungersnot leiden müssten.
»Ja, das habe ich.« Der Lord blickte seiner Tochter entgegen. »Wie du weißt, bist du bald mündig, schließlich stets dein achtzehnter Geburtstag kurz bevor«, erzählte er mit nüchterner Stimme, »ich erwarte, dass du dir einen geeigneten Seelengefährten wählst, Tochter. Jemanden, der würdig wäre mein Land zu erben.«
Eleonore verdrehte ihre Augen. »Wie du weißt«, benutzte sie mit Absicht seine eigenen Worte, »habe ich keine Wahl. Das Schicksalsband entscheidet für mich. Wie für alle von uns.«
»Papperlapap«, winkte der Mann auf dem thronähnlichen Stuhl ab. »Wenn er nicht würdig ist, wird er abgelehnt, ganz einfach. Du musst schließlich glücklich werden, nicht wahr, meine Tochter?«
Keine Regung zeigte sich in Eleonores schönem Gesicht, als ihr Erzeuger sie mit einem hinterhältigen Grinsen musterte. Er wollte doch bloß, dass sie reich heiratete, dachte die junge Lady bei sich. Sie wusste, wie dieser Mann dachte. Und sie verabscheute alles an ihm, an diesem Monster.
»Großvater hatte auch angenommen, Mutter würde glücklich werden, wenn sie zu ihrem Gefährten ziehen würde, auch wenn es sehr weit weg ist. Er hatte sie dir mit reinem Gewissen überlassen, doch anscheinend wird man nicht einmal mit seinem vom Schicksalsband gewählten Seelengefährten stets glücklich«, kommentierte die junge Lady.
»Geh jetzt, bevor ich mich vergesse«, entließ er sie, ohne auf ihre Anschuldigung zu reagieren.
Einen letzten Blick warf sie auf ihren verhassten Vater und verließ daraufhin den Saal. Sie beschloss nach den Pferden zu sehen, da sie die Gelassenheit der Tiere stets beruhigte und genoss.
Als sie jedoch in den Stall treten wollte, kam ihr eine Person entgegen, mit der sie prompt zusammenstieß.

»O, Verzeihung«, ertönte daraufhin eine tiefe Stimme, doch Eleonore reagierte kaum. Ihre Gedanken waren immer noch bei dem Gespräch, das sie eben mit ihrem Vater geführt hatte.
»Mhm«, machte sie deswegen nur unverständlich und wollte sich an der Gestalt vorbeidrängen.
Diese versperrte ihr den Weg jedoch.
Am Ende ihrer Nerven angelangt, schoss ihr zorniger Blick zu dem Übeltäter hinauf. Es war der Kleidung nach zu urteilen ein Stallbursche, doch das markante Gesicht eines Mannes blickte ihr entgegen.
»Wären Sie so freundlich mich vorbeizulassen?«, brachte sie zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.
»Verzeihung, Mylady, mir ist bewusst, dass mein Verhalten äußert merkwürdig und unergründlich auf Euch erscheinen mag, doch dürfte ich Euch nach Ihrem Alter fragen?«
Eine kurze Pause entstand, in der Eleonore den seltsamen Mann vor ihr betrachtete. Er hatte breite Schultern und dunkelbraune Haare, sowie Augen. Er schien noch recht jung zu sein, vor allem sein Lockenkopf gab ihm diesen Anschein, doch waren seine Gesichtszüge bereits ausgereift und der leichte Bartschatten ließ ihn älter erscheinen.
»Wieso wollt ihr das wissen?«
Sichtlich nervös rieb er sich den Nacken. »Ich ...«, verstummte er wieder nach diesem einem Wort.
Zu genervt um sich mit diesem merkwürdigen Mann weiterhin zu beschäftigen, seufzte Eleonore einmal tief auf. »Ich werde in zwei Wochen achtzehn. Nun entschuldigen Sie mich bitte.«
Augenblicklich gab der Mann ihr den Weg frei. Offenbar wollte er wirklich nur ihr Alter wissen. Wie seltsam.
Doch wanderten ihre Gedanken sich wieder den geliebten Tieren zu, als ihr Schnauben und Wiehern erklang. Sofort stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Es war so schön hier zu sein. Bei den Tieren fühlte sie sich sehr viel wohler als bei ihrem Vater oder generell in ihrem Anwesen. Hier war sie frei und konnte tun und lassen, was sie wollte.
Diese Freiheit auskostend beschloss sie spontan einen Ausritt in den Wald zu unternehmen. Ohne die Hilfe eines Angestellten zu beanspruchen, sattelte sie einen schwarzen Hengst mit dem Namen Rocco, der dem Anschein nach heute ebenso mies gelaunt war wie sie es noch vor Kurzem war. Womöglich tat ihm dieser Ausflug ebenfalls gut und beruhigte ihn.
»Mylady, Ihr solltet nicht dieses Pferd nehmen. Es war schon den ganzen Tag sehr mürrisch und könnte Euch abwerfen«, ertönte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihr, als sie gerade aufsitzen wollte.
Verärgert wandte sie sich um und stemmte die Hände in die Hüften. Was bildete dieser Wicht sich bloß ein?
»Ich kann sehr gut auf mich alleine aufpassen. Außerdem kenne ich mich sehr gut mit Pferden aus.«
Der Stallbursche von vorhin trat zu ihr und zog die Augenbrauen zusammen. »Dies bezweifle ich nicht, Mylady, doch würde ich Euch dennoch davon abraten mit diesem Pferd heute einen Ausritt zu wagen.«
Sie drehte sich um und ergriff den Sattel um sich hochzuschwingen. »Tja, Ihre Meinung ist mir jedoch nicht wichtig genug um mich von meinem Vorhaben abzubringen. Rocco ist mehr als geeignet für diesen Ausritt. Also würden Sie mich nun bitte entschuldigen.«
Mit einem letzten Blick auf den sorgenvollen Stallburschen, gab sie dem Pferd die Sporen und zischte im Galopp davon.
Nach einer Weile zügelte sie das Tempo und atmete entspannt die frische Bergluft ein. Auch das Pferd verlor seine angespannte Haltung und spazierte glücklich durch den Wald. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Dieser Stallbursche hatte nicht die geringste Ahnung von ihren Pferden.
Gefährlich. Pah! Dass sie nicht lache.
Auf einmal erklang hinter ihr lautes Hufgetrampel. Erschrocken wandte sie sich um, da sie angenommen hatte, nun endlich wieder ein wenig Zeit für sich zu haben.
Das Pferd hielt neben ihr und nun erkannte sie auch den Reiter.
»Was suchen Sie denn hier?!«, empörte sie sich.
»Ich muss sichergehen, dass es Ihnen gut geht«, rief der Stallbursche.
»Wieso sollte es mir denn nicht gut gehen?«
»Ich sagte doch. Das Pferd —«
»Mit dem Pferd ist alles in absoluter Ordnung. Ich glaube, Sie sind derjenige, dem es nicht gut geht!«
Er blinzelte zweimal. Offenbar hatte ihn ihr Temperamentsausbruch unvorbereitete getroffen.
»Verzeiht, Mylady. Ich wollte nicht unhöflich erscheinen.«
Mit diesen Worten gab er seinem Pferd die Sporen und ritt zurück.
Eleonore schnaubte bloß. Wofür hielt er sich eigentlich?

Die stumme Prinzessin (alte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt