7 - Abschiede ...

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Nicolas

"Wieso ausgerechnet jetzt?!", ich raufte mir die Haare und lief im Raum auf und ab, "Wieso jetzt?!"
"Uns allen ist bewusst, dass das nicht der beste Moment dafür ist, aber deine Eltern brauchen dich offenbar dringend", versuchte mir Henrik ins Gewissen zu reden. Jedoch galten meine Gedanken nur einer Person. Nämlich meiner Prinzessin.
"Ich werde auf sie aufpassen", versprach James, als hätte er meine Gedanken gehört. Ich nickte ihm dankbar zu, jedoch sträubte sich dennoch alles in mir dagegen mein Mädchen alleine zu lassen. Wir waren uns letzte Nacht doch so nahe gewesen. Was wenn sie danach erneut damit anfing mich abzuweisen? Ein weiteres Mal würde ich das sicher nicht überstehen.
Gequält schloss ich meine Augen und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Wäre doch bloß dieser Bote nie gewesen ... Dann hätte er mein Mädchen nie verletzen können. Dann wäre dieser Brief nie bei uns angekommen ... Jedoch wäre ich meiner Angebeteten sonst auch niemals so nahe gekommen ... Andererseits war der Inhalt des Briefes mehr als erschütternd. Die Anweisung meines Vaters, die im Brief enthalten war, war unmissverständlich. Ich musste zurück ins Schloss sonst würde ich meine Prinzessin und mein Volk gefährden. Unser Nachbarland, Luyelie, war in gewissen Dingen nicht sehr kooperativ gewesen. Es fing alles damit an, dass mein Ururgroßvater, der in seiner Zeit der König war, eine Abmachung mit dem damaligen König von Luyelie traf. Diese besagte, wenn ein Sohn und eine ungefähr gleichaltrige Tochter in jeweils der Königsfamilie geboren wurde, dann sollten diese heiraten um den Frieden zwischen den beiden Ländern zu sichern. Jedoch war in der Zeit den Menschen noch nicht das Ausmaß eines Seelengefährten bewusst. Sie wussten nicht, dass man nur mit seinem /seiner Gefährten /Gefährtin glücklich werden konnte. Mittlerweile war es allseits bekannt, dass dies so war. Und genau jetzt sollte diese Abmachung erfüllt werden. Nämlich von mir und Adrienne, der luyelieschen Prinzessin. Sie war zwei Jahre jünger als ich, achtzehn. Ich hatte sie schon kennengelernt auf ein paar Bällen und Festen. Jedoch war sie nicht für mich bestimmt, auch wenn sie hübsch war, gehörte mein Herz dennoch dem von meinen Augen betrachtet wunderschönsten Mädchen auf der Welt. Meiner Prinzessin. Und ich hatte sie nach jahrelanger Suche endlich gefunden. Das hieß, dass ich auf niemanden außer auf sie am Altar warten würde. Sie war die Frau mit der ich meine Zukunft verbringen wollte.
Jedoch musste ich zuerst zurück ins Schloss um dem luyelieschen Königspaar zu erklären, dass ich meine Prinzessin bereits gefunden hatte. Und um dies tun zu können, müsste ich mein Mädchen hier zurücklassen. Auch wenn nur für eine kurze Zeit. Ein paar Tage. Es würde sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlen ...
"Sie wird es verstehen", meinte Henrik und legte mir freundschaftlich die Hand auf die Schulter.
"Ich werde es ihr und Nala beim Mittagessen sagen", sprach ich und massierte mit einer Hand meine Schläfe.
"Glaubst du nicht es wäre besser, wenn sie es sofort erfährt?", fragte James zweifelnd.
Ich bedachte ihn mit einem genervten Blick. "Ich möchte wenigstens noch etwas Zeit mit ihr verbringen können, ohne dass sie mich hasst."
James öffnete den Mund um etwas zu erwidern, schloss ihn jedoch schnell wieder, als er bemerkte, dass ich meine Meinung nicht mehr ändern würde.
"Henrik, sei so nett und bereite alles für die Abreise vor. James, du kümmerst dich darum das meinem Mädchen, während meiner Abwesenheit nichts geschieht, aber sag den Soldaten sie sollen sich von ihr fernhalten. Denn ich glaube nicht, dass sie ihr gestriges Erlebnis wiederholen möchte." Ich wandte mich schon zum Gehen, als Henrik mich nochmal zurückrief. "Nicolas?"
"Ja?"
"Wäre es eventuell möglich, dass ich ebenfalls hier bleiben könnte? Ich möchte es Nala nicht zumuten alleine mit fünfzig Soldaten zu sein."
Mir war bewusst, dass dies nicht der eigentliche Grund war, aber ich beließ es dabei. "Natürlich. Sorge dafür, dass es ihr und meiner Prinzessin gut geht. James kümmert sich um die Wachen."

"Klopf, klopf", sagte ich und klopfte zweimal an die Wand des Hühnerstalles.
Mein Mädchen drehte den Kopf zu mir und lächelte mich zaghaft an. Dies veranlasste mich dazu ebenfalls zulächeln und ich trat an ihre Seite. Der Stall war ziemlich niedrig gebaut, eher wie ein kleines Häuschen. Groß zu sein war da nicht gerade ein Vorteil.
Den Dreck auf den Boden ignorierend ließ ich mich in der Hocke neben ihr nieder. Sie hatte sich einer Henne zugewandt, die auf ein paar Eier in einem Nest saß.
"Und was machen wir nun?", fragte ich nach einer Weile, in der sich keiner von uns geregt hatte.
Mein Mädchen sah mich kurz an, legte ihren Finger auf ihren Mund und wies mich so an still zu sein. Ich folgte ihrer Anweisung und hielt den Mund. Im Gegensatz zu ihr jedoch betrachtete ich nicht die Henne mit ihren Eiern, sondern sie. Wie immer wurden ihre Haare von einem einfachen Stoffband zurückgehalten und fielen ihren Rücken hinunter. Unweigerlich musste ich mir meine Prinzessin in einem Ballkleid vorstellen. Ihre Haare wären zu einer eleganten Hochsteckfrisur frisiert worden, die ihren langen Hals perfekt zur Geltung bringen würde und mich dazu einladen ihren Nacken mit Küssen zu benetzen.
Ich streckte gerade meine Hand aus um meinem Mädchen eine Strähne hinter das Ohr zu streichen, als mich ein hohes Piepen zusammenschrecken ließ und den Moment zerstörte. Genervt blickte ich zu der Henne, aus deren Richtung das Geräusch gekommen war. Zu meiner Überraschung jedoch war die Henne nicht mehr allein. Ein kleines Küken lugte aus einer Eierschale hervor. Irritiert zog ich eine Augenbraue hoch und sah zu meiner Prinzessin. Diese hatte aber nur Augen für die kleinen Küken, die sich einer nach dem anderen aus ihrem Eigefängnis befreiten. Irgendwie niedlich, jedoch nervte das penetrante Piepen, das nun mehrstimmig im Stall widerhallte, gewaltig.
Meine Aufmerksamkeit wieder meinem Mädchen schenkend beobachtete ich sie dabei wie sie die Neugeborenen lächelnd betrachtete. Sie würde eine wundervolle Mutter abgeben. Ein Bild wie meine Prinzessin, noch erschöpft von der Geburt, jedoch überglücklich, meinen Sohn in den Armen hielt, erschien vor meinem geistigen Augen und ich konnte nicht anders als zu dämlich zu grinsen, während ich mir mein Familienglück ausmalte.
Irgendwann stand mein Mädchen widerwillig auf und zog mich mit sich nach draußen. Sie hatte wohl beschlossen die neue Familie für's Erste alleine zu lassen. Schweigend liefen wir nebeneinander her. Sie führte mich zum Waldrand, was mir aber erst auffiel, als wir die ersten Bäume erreichten.
Meine Prinzessin blieb stehen. Sie betrachtete den Wald. Sanft schloss ich sie von hinten in meine Arme, sodass sie nun mit dem Rücken an meine Brust lehnte. Ich spürte wie sie sich kurz anspannte, sich jedoch beinahe sofort wieder beruhigte und an mich lehnte.
"Weißt du", fing ich leise, um den Zauber dieses Momentes nicht zu zerstören, an, "wenn du willst können wir unsere eigenen Küken machen." Behutsam strich ich ihr mit einer Hand über ihren flachen Bauch.
Sie zog erschrocken Luft ein und spannte sich merklich an. Ich spürte, dass ihr dieses Thema sichtlich unangenehm war, aber ihre Reaktion war auch einfach zu niedlich. Vor allem als ich ihre süßen roten Wangen sah. Ich drehte sie in meinen Armen um und drückte sie sanft gegen den Baum hinter ihr. Langsam lehnte ich meine Stirn an ihre und sog ihren Duft ein.
"Wusstest du, dass das meine neue Lieblingsfarbe ist?", wechselte ich abrupt das Thema und strich ihr mit einer Hand über die Wange. Sie sah mich verwirrt an. Mein linker Mundwinkel zuckte. Mir war bewusst wie bizarr diese Situation für sie aussehen mag, jedoch ließ mich ihre Anwesenheit nun mal verrückt spielen.
Langsam ließ ich meine Hand von ihrer Wange gleiten und ersetzte sie durch meine Lippen. Durch gesenkten Lidern beobachtete ich ihre Reaktion, während ich ihren Wangenknochen mit meinen Lippen nachfuhr. Mein Mädchen riss ihre Augen auf und wand sich. Sie versuchte mir ihre Wange zu entziehen. Ich wollte mich schon zurückziehen, da ich keineswegs wollte, dass meiner Prinzessin etwas unangenehm war, als ihr unerwartet ein leises Stöhnen entwich. Sofort zog ich mich zurück und starrte sie mit aufgerissenen Augen an. Sie hatte sich die Hände vor den Mund geschlagen und blickte mich nicht minder erschrocken an. Ihre Wangen hatten mittlerweile ein leuchtendes rot angenommen, das mich zum Grinsen brachte. Ich liebte diese Farbe.
Ich zeigte auf ihre Wangen. "Das. Das ist meine neue Lieblingsfarbe."
Nun verstand sie und wandte beschämt ihren Kopf ab. Ich drückte ihr einen kleinen Kuss auf den Scheitel und stellte erfreut fest, dass meine kleine Prinzessin versuchte ihr Lächeln zu verstecken. Während ich sie weiter betrachtete, fiel mir auf einmal wieder ein, dass ich sie noch heute Abend verlassen musste um diese Abmachung mit dem benachbarten Königreich zu klären. Denn niemals würde ich jemand anderen als mein Mädchen zur Frau nehmen.
Meine Kleine hatte die veränderte Stimmung natürlich sofort bemerkt. Sie sah mich mit leicht geneigten Kopf an. Schließlich streckte sie ihre Hände aus und zog meine Mundwinkel in die Höhe um mir ein verzerrtes Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Dies brachte mich dann tatsächlich zum Lächeln und sie nahm ihre Finger von meinem Gesicht. Ich strahlte sie an und sie erwiderte mein Grinsen. Womit habe ich bloß so eine bezaubernde Seelengefährtin verdient?, fragte ich mich zum vielleicht fünfzigsten Mal seit ich meinen persönlichen Engel getroffen hatte.
Jedoch verdiente sie die Wahrheit und deshalb beschloss ich spontan sie hier und jetzt aufzuklären, auch wenn ich damit diesen wundervollen Moment zerstören würde. Bevor ich mich wieder um entschied, öffnete ich meinen Mund und sprach die alles vernichtenden Worte aus: "Es gibt Probleme. Im Königreich. Und deshalb muss ich zurück zum Schloss. Es wird nicht lange dauern. Hoffe ich zumindest. Vielleicht drei Tage oder vier. Ich werde mich so gut es geht beeilen, damit ich so schnell wie möglich wieder bei dir sein kann. James und Henrik werden auf die und deine Mutter aufpassen. Ich ... ich muss noch heute Abend aufbrechen. Eigentlich wollte ich es die und deiner Mutter erst beim Mittagessen sagen, aber ich fand, dass du es verdienst die Wahrheit zu erfahren. Auch wenn du sie ohnehin erfahren hättest. Ich ... ich ...", ich hielt für einen Moment, in dem mich die Vorstellung sie alleine zu lassen, nicht bei ihr sein zu dürfen, schier umbrachte, inne und sah meine wunderschöne Prinzessin an, "Ich werde jede Sekunde, in der ich von dir getrennt sein werde, an dich denken und mich danach sehnen wieder bei dir zu sein. Hätte ich eine Wahl, würde ich bei dir bleiben, aber ich bin immer noch ein Prinz, auch wenn ich für dich alles aufgeben würde." Ich strich ihr eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. "Bitte, hass mich nicht", bat ich sie verzweifelt.
Mein Mädchen blickte mich aus ihren dunklen Augen heraus an. Sekundenlang standen wir uns einfach nur regungslos gegenüber, bis ihr plötzlich eine einzelne Träne die Wange hinunter lief und sie sich, ohne dass ich hätte reagieren können, umdrehte und vor mir davon rannte. Nicht schon wieder, dachte ich nur und lief ihr hinterher.
Bei ihrem Baumhaus angekommen sah ich gerade noch wie sie die Strickleiter hochzog um sich zu verschanzen. Da ich verstand, dass sie jetzt Zeit für sich brauchte, rief ich nur noch: "Ich fahre heute Abend. Ich würde dich bitten mich wenigstens zu verabschieden." Ich schluckte. "Ich werde dich vermissen, meine Prinzessin."

Die stumme Prinzessin (alte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt