Nicolas
Mein Griff um mein Mädchen verstärkte sich, während das Pferd, auf dem wir saßen, unruhig auf der Stelle trat.
Ich musterte die maskierten Männer nacheinander. Sie waren allesamt breit gebaut und ihren grimmigen Blicken zu urteilen, waren sie uns nicht freundlich gesinnt.
Mittlerweile war es schon früher Nachmittag und wir waren weiterhin auf einer kleinen Handelsstraße unterwegs. Da es allerdings bereits Winter war, war diese weder dicht befahren noch war es hell genug um alle Angreifer, die sich teilweise auch hinter den dicken Stämmen der Nadelbäume versteckten, auszumachen.
Während meine Leibgarde sich dicht um das Pferd, auf dem meine Prinzessin und ich saßen, scharrten, überlegte ich krampfhaft wie wir möglichst friedlich aus dieser misslichen Lage wieder hinaus kamen.
Normalerweise hätte ich nichts an einem Kampf auszusetzen, auch wenn ein zukünftiger König sich eigentlich nicht die Hände schmutzig machte. Ich liebte die Schlacht. Selbst zu kämpfen mit einem Schwert in der Hand machte mir unfassbar viel Spaß. Zwar mochte ich es nicht zu töten oder jemanden tödlich zu verletzen, aber ich musste schon sagen, dass mir in manchen Situationen -meistens wenn ich in irgendwelchen langweiligen Sitzungen saß- das Kämpfen mit einem Schwert fehlte.
Allerdings würde mich in diesem Moment nichts auf der Welt dazu bringen mein Schwert für etwas anderes als zur Verteidigung zu zücken. Denn nun war nicht nur mein Leben in Gefahr, sondern auch das meiner Prinzessin. Und ich würde mich lieber selbst erhängen als zu zu lassen, dass ihr etwas zu stieß.
Ich lenkte das Pferd ein wenig nach links, damit ich die Angreifer besser in Augenschein nehmen konnte. Vor dem Kreis aus Soldaten, von dem mein Mädchen und ich umzingelt waren, baute sich einer der Männer auf. So wie es schien, war er der Anführer, denn anders als die übrigen Männer trug er einen stechend roten Umhang. Was er damit zeigen wollte, war mir jedoch schleierhaft. Vielleicht war er ein ehemaliger General und hatte eben solchen Umhang immer getragen, als er seine Legion in die Schlacht führte. Allerdings müsste er dann schon ein sehr alter Mann sein, denn die letzte Schlacht im Krieg wurde vor sechsundvierzig Jahren geschlagen und seitdem herrschte Frieden zwischen Ilona und seinen Nachbarländern.
Nach einer Weile, in der sich beide Parteien nur gegenseitig zu Boden gestarrt hatten, beschloss ich als guter Prinz sie freundlich um Durchlass zu bitten um einen Kampf zu vermeiden. Mit meiner Prinzessin auf dem Pferd konnte ich nicht ordentlich kämpfen und sie abzusetzen und sie somit aus den Augen zu verlieren oder zu riskieren, dass sie verletzt werden könnte, wollte ich ebenso wenig. Deswegen musste ich mit allen Mitteln versuchen friedlich aus dieser Situation hinauszukommen.
Ich räusperte mich laut. »Seid gegrüßt. Wie Sie sich vielleicht schon denken können, bin ich Prinz Nicolas und würde Sie freundlichst dazu auffordern den Weg für mein Gefolge und mich frei zu geben, sodass wir unsere Reise fortsetzen können.«
Der vermeintliche Anführer hob die Hand. Offensichtlich war dies ein geheimes Zeichen um seiner Truppe etwas zu befehlen, denn kurz darauf flog ein Pfeil durch die Luft. Mein Pferd scheute und das Geschoss bohrte sich in den Boden, genau an der Stelle, an der das Pferd noch vor Kurzem gestanden war.
Sofort brüllte James einen Befehl um gegen die Angreifer vorzugehen. Ich hörte gar nicht richtig hin. Stattdessen konzentrierte ich mich voll und ganz auf mein kleines Mädchen, das sich verängstigt und mit Tränen in den Augen an mich drückte um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den maskierten Männern herzustellen.
Ich hob den Arm, der um ihre Taille geschlungen war, und strich ihr eine Strähne aus ihrem wunderschönen Gesicht. Sie hob ihren Kopf an um mir ins Gesicht blicken zu können. Ohne ein Wort zu sprechen, gab ich ihr einen sanften Kuss auf die Stirn, damit sie verstand, dass sie sich nun beruhigen sollte, damit wir schnell aus dieser Situation herauskommen konnten.
Dominik lenkte sein Pferd auf meine Seite. »Nicolas, ich denke nicht, dass wir hier ohne Weiteres durchgehen können, jedoch wollte ich zuerst deine Zustimmung für den Angriff einholen.«
Ich blickte meinen mittlerweile schon sehr guten Freund an. »Gibt es denn keine andere Lösung?«
Im selben Moment, in dem ich diese Frage stellte, sauste ein weiterer Pfeil in unsere Richtung. Diesmal reagierte das Pferd nicht schnell genug ... doch der Schuss war nicht auf das Tier gerichtet. Sondern auf meine Prinzessin.
Ich konnte nicht einmal verstehen, was genau in diesen wenigen Sekunden passierte. Wie in Trance sah ich Dominik dabei zu wie er versuchte sich vor mein Mädchen zu werfen. Er fiel zu Boden, während immer noch der Pfeil, der eigentlich für mich bestimmt sein sollte, in ihm steckte. Meine Prinzessin riss den Mund auf und die Tränen flossen in Bächen über ihre rosigen Wangen. Jedoch hörte ich keinen Schrei, es war still. Ich konnte gar nicht registrieren, dass ich irgendwelche Befehle brüllte und meine Männer somit zum Angriff aufforderte. Ich konnte ebenfalls meinen Körper nicht bewusst steuern. Mir war nicht aufgefallen wie mein Mädchen sich aus meinen Armen gelöst hatte oder wie ich selber mich neben sie zu dem verletzten Dominik gekniet hatte.
Ich handelte ohne zu überlegen. Wie als hätte ich mein ganzes Leben nichts anderes gemacht, zog ich vorsichtig, damit die Spitze nicht abbrach, den Pfeil aus seinem Unterarm. Ich warf ihn zur Seite und drückte sogleich meine Hände auf die Wunde und die Blutung zu stoppen. Meine Prinzessin, die sich offenbar auch von ihrem Schock erholt hatte, half mir dabei.
Ich merkte zuerst gar nicht, dass die Kampfgeräusche langsam verstummten. Erst als mir jemand etwas hinhielt, blickte ich auf. Es war James. Er atmete schwer, doch fehlte ihm augenscheinlich sonst nichts.
Ich nahm ihm das Stück Stoff aus der Hand und band es um Dominiks Unterarm. Gottseidank war es 'nur' der Unterarm und nicht der Oberkörper. Nachdem James mir noch dabei geholfen hatte, meinen Gürtel um Dominiks Oberarm festzumachen, verklang mein tranceartiger Zustand schnell wieder.
Zwar war ich leicht verwundert über mein passives Handeln, doch dachte nicht länger darüber nach, da es meinem Freund in diesem Falle zu gute gekommen war. Allerdings sollte so etwas niemals wieder passieren. Meine Prinzessin musste sicher sein. Jederzeit. Ob Nacht oder Tag. Auf einer Reise oder im trauten Heim.
Ich sah zu ihr. Ihre Wangen waren immer noch rosig von den Tränen und ihre Nase leuchtete in einem hellen Rot. Ich kam nicht darum herum, dass mir erneut auffiel, wie bezaubernd mein Mädchen doch war. Zwar war dies höchstwahrscheinlich eine der schlechtesten Situationen über die Schönheit meiner wundervollen Gefährtin nachzudenken, aber man musste sie nur ansehen um zu verstehen, wovon ich sprach.
Während James und ein weiterer Soldat Dominik auf die Füße halfen, wandte ich mich nun endgültig meiner verängstigten Prinzessin zu. Als ich nach ihren Händen Griff um ihr ebenfalls auf zu helfen, blieb mir nicht deren Zittern verborgen. Sachte berührte ich sie, umfasste ihre kleinen, zierlichen Hände mit meinen großen, schwieligen. Ein Schwert zu halten und damit zu kämpfen, war nun mal keine feine Arbeit.
Vielleicht würde ich ihr auch eines Tages erzählen, warum ausgerechnet ich der Thronfolger war. Dann würde sie mich möglicherweise besser verstehen und mir bedingungslos vertrauen können ...
Meine Augen nicht von meinem Mädchen abwendend, wusch ich eilig unsere Hände, die immer noch mit Dominiks Blut besudelt waren, mit dem Wasser, das uns ein Soldat aus seiner Feldflasche anbot. Ich bedankte mich mit einem geistesabwesenden Nicken bei ihm, denn meine Aufmerksamkeit galt einzig und allein meinem Mädchen. Bevor ich sie vorsichtig auf das Pferd hievte, zog ich sie noch für eine kurze, feste Umarmung an mich. Ich spürte ihr Zittern. Ihr ganzer Körper bebte, doch ich wusste, dass wir weiter mussten. Es war zu gefährlich noch länger hier zu verweilen.
Dieses Mal setzte ich mich vor mein Mädchen, damit sie sich an mich klammern konnte, denn das würde sie müssen. Nicht nur weil sie stets von stummen Schluchzern geschüttelt wurde, sondern aus dem Grund, dass ich schnellstmöglichst ankommen wollte. Und dies konnten wir nur, indem wir einen Zahn zu legten.
Als ich den Männern Bescheid gab, dass wir uns nun beeilen würden, glitt mein Blick kurz auf die Toten, die die Soldaten auf den Straßenrand bugsiert hatten. Sie hätten nicht sterben müssen.
![](https://img.wattpad.com/cover/80694754-288-k456009.jpg)
DU LIEST GERADE
Die stumme Prinzessin (alte Version)
Fiksi RemajaNach diesem erfrischenden Spaziergang im Wald fühlte ich mich nun unantastbar. ... Bis ich in zwei eisblaue Augen sah, die mir unheimlich vertraut waren. Das konnte nicht sein. Langsam wich ich zurück in den Wald. Bitte, lass ihn mich nicht gesehen...