Dana
Die sanften Strahlen der aufgehenden Sonne weckten mich aus meinem Schlaf. Der Kopf dröhnte mir und obwohl die Morgendämmerung durch meine Vorhänge zum Teil verdeckt worden war, brannte mir das Licht dennoch in den Augen.
Schwerfällig hievte ich mich in eine sitzende Position, konnte mich jedoch nicht dazu aufraffen aufzustehen und den neuen Tag zu beginnen.
Ich sah keinen Grund dazu. Seit ich vor den Sticheleien der zwei Königinnen geflohen war, verbarrikadierte ich mich in meinem Gemach und ließ nur meine drei Kammerzofen ab und zu hinein um mir meine Mahlzeiten zu bringen oder warmen Tee zur Beruhigung.
Langsam wurde die Tür aufgestoßen und eine von ihnen trat herein. Die schlanke Blondine balancierte ein Tablett mit allerlei Gebäck und Konfitüren darauf in der einen Hand und öffnete und schloss die Tür mit der anderen.
Ich bot meine Hilfe erst gar nicht an, weil ich wusste, dass sie diese nicht annehmen würde.
»Guten Morgen«, trällerte Elaine gut gelaunt. Ob sie es nun wirklich war oder es nur spielte um mich etwas aufzumuntern, vermochte ich nicht zu sagen. Und es war mir auch gleichgültig.
Ich nickte ihr bloß zu.
Als sie sich mir zu wandte, verdüsterte sich ihr Blick sogleich. »Habt Ihr wieder schlecht geträumt?«, fragte sie mitfühlend, während sie das Tablett ablegte um sich auf die Bettkante neben mich niederzulassen.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und nickte. Aus irgendeinem Grund sagte ich ihr nichts von Nicolas, der mich letzte Nacht besucht hatte. Es war nicht so, dass ich Mira nicht vertraute — ganz im Gegenteil, sie war eine der wenigen Personen, denen ich ohne mit der Wimper zu zucken mein Leben anvertrauen würde, auch wenn ich sie noch nicht lange kannte —, allerdings hinderte mich dennoch etwas ihr davon zu erzählen.
Ein widerliches und unangenehmes Gefühl breitete sich in mir aus, schlug seine Krallen in mein Herz und ließ den Kloß in meinem Hals wachsen. Als Nicolas gestern bei mir war, hatte ich ihn erst bemerkt, nachdem ich — wie jede Nacht seit dem Empfang der zykrischen Königsfamilie — aus einen meiner Alpträume hochgeschreckt war. Wie immer war ich vollkommen aufgelöst, denn die Träume waren stets schrecklich und grausam und ich fürchtete jedes Mal, dass sie womöglich Realität werden könnten. Nicolas bemerkte dies natürlich und wollte mich trösten. Und ich hätte mich so gerne von ihm trösten lassen, seine kräftigen Arme, die sich um mich schlangen und an sich drückten, mich nie wieder losließen. So sehr hatte ich es mir gewünscht. Doch als er auf mich zutrat um mich in seine Arme zu nehmen, bekam ich plötzlich Panik. Grundlos. Zumindest erschien es mir zu Anfang so. Nachdem Nicolas verschwunden war und ich versuchte mich erneut in den Schlaf zu weinen, spürte ich die Angst, die in jede Zelle meines Körpers eingedrungen war. Und die wahrscheinlich auch für meine Panikattacke verantwortlich war.
Diese Angst spürte ich nun ebenfalls. Angst und vor allem Scham.
Nicolas war mein Seelengefährte. Er würde sich eher selbst umbringen, als mir zu schaden. Dies hatte er mir schon oft genug gesagt. Und dennoch zweifelte ich an ihm. Möglicherweise hatte die Königin recht. Vielleicht war ich nicht dazu bestimmt an seiner Seite zu stehen. Seelenverwandtschaft hin oder her. Wichtig war, dass es Nicolas gut ging.
Und womöglich hatte ich recht und meine Träume waren schlimme Vorahnungen. Das hieße ich müsste mich definitiv von Nicolas fern halten, auch wenn ich nicht sicher war, ob dies etwas bringen würde. Sicher war nur, dass er in all meinen Träumen auf eine grausame Art starb. Und dies würde ich nicht zulassen.
»Dana.« Mit einer sanften Berührung an meiner Schulter brachte mich Elaine zurück ins Hier und Jetzt. »Es sind nur Träume, Dana. Davon wird nichts wirklich geschehen, hört Ihr?«
Ich blickte ihr in die ozeanblauen Augen, die mich so traurig und besorgt musterten. Abermals versuchte ich vergeblich den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken, doch stattdessen brach ein Schluchzer aus mir heraus. Und es folgten weitere. Bis ich schließlich von Elaine gehalten hemmungslos zu weinen anfing.*
»Dana?«
Vorsichtig legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich nicht um.
»Wir würden nun mit den Vorbereitungen anfangen. Der Ball beginnt in einigen Stunden«, redete Elaine sanft auf mich ein.
Waren etwa schon zwei Tage vorbei?
Es kam mir vor wie gestern, dass Nicolas in der Nacht in mein Gemach geschlichen kam und ich ihn durch mein hysterisches Gekreische und Herumgetrample wieder verscheucht hatte.
Bedächtig hob ich den Brief, der vor mir auf dem Edelholzschreibtisch lag, auf. Endlich hatte ich es geschafft den Brief an die Königin fertigzustellen. Nun musste sie ihn nur noch empfangen ... und meine Ansichtsweise verstehen.
Beim ersten Versuch einen Brief an de Königin zu schreiben, hatte ich vergessen meine Gefühle niederzuschreiben und nun im Nachhinein erschien mir dies als das Wichtigste, deshalb musste ich ihn überarbeiten. Doch nun war er endlich fertig.
Seufzend ließ ich ihn wieder sinken. Ich hoffte, sie verstand, was ich ihr mitteilen wollte. Zwar wusste ich im Moment nicht wie es mit Nicolas und mir weitergehen würde, aber falls wir zusammenblieben, sollte sie — als seine Mutter — nicht gegen unsere Verbindung sein.
Mit äußerster Vorsicht um das feine Papier nicht zu zerreißen, faltete ich dies in der Mitte und schob es in das Kuvert. Auf diesem hatte ich mit meiner schönsten Schrift, die dennoch sehr krakelig aussah, aufgeschrieben: Für Eure Majestät, die Königin.
Nun musste er bloß noch zu ihr gebracht werden und dann konnte ich nur noch eines tun: Beten und Hoffen.
»Dana?«, sprach mich nun Senay an.
Langsam erhob ich mich aus dem Stuhl und trat ihnen gegenüber. Sie verstanden mich, als ich ihnen müde zu nickte und ihnen somit die Erlaubnis erteilte mich vorzubereiten.
Ohne ein Wort nahmen sie ihre Aufgaben auf und brachten mich zuallererst ins Bad. Dort würde ich entkleidet und in die bereits volle Badewanne gesteckt. Während mir die Haare von Mira gewaschen wurden, feilten mir Elaine und Senay mit akribischer Sorgfalt die Nägel.
Ich genoss das warme Wasser und die ungewohnte, doch entspannende Prozedur, während ich träge die Augenlider zur Hälfte schloss und den Rosenblättern in meinem Badewasser beim Schwimmen zu sah. In diesem Moment vergaß ich meinen Streit — sofern man dies als einen Streit bezeichnen konnte — mit Nicolas und den bevorstehenden Ball. Alle Sorgen und Ängste fielen von mir ab und ich sank tiefer in das beruhigende Wasser.
Ehe ich komplett in den friedlichen Schlummer hineinglitt, dachte ich noch an meine drei kleinen Kätzchen, die mittlerweile schon gewachsen sein müssten und an Mutter. Wie sehr ich doch mein Zuhause vermisste. Auch wenn die Dorfbewohner mich nicht akzeptierten, hatte ich mich dennoch stets sicher gefühlt in dem kleinen, weiter weg gelegten Hof meiner Eltern.»Ihr seht wundervoll aus in diesem Kleid, Dana«, meinte Elaine.
Wie am Tag der Anprobe stand ich auf dem kleinen Podest und ließ meine Zofen die letzten Falten glätten.
Das goldene Kleid gefiel mir sogar noch besser als beim ersten Mal, an dem ich es trug. Die Handschuhe schmiegten sich an meine Arme und die feine Spitze verzauberte mich erneut. Der Kontrast zwischen dem weißgoldenen Oberteil und dem satten Gold im Rock schmeichelte auch meinen Haaren, die dadurch ebenfalls mit Gold angehaucht schienen.
Bei meinen Haaren haben sich meine Zofen mal wieder selbst übertroffen. Statt sie mir einfach nur hochzustecken, hatten sie mir zuerst einen langen Zopf geflochten und diesen dann in einen Knoten hochgesteckt. Zwei gelockte Strähnen an den Seiten meines Gesichtes rahmten dieses ein und ließen es weicher erscheinen.
Meine Lippen glänzten leicht durch die Creme, die sie mir aufgetragen haben, und meinen Augen hatten sie einen feinen Lidstrich sowie zart Gold schimmernden Lidschatten aufgetragen. Allerdings passte er nicht zu der Blässe meiner hellen Haut.
Normalerweise würde ich mir darüber keine Sorgen machen, denn mit Nicolas an meiner Seite wurde ich öfters an einem Tag zum Erröten gebracht, als in meinem gesamten bisherigen Leben. Doch er würde nicht an meiner Seite stehen.
Zumindest würde es mich wundern, wenn er mir beistehen würde, nachdem ich ihn vorletzte Nacht so grundlos und abrupt weggestoßen hatte.
»Womöglich würde ihr ein wenig Rouge guttun«, meinte Senay mit einem Blick auf mein blassen Gesicht.
Elaine schüttelte eisern den Kopf. Ihre Miene undurchdringlich. »Schon bei der Anprobe haben wir uns darauf geeinigt, ihr kein Rouge aufzutragen, da sie in Anwesenheit des Prinzen sowieso schon glühte. Ich weigere mich, unsere Entscheidung zu überdenken.«
Nun trat sie auf mich zu. »Wir hätten dann noch etwas für Euch, Dana.«
Mira trat neben sie, eine edle Kiste in den Händen. Ich konnte die feinen Muster darauf gar nicht weiter bestaunen, denn Elaine öffnete diese bereits und der Inhalt ließ mich die Luft anhalten.
»Der König hat sie uns mitgegeben«, erklärte die Blonde, »Er meinte, dass eine Prinzessin niemals ohne ihr Diadem auf einen Ball gehen dürfte.«
Mit Tränen in den Augen sah ich Elaine dabei zu wie sie das wunderschöne Schmuckstück aus der Kiste hob.
»Darf ich es Euch aufsetzen?«, fragte sie sanft.
Ich nickte und stieg vom Podest. Den Kopf geneigt sah ich zu wie mir meine Zofen, die mittlerweile meine Freundinnen waren, das Diadem befestigten, sodass es mir nicht vom Kopf rutschen würde.
Schließlich richtete ich mich auf und betrachtete mich von Neuem. Als hätte Elaine, Senay und Mira gewusst, dass ich dieses Diadem tragen würde, passte es perfekt zu dem goldenen Kleid.
Es war in einem schlichteren Weißgold gehalten und wand sich wie Ranken um die einzelnen Diamanten, die ab und zu mit einbearbeitet wurden.
Es war schlichtweg umwerfend.
Erneut kamen mir die Tränen und ich musste mich zusammenreißen, denn ich wollte nicht unbedingt die aufwendige Schminke ruinieren.
»Ihr seht aus wie eine richtige Prinzessin«, meinte Mira leise.
Während Elaine und Senay zustimmend nickten, versuchte ich mir vorzustellen wie es wäre nicht die Tochter eines Bauern zu sein, sondern eine wahre Prinzessin, die zu ihrem Volk sprach und dieses ihr vertraute.
»Wie soll sie denn jemals eine geeignete Prinzessin werden, wenn sie doch schon zu schwach ist um überhaupt zu sprechen?«
Als mir die Worte der zykrischen Königin in den Kopf schossen, wurde mir plötzlich schwindlig. Auf einmal stürmten wieder all die bösen Worte der beiden Königinnen auf mich ein und ich musste nach Luft schnappen.
Senay bemerkte mit ihrem fürsorglichen Blick sofort, dass es mir nicht gut ging und manövrierte mich auf mein Bett zu. Mira brachte mir ein Glas Wasser, das ich sogleich gierig hinunterstürzte.
»Dana, geht es Euch gut?«
»Bitte, Dana. Sprecht mit uns!«, flehte Senay verzweifelt, als ich noch immer steif da saß.
Mit einem Ruck hob ich den Kopf und blickte Senay an. Was hatte sie da gerade gesagt?
Die Augenbrauen zusammengezogen, fixierte ich sie mit meinem Blick. Sie sah mich jedoch bloß verwirrt an.
Elaine hingegen verstand offenbar, was mich so aus dem Konzept gebracht hatte.
»Dana«, legte sie mir behutsam eine Hand auf den Arm. »Dass Ihr nicht sprecht hat uns drei noch nie gestört, das wisst Ihr doch, nicht wahr?«
Ich nickte bloß resigniert. Da waren sie eine der wenigen.
»Dana, ich war noch nicht fertig«, zog sie meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Es hat uns nie gestört, weil wir trotzdem wussten, was du sagen möchtest. Es liegt nicht in der menschlichen Natur nicht zu kommunizieren. Und ob du nun beschließt dich mit Gesten oder mit Sprache zu verständigen, ist deine Entscheidung. Das Wichtigste ist, dass du dir selbst treu bleibst und wenn manche Personen nicht verstehen, was du möchtest, dann sind sie einfach zu dumm dafür.«
Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus, als ich Elaines Worten lauschte.
»Genau«, stimmte Senay ihr zu, »Habt Ihr noch nie die Redewendung ‚Taten sagen mehr als tausend Worte' gehört. Es ist wichtig, was Ihr tut, nicht was Ihr sagt, Dana. Und Eure Absichten waren bisher immer rein.«
»Gleich, was euch alle anderen sagen, Dana«, erhob nun auch die sonst so stille Mira ihre Stimme, »Man braucht keine Worte um ein Königreich zu regieren.«
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Die stumme Prinzessin (alte Version)
Teen FictionNach diesem erfrischenden Spaziergang im Wald fühlte ich mich nun unantastbar. ... Bis ich in zwei eisblaue Augen sah, die mir unheimlich vertraut waren. Das konnte nicht sein. Langsam wich ich zurück in den Wald. Bitte, lass ihn mich nicht gesehen...