Scill erwachte erst zur Mittagsstunde. Seine Augen waren rot und leicht zugeschwollen. Die Spuren des Weinens und der langen Nacht waren deutlich zu sehen. Aus seinem Rucksack holte Scill sein altes Hemd und wickelte Kör notdürftig damit ein. Dann legte er den Leichnam in den Schatten eines Busches, wo er gut vor fremden Blicken verborgen war.
Eigentlich müsste Scill jetzt zum Turnier, doch dafür hatte er nun keine Zeit mehr. Eilig lief er zum Gasthaus. Dort sammelte er alle Habseligkeiten von sich und Kör zusammen und verstaute sie. Er bezahlte den Wirt und verließ das Wirtshaus. Plötzlich fiel die Karte vom Turnier vor ihm zu Boden und er spielte kurz mit dem Gedanken die Suche nach dem Amulett aufzuschieben und zuerst das Turnier zu beenden. Doch diese Gedanken verflogen schnell, als er an die toten Augen seines Großvaters dachte. Sie waren so leer gewesen. Scill spürte wie sich seine Brust zusammenzog, der Schmerz kam erneut auf. Sein Herz klopfte krampfhaft. Es war als öffne sich ein tiefer Abgrund in seiner Brust, der ihn in die Dunkelheit zog, in welcher es nichts gab außer dem Schmerz und den Hass auf den Grafen. Mit einem letzten wehmütigen Blick steckte Scill das Kärtchen entschieden in seine Tasche. Das Turnier musste warten. Jetzt hatte Bedeutenderes Vorrang. Entschlossen ging Scill los, zurück zu Körs Leichnam. Schnell huschte er durch die Straßen, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Für alle sah er aus wie ein normaler Bürger, der es eilig hatte. Doch in seinem Innern war er kein normaler Bürger. Nur Schmerz und Zorn füllten ihn aus. In seinen Gedanken malte er sich allerlei Folterungen aus, die er dem Grafen antun wollte. Scill achtete nicht auf das Geschehen um ihn herum. So bemerkte er auch nicht den Mann, der vor ihm aus einer Gasse trat. Mit voller Wucht prallte er gegen den Mann und beide stürzten. Fluchend richtete sich Scill auf. Auch der Andere stemmte sich ärgerlich hoch und fuhr Scill zornig an: „Was fällt Ihnen ein? Haben Sie keine Au..." als er Scill erkannte brach er abrupt ab. Auch Scill verzichtete auf eine wütende Antwort, nachdem er Neto erkannte. „Oh, hallo." Mehr brachte er nicht hervor.
„Tut mir Leid wenn ich dich angerempelt habe. Ich war in Gedanken." Sagte Neto.
„Angerempelt? Das ist etwas übertrieben und in Gedanken erst recht." Antwortete Scill.
„Stimmt, aber du warst auch nicht gerade in dieser Welt." Lachte Neto. Kurz huschte ein Lächeln über Scills Gesicht, doch es erlosch sofort wieder und der schmerzliche Ausdruck von gestern Nacht machte sich wieder breit. Die Wut und der Zorn waren für den Moment vergessen. „Was ist los?" Fragte Neto, dem der Schmerz in Scills Augen nicht entging.
„Gestern ist viel passiert."
„Erzähl mir was geschehen ist, vielleicht kann ich dir helfen."
„Nein, dabei kannst du mir nicht helfen."
„Lass es mich wenigstens versuchen."
„Ich muss selbst damit klarkommen."
„Du willst nicht darüber reden?!" Es war keine Frage, eher eine Feststellung. Trotzdem schüttelte Scill traurig den Kopf. Einer plötzlichen Eingebung folgend langte er in seine Tasche und holte das Kärtchen vom Turnier hervor. Er reichte es Neto und sagte: „Nimm es! Du hast mich fast besiegt und ich werde sowieso nicht weiter am Turnier teilnehmen."
„Warum? Hängt es mit Gestern zusammen?"
„Ja, es gibt jetzt Wichtigeres zu tun."
„Wichtigeres als deinen Traum?"
„Viel Wichtigeres." Nickte Scill. Er nahm Netos Hand und drücke ihm das Kärtchen hinein. „Kämpfe und siege! Tu es für mich um unserer Freundschaft Willen. Es wäre schade wenn niemand meinen Platz beim Turnier einnähme. Ich möchte nicht, dass mein Gegner seinen Kampf nicht bekommt, den er sicherlich verdient hat."
„Na gut. Ich werde an deiner Stelle weiterkämpfen. Unter deinem Namen."
„Bitte nicht, auf dem Zettel steht nur meine Nummer geschrieben, nicht mein Name, also kämpfe unter deinem Namen."
„Ich werde nie vergessen, dass du mir ermöglicht hast weiterhin am Turnier teilzunehmen. Wenn ich gewinne, werde ich nie vergessen, dass du der eigentliche Gewinner bist. Schließlich hast du mich besiegt. Auch wenn es sonst niemand weiß, ich werde es nie vergessen."
„Dann kann ich ja beruhigt meine eigene Aufgabe erfüllen und dich deinen Traum leben lassen."
„Ich möchte aber noch einmal gegen dich antreten. Ich verlange eine Revange."
„Die bekommst du. Versprochen."
„Ich freue mich schon jetzt darauf."
„Wir werden uns wiedersehen und dann wird geklärt ob ich wirklich besser kämpfe als du." Mit diesen Worten umarmte Scill Neto und ging dann, ohne ein weiteres Wort, davon. Neto blickte Scill nach, bis er in der Menge verschwand. Was hatte man seinem Freund nur angetan? Der Schmerz in seinen Augen war überwältigend gewesen. Etwas Schreckliches musste geschehen sein.
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Das Drachenamulett
FantasyIm Grunde führt Skill ein ganz normales Leben. Zusammen mit seinem Großvater lebt er in den Bergen in einem Land voller Schönheit und Magie. Doch als das große Turnier der Drachenkämpfe ansteht und Skill in die Hauptstadt reist um daran teilzunehme...