18. Tork'ith zar

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Dieses Mal war es wieder Nacht. Wieder hatte er sein Heim verlassen um in die Welt zu gehen. Erutin war heute sein Ziel. Eine der freien Städte. Ob hier die Grausamkeiten wohl geringer waren als anderswo, jetzt da diese Stadt befreit war vom Grafen. Überall brannten Lichter, in jedem Fenster. Es sah schön aus. Das Licht spiegelte sich in seinem glänzenden, langen weißen Haar. Sie feierten, die ganze Stadt feierte. Es war nun schon zwei ganze Monde her, auf den Tag genau. Die Menschen sagten die Stadt sei nun frei. Er wusste es besser... Es gab keine Freiheit. Es gab keine Ruhe. Die Stadt hatte ihre Unterdrücker nur durch andere ersetzt. Sie würde niemals frei sein, nicht solange auch nur ein einziger Mensch hier war. Die Stadt war niemals frei, denn es gab keine freie Stadt, es gab keine Stadt ohne Menschen. Aber wie auch? Was war eine Stadt denn noch ohne Menschen? Nur Gestein, Wildnis, mehr nicht. Verrückt... Er dachte einmal wieder viel zu verworren. Diese Stadt und ihre Menschen waren nicht frei, sie hatten nur den einen Herrscher durch einen anderen ersetzt. Nichts würde sich ändern. Es gab immer die, die Schmerz erlitten, es gab immer die, die anderen Schmerzen zufügten und es gab immer die, die befehligten und die, die ausführten, immer die, die unterdrückten und die, die unterdrückt wurden. Jeder Mensch war ein bestimmter von diesen und doch auch jeder andere. Jeder Mensch erlitt Schmerz und fügte Schmerzen zu, jeder Mensch sah und erlebte Böses und tat es im nächsten Moment selbst. Das würde hier in dieser Stadt nicht anders sein.
Er lief an einem hell erleuchteten Haus vorbei. Er sah durch die Fenster. Ein Mann und eine Frau saßen an einem Tisch. Der Mann hatte eine halb leere Flasche Teufelsfeuer vor sich stehen. Der schlimmste Schnaps, den er jemals getrunken hatte. Die Frau sie saß einen halben Meter von ihm entfernt. Ihm gegenüber. Tränen liefen ihr über das Gesicht... Was hatte dieser Mann getan? Die Frau stand auf, umrundete den Tisch und stellte sich hinter ihren Mann. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er blickte nach oben. Tränen standen auch in seinem Gesicht. „Warum?" Fragte er, dann sank er erneut in sich zusammen und fing an zu schluchzen. Die Frau beugte sich hinab, schmiegte ihren Kopf an seine Schulter und flüsterte: „Ich weiß es nicht. Sie fühlte sich wohl verraten. Sie hat uns nicht verstanden. Du kennst sie doch, sie hat uns nie verstanden."
„Aber warum?"
„Was denkst du wie es für sie aussah? Der Streit letzte Woche, deine harten Worte und nun das... Sie glaubte uns nicht."
„Wir wollten doch nur ihr bestes."
„Mir musst du das nicht sagen... Vielleicht war es falsch ihr zu verheimlichen, dass ich sterben werde."
„Nein Liebling, sag so etwas nicht, du wirst ni..."
„Du alter Narr! Natürlich werde ich, das weißt du genauso gut wie ich selbst. Es ist alles nur eine Frage des Geldes, aber es ist eine Frage, die man leicht beantworten kann. Wir haben das Geld nicht. Ich werde sterben. Wir können uns die Medizin und den Heiler nicht länger leisten und du weißt auch, dass sobald das Mittel nachlässt ein jeder, der in meiner Nähe ist ebenfalls krank werden wird."
„Ja, Täubchen. Doch keine Angst, du wirst nicht allein sein. Ich werde bei dir bleiben, bis zum Ende."
„Ich will das nicht..."
„Das hast nicht du zu entscheiden. Es ist mein Wille. Ich will und kann nicht ohne dich sein! Ich werde bis zum Ende bei dir sein! Das habe ich dir geschworen, an dem Tag als ich dich von zu Hause wegholte."
„Ach, ... ich wünschte du hättest es nicht getan."
„Was?"
„Es geschworen! Ich liebe dich und ich will nicht schuld an deinem Tod sein!"
„Es ist nicht deine Schuld! Schuld ist nur der Krieg... Seit diese Rebellen kamen und unsere Stadt – den Göttern sei Dank - vom Grafen befreiten, seit sie unser altes Haus niederbrannten haben wir kein Geld mehr. Seit damals müssen wir alles hergeben, alles nur um weitere Medizin zu kaufen. Schuld ist nur der Krieg!"
„Wir hatten uns so lange gewünscht, dass uns jemand vom Grafen befreit, jetzt ist es geschehen, lass uns nun zufrieden sein und nicht undankbar!"
„Wie machst du das nur? Wie kannst du nur so ruhig sein? Wir haben alles verloren, selbst Ekinarith unsere einzige Tochter..."
„Sie haben wir nur durch unsere eigene Schuld verloren... Wir hätten ihr die Wahrheit erzählen sollen. Was dachtest du denn wie sie reagiert? Was hättest du getan, wenn deine Eltern dir kurze Zeit nach einem großen Streit gesagt hätten, dass du in das Haus eines Adeligen geschickt werden würdest, als Dienerin! Für nichts weiter als Lesen, Schreiben, Rechnen und einige wenige Goldmünzen. Sie muss sich gefühlt haben, als ob wir sie verkauft hätten. Wie eine Sklavin! Es war doch klar, dass sie nicht sehen würde welche Chance wir ihr boten. Sie hätte ein Leben gehabt, ein Leben mit einer Arbeit, einem Dach über dem Kopf, genug zu Essen und sogar Bildung! Doch jetzt ist sie weg... Sie wird nicht zurückkommen, sie wird ein Leben in Armut führen, auf der Straße, nur weil wir ihr nicht die Wahrheit gesagt haben!"
„Und was wäre die Wahrheit deiner Meinung nach gewesen?"
„Wir hätten ihr sagen sollen, dass sie gehen müsse, weil sie sonst genauso wie ich sterben würde, und dass das die Chance ihres Lebens wäre."
„Denkst du sie hätte uns zugehört?"
„Ich weiß es nicht... Ich weiß doch auch nicht..."
Er schüttelte den Kopf. Hier war es auch nicht anders als an allen anderen Orten auf dieser verdammten Welt. Diese Menschen würden sterben, nur wegen dem Krieg, weil die Rebellen ihr Haus angezündet hatten. Dieser Kampf, der angeblich so gut war brachte auch wieder nur Schlechtes mit sich. Diese Menschen würden sterben und hatten nicht einmal den Schneid es ihrer eigenen Tochter zu sagen. Sie waren selber schuld daran, dass ihr Kind weggelaufen war. Sie hatten sie belogen, sie hatten ihr nicht die Wahrheit gesagt und deshalb war das Kind weggelaufen. Nun würde es auf der Straße verrotten. Es würde in Elend aufwachsen, vergewaltigt werden, sich wehren oder sterben. Würde zur Mörderin werden oder untergehen, würde selbst zum Übel werden oder verrecken und dadurch anderen Menschen Leid zufügen, Menschen die es liebten. Diese Welt war so verdorben...

Das DrachenamulettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt