15. Verrat

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„Der Kampf ist zu euren Gunsten ausgegangen. Scill hat gesiegt und nun steht es euch frei zu gehen wohin ihr wollt. Setzt eure Reise fort, beendet euren Weg und bereut nie für was ihr euch entschieden. Ihr habt ein Leben des Kampfes gewählt, ein Leben der Gefahr um Zhorga zu besiegen, bereut es nicht, denn ihr seid nicht mehr allein. Hunderte folgen euch, zerstört nicht ihren Traum indem ihr aufgebt. Lebt wohl!" Mit diesen Worten kehrte der Häuptling ihnen den Rücken und verschwand in der Halle der Versammlungen und mit ihm alle anderen die bei ihrem Abschied anwesend gewesen waren. Die drei blieben allein mit ihrem Gepäck und nach kurzem machten sie sich auf. Hinaus in die Steppe, in Richtung Schattental, fort von dem Dorf in rot. Nach Nurins Tod waren überall rote Fahnen, Tücher und Gewänder hervorgesucht worden. Innerhalb weniger Minuten war das ganze Dorf in rot erstrahlt. Jeder der Nurin Respekt gezollt hatte, jeder der ihm ein Freund gewesen war und jeder der sich ihm auf die eine oder andere Weise verbunden gefühlt hatte war gegangen um sich in die Farbe der Trauer zu kleiden. Rot, die Farbe des Blutes, des Lebens, rot, die Farbe der Energie und der Unendlichkeit für die Zentauren. Sie glaubten nicht an einen endgültigen Tod nur an den unendlichen Fluss der Energie, wer lebte bezog Energie aus seiner Umgebung und wer starb, der gab alles was er sich genommen hatte wieder zurück, der gab es weiter an die, die nach ihm kamen. Alles und jeder bestand aus nichts weiter als Energie und Energie ging niemals verloren, sie wandelte nur ihre Form und so starb auch niemand jemals ganz. Man gab nur alles aus dem man bestanden hatte ab und die Seele reiste zu den Göttern. Doch die Farbe rot war nicht nur die Farbe der Trauer sondern auch die des Lebens. Jeder Tod wurde gefeiert, denn jeder Tod hieß, dass man Platz für neues schuf, dass man seine Energie für neues Leben freigab und dass man zu den Göttern kam.

Scill und seine Gefährten ließen all das hinter sich.

*****

Kalt strich der Wind über seine Haut, brachte den Gestank von Schweiß, Sex und Erbrochenem mit sich, ließ ihn frösteln. Zwei Männer kamen ihm entgegen - beide groß, beide muskulös, beide taumelnd, nur einer noch am Lachen, der andere damit beschäftigt sich mühsam auf den Beinen zu halten. Sie kamen allem Anschein nach aus einem Bordell. Das einzige Haus in der Nähe in dem noch Licht brannte. Haus? Nun seiner Ansicht nach ein Schuppen der es nicht einmal verdient hatte, dass man in seiner Nähe das Wort Haus auch nur dachte. Kein einziger Stein war für den Bau verwendet worden, nur Stroh, Dreck und einige wenige Holzplatten. Es gab noch nicht einmal ein Obergeschoss, wie fast überall in dieser elendigen Stadt. Nur im Norden, da wo der Adel hauste gab es Gebäude, die er vielleicht sogar betreten hätte. Doch selbst die waren so winzig, so bedeutungslos, so furchtbar hässlich wenn man sie mit dem verglich was er in seinem Leben schon gesehen hatte, worin er schon gelebt hatte. Was war Poro mit gerade mal siebenhundert Lichtlern – wie er die Einwohner des Land des Lichts nannte - schon im Vergleich zur Stadt der Spiegel, zur verschollenen Feste Keijtaros oder zu Ganjue. Poro war nichts, ebenso wie all die Menschen die hier lebten nichts waren! Er beobachtete die beiden Männer still. Sie sahen ihn nicht. Er war verborgen in den Schatten der Hausmauer, in seinem dunkelgrauen Gewand nicht zu erkennen. Er lauschte den Stimmen. Die beiden sprachen nicht viel von Belang. Grummelten nur etwas von ihren Frauen. Machten Witze darüber was geschehen würde wenn ihre ‚Weiber' wüssten wo sie die halbe Nacht gewesen waren. Welch eine Dummheit, welch ein Fehler anzunehmen, die Frauen wüssten es nicht. Irgendwann würde die Zeit der Rache, der Vergeltung kommen und dann war es zu spät für Reue. Er ließ die Männer an sich vorübergehen und ging selbst weiter, passierte das Bordell und drang in eine Seitengasse ein. Einige Minuten später hörte er jemanden kommen. Er hörte das Keuchen in der Dunkelheit, hörte den gehetzten Atem einer Frau, hörte den Stoff ihres Kleides um ihre Beine flattern, konnte fast schon ihr Herz wild vor Angst schlagen hören, fast schon ihre zarte Haut sehen wie sie sich vor Grauen zusammenzog und das Zittern. Er konnte ihre Angst in der Luft schmecken. Nun kam sie in Sicht. Überquerte die Straße vor ihm. Er folgte ihr geschwind, leise, unbemerkbar. Jetzt konnte er auch sehen wovor sie floh. Drei Männer verfolgten sie. Ein weiterer war zwei Gassen entfernt, wollte ihr den Weg abschneiden. Was machte sie auch so spät allein noch draußen? Sie sollte längst zu Hause sein. Schnell lief er hinter den Männern her. Niemand bemerkte ihn. Er war leise, fast unsichtbar in der Dunkelheit, niemand konnte ihn aufhalten, doch er würde nichts unternehmen. Er war nur ein stummer Beobachter. Vor langer Zeit war er noch voller Tatendrang gewesen, hätte sofort versucht der Frau zu helfen, doch er wusste, dass sie es nicht verdiente. Niemand auf dieser verfluchten Erde verdiente das Leben. Die Menschen waren böse, schlimmer als jedes Tier. Sie verdienten ihr Leben nicht, wussten es ja nicht einmal zu schätzen. Ihr ganzes Dasein bestand nur darin anderen Schmerz zu bereiten, Gutes mit Bösem zu zerstören, Böses mit noch Böserem zu vergelten und nichts als Hass, Schmerz und Verzweiflung übrig zu lassen. Alles was man ihnen gab wurde undankbar zerstört, wurde aus Eigennützigkeit dafür verwendet um andere zu quälen, Hauptsache man schaffte es sich selbst ein einigermaßen angenehmes Dasein zu ermöglichen, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Gnade. Und Gutes? Was war das schon? Gab es das überhaupt? Bestand nicht auch jede ‚gute' Tat aus Bösem? Machte man anderen nicht nur eine Freude damit sie einen mochten? Damit man sie dazu bringen konnte freiwillig Dinge für einen zu tun, damit sie freiwillig zu Sklaven wurden. Waren Freundschaft und Liebe wirklich gut? Oder doch eher die Saat des Bösen? Nur nicht so offensichtlich schlecht, dass ein jeder es sofort bemerkte... Freundschaft und Liebe waren noch viel schlimmer als jede Grausamkeit! Gehüllt in einen schönen Mantel, sodass ein jeder darauf hereinfiel. Frauen machten sich freiwillig zu Huren indem sie ihren Körper für Zärtlichkeiten hergaben, Zärtlichkeiten die nur gegeben wurden damit man etwas bekam. Männer und auch Frauen opferten sich für ihre Freunde, ihre Familie, ihr Land im Namen der Liebe. Nicht ahnend das diese Liebe nur ein Gefühl war das sie dazu brachte sich aus freien Stücken aufzugeben. Es gab die Liebe und die Freundschaft nur, damit man andere leichter für die eigenen Zwecke benutzen konnte. Wenn man Hilfe brauchte schuf man sich Freunde nur um sie dann, wenn sie schwierig wurden, oder überflüssig, zerstört zurückzulassen. Da mochte er offenen Gewalt, Folter, Brutalität doch viel lieber. Dabei wusste man wenigstens woran man war. Also, warum sollte er dieser Frau helfen? Sie verdiente es nicht. Sie war nur eine weitere jämmerliche Kreatur die dahingerafft wurde durch die Grausamkeit ihrer eigenen Art. Er blieb stehen als der eine Mann vor der Frau aus einer Gasse sprang und sie packte. Sie schrie, die anderen drei waren heran. Er sah wie sie viel. Niedergedrückt von den Leibern, von Fäusten niedergestreckt. Der Anführer der Truppe stieß seine Kameraden bei Seite. Es sah so aus als wollten sie auf ihn losgehen, doch dann schienen sie ihre Meinung zu ändern. Erstaunlich, sie zollten ihrem Boss wohl wirklich Respekt, sie ließen ihm den Vortritt, halfen ihm die zappelnde Frau in die dunklen Schatten zu ziehen. Er wandte sich ab. Ging die Straße langsam zurück. Hörte die gedämpften Schreie der Frau, hörte reißenden Stoff, hörte das Geräusch nackter Haut auf nackter Haut. Sie war nur eine weitere Kreatur die ihr Leben verlor. Nur eine weitere Tote die hinter ihm zurück blieb. Einst war er noch anderer Meinung gewesen, doch er hatte seine Naivität verloren, jetzt sah er die Wahrheit.
Die Menschen waren böse.
Keiner verdiente das Leben.
Für sie gab es nur Schmerz,
Gewalt,
Grausamkeit
und den Tod.

Das DrachenamulettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt