05. Verwunschener Wald

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Als er aus der Hütte trat, wurde Scill von Silberflügel begrüßt. Mit einem schwachen Lächeln erwiderte Scill den Gruß. Silberflügel runzelte die Stirn, soweit ein Drache so etwas konnte. Er legte den Kopf schief und musterte Scill, als wolle er fragen was los sei. Dem Drachen war die Traurigkeit in Scills Augen nicht entgangen. Krähenkralle und Mondschatten, die in der Nähe ruhten, spitzten die Ohren und schauten Scill interessiert an. Er holte tief Luft, errichtete die Gedankenverbindung zu den drei Drachen und fing an mit zitternder Stimme zu sprechen: „In der Nacht vor letzter Nacht ist etwas unbegreiflich schreckliches passier. Ich will gar nicht erst drum herum reden, am besten ist, wenn ich es einfach gleich sage." Scill hatte den letzten Satz eher zu sich selbst gesagt als zu den Drachen. „Kör ist tot! Ihr habt euch bestimmt gewundert wo er ist. Ganz einfach er ist tot, tot! Tot, im Reich der Verstorbenen. Tot!" Scills Stimme versagte. Er war der Verzweiflung mehr als nur nahe. Diese Worte trafen die Drachen hart. Man hätte ihnen auch gleich einen Speer in ihr Herz rammen können, der Schmerz und der Schock wären nicht größer gewesen. Die Gefühle der Drachen überfluteten Scill. Er wurde von ihnen eingedeckt. Schmerz, Traurigkeit, Wut, Angst und Ungläubigkeit mischten sich unter seine eigenen Gefühle. Die Drachen konnten es nicht glauben, aber die Gefühle, die Scill selbst ausstrahlte waren nicht gespielt. Seine Worte waren keine Lüge. Er sagte die Wahrheit, ihr Leben würde sich ändern. Schlagartig! „Ich habe eine Entscheidung für mein weiteres Leben getroffen. Es steht euch frei mir zu folgen. Ich zwinge euch zu nichts." Scill erläuterte den Drachen seinen Plan, wie er den Grafen stürzen wollte. Ein Blick genügte den Drachen, mit welchem sie sich gegenseitig einigten. Sie würden Scill nicht alleine lassen. Nicht in der vielleicht schlimmsten Zeit seines Lebens. Nein, sie würden zu ihm halten. Sie teilten Scill ihre Entscheidung mit, indem sie ihm Bilder zeigten, auf denen er auf ihrem Rücken flog. Scill war unendlich froh über die Entscheidung der Drachen. Ehrlich gesagt hätte er sich nicht vorstellen können diese Reise ohne sie zu machen. Ein kleines bisschen Freude kehrte zurück in sein Herz. Er war nicht alleine. Die schwere Aufgabe, welche er sich vorgenommen hatte, würde er nicht ganz alleine meistern müssen. Das zu wissen war ungemein aufmunternd. „Also dann lasst uns aufbrechen! Der Graf hat lange genug geherrscht!" Die Drachen falteten ihre Flügel auseinander und stießen sich in den Himmel ab. Sie waren bereit und Scill nun noch viel mehr.

*****

Als die Sonne unterging und es dunkel wurde, war Scill immer noch unterwegs. Den ganzen Tag war er gelaufen und hatte nur selten gerastet. Er hatte einen gefährlichen Weg über das große Gebirge eingeschlagen, da es keinen sicheren gab. Aber Scill kannte das Gebirge gut, er wusste wie er es sicher überqueren konnte. Jetzt da die Nacht hereinbrach schaute er sich nach einem Unterschlupf für die Nacht um. Der Wind war eisig und die Kälte in der Nacht unerträglich, obwohl er die Gipfel der Berge noch lange nicht erreicht hatte. Schon bald fand er eine Felsplatte, die Wagrecht aus dem Berg ragte. Darunter war es einigermaßen windstill. Es würde eine annähernd bequeme Nacht werden. Es gab in der Nähe einige Bäume, deren Blätter er unter das Felsplateau legen konnte. Scill breitete die Decke über dem Laub aus und legte sich hin, wickelte sich eng in sein Fell und versuchte einzuschlafen. Es gelang ihm nicht. Am Tag waren die Drachen fast die ganze Zeit über ihm geflogen, er hatte viel in Gedanken mit ihnen geredet. Als er sein Lager unter der Felsplatte errichtet hatte, waren sie weiter geflogen, um sich einen geeigneten Schlafplatz zu suchen. Erst eine halbe Flugstunde entfernt hatten sie etwas gefunden. Einen verlassenen Drachenhort. Auf einem großen freien Platz waren die Drachen gelandet. Von diesem Platz aus begehbar gab es eine große Höhle, in welcher viele Knochen lagen. Knochen von wilden Tieren. Auf diesen Knochen lag der verwesende Kadaver eines Drachen. Die Flügel waren in einem grotesken Winkel verdreht. Die lederne Haut war eingerissen und zerfasert. Drachenschuppen waren zerbrochen, abgefallen und übersäten nun den Boden. Die Fänge des Drachen waren krampfhaft geöffnet. Das Gesicht schmerzhaft verzogen, der Rachen geöffnet, ein Auge zusammen gekniffen. An der Stelle wo das andere Auge sein sollte klaffte ein blutverkrustetes Loch. Der ganze Körper war von Schrammen und Wunden überzogen. In der schönen Brust des Drachen steckten drei Speere, die tief in das Herz des Drachen gerammt worden waren. Blut war überall in der Höhle verteilt, aber es war schon getrocknet. Auch zwei zerfetzte Menschenleichen waren in der Höhle zu finden. Kaum etwas von ihnen war noch zu erkennen, Arme und Beine waren abgerissen oder mehrfach gebrochen, der Körper von Drachenklauen zerrissen, das Genick gebrochen. Der ganze Anblick zeugte von einem Kampf zwischen Mensch und Drache. Silberflügel, Krähenkralle und Mondschatten waren entsetzt. Aber da klar war dass sie keinen besseren Lagerplatz finden würden, blieben sie trotz des vergangenen Schreckens in dem Hort. Scill war alleine und da er nicht schlafen konnte errichtete er die Gedankenverbindung mit den Drachen. Sofort schickte Mondschatten ihm das Bild des Drachenhorts. Schlaft ihr an diesem Ort? Fragte Scill geschockt. Silberflügel bejahte das mit zustimmenden Gefühlen. Scill dachte nach. Wer tat so etwas und warum? Was war den Kampf mit einem Drachen Wert der mehrere Leben kostete? Hatte der Drache ein Dorf überfallen und die Leute hatten sich gerächt? Scill grübelte und grübelte und nach einiger Zeit schlief er ein.

Das DrachenamulettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt