16. Schatten

35 1 0
                                    

Fünf ganze Tage waren sie nun schon ohne Tevin unterwegs. Fünf ganze Tage. Was er jetzt wohl machte? Verdammt, sie vermisste ihn. Wie hatte es soweit kommen können? Scill hatte Tevins Vater getötet und Tevin hatte Scill nicht retten wollen... Wie hatte es nur soweit kommen können? Sie waren doch Freunde gewesen! Freunde! Wieso war es dann so gekommen? Wieso ließen die Götter so etwas zu?
„Du vermisst ihn? Nicht wahr?" fragte Scill plötzlich und sie konnte nur nicken. Sie konnte ihm nicht antworten, ihm nicht einmal in die Augen sehen. Wenn er sah wie sie litt würde er sich noch mehr Vorwürfe machen.
„Ich vermisse ihn auch. Du glaubst gar nicht wie sehr. Ich wünschte er wäre jetzt hier, sodass ich ihm sagen könnte, dass es mir leid tut. Das ich mir nichts mehr wünsche als all das rückgängig zu machen. Aber er ist nicht da... Ich kann mich nicht entschuldigen... Ich hoffe nur es geht ihm gut."
„Er ist lange Zeit ohne uns ausgekommen, er wird es wieder schaffen. Wahrscheinlich ist er jetzt sogar sicherer als in all der Zeit die er mit uns verbracht hat."
Scill schnaubte auf. Das Kopfgeld fraß stark an seinen Nerven. Nicht nur, dass man ihn tot sehen wollte, das war nichts Neues, aber dass auch Kolina ein lohnenswertes Opfer war und man für sie mehr bekam wenn man sie lebendig fang war ungeheuerlich. Der Graf hatte erkannt, dass sie seine Achillesferse war und das machte er sich zu Nutzen. Scill spuckte wütend aus.

*****

Kolina griff nach einem Schwert und richtete sich auf. Sie hatte ihre Augen weit aufgerissen, doch es war kaum etwas zu erkennen. Wolken bedeckten den Himmel und es regnete wieder. Es war eine ekelhafte Nacht und zur Krönung hatte sich jetzt noch jemand in ihr Lager geschlichen. Sie hatte es genau gehört. Da waren Schritte gewesen. Scill schlief noch immer und sie überlegte ihn zu wecken, doch dann entschied sie sich dagegen. Wenn sie sich getäuscht hatte würde er ihr das vielleicht übel nehmen. Leise schlich sie unter der gespannten Plane hervor und schaute sich erneut um. Was war das? War da ein Schatten gewesen? Adrenalin schoss durch ihre Adern. Ihr Herz schlug wild und sie machte sich innerlich für einen Kampf bereit. Da! Schon wieder! Dieser Schatten... Was war es? Ein Tier oder ein Mensch? Schritte rechts von ihr und sie glitt lautlos darauf zu. Was war das? Hinter ihr... Sie konnte in der Ferne eine Stimme hören. Sang da jemand leise vor sich hin? Waren es mehrere Angreifer? Sie hätte Scill doch wecken sollen! Sie ging noch drei Schritte weiter und da sah sie einen von ihnen. Er hatte den Rücken zu ihr gedreht und sie schlich weiter. Packte ihn von hinten, riss ihn zu Boden und hielt ihm ihr Schwert an die Kehler.
Zwei Augen starrten sie geschockt an und er fing an zu schreien. Kolina taumelte irritiert zurück. Er kreischte wie ein altes Weib! Sie sprang nach vorne. Landete auf ihm, hielt mit der einen Hand seinen Mund zu und mit der anderen presste sie ihre Klinge an seinen Hals. Der Fremde hörte sofort auf zu schreien. Er zitterte vor Angst. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, doch er wehrte sich nicht. Tränen traten in seine Augen und er fing an zu schluchzen. Was war hier los? So verhielt sich kein Attentäter... Kolina ließ lockerer und er fing noch heftiger an zu schluchzen und die Götter um Hilfe und Vergebung zu Bitten. Verdammt! Was sollte das! Er war doch kein kleines Kind! Wer war er? Er sah aus wie, wie? Wie was? Er war ein Moppelchen. Er hatte runde Bäckchen und eine Wampe. So sah kein Krieger aus... Und was trug er überhaupt? Irgendein langes Gewand. Es war blau? Er hatte keine Waffen bei sich. Verdammt wer war er?
„Lass Me...Mena...Meeeenaaa hiks Menaul i Ruhe!" Lallte jemand hinter Kolina und plötzlich wurde sie gepackt und von dem Moppelchen weggezerrt. Sie wand sich in dem Griff und befreite sich. Mit einem Satz war sie auf den Beinen und starrte den Neuankömmling an. Er stand wacklig auf beiden Beinen. Sein Blick war getrübt und er versuchte sie zu packen. Seine Hand griff neben ihr ins Leere. Sie hatte sich nicht bewegt. Er taumelte und stürzte. Hart schlug sein Gesicht im Matsch ein. Er hatte es nichtmehr geschafft sich abzustützen. Langsam drehte er sich wieder um. Versuchte sich aufzurichten, brauchte drei Versuche, zweimal landete er erneut im Dreck. „Lass Menaul in hiks Ruh!" Brabbelte er und ging zu dem anderen. Dieser hatte sich erhoben und ging auf den Betrunkenen zu. Er nahm ein Tuch aus einer Tasche und wischte dem einen das Gesicht sauber.
„Verdammt!" Schrie Kolina. „Was ist hier los?"
„Das könnte ich ebenso Sie fragen." Grummelte Menaul. „Was fällt Ihnen ein einfach auf mich loszugehen? Haben Sie keine Angst vor dem Zorn der Götter?"
„Einfach auf Sie loszugehen? Ich glaub ich spinne! Wer glauben Sie sind Sie?! Sie schleichen sich mitten in der Nacht in unser Lager und beschuldigen mich, weil ich auf Sie los bin? Geht's noch?"
„Ihr Lager? Ach diese Plane da hinten? So sieht doch kein Lager aus..."
„So sieht kein Lager aus? Was fällt Ihnen ein?"
„Schö... Schöe Dame verzeihen Sie mem Frund er steht uner hiks Schock."
„So verhält er sich unter Schock? Ihr seid doch krank!"
„Neee, er is Heler. Wir snd nich krank."
„Heler?" Fragte Kolina verständnislos.
„Er wollte sagen, dass ich Heiler bin." Erklärte Menaul seinen Freund.
Kolina fing an zu lachen.
„Was o lustig?" Lallte der Betrunkene und fiel rückwärts um als er einen Schritt auf Kolina zumachte. Kolina lachte noch lauter. „Ihr seid doch dämlich." Grinste sie.
„Was erlauben Sie sich?" fragte Menaul empört.
„Ich sage ihr seid krank und er" Sie deutete auf den am Bodenliegenden „widerspricht mir und meint Ihr seid Heiler. Was soll ich da noch denken? Ihr seid dämlich!"
Jetzt lachte auch Menaul. „Verzeiht, dass wir Euch in Eurer Nachtruhe gestört haben. Erlaubt mir mich noch einmal vorzustellen. Ich bin Menaul und ich reise zusammen mit Ajuk von Stadt zu Stadt. Nur leider können wir nie lange belieben, weil er immer zu viel trinkt" Grinste er.
„Da hiks is nich wahr..." ertönte Protest vom Boden.
Kolina grinste und meinte: „Vergeben und vergessen. Verzeiht Ihr mir, dass ich Euch angegriffen habe, doch man kann nie vorsichtig genug sein. Es sind gefährliche Zeiten."
„Was ist hier los?" Fragte Scill plötzlich hinter Kolina.
„Oh, hallo. Ich habe die beide hier fälschlicher Weise für Feinde gehalten und sie angegriffen. Wir sind gerade dabei das Missverständnis aufzuklären. Ich wollte mich eben vorstellen." Richtete Kolina das Wort an Scill. „Also, sehr erfreut euch kennenzulernen, man nennt mich Chya und das ist mein Mann Ta... Tacin. Wir sind auf dem Weg in die Rote Stadt um dort meine Mutter zu besuchen. Sie hat nach dem Tod meines Vaters vor sechs Jahren endlich einen neuen Mann gefunden und wir wollen bei der Hochzeit dabei sein."
Skeptisch musterte Menaul sie, dann nickte er und entgegnete: „Das trifft sich aber gut, wir sind ebenfalls unterwegs in die Rote Stadt, lasst uns gemeinsam reisen."
„Ich denke das ist keine so gute Idee." Warf Scill ein.
„Warum nicht?"
„Es ist ein gefährlicher Weg."
„Umso besser. Je mehr wir sind, desto sicherer wird es. Außerdem, Ihr wisst wie man mit Waffen umgeht ich nicht. Ich besitze noch nicht einmal eine und will auch niemals eine in die Hand nehmen. Bitte reist mit uns und bietet uns Schutz. Wir bezahlen auch." Versuchte Menaul Scill zu überreden.
„Ich denke trotzdem..."
„Entschuldigt uns kurz wir müssen geschwind miteinander reden." Meinte Kolina und zerrte Scill an einem Arm davon.
„Was soll das alles?" Fragte Scill wütend. „Die falschen Namen? Das Gerede von deiner Mutter?"
„Verstehst du denn nicht? Das ist die Chance uns zu verstecken. Alle die die Steckbriefe gesehen haben werden nach einer Gruppe von drei Personen suchen, mit diesen beiden zusammen sind wir unauffälliger. Sie werden nicht gesucht. Sie können für uns Informationen einholen, natürlich ohne ihr Wissen... Sie können für uns einkaufen gehen, sich unter Menschen mischen. Wir nehmen einfach eine neue Identität an. Verkleiden uns. Spielen das Paar, das zur Hochzeit der einen Mutter reist. Ich werde mir die Haare färben, du am besten auch. Wir verstecken unsere Waffen, kaufen neue Kleider,... Die Beiden sind unsere Chance. Für eine gute Tarnung brauchen wir Geld, sie wollen es uns geben. Bitte,... Denk darüber nach!"
„Hmm, ich glaube du hast recht. Also gut."
„Ihr könnt uns begleiten!" Rief Kolina fröhlich und lief zu den Fremden. „Kommt mit in unser Lager. Esst eine Kleinigkeit mit uns."
„Essen? Wo?" Rief Ajuk und sprang schwungvoll auf nur um sich dann schnell an Menaul festzuklammern um nicht wieder das Gleichgewicht zu verlieren. „Folgt mir!" Lächelte Kolina und tänzelte vorneweg. Beiläufig nahm sie ein Tuch aus ihrer Tasche und band sich ein Kopftuch. Wenn sie jetzt noch ein Kleid tragen würde und ihr Schwert ablegen, wäre das Bild einer einfachen Bäuerin perfekt. Nun ja so in ihren Hosen ging es auch. Ein Glück, dass die Zeit in der Frauen Kleider tragen mussten vorbei war dachte Scill.
„Nun Chya was gibt's denn leckeres zu Essen?" fragte er amüsiert. Es war komisch sie bei einem fremden Namen zu nennen.
„Suppe wie auch schon gestern Abend, Tacin."

Das DrachenamulettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt