13. Domen - Garmisch-Partenkirchen- Tag der Qualifikation

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Die Silvesterparty war in vollem Gange, wobei Party wohl das falsche Wort war. Schließlich saßen sie in den Speiseräumen, die extra etwas dekoriert worden waren und aßen gemütlich zu zu Abend. Es herrschte ausgelassenere Stimmung als üblich vor einem Wettkamptag. Außerdem hatte so gut wie jeder Springer eine Tüte an seinem Stuhl hängen, die im Laufe des Abends geleert werden würde. Viele hatten Luftschlangen dabei und kleines Tischfeuerwerk.

Etwas lustlos stocherte Domen in seinem Essen und sah sich um. Sie teilten sich das Hotel mit den Norwegern, aber das hatte er ja bereits gewusst, den Finnen und zu seiner Überraschung mit den Nordamerikanern und Schweizern. Die hatte er bisher hier noch nicht angetroffen. Alle saßen sie an ihren jeweiligen Tischen und unterhielten sich ausgelassen, bis auf Daniel und seine Mutter, die momentan noch fehlten. Ob sie wohl auswärts gemeinsam feiern würden? Domen hatte eigentlich darauf spekuliert, Daniel so ganz nebenbei noch ein wenig mehr ausquetschen zu können. Vielleicht bei einem Glas Sekt? Cene wurde dann jedenfalls immer ganz redselig und so wie es aussah, würde er ein bisschen Ablenkung ganz gut vertragen können.

„Die Norweger in ihrem natürlichen Lebensraum. Schon sehr interessant, oder? Ich meine, sieh dir nur mal Tom an: der schafft es irgendwie den gesamten Tisch zu unterhalten und gleichzeitig seinen Nachtisch in sich reinzustopfen ohne dabei zu kleckern. Einfach faszinieren", wandte sich Cene, der direkt neben ihm saß, Domen zu.

„Allerdings. Aber noch besser finde ich Robert und Andreas. Sieh dir das mal an: Roberts Essen muss schon ganz kalt sein, so viel wie er zu erzählen und zeigen hat. Er ist immer noch beim Hauptgang. Da wird wohl jemand ohne Nachtisch ins Bett müssen. Andreas sieht schon ein bisschen leidend aus. Robert stoppt man eben nicht so leicht", kicherte nun auch Domen, dem es ein wenig peinlich war, dass Cene ihn beim Starren erwischt hatte.

„Was kichert ihr beiden denn schon wieder?", stirnrunzelnd lehnte sich Peter zu ihnen herüber.

„Wir studieren", antwortete Domen knapp. Durfte man jetzt schon nicht einmal mehr Lachen? Den misstrauischen Unterton von Peter hörte er doch schon eine Meile gegen das nicht existente Rockfestival.

„Ja, Verhaltensstudie der Norweger. Fehlt eigentlich nur noch das Protokoll", klärte Cene ihren Bruder etwas bereitwilliger auf, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu beteiligen.

„Meint ihr nicht, dass das ein bisschen unhöflich ist?" Warum hatte Domen einen derartigen Kommentar nur kommen sehen?

„Herrgott, sie werden uns schon nicht gleich verklagen", stöhnte Domen und schob seinen Teller von sich. Jetzt war ihm der Appetit wirklich vergangen.

„Benehmt euch! Waffenstillstand, schon vergessen!?", ging Cene warnend dazwischen, bevor Peter zu einer Antwort ansetzen konnte. „Ihr seid schlimmer als Nika und Ema, wenn sie sich zoffen!"

Das zeigte Wirkung. Peter wandte sich wieder seinem Dessert zu und auch Domen ließ sich in seinen Stuhl sinken. Das würde ein tolles Silvester werden. Besser er ließ sich gleich knebeln, sonst hatte er keine Chance heil durch den Abend zu kommen.

„Was war eigentlich mit Ema an Weihnachten los? Sie hat sich so seltsam benommen. Erst schneidet sie all ihren Puppen die Haare ab, dann fängt sie an den Frühstückstisch zu decken und das Haus zu putzen und am 2. Weihnachtsfeiertag hat sie genauestens beobachtet, wie ich meine Zähne putze. So kenne ich sie gar nicht. Normalerweise spielt sie doch immer still in ihrer Ecke mit ihren Puppen und verstümmelt sie nicht", wollte Peter das Thema auf vermeintlich sicheres Terrain wechseln.

„Sie hat sich nicht seltsam benommen, sie besprechen in der Schule gerade Berufe und sie wollte ausprobieren, was sie mal werden will. Und mit den Puppen spielt sie schon seit Monaten nicht mehr. Dafür ist sie inzwischen zu groß, hat sie gesagt", verteidigte Domen seine Schwester sauer und sah auf die Uhr. Erst sieben. Mit etwas Glück würde er Nika noch erreichen.

Unter den fragenden Blicken seiner Brüder und Teamkameraden stand er auf. „Muss noch kurz telefonieren", entschuldigte er sich und verließ den Speisesaal auf der Suche nach einer ruhigen Ecke. Doch überall herrschte reges Gewusel. Die Vorfreude auf das anstehende Ereignis war einfach überall greifbar und Domen fühlte sich fehl am Platze zwischen all der guten Laune.

Seufzend ließ er sich schließlich draußen auf eine Bank mit Blick auf den Hoteleingang fallen. Neben seiner wieder neu aufkeimenden Wut auf Peter hatte er ein schlechtes Gewissen. Es war einfach schon viel zu lang her, dass er sich bei Nika oder Ema gemeldet hatte. Nicht, dass Telefone nicht in beide Richtungen funktionierten, aber immerhin war er der ältere. Sie sollten nicht das Gefühl haben, er würde sich nicht für ihr Leben interessieren.

Domen zog sein Handy aus der Tasche und wählte Nikas Nummer. Während es tutete, dachte er über den heutigen Tag nach, der irgendwie seltsam gewesen war. Daniels Geheimnis im Wald, der Streit mit seinem Bruder und jetzt die Shoppingtour. Er gab es ungern zu, aber schon als sie zusammen losgegangen waren, wäre er Peter gern wieder an die Gurgel gesprungen. Peter hatte ein Gesicht gezogen, als hätte man ihm die Höchststrafe verhangen. Dann hätte er sich eben nicht von Cene bequatschen lassen sollen. Sonst war er doch auch in der Lage, alles und jedem in jeder noch so unpassenden Situation seine Meinung mitzuteilen, weil er es besser wusste. Er sollte sich mal nicht so haben! Er war auch nur mitgegangen, weil er Cene nicht hatte enttäuschen wollen...okay, und vielleicht wegen dem, was Daniel gesagt hatte. Aber nur vielleicht. So ganz überzeugt war er von dessen Theorie immer noch nicht ganz. Schließlich konnte Peter es einfach nicht lassen.

Unruhig sah er sich um. Er hatte Daniel seit der Qualifikation nicht mehr gesehen. Wo steckte er nur so lange? Allein würde er den Abend eher nicht überstehen.

Ob er wieder etwas im Wald zu erledigen hatte? Andererseits, wenn er sich hier umsah: mit Wald hatte das Gebüsch hinter dem Hotel eigentlich nichts zu tun. Da konnte man viel zu leicht entdeckt werden. Und Daniel schien sehr viel Wert darauf zu legen, unentdeckt zu bleiben.

„Domen, was für eine Freude! Aber Silvester ist doch erst in ein paar Stunden", schallte die freudig leicht verwirrte Stimme seiner jüngeren lebhaften Schwester durch den Hörer.

„Ich weiß, aber ich dachte, ich höre mal, wie es meiner Lieblingsschwester so geht", erwiderte er und registrierte wie sehr er sie doch vermisste, wenn er unterwegs war. Ob es Peter auch jemals so gegangen war? Wahrscheinlich nicht. Dann hätte er sich öfter bei ihnen gemeldet, statt immer nur mit ihrem Vater über seine Sprünge zu fachsimpeln.

„Lass das bloß nicht Ema hören", kicherte sie leise.

„Werd ich nicht. Wie geht's dir? Was gibt es neues?", wollte er wissen, lehnte sich in seiner Bank zurück und betrachtete die Sterne, die gerade am Firmament erschienen. Es war schön hier zu sitzen und die Stille zu genießen. Durchzuatmen und der Stimme seiner Schwester zu lauschen.

„Oh, eine Menge. Du glaubst es nicht! Zuallerst: Mama hat ihren Brotbackofen in Brand gesteckt", kicherte sie und begann begeistert zu erzählen: „Sie sagt, sie hat die Anleitung falsch gelesen, aber wenn du mich fragst, hat sie irgendwas mit dem Teig vergeigt... ehrlich, der war schon vor dem Backen hart wie Zement... ich glaube nicht, dass das so sein sollte", erwiderte sie nachdenklich und er konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Wenn es etwas gab mit dem ihre Mutter ständig zu kämpfen hatte, dann waren es ihre Koch- und Backkünste, die, realistisch betrachtet, nicht existent waren. Deswegen hatten sie eigentlich eine Haushälterin, die allerdings immer zwischen Weihnachten und Neujahr frei hatte. Die Möglichkeit für ihre Mutter auszutesten, ob sich nach einem Jahr endlich so etwas wie Talent entwickelt hatte.

„Wieso überrascht mich das jetzt nicht? Mama kann es eben einfach nicht lassen und nein: das sollte definitiv nicht so sein...das dürfte ein neuer Rekord sein... nur sechs Tage... nicht schlecht... der Mixer vom letzten Jahr hat wenigstens bis zum ersten gehalten, damit hat dann wohl Cene die Wette gewonnen", grinste Domen in den Himmel. Er konnte sich das Chaos und auch die Reaktion seines Vaters lebhaft vorstellen.

„Naja, jedenfalls gehen wir heute Abend dann zu Nachbars...hier muss erstmal alles auslüften. Also braucht ihr nicht hier anrufen, das wollte Mama euch, glaube ich, eh noch schreiben-"

„Ah, okay."

„Ja, und dann war ich mit Maria im Kino und es war so toll! Ehrlich, den wünsche ich mir zum Geburtstag! Also, merk es dir! Ich will dieses Meisterwerk unbedingt...oder ich werde sterben! Und das zu meinem Geburtstag, das kannst du nicht wollen!", brabbelte Nika weiter, und erzählte ihm jedes einzelne Detail der Handlung, die ihn eigentlich nicht interessierte. Stattdessen wurden seine Blicke angezogen von Peter, der suchend durch die Lobby lief. Das durfte doch nicht wahr sein!

„Domen, hörst du mir überhaupt noch zu?", erklang eine Stimme an seinem Ohr, angesichts seines genervten Stöhnens. Hastig sah er sich um. Er wollte jetzt wenigstens ein paar Minuten seine Ruhe.

„Jaja, erzähl weiter", flüsterte er schnell in den Hörer und lief hinter ein Auto, dass ihm genügend Schutz bot.

„Also, wie gesagt, ich will etwas für Mama nähen, du weißt schon, weil sie ihren Brotbackautomaten versengt-"

„Du willst nähen?!", unterbrach er sie überrascht und vergaß für einen Moment, dass er besser etwas leiser sein sollte. Den Themenwechsel hatte er dann doch verpasst und Nika war in vielem talentiert, aber Handwerken gehörte definitiv nicht dazu. Vor einem Jahr war sie stolz mit einem selbstgemachten Backhandschuh von der Schule gekommen und Mama hatte sie für den schicken Topflappen gelobt, danach war sie eine Woche lang zutiefst beleidigt gewesen.

„Ja, jetzt warte doch mal ab!", zischte sie unwirsch. „Also in der Anleitung steht, dass ich dafür 1 ¼ m roten Stoff, 2 ½ m blauen Stoff und-"

„Was willst du Mama denn nähen?! Ein Zirkuszelt?!", zischte er geistesabwesend und sah wie sein Bruder aus dem Hotel trat und sich auf die Bank fallen ließ, vor der er noch vor ein paar Minuten gesessen hatte.

„Jetzt unterbrich nicht dauernd! Also nochmal 1 ¼ m plus- äh und 2 ½ m und 2 ¼ m grünen Stoff, also den brauche ich. Wieviel brauch ich dann insgesamt?", schallte Nikas Stimme ungeduldig durch den Hörer und verlangte nach seiner Aufmerksamkeit, die immer mehr zu seinem Bruder abschweifte.

Irgendwie sah Peter, ja er sah irgendwie abgekämpft aus. Er zog die Beine an seinen Körper, raufte sich die Haare und stieß einen für Domen nicht klar definierbaren Schrei aus. Wenn er allerdings hätte raten müssen, dann würde er auf eine Mischung aus Ärger und Verzweiflung tippen. Kein Wunder. Seit Saisonbeginn kämpfte er verbissen um seine Sprünge. Domen wusste, dass Peter nicht glücklich mit dem Wechsel seiner Skimarke war. Und dann krachten sie beide ständig aneinander.

Allein kann die Welt ziemlich furchteinflößend sein. Er dachte an Daniels Worte. War Peter allein? Eigentlich nicht. Er hatte Jurij mit dem er sich super verstand und auch Goran tat sein Bestes, um ihn bestmöglich zu unterstützen. Aber reichte das? Immerhin hatte Daniel auch sein Team und von denen schien keiner zu wissen, was Daniel beschäftigte. Ganz im Gegensatz zu Mrs. Tande, die bestens im Bilde zu sein schien.

„Domen? Bist du noch da?", unterbrach Nika verwirrt seine Gedanken.

„Ich...ja... aber, warte... was willst du?", versuchte Domen sich für seine Schwester zusammenzureißen und den Blick von Peter zu lösen, der sich mit geschlossenen Augen zurücklehnte und nachzudenken schien. Zumindest würde Domen die steile Falte auf dem Gesicht seines Bruders, die ein ihm völlig unbekanntes Ausmaß angenommen hatte, so interpretieren.

„Ehrlich jetzt?! 1 ¼ plus 2 ½ plus 2 1/4", wiederholte sie inzwischen ziemlich darum bemüht nicht verzweifelt so kurz vor ihrem Ziel loszuschreien.

„Moment...Nika... ich helfe dir doch nicht etwa gerade bei den Hausaufgaben?!", fragte Domen leise hellhörig geworden, löste den Blick von Peter und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch mit Nika.

„Naja, momentan bist du keine Hilfe", gab sie zurück. „Also? 1 ¼ plus 2 ½ plus 2 ¼ . Bitte! Ich darf erst aus dem Haus, wenn ich hier fertig bin! Denk an den ganzen Qualm... der ist bestimmt nicht gut für mich... Du hast mich doch lieb, oder? Du musst mir einfach helfen, ob du willst oder nicht! Der Fluch und Segen von Familie, oder wie Mama das immer nennt!", zitierte seine erst 11-jährige Schwester altklug.

Dafür hat man Familie. Erneut sah er zu Peter, der immer noch zusammengesunken auf dieser verdammten Bank saß. Direkt vor ihm. Irgendwie hilflos und allein und ganz nebenbei bemerkt, alles andere als perfekt. Warum müssen wir eigentlich immer streiten?, das hatte Peter ihn noch vor ein paar Stunden gefragt.

„Also?", fragte seine Schwester ungeduldig nach.

„6 Nika. Genau 6", gab er sich geschlagen. Und hörte das Jauchzen seiner Schwester durchs Telefon. Wenn sie anfing, ihm Honig ums Maul zu schmieren, konnte er einfach nicht lange standhaft bleiben und das wusste sie auch. Nika war lang nicht so unschuldig brav wie sie immer tat und das würde Peter auch wissen, wenn er ab und an mal wirklich Zeit mit ihr verbringen würde. Ebenso, dass Ema der Meinung war, langsam erwachsen zu werden.

„Danke! Du bist der beste Bruder, den es gibt!", stieß sie glücklich aus und Domen hörte das Rascheln von Blättern und das Kratzen des Stiftes, während er sich unzufrieden mit allem gegen das Auto sinken ließ. Warum war es mit Peter so kompliziert? Glaubst du, mit dir ist es einfach?, schallte Peter erneut durch seinen Kopf, quasi im Chor mit Daniel: Ist frustrierend, wenn man gegen eine Wand redet, oder?

„Ich weiß", antwortete er Nika mit einem fast wehmütigen Lächeln im Gesicht. Zumindest war er das für irgendjemanden.

Er sollte sich glücklich schätzen, Menschen um sich zu haben, die sich um ihn sorgten. Das hatte Daniel gesagt und ihm war klar, dass es nicht nur so ein leerer Kalenderspruch gewesen war, mit dem man bei jeder sich bietenden Gelegenheit um sich warf, der sich nett anhörte, aber eigentlich keine Bedeutung besaß.

„Wusste ich es doch, dass ich was gehört habe!"

Erschrocken zuckte Domen zusammen, drehte sich zur Seite und sah auf. Vor ihm stand Peter, der ihn stirnrunzelnd betrachtete. Hatte der nicht eben noch seelenruhig mit seiner Bank gekuschelt?

„Hey, Nika. Ich muss Schluss machen. Ich wünsche euch einen schönen Abend", verabschiedete er sich hastig von seiner Schwester. Es hatte schon gereicht, dass sie zu Weihnachten die angespannte Stimmung zwischen ihnen mitbekommen hatte.

„Was machst du hier?", fragte Domen und versuchte seine Stimmlage unter Kontrolle zu halten, indem er an das Bild von Peter einsam und allein auf seiner Bank dachte.

„Was wohl? Ich hab dich gesucht", antwortete Peter seufzend und starrte auf seinen jüngeren Bruder hinab.

„Das hast du dann ja jetzt geschafft. Und jetzt?", wollte Domen etwas ratlos wissen. Irgendwie war er davon ausgegangen, dass da noch mehr kommen würde. Dabei musste er ständig an die Wand denken, die er nur dieses eine Mal aus dem Gespräch heraushalten wollte. Einfach nur um zu sehen, was dabei herauskommen würde.

Misstrauisch musterte er seinen Bruder.

„Du musst das wirklich nicht tun, wenn du nicht willst", brummte sein großer Bruder schließlich tonlos, dabei hatte er seinen Blick ins Leere gerichtet.

„Was muss ich nicht tun?"

„Silvester mit mir verbringen. Sag Cene einfach, dass du keine Lust hast, der wird das schon überleben", brachte der ältere Prevc schließlich hervor und musterte seinen Bruder frustriert. Irgendwann musste auch der beste Sportler einsehen, dass er verloren hatte.

„Was?! Das kannst du vergessen! Das wirst du mir nicht in die Schuhe schieben! Ich denke gar nicht dran! Gib wenigstens einmal im Leben zu, dass es an dir liegt und nicht an mir!", fauchte Domen, der von der Aussage seines Bruders völlig überrumpelt war.
Daniel konnte ihn mal kreuzweise mit seiner Wand!

„Ja, schön bitte: Alles meine Schuld. Was auch immer, es ist allein meine Schuld. Der perfekte Peter hat Schuld. Zufrieden? Ja? Schön! Dann hätten wir das ja geklärt und du kannst gehen und musst meine verhasste Anwesenheit nicht länger ertragen", schrie Peter ihn an.

„Welche Anwesenheit? Du warst doch nie da! Im Winter tingelst du von einem Ort zum anderen. Im Sommer Trainingscamps, gemeinsam einsamen Urlaub mit deiner Freundin oder Training an der Schanze! Wann bitte, hattest du das letzte Mal Zeit, dich mit einem von uns abzugeben?!", aufgebracht war Domen aufgesprungen und beide standen sich schwer atmend gegenüber. So wie sein Bruder das darstellte, war es einfach nicht richtig.

„Das stimmt doch gar nicht! Ihr habt mich immer anrufen können, ich habe nie einen eurer Geburtstage vergessen und was war bitte an Weihnachten? Wenn ich nicht gerade eine multiple Persönlichkeit beherberge von der ich nichts weiß, dann haben wir da auch ein paar sehr schöne Tage verbracht, an denen du unbedingt in den Kraftraum musstest", wehrte Peter sich.

Domen konnte es einfach nicht fassen, dass er hier einen Seelenstriptease vor Peter hinlegte und der die Schuld einfach ihm zuschob und nichts verstand. Mal wieder! „Oh, ja! Ich erinnere mich an endlose stundenlange Gespräche. Ehrlich Peter? Immer wenn ich angerufen habe, warst du gerade auf dem Sprung, wenn du dann zurückgerufen hast, hatte ich nie das Gefühl, dass du sonderlich begeistert warst, mit mir reden zu müssen. Deine Anteilnahme an meinem Leben in Form von Mhhhms und Jaas in den verschiedensten tonlosesten Stimmlagen war wirklich rührend. Und wie konnte ich nur die tollen Geburtstage vergessen bei denen du nur kurz zu einem wirklich hingebungsvollen Händeschütteln da warst?!", schwelgte er in seinen Erinnerungen, während seine Stimme nur so vor Sarkasmus troff.

„Wirklich? Ich hatte nie den Eindruck, dass du groß auf meine Aufmerksamkeit wert gelegt hast, aber jetzt wo du es sagst: Wie konnte ich das nur übersehen? All die dummen Kommentare und Zurückweisungen... Du hast Recht, das hätte ich einfach erkennen müssen!", gab Peter zurück und sein Tonfall stand dem seines Bruders in nichts nach.

„Ach, mit dir kann man einfach nicht reden! Wenn von uns hier jemand eine Wand ist, dann bist das ja wohl du!", rutschten Domen seine Gedanken frustriert heraus, während er sich aufrappelte und sich den Dreck von den Hosen klopfte.

„Was?!"

„Ich sagte, mit dir redet man wie gegen eine Wand", schnappte Domen, während er zielstrebig auf den Hoteleingang zulief. „Eigentlich dachte ich ja, wir können das irgendwie klären, aber mit dir geht das einfach nicht."

„Ach, sieh einer an. Was glaubst du, versuche ich schon seit Wochen? Aber durch deinen Dickschädel, der mit der Chinesischen Mauer umwickelt ist, dringt doch nichts durch!", zischte Peter leise, der sich an die Fersen seines Bruders geheftet hatte und ihm im atemberaubenden Tempo durch die Lobby folgte. Dabei war ihm alles andere als wohl, denn er war sich durchaus darüber im Klaren, dass sie gerade dabei waren eine Menge Aufmerksamkeit zu erregen.

Domen, der angesichts der Worte seines Bruders am liebsten laut aufgelacht hätte, stoppte unerwartet in der Absicht seinem Bruder zu sagen, was genau er von dessen Versuchen hielt. Doch Peter, der nicht damit gerechnet hatte, dass sein Bruder plötzlich anhalten würde, rauschte mit voller Wucht in Domen, strauchelte zurück und beim Versuch, sein Gleichgewicht wieder zu finden, krallte er sich am erstbesten Fest, dass er greifen konnte.

Dass das unbedingt die arglose Kellnerin gewesen war, die soeben dem Tisch direkt neben ihm ihre Getränke hatte bringen wollen, war dann irgendwie dumm gelaufen.

Für einen Moment betrachtete Domen stumm die Szene vor ihm: die blonde Kellnerin auf dem Boden, sich immer noch fragend, was gerade passiert war und was sie auf ihrem Arsch gelandet war, daneben Peter auf dem Boden liegend, bekleckert von oben bis unten mit einer Mischung aus Kaffee, Wein und Eis, den Mund leicht geöffnet, als stünde er immer noch unter Schock, gekrönt mit einer Kirsche, die irgendwie auf seinem Kopf gelandet war.

„Scheiße, egal wo wir hinkommen, das Chaos kommt mit", kommentierte Peter das Ganze, mehr für sich selbst, zuckte hilflos mit den Schultern und sah seinen Bruder unsicher an. „So wie es aussieht, nehmen wir uns beide nicht sonderlich viel."

„Muss an dir liegen", gab Domen instinktiv frech zurück. Doch dieses Mal ganz ohne die üblichen Vorwürfe oder Untertöne, denn irgendetwas war bei Peters Aussage mit ihm passiert. Er konnte es nicht wirklich beschreiben, aber Peter hatte Recht: Sie nahmen sich beide nicht viel und aus irgendeinem Grund machte es ihn überglücklich diese Tatsache aus Peters Mund zu hören. Es war total verrückt! Und für einen kurzen Moment versuchte Domen sich noch zusammenzureißen, mit bebenden Schultern stand er da, bevor er nachgab und in schallendes Gelächter ausbrach, das durch die gesamte Hotellobby drang, und die Stille durchbrach.

„Von wegen", lachte Peter, klaubte etwas von dem Eis vom Boden und schmiss es seinem Bruder entgegen, der geschickt auswich.

„Vielleicht solltet ihr in eure kleine ähm... Versöhnungsfeier nicht jeden mit einbeziehen... ich bin mir nicht sicher, ob die Hotellobby das sonst überlebt", erklang eine Stimme neben ihnen, die zu Daniel gehörte und der sich einen Klumpen Eis vom Hemd wischte.

„Ja, das denke ich auch! Wenn sie schon nicht aufpassen können, wo sie langlaufen", zischte die Kellnerin ungehalten dazwischen, die sich mühsam unter den neugierigen Augen des gesamten Foyers vom Boden aufrappelte. Hilfe bekam sie dabei ausgerechnet von Daniel, der sich beeilte ihr aufzuhelfen.

Daniels Mutter, ebenfalls in der Absicht zu helfen aufgestanden, sah neugierig zwischen den Geschwistern hin und her, von denen ihr Sohn ihr schon so viel berichtet hatte, und nahm eine Menge unausgesprochener Dinge zwischen den Beiden wahr. Es würde noch viel Zeit und Kraft brauchen, bis die beiden endgültig alles klären konnten, aber zumindest ein Anfang schien gemacht. „Geht's dir gut, mein Lieber?", fragte sie Peter, der schuldbewusst auf die Eisspritzer sah, die Daniels Mutter an den Hosen kleben hatte.

„Ja, danke", antwortete Peter mit schlechtem Gewissen und rappelte sich mühsam auf. Domen sah es ihm an der Nasenspitze an, wie unangenehm ihm diese ganze Situation war. So unperfekt war er vermutlich schon lange nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Er stand da wie ein begossener Pudel, der sich am liebsten unter dem Tisch verkrochen hätte. „Entschuldigen Sie. Das alles tut mir wirklich leid. Die Getränke zahle ich selbstverständlich und auch die Reinigungskosten. Jetzt sind die ganzen Sachen ruiniert", begann er seinen Entschuldigungsmarathon, während er gemeinsam mit Mrs. Tande, Domen und Daniel die Scherben aufsammelte.

„Irgendwie ziehst du das Chaos magisch an, Butterprinzessin", flüsterte Daniel leise und grinste ihn von der Seite an.

„Bist du taub? Peter hat doch gerade fast zugegeben, dass es seine Schuld war", verzog Domen das Gesicht, und fragte sich, was genau in Daniels Hirn schon wieder schieflief. Immerhin hatte Peter die Kellnerin mitgerissen und nicht er. Und auch wenn er mit Peter gerade irgendwie Friedensverhandlungen aufgenommen hatte, konnte er diese kleine Genugtuung nicht unterdrücken, die zufrieden registrierte, dass auch die Kellnerin ausnahmsweise einmal Peter die Schuld an dem ganzen gab und nicht ihm. Endlich mal jemand, der Ahnung hatte, dachte er grinsend, als er den vorwurfsvollen Blick von Daniel bemerkte, der zu ahnen schien, in welche Richtung seine Gedanken abgeschweift waren. „Ich habe nichts gesagt!", hob er unschuldig die Hände.

Doch Daniel kannte den jungen Slowenen inzwischen viel zu gut: „Aber gedacht."

„Sehen Sie sich das ganze Chaos nur mal an! Und meine Schuhe! Die waren neu!", begann in diesem Moment die Kellnerin, erneut zu zetern und ignorierte Peter komplett, dem die ganze Geschichte inzwischen doch Recht unangenehm war und weiter seine Entschuldigungen ausstieß, als müsse er ausprobieren, auf wie viele Arten er das konnte.

„Die ist auch mit einer Wand ausgestattet, sicher dass die nicht mit euch verwandt ist?", flüsterte Daniel Domen bedeutungsschwanger zu, der empört die Augen aufriss, sich dann aber eines Besseren besann.

„Ach weißt du, das ist doch alles Schnee von gestern, wenn nicht sogar von vorgestern. Ich arbeite nämlich jetzt an meinen Problemen und lasse mir helfen. Im Gegensatz zu gewissen anderen Personen", brachte er äußerst altklug über die Lippen und sah, wie sich Daniels Lippen verstimmt verzogen. Der Norweger wusste genau, worauf Domen anspielte und das passte Daniel gar nicht.

„Jetzt ist aber gut, Miss. Er hat es nun doch auch nicht mit Absicht gemacht. Gehen sie sich lieber umziehen, bevor sie sich noch einen Schnupfen holen, meine Liebe", versuchte Mrs. Tande inzwischen die aufgelöste Kellnerin zu beruhigen, als ein kleiner dicklicher Mann aufgeregt zu ihnen herüber gerannt kam.

„Das tut uns so leid, dieses kleine Malheur. Bitte, lassen Sie die Scherben wo sie sind, bevor sie sich schneiden. Selbstverständlich übernimmt das Hotel die Reinigungskosten für alles", beeilte er sich unterwürfig zu sagen und wurde mit seinen Entschuldigungen gegenüber Peter gar nicht mehr fertig. Da wusste wohl jemand, wen er da vor sich hatte, dachte Domen und betrachtete den kleinen Mann, der sich nervös mit seinem Taschentuch über seine Glatze fuhr. Offenbar war er so viel Aufregung nicht gewöhnt.

„Aber nicht doch. Das war allein meine Schuld", beteuerte Peter ein letztes Mal und legte dem Restaurantleiter beruhigend eine Hand auf die Schulter, bevor dieser ihn in Richtung der Fahrstühle schob, damit seine Mitarbeiter endlich die Sauerei wegmachen konnten und wieder Normalität einkehren konnte.

„Dass ich das nochmal zu hören bekomme. Meine Damen und Herren: ein historischer Moment. Peter Prevc gibt zu, dass er an etwas Schuld ist. Nie hat man eine Kamera, wenn man sie mal braucht", gab Domen unbedacht amüsiert von sich, ohne jeglichen verbitterten Unterton, als sie zu viert auf die Aufzüge zuliefen. Alle bis auf Domen würden sich umziehen müssen.

„Dass du nicht einmal still sein kannst", stöhnte Peter mit einem Blick auf die beiden Norweger. Sein Gesicht war immer noch feuerrot, als sich die Fahrstuhltüren schlossen und sie vor den neugierigen Blicken der gesamten Hotellobby schützten.

„Ach, nicht doch mein Lieber. Besser man spricht gleich offen miteinander", meldete sich Mrs Tande zu Peters Überraschung zu Wort. Domen hatte ja von Anfang an gewusst, dass sie eine nette Frau war, doch dass sie ihm so sympathisch wurde, das hätte er im Leben nicht gedacht.

„Pass besser auf, was du sagst, Mama", warnte Daniel sie leise, wer wusste schon, wie das hier noch enden würde und eigentlich war er gerade doch ganz froh gewesen, dass die beiden auf ihre eigene verquere Art und Weise zumindest vorläufig ihren Frieden miteinander gemacht zu haben schienen.

„Da hörst du es", kicherte Domen, angesichts Peters verblüfftem Gesicht. „Du kannst ruhig zugeben, dass du mich genau deswegen so sehr magst", setzte Domen nach und zu seinem eigenen Erstaunen hoben sich Peters Mundwinkel ganz minimal nach oben.

„Kannst du mir ein Hemd oder irgendwas leihen?", überging Peter stoisch wie eh und je den Kommentar seines Bruders. Er konnte es immer noch nicht fassen, was da eben passiert war und wie da jetzt was passiert war, trotzdem war es wohl besser Domen am Boden der Tatsachen zu halten. Das hier bedeutete nicht, Friede-Freude-Eierkuchen.

Sie hatten noch eine Menge zu klären. Das wussten sie beide, aber gerade waren sie einfach nur froh, halbwegs normal miteinander umgehen zu können und überspielten ihre Unsicherheit, angesichts der ungewohnten Situation, mit frechen Sprüchen.

„Nein", gab der junge Slowene knapp zurück. „Entschuldige."

„Naja, dann eben Silvester in Trainingsklamotten", brummte Peter und Domen wusste, dass es Peter so gar nicht recht war so aufzufallen. Er war eben immer noch Peter, trotz Eiskatastrophe.

„So ein Unsinn, mein Lieber. Das ist doch nicht tragisch. Daniel kann ihnen eines von seinen leihen, nicht wahr Schatz?", mischte sich Mrs. Tande ein und betrachtete nachdenklich die beiden ehemaligen Streithähne vor sich.

„Sicher, Mum", bestätigte der Norweger ergeben mit einem Nicken. Nicht, dass er etwas dagegen hatte, aber er kannte den Tonfall seiner Mutter und war sich nicht sicher, ob er gut finden würde, was jetzt gleich kam. Sie sah schon wieder so aus, als würde sie gleich mit irgendwelchen gut gemeinten, aber sehr schrägen Ratschlägen herausplatzen.

„Na, bitte. Damit wäre das geklärt und wir können uns noch kurz Ihren wirklichen Problemen zuwenden", fuhr Daniels Mutter an Peter gewandt ohne Umschweife fort in bekannt forscher Manier. Diese Frau nahm jedenfalls kein Blatt vor den Mund.

„Bitte?!", überrascht drehte sich nicht nur Peter zu ihr um. Was tat diese Frau da? Argwöhnisch sah Peter Daniels Mutter an, die den Nerv hatte, ihn mitleidig zu betrachten.

„Ach, kommen Sie schon. Die ganze Lobby hat ihren Streit mitbekommen, bei der Lautstärke, gestatten Sie mir also, ihnen ein paar Tipps mit auf den Weg zu geben: Sie müssen auch mal Dampf ablassen. Nicht immer nur so verstockt schauen. Das tut Ihnen wirklich nicht gut. Nehmen Sie sich ein Beispiel an ihrem Bruder. Bei ihm fließt alles, ihre Aura hingegen scheint unter Verstopfung zu leiden", betrachtete sie ihn forsch und Domen wusste vor Schreck nicht, was er sagen oder tun sollte. „Deswegen sind Sie auch so unausgeglichen. Lassen Sie den Dingen einfach mal ihren Lauf. Sie werden sehen, das wirkt manchmal wunder und ist Balsam für Seele und Nerven. Jeder muss seine eigenen Fehler machen."

„Mutter! Bitte!", flehte Daniel neben ihm, dem diese Situation alles andere als angenehm zu sein schien und der sich, peinlich berührt, wegdrehte und den Kopf symbolisch gegen die Wand des Fahrstuhls schlug. Er hatte mit vielem gerechnet, aber warum musste sie ausgerechnet mit ihren Auren kommen?! Konnte sie nicht wie jeder andere Mensch auch, mit Vernunft argumentieren?!

„Lass sie doch", stieß Domen dem Norweger schadenfreudig seinen Ellenbogen in die Seite. Hatte sie seinem Bruder, dem großen Peter Prevc eben wirklich gesagt, dass er sich ein Beispiel an ihm nehmen sollte?

„Und nun zu dir, mein Lieber", wandte sie sich Domen zu, dem das Lachen plötzlich verging. Wieso denn jetzt zu ihm? „Was dein Bruder zu wenig hat, hast du zu viel. Manchmal hilft auch ein wenig Zurückhaltung, um Probleme klären zu können. Deine Aura verbrennt sich bald selbst. Einfach mal einen Gang zurückschalten und zuhören, also wirklich zuhören. Nicht immer mit dem Kopf durch die Wand. Wobei... das gilt für euch beide, denkt an meine Worte, bevor ihr euch das nächste Mal an die Gurgel geht", riet sie ihnen, als wäre es das normalste auf der Welt.

Dabei fand Domen an Auren so gar nichts normal und ein kurzer Blick zu seinem Bruder zeigte ihm, dass auch er sich fragte, von welchem Planeten Daniels Mutter kam.

„So und da Silvester auch wegen uns nicht verschoben wird, würde ich sagen, gehst du Domen mit Daniel mit, dann kannst du ihm das Hemd bringen", wies Mrs Tande ihn an, gerade als der Fahrstuhl stoppte und die Türen sich öffneten. „Bis später, Jungs", verabschiedete sie sich mit einem Lächeln auf die Jungs und lief den Gang entlang, als die Fahrstuhltüren sich erneut schlossen.

„Das ähm- war...", stammelte Peter immer noch um die richtigen Worte bemüht, den Blick starr auf die Tür gerichtet. Er stand eindeutig immer noch unter Schock.

„Meine Mutter. Ganz in ihrem Element", half Daniel ihm aus. „Sie hat so ihre ähhh...spezielle Art." Dabei sah der Norweger verlegen zur Decke. Auch ihm kam die Fahrt mit dem Aufzug wie eine Ewigkeit vor und diese peinlich berührte Stille, die seine Mutter hinterlassen hatte, war nicht gerade angenehm.

„Speziell ist gut", brummte auch Domen, dem ausnahmsweise mal das letzte Wort abhandengekommen war. Wieder breitete sich Stille aus, die vom Ping der Aufzugtüren durchbrochen wurde.

„Hier müssen wir raus", presste Daniel hervor und eilte voraus. Offensichtlich war ihm die Sache mit seiner Mutter ziemlich peinlich.

„Sag mal, was macht deine Mutter eigentlich beruflich?", rannte Domen dem Norweger hinterher, nachdem er einen letzten Blick zu seinem Bruder geworfen hatte, einfach nur um sich zu vergewissern, dass immer noch alles irgendwie fast wieder okay war. Zumindest für den Moment.

„Naja, offiziell ist sie gelernte Bürokauffrau und arbeitet in einem großen Vertrieb. Inoffiziell fröhnt sie ihrem Esoterikquatsch nach, wie du gerade bemerkt hast. Wahrscheinlich wäre sie ne gute Psychologin geworden", antwortete Daniel und schloss die Tür zu seinem und Anders Zimmer auf.

Neugierig trat Domen ein. Das Zimmer sah genauso aus, wie ihrs. Nur eine Spur sauberer. Okay, viel sauberer. Wahrscheinlich konnte man auf den akkurat gemachten Betten sogar operieren.

„Nett habt ihr es hier", gab Domen wenig geistreich von sich und setze sich auf das Bett, das, wie er vermutete, Daniel gehörte. Zumindest lag auf dem einen ordentlich aufgestapelt Daniels Rucksack, auf dem, wie Domen wusste, ein Stern prangte, sein Helm mit seiner Trainingsjacke darüber.

„Äh danke", stammelte Daniel und versuchte den Gedanken von Domen auf seinem Bett zu verdrängen. Was hatte seine Mutter sich dabei nur gedacht? „Aber jetzt musst du mich, glaube ich, doch mal Aufklären: Was genau ist da eben passiert?" Nervös nestelte der Norweger an seiner Tasche herum.

„Ja, das ähm... weißt du... das war so... wir haben gestritten und dann- keine Ahnung- irgendwie war das alles so lächerlich. Ich- frag Peter, der kann das besser erklären oder nein, noch besser: deine Mutter. Ja genau, frag deine Mutter, bei Peter wird das nur langweilig mit seinen logischen alltags Erklärungen und bevor doch wieder ich an allem Schuld bin...deine Mutter hat da ein besseres Auge", grinste Domen ihn frech an.

„Wow, sie sollte wirklich ein Honorar verlangen, oder?", lachte Daniel, während er immer mehr Klamotten aus dem Koffer zog. „Ich hatte doch ein zweites Hemd dabei...", stirnrunzelnd sah er sich um.

„Macht doch nichts. Peter überlebt auch einen Abend im nicht perfekten Zustand", befand Domen großzügig. „Dann kann er gleich mit der von deiner Mutter verschriebenen Therapie anfangen", kicherte er, während er sich genauer im Zimmer umsah. Irgendwie wirkte es hier so unpersönlich. Hier stand nichts, was Domen mehr über Daniels Leben verraten würde.

„Dachte ich mir, dass du das gut findest, aber ehrlich: manchmal würde ich am liebsten im Boden versinken", gab Daniel zu. Auch wenn er sie abgöttisch liebte und sie ein gutes Verhältnis zueinander hatten. Manchmal, so wie heute, war sie einfach zu viel des Guten. Dabei verschwand er im Bad, um dort weiterzusuchen. Anders Ordnungstick hatte sich wieder auf seine Sachen ausgeweitet und nun fand er nichts mehr.

„Kann ich mir vorstellen", sagte Domen und setzte sich auf. Dabei streifte etwas seine Hand. Es war ein Zettel, der aus Daniels Trainingsjacke gefallen war, die neben ihm auf dem Rucksack gelegen hatte und durch seine Bewegungen verrutscht war. Neugierig sah er ihn an. Er wirkte zerknittert. So als würde Daniel ihn schon lang mit sich herumtragen und hätte ihn schon unzählige Male gelesen. Zweifelnd sah er zum Bad.

Daniel schien immer noch beschäftigt. Ohne drüber nachzudenken, steckte Domen ihn sich in die Tasche. Dabei ignorierte er die laute Stimme in seinem Kopf, die ihn anschrie. „Macht sie dieses Auren-Ding eigentlich auch mit deinen Freundinnen, wenn du sie ihr vorstellst?", nachdenklich strichen seine Finger über den Zettel in seiner Tasche. Er fühlte sich tonnenschwer an.

„Da ist es", kam Daniel wieder aus dem Bad und Domen zuckte schuldbewusst zusammen. „Was hast du gesagt?", fragte der Norweger Domen, sah ihn aus seinen grünen Augen an und hielt ihm das Hemd für seinen Bruder vor die Nase.

„Ich habe gefragt, ob deine Mutter dieses Auren-Ding auch bei deinen Freundinnen macht", wiederholte er leise und war sich Daniels Anwesenheit und der kurzen Distanz zwischen ihnen plötzlich nur allzu bewusst.

Domen sah aber auch, wie der Norweger kaum merklich zusammenzuckte, dabei machte sich der Zettel in seiner Tasche mit seinen scharfen Kanten überdeutlich bemerkbar und er fragte sich verwirrt, was er da eigentlich schon wieder tat, während er versuchte, Daniels unangenehm hypnotisierendem Blick standzuhalten.

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