Angespannt starrte Domen hinauf zur Schanze. Es waren noch genau zwei von ihnen oben. Stefan Kraft, der österreichische Hüpffloh und Daniel. Gerade nahm Stefan auf dem Balken Platz. Domen traute es dem Österreicher durchaus zu, den momentan führenden Kamil Stoch von der Spitze zu verdrängen, hoffte aber, dass der Abstand für Daniel machbar bleiben würde. Wobei, eigentlich brauchte der Norweger die Mithilfe der anderen nicht. Er war durchaus in der Lage, sich mit den Besten messen zu können.
Tatsächlich gab es niemand anderen, den er den Sieg am heutigen Tag mehr wünschen würde. Daniel hatte so viele zweite Plätze am Anfang der Saison eingefahren, irgendwann musste er doch mal durchkommen und heute hatte er schon im ersten Durchgang eine solide Grundlage gelegt. Domen wusste nicht genau, woran es lag, aber Daniel schien wie verwandelt. Irgendwie euphorisch. Als könnte er sein Glück nicht fassen, nach dem ersten Durchgang zu führen.
Dabei hatte das nichts mit Glück zu tun gehabt. Nicht heute, wo der Wind eigentlich keine Rolle spielte. Der Norweger hatte sich diese Ausgangsposition mehr als verdient. Besser: Er hatte sie sich erarbeitet. Jetzt musste er es nur noch durchziehen.
„Das wird nicht reichen für den 23jährigen aus Österreich, der die Vierschanzentournee vor drei Jahren für sich entscheiden konnte", tönte der Stadionsprecher durch die Menge, als der Österreicher sicher gelandet war. Gebannt starrte Michael Hayböck auf die große Anzeigetafel, auf der jeden Moment die Punkte seines Zimmerkameraden erscheinen würden. Der Punktebalken startete und blieb auf dem zweiten Platz hängen. Fast vier Punkte hinter Kamil Stoch, der mit diesem Ergebnis untermauern konnte, von welcher Güte sein zweiter Sprung gewesen war. Immerhin 143m, der weiteste Sprung des Tages. Bisher.
Und während Stefan in den Springerbereich kam, wo Michael ihn abklatschte und ihm seinen Rucksack zum Umziehen reichte, richtete Domen seinen Blick wieder nach oben. Daniel war soeben auf den Startbalken geklettert und wartete auf die Freigabe durch seinen Trainer.
Schräg vor Domen stand das restliche norwegische Team. Auch sie hatten nur noch Augen für ihren Teamkameraden und zitterten dem Finalsprung entgegen. Würde Daniel es dieses Mal schaffen?
Dann senkte sich langsam die Fahne von Alexander Stöckl und Daniel stieß sich vom Balken und Sekunden später vom Schanzentisch ab. Sein Flug war perfekt. Er hatte die Kante genau getroffen und segelte ruhig ins Tal. An seiner Körperhaltung war nichts auszusetzen, genauso wenig wie an seiner Landung, dachte Domen anerkennend und brach innerlich in Jubelstürme aus, während es nach außen lediglich ein kleines Lächeln schaffte.
Anders und Tom liefen in den Auslauf ihrem Freund entgegen, um mit ihm zu jubeln. Daniel grinste ihnen entgegen noch voller Adrenalin. Der Ausdruck purer Freude und ihre Blicken kreuzten sich. Als hätte Daniel nach ihm gesucht. Dann leuchtete auf der Anzeigetafel eine 1 auf und das Stadion explodierte. Fassungslos riss Daniel seine Skier in die Luft, während seine Freunde versuchten, ihn auf die Schulter zu nehmen. Er hatte wirklich gewonnen. Nicht, dass Domen daran gezweifelt hätte, nicht nach diesem Sprung, aber es war schön, dass Daniel endlich auch einmal dort stand, wo er eigentlich in den letzten Wochen schon öfter hingehört hätte.
„Ich sage dir, dein neuer Freund ist bärenstark. Vielleicht kann er ja sogar die Gesamtwertung noch reißen", nickte Peter anerkennend, der sich neben Domen gestellt hatte. „Sagst du es ihm nun?"
„Wie kommt es nur, dass du es schaffst, auch jeden noch so schönen Moment zu zerstören?!", brummte Domen finster, wo er es doch gerade geschafft hatte, seine von Neugier getriebenen klebrigen Finger zu vergessen. Unruhig schielte Domen wieder zu Daniel, den seine Kameraden wieder auf den Boden gesetzt hatten und der sich durch die ganzen Gratulanten zu seinen Sachen vorkämpfte.
Es war einfach unfassbar, wie beliebt Daniel bei jedem war. Einfach jeder hatte ein paar nette Worte für ihn übrig. Und auch Domen wäre gern zu dem sympathischen Norweger gegangen und hätte wie seine Freunde es auch getan hatten, mit ihm gejubelt. Stattdessen stand er ein wenig Abseits und ließ Daniel keine Sekunde aus den Augen. Es war einfach nur schön, Daniel so zu sehen.
„Sieh es doch mal positiv: Vielleicht ist er über seinen Sieg so glücklich, dass er dir verzeiht und ihr euch glücklich in den Armen liegt", meldete sich Peter wieder zu Wort und merkte nicht, wie sein jüngerer Bruder sich bei seinen Worten versteifte.
Wieder befand er sich im Wald, wieder sah er Daniel vor sich, der auf ihn zukam oder war es Jay, der auf den Weihnachtsmenschen zuging? Er wusste es nicht und eigentlich war es ihm auch egal. Es sollte nur aufhören. Diese Bilder zerrten an ihm, als würden sie ihm etwas sagen wollen, dass ihm entging.
„Vielleicht", antwortete Domen.
Stirnrunzelnd betrachtete Peter seinen Bruder: „Das wird schon gut gehen. Daniel ist nett. Er wird es verstehen."
Ja, Daniel war nett und genau das, war das Problem. Er hatte es einfach nicht verdient. Domen fühlte sich schuldig. Seit dieser Szene im Wald hatte sein schlechtes Gewissen ihn weiter aufgefressen. Der Norweger war immer so besorgt. Himmel, er hatte ihn gefragt, ob er schon wieder Ärger mit Peter gehabt hatte, dabei war der Grund ein ganz anderer gewesen: Er hatte ihn hintergangen. Daran gab es nichts zu beschönigen. Wahrscheinlich quälte ihn sein Unterbewusstsein deswegen mit diesen Bildern. Um ihn daran zu erinnern, was für ein Freund Daniel war. Einer, der sich sogar für jemanden einsetzte, der gar nicht da war. Domen dachte an Daniels Freund, der schwul war und den der Norweger, als er dachte, Domen wäre homophob, bis aufs Messer verteidigt hätte, selbst wenn er ihm nie über den Weg laufen würde. Daniel verdiente eindeutig einen besseren Freund als ihn.
„Kann mir mal einer von euch erklären, wieso ich mir von Thiessen anhören muss, dass das slowenische Team offenbar nicht viel von Öffentlichkeitsarbeit hält?", wütend stapfte Goran heran. „Ich dachte mir ja schon, dass du beim Meeting nur physisch anwesend warst, aber von dir, Peter, hätte ich mehr erwartet", polterte er los und überschüttete Peter mit Vorwürfen, dem auch sofort das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben stand.
„Entschuldige, kommt nicht wieder vor, ich-"
„Wir sind doch nicht das gesamte slowenische Team?!", unterbrach Domen empört. Er sah es nicht ein, dass immer nur sie sich mit diesem schmierigen Typen abgeben sollten. Und wieso nur, ließ sich sein Bruder immer so schnell etwas einreden?
„Domen!", zischte Peter neben ihm, stieß ihm warnend einen Ellenbogen in die Seite und sah sich um. Sie waren umgeben von Reportern aus aller Welt, die sich zwar momentan noch auf ihre jeweiligen Landsleute konzentrierten, aber sicher gleich noch auf Stimmenfang außerhalb ihrer Nationalitäten gehen würden. Außerdem waren unter den Presseleuten auch immer unabhängige Berichterstatter, die für ihre Blogs schrieben und für gewöhnlich ihre Augen und Ohren überall hatten.
Goran sah das offensichtlich ganz ähnlich, lehnte sich zu Domen herüber und zischte leise: „Domen, ich weiß, für dich ist das alles noch ziemlich neu, aber so langsam solltest auch du begreifen, wie es läuft. Du magst doch dein Material, die Hotels und das angenehme Reisen mit dem Fuhrunternehmen, oder?"
„Ja, aber-"
„Dann wirst du ein paar Minuten deiner Zeit investieren müssen, sonst wünsche ich dir demnächst viel Spaß im Zelt", bemerkte Goran trocken, hatte dabei sichtlich Mühe leise zu bleiben. Er stoppte kurz, als die Deutschen mit ihren Betreuern an ihnen vorbeigingen. Erst als sie wieder relativ ungestört waren, fuhr er fort: „Wir sind nun mal auf das Geld vom Staat und unseren Sponsoren angewiesen. Und nur falls du es vergessen haben solltest: Auch die Öffentlichkeitsarbeit ist Bestandteil deines Vertrages. Also, schwing deinen Arsch zu Thiessen rüber", befahl er Domen. Er ließ sich doch von einem Jungspund wie ihm nicht auf der Nase herumtanzen.
„Aye, Sir", salutierte Domen vor Goran trotzig, der ihn misstrauisch ansah.
„Hör zu, ich weiß, es ist lästig, aber reiß dich zusammen und brings hinter dich", seufzte der slowenische Trainer. Es war ja nicht so, dass er nicht wusste, was er von seinen Springern verlangte. Auch er hatte besseres zu tun, aber es gehörte nun mal zum Job und es hing eine Menge Geld an den Auftritten. „Und hör auf, mich ‚Sir' zu nennen."
„Ja, Ma'am", erwiderte Domen ohne nachzudenken, bevor er sich umdrehte und verschwand. Das hatte er sich jetzt einfach nicht verkneifen können. Und das verdutzte Gesicht von Goran neben dem fassungslosem von Peter waren es wirklich wert gewesen, dachte er, als er sich seinen Weg am Auslauf entlang bahnte und er konnte heute wirklich etwas Aufmunterung vertragen. Einen kurzen Augenblick verweilte sein Blick bei Daniel, der gerade stürmisch von seiner Mutter umarmt wurde, während die Reporter um sie herum begeistert Bilder schossen. Die beiden sahen sich glücklich an und Domen seufzte. Er wollte Daniel diesen Tag nicht ruinieren, vielleicht-
„Ein wirklich sympathischer Sieger, dass muss man ihm lassen", tippte ihm Thiessen von der Seite auf die Schulter und lenkte Domens Aufmerksamkeit auf sich.
„Mister Thiessen", drehte der sich um und dachte gar nicht daran, das Thema Daniel weiter zu vertiefen. „Nerven aufreißender Wettkampf heute, nicht wahr?"
„Kann man wohl sagen, allerdings muss ich gestehen, dass ich mit dem heutigen Abschneiden unserer Mannschaft nur bedingt zufrieden bin. Jurij Tepes, Jernej Damjan und Anže Semenic unterirdisch, ihr Bruder Cene Mittelmaß und auch Peter scheint sich aus seinem Tief langfristig nicht befreien zu können. Einzig auf ihre Leistung scheint man aufbauen zu können. Wurde die Vorbereitung auf die Vierschanzentournee falsch aufgezogen? Gab es im Vorfeld zu viel Training? Immerhin waren ja auch noch slowenische Meisterschaften und sie hatten kaum die Möglichkeit zu regenerieren? Wie schätzen Sie die Lage ein?", hielt er ihm das Mikro ohne mit der Wimper zu zucken unter die Nase.
Wieso genau legte Goran noch einmal Wert darauf, dass sie mit diesem Arsch sprachen? „Nun ja, es lässt sich nicht bestreiten, dass wir der Weltspitze hinterher springen, aber ich versichere ihnen der Trainerstab und auch wir geben unser Bestes. Heute ist es mal nicht so gut gelaufen, aber Innsbruck kommt und dann werden wir wieder versuchen mehr im Geschehen mitzumischen", antwortete Domen und blieb sachlich, auch wenn es ihn einiges an Beherrschung kostete.
„Bleiben wir doch kurz bei Innsbruck: Die Wetterprognosen sind auch in diesem Jahr nicht die besten. Wie geht man damit um? Besonders, wenn man so unerfahren ist wie sie? Holt man sich dann doch mal einen Extraratschlag vom erfahreneren Bruder oder jemandem wie Daniel-André Tande?", erkundigte sich der slowenische Reporter.
Das Schicksal war ein eindeutig ein Arschloch, dachte Domen. Ein gemeines Etwas, dass ihn nicht vergessen lassen wollte. „Suchen Sie jedes Mal Hilfe bei ihrem Vorgänger, wenn sie jemanden Neues interviewen?!", fragte Domen dementsprechend gereizt. Außerdem war er nicht unerfahren! „Das-"
„Was Domen damit sagen will", drängelte sich Peter unerwartet in das Interview und bedachte Domen mit einem bösen Blick, bevor er sich auf Thiessen konzentrierte, der nach wie vor lächelte, „ist, dass schwierige Bedingungen uns natürlich immer vor eine Herausforderung stellen, da nützt auch die ganze Erfahrung nichts. Dem einzigen, dem wir dann vertrauen, ist unser Trainer. Wir vertrauen darauf, dass er mit all seiner Erfahrung einschätzen kann, wann es für uns sicher ist zu springen und wann nicht. Ähm, Domen, die Skitechniker würden gern noch mit dir Rücksprache halten, würde es dir was ausmachen, wenn ich einfach übernehme?"
„Aber nein! Wenn Sie mich entschuldigen würden", sagte Domen und vergaß dabei, vielleicht ausversehen mit Absicht, den bedauernden Tonfall in seiner Stimme. Ohne eine Antwort abzuwarten stapfte er wütend an den Zuschauern und Fans vorbei. Er war heute einfach nicht in der Stimmung für Smalltalk und Autogramme.
Im Springerdorf herrschte Aufbruchsstimmung, wie immer nach einem Wettkampf. Viele der Teams würden bereits heute die Weiterfahrt nach Österreich antreten, andere würden die Nacht noch in Garmisch verbringen. Domen lief schäumend vor Wut und blind für seine Umgebung auf den slowenischen Container zu. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? Es reichte ja nicht, dass er Daniel heute noch seine gute Stimmung versauen würde.
Daniel. Ohne es wirklich zu registrieren steckte er seine Hand in die Jackentasche und umklammerte das Stück Papier mit seiner Faust. Wieso nur hatte er diesen Brief mitgehen lassen müssen? Vielleicht sollte er sich von irgendeinem der Mannschaftsärzte Kleptomanie attestieren lassen, dann hätte er wenigstens eine gute Ausrede. Aber vielleicht war er ja auch gerade dabei verrückt zu werden. Wie sonst sollte er sich...DAS erklären? Seine komischen äh... Anwandlungen. Seine Waldbegegnung, die ihn nicht in Ruhe lassen wollte. Manifestierte sich Schizophrenie nicht gewöhnlich zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr? Vielleicht sollte er ja mal zum Arzt?
Unruhig grübelnd und mit sinkender Laune stapfte er in den Container, wo die anderen schon dabei waren, ihre Sachen zu packen. Anže und Jurij waren sogar schon fertig und saßen telefonierend in der Ecke. Dem verklärten Grinsen von Jurij nach zu urteilen, war Domen sich ziemlich sicher, wer da am anderen Ende des Telefons dran war. Und auch Anže schien sich nicht gerade mit seiner Mutter zu unterhalten, zumindest ging er davon aus, dass er ihr nicht alle drei Sekunden versichern würde, dass er sie auch vermisste und es kaum abwarten konnte, dass sie sich wiedersehen würden.
Schrecklich, dieses Gesülze seiner Teamkollegen. Wieso waren die überhaupt so gut gelaunt? Immerhin hatte Thiessen Recht: Der Wettkampf war alles andere als gut für sie gelaufen. Trotzdem saßen die beiden jetzt hier mit einem Lächeln im Gesicht, als wäre der Tag bestens gelaufen. Eine etwas gedämpftere Stimmung hätte Domen durchaus für angebracht gehalten, dachte er finster, während er seinen Sprunganzug auszog und in seine Trainingsklamotten hüpfte. Dann würde er sich auch nicht so ausgeschlossenen mit seiner schlechten Laune fühlen.
Gereizt sah er sich nach seinem Kleidersack um, den er zerknüllt auf dem Tisch fand, während Jurij in seiner Ecke laut zu lachen begann. Genervt nahm Domen den Kleidersack vom Tisch und schüttelte ihn etwas lauter und länger als nötig aus, um ihn wieder zu entknüllen. Er war einfach so sauer auf sich selbst! Normalerweise würde er zwischen ihnen sitzen und den Gesprächen lauschen, um sie anschließend damit aufzuziehen. Nur heute war es irgendwie anders. Es machte ihn fertig. Er konnte es nicht benennen. Aber wenn er sah, wie alle mit ihren Liebsten telefonierten... und er stand da und hatte nichts Besseres zu tun, als seine Sachen zu packen, dachte er und veranstaltete einen riesen Lärm, weil sich sein Trainingsanzug verheddert hatte.
„Domen!", zischte Anže aus seiner Ecke und auch Jurij schickte ihm aus seiner Ecke das Versprechen gleich zu sterben, wenn er nicht etwas leiser machen würde.
„Sorry", brummte Domen mürrisch, während er seinen Anzug in den Kleidersack stopfte. Was konnte er bitte dafür, dass das Material einfach so viel Krach machte und damit die Telefongespräche übertönte? Sie konnten ja auch rausgehen. Und gerade als er den Reißverschluss zumachen wollte, musste er feststellen, dass dieser sich zu allem Überfluss nach innen gewandt befand. Super. Auch noch falsch herum, dachte er, als Jurij erneut leise kicherte und als wäre das nicht schon genug gute Laune für die nächsten paar Monate, öffnete sich die Containertür und Jernej kam herein, der mit seiner Tochter videochattete. Natürlich musste er dabei freudestrahlend in die Kamera sehen. Was auch sonst?!
Wieso zum Teufel waren heute alle so pervers gut gelaunt? Frustriert zog er seinen Anzug wieder aus dem Kleidersack und wendete diesen, während er die verärgerten Blicke aller im Rücken spürte. Dabei kam er sich vor wie der Grinch zu Weihnachten. Als würde er mit Absicht in die glückliche Seifenblasenwelt seiner Teamkameraden platzen. Hier würde er es jedenfalls keine Minute länger aushalten. Er bemerkte richtiggehend, wie die positive Grundstimmung der Anderen ihn mit jeder Sekunde aggressiver werden ließ.
Und weil er jetzt dringend etwas zu tun brauchte, beschloss er, seine Sachen zu nehmen, sie ins Auto zu packen und bei den Skitechnikern vorbeizusehen. Vielleicht brauchten die noch Hilfe beim Verladen ihrer Sachen, dann hätte er wenigstens etwas zu tun.
Leider musste er nach einem Blick in den leeren Container feststellen, dass er auch dafür zu spät kam. So stand er da, mitten im Springerlager, wie bestellt und nicht abgeholt, während er überlegte, was er nun tun könnte und der leisen unaufdringlichen Geräuschkulisse lauschte. Ratlos sah er sich um. Überall standen kleine Grüppchen, die miteinander schwatzten. Domen hätte sich bestimmt zu einer dazugesellen können, doch ihm war nicht nach Gesellschaft. Zumindest nicht dieser Gesellschaft, dachte er und hoffte wirklich, Daniel würde ihm verzeihen.
„Jetzt hör auf, an dir zu zweifeln! Überleg doch mal, wo du im Herbst angefangen hast und wie weit du schon gekommen bist!" –
„Ich weiß das alles! Weiß ich wirklich! Es ist nur so...frustrierend! Ich bin frustriert! Ich fühle mich so zerrissen. So ruhelos. Ich meine, ich versuche wirklich alles, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass mir das entscheidende Detail entgeht. Vor meinen Augen, wenn es zum Greifen nah ist, immer wieder verschwindet. Ich meine, ich jage irgendetwas hinterher, ohne genau zu wissen, was ich da überhaupt hinterherrenne."
Abrupt war Domen stehengeblieben. Die Stimmen, die um die Ecke zu ihm wehten, kannte er. Aber das hatte ihn nicht zum Anhalten gezwungen. Es waren vielmehr die Worte von Severin gewesen, die ihn hatten anhalten lassen.
„Ja, aber du vergisst, dass du gar nicht so allein bist, mein Lieber. Wir jagen gemeinsam, schon vergessen: In guten wie in schlechten Tagen?", sanft klang die Frauenstimme, die sicherlich zur Frau des Deutschen gehörte, an Domens Ohr.
„Was würde ich nur ohne dich tun?"
„Das frage ich mich auch immer." Domen musste ihr Gesicht nicht sehen, um sich vorstellen zu können, wie die Deutsche ihren Mann verschmitzt ansah. Ihr liebevoll neckender Tonfall war Information genug und versetzte Domen einen Stich.
Leise zog der Slowene sich zurück. Er hatte genug gelauscht und die Geräusche, die da um die Ecke drangen, waren für ihn das deutliche Zeichen zu verschwinden.
Allein lief er weiter. Alle gingen ihren Aufgaben nach. Hatten etwas zu tun. Nur Domen kam sich ein wenig ziellos vor, wie er da einsam durch die schmalen Gassen lief. Wobei: Eigentlich war er ja nicht allein. Im Gegenteil: Er hatte ja seine äußerst lebhafte Fantasie im Schlepptau, die ihm einmal mehr an diesem Tag Jay und den Weihnachtsmenschen ins Hirn pflanzte. Er hatte nur keine Ahnung, was das alles sollte. Es war wie bei Severin: Domen wurde das Gefühl nicht los, dass ihm etwas entscheidendes entging.
Die beiden hatten sich gefunden. Zumindest hatte es danach ausgesehen. Sie konnten sich bestimmt aufeinander verlassen und vertrauten sich gegenseitig alles an. Genau wie seine Teamkollegen, die jeden Tag eine Menge Zeit am Telefon verbrachten, während er sich normalerweise im Trainingsraum vergnügte. Wieso kam ihm das auf einmal nur so falsch vor?
Grübelnd setzte er sich in den Teambus, ließ den Kopf gegen die Scheibe sinken und starrte betrübt nach draußen. Severin und seine Frau kamen Händchenhaltend um die Ecke gelaufen. Beide hatten ein Lächeln auf den Lippen. Niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen, dass Severin vor ein paar Minuten noch tief in seiner Verzweiflung gesteckt hatte.
Sie hatte ihn verstanden ohne, dass es große Worte gebraucht hatte. Jay ging es mit seinem Weihnachtsmenschen sicherlich auch so. Peter musste, wenn es um ihn ging, immer erst in seinem Handbuch für schwierige Brüder blättern. Daniel verstand ihn auch so.
„Was tust du da?!"
Erschrocken zuckte Domen zusammen und drehte sich um. Auf dem Rücksitz saß Cene mit einem seiner Mathematikbücher in der Hand. Offenbar hatte er die Zeit bis es endlich zum Hotel gehen würde genutzt, um für die Uni zu lernen. „Scheiße hast du mich erschreckt!"
„Hab ich gemerkt. Wo warst du denn mit deinen Gedanken, dass du mich nicht bemerkt hast?", legte Cene sein Buch beiseite und beugte sich über den Autositz zu ihm vor.
„Nirgendwo bestimmtes", brummte Domen, konnte dabei aber seinen Blick nicht von dem deutschen Paar lösen. Erst als sie um die nächste Ecke verschwunden waren, sah er zu seinem Bruder.
„Aha", grinste Cene ihn wissend an.
„Aha, was?", wollte Domen gereizt wissen und wand sich unter dem Blick seines Bruders. Der Tonfall von Cenes ‚Aha' passte dem jungen Hitzkopf so gar nicht. Als wolle er damit etwas andeuten, das wieder nur Cene selbst verstand.
„Aha nichts... ich dachte nur gerade...Kann es sein, dass du verknallt bist und deswegen in letzter Zeit noch desaströser Zugange bist als sonst?!", fragte Cene neugierig und durchleuchtete ihn förmlich.
„Nein!", stritt Domen ab und wurde rot im Gesicht. Am Gesichtsausdruck seines Bruders erkannte er, dass er ihm kein Wort glaubte. Na prima. „Wirklich! Außerdem, wie sollte ich denn hier ein Mädchen kennenlernen?"
„Als ob du nur hier wärst. Weißt du, da gibt es noch diesen grauen Kasten mit den grünen beschreibbaren Dingern an den Wänden und den schlauen Menschen davor... warte ich komm nicht drauf...ähm... hier Dings...Lehrer", erinnerte Cene ihn schadenfroh an sein anderes Leben.
„Bitte, keine Schimpfwörter in meiner Nähe. Du weißt doch, ich bin sensibel", erwiderte Domen wenig angetan.
„Du hättest mal deinen Blick sehen sollen, den du den beiden zugeworfen hast", hielt Cene an seinen Beobachtungen fest und Domen fragte sich, wie er das nur erklären sollte, wo er doch selbst keine Ahnung hatte. „Und das waren keine Todesblicke", ließ sein Bruder sich nicht von seinem Schweigen beeindrucken.
„Stört es dich nicht auch, dass irgendwie alle mit ihren Frauen beschäftigt sind? Ich meine, ständig hängen sie am Telefon, statt zu trainieren", sagte Domen und merkte schon im selben Moment, als er das aussprach, wie kindisch er klang.
„Kann es sein, dass du eifersüchtig bist?" –
„Auf was bitte?", empört wandte sich Domen ab.
„Keine Ahnung, aber hätte ja sein können. Ich meine, immerhin kommst du jetzt langsam in ein Alter, wo man sich im Normalfall auch mal so etwas wie eine Beziehung wünschen könnte oder sich zumindest mit dem anderen Geschlecht beschäftigt", schulterzuckend ließ Cene sich wieder in seinen Sitz fallen.
„Und du kommst langsam in ein Alter, in dem man aufpassen muss, nicht mysteriöser Weise an einem Herzinfarkt zu sterben", schnappte Domen zurück, während er sich fragte, ob das nicht vielleicht doch die Lösung seiner Probleme war. Immerhin drehte sich seit Tagen alles um irgendwelche mysteriösen Beziehungen, er war umgeben von glücklich liierten Menschen, die diese Tatsache nicht unbedingt versteckten. Konnte es sein, dass sein Hirn, seine biologische Uhr, ihm sagen wollte, dass er sich insgeheim nach etwas wie einer Beziehung sehnte?
Litt er etwa unter einer männlichen Form von Torschlusspanik? Und weil er bei den Bildern eines normalen Paares nicht schaltete, schickte ihm sein Hirn eben immer wieder Bilder aus dem Wald? Quasi die Holzhammermethode?
Als ob er nicht schon genug Probleme hätte, dachte er fast schon verzweifelt, als sich die Hintertüren des Mannschaftsbusses öffneten und einer nach dem anderen einstieg. Finster starrte Domen aus dem Fenster und ignorierte das fröhliche Geplapper der anderen. Die Fahrt ins Hotel legte er schweigend zurück. Selbst Jurijs bissigen Kommentar überhörte er, der Domen gratulierte, endlich die Uhr richtig lesen zu können. Er spürte die Müdigkeit in seinen Knochen, während sein Hirn hellwach vor sich hinarbeitete, nicht dass es ihn an seinem Tun teilhaben ließ. Er war einfach nur hoffnungslos überdreht. So würde er heute Nacht wieder kein Auge zu tun. Er musste es Daniel sagen.
Ohne sich weiter mit den anderen zu befassen oder Goran seine Aufmerksamkeit zu schenken, eilte er in ihr Hotelzimmer, warf seine Sachen achtlos aufs Bett und verschwand unter den fragenden Blicken von Anže in den Kraftraum des Hotels. Er stellte sich auf das Laufband und lief einfach los. Er dachte an Severin und seine Frau, an Peter und Mina und all die anderen. Er fand es beneidenswert, dass sie alle ihr Glück gefunden hatten, aber wenn er an sich dachte, dann bekam er das Bild nicht richtig zu fassen.
Frustriert stieg er wieder vom Laufband und legte sich die ersten Gewichte auf, bevor er begann, eine Krafteinheit nach der anderen zu absolvieren und seine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Erst als sein Handywecker eine gute Stunde später verkündete, dass es Zeit wurde, sich unter die Dusche zustellen und sich anschließend auf den Weg zu machen, erlaubte er seinen Gedanken wieder zu ihm vorzudringen.
Versunken holte er den Schlüssel an der Rezeption und schlich sich in den als Spa-Bereich getarnten Wintergarten. Wärme umfingen ihn, umrandet vom sanften Wassergeplätscher des kleinen künstlichen Wasserfalls, der in schwaches Notlicht getaucht war. Unruhig lief Domen umher. Er musste sich überlegen, wie er die Sache am besten angehen würde. Schonend. So viel war klar, nur gab es überhaupt eine schonende Methode?
Nervös lief er auf und ab, als er hörte, wie die Tür sich öffnete. Er hatte nun so lang auf Daniel gewartet, aber irgendwie war die Zeit jetzt doch viel zu schnell vergangen und er hatte viel zu viel damit verbracht, an sich zu denken.
„Domen?", hörte er den Norweger unsicher durch den Raum rufen.
„Hey", trat er zwischen zwei Palmen hervor und starrte Daniel an.
„Hey", antwortete dieser wenig einfallsreich, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Der Norweger war mit seinen Gedanken sicher noch an der Schanze und Domen hätte ihn gern für immer dort gelassen. Er konnte sich einfach nicht dazu überwinden, den Anfang zu machen. Sein Kopf war wie leergefegt, obwohl er jetzt dringend dessen Unterstützung gebraucht hätte.
„Klasse Wettkampf. Du warst... echt gut", durchbrach Domen schließlich die Stille mit einem kleinen verlegenen Lächeln auf den Lippen.
„Echt gut? Gib es zu, Butterprinzessin: Ich war echt klasse", stichelte Daniel grinsend und fuhr sich durch die Haare. Aber so selbstsicher, wie der Norweger auch klang, so unsicher fühlte er sich. Er konnte es immer noch nicht ganz glauben, was der Slowene laut Anders vorhaben sollte. Aber trotz seiner Zweifel hatte er sich den ganzen Tag über so gut wie schon lange nicht mehr gefühlt. So lebendig. Und obwohl er den ganzen Presserummel sehr genossen hatte, hatte er alles getan, um pünktlich zu seinem Treffen mit Domen zu kommen.
„Wow, Größenwahnsinn hat einen neuen Namen", erwiderte Domen nervös. Was tat er da eigentlich? Er sollte es einfach hinter sich bringen. Kurz und schmerzlos. Naja, zumindest kurz sollte er hinbekommen.
„Okay, jetzt reichts. Was ist mit dir? Ehrlich, du benimmst dich den ganzen Tag schon so seltsam", stellte Daniel fest und trat noch ein Stück näher zu Domen, um seine Gesichtszüge besser deuten zu können. Sie mussten sich eindeutig einen anderen Treffpunkt suchen, das hier war nicht gut für ihn und seine Nerven, allerdings, vielleicht, wenn Anders recht hatte, dann war das unter Umständen...Nein! Er sollte auf dem Boden der Tatsachen bleiben und auf dem lag, wie er selbst wusste, nur in den seltensten Fällen Glitzer. Trotzdem schaffte Daniel es nicht, seine Mundwinkel unter Kontrolle zu bringen.
Tief holte Domen Luft und betete, dass er die richtigen Worte finden würde: „Okay...ähm...ich weiß, dass wir uns noch nicht so gut kennen, immerhin sind wir quasi erst seit gestern befreundet, aber naja, irgendwie wissen wir doch recht viel voneinander und du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass mir unsere Freundschaft echt wichtig ist", brabbelte Domen und fragte sich, was er da eigentlich für einen Stuss von sich gab. Nicht einmal kurz bekam er auf die Reihe!
Er hatte größte Mühe seinen Faden zu behalten. Es fiel ihm schwer, seine Gedanken sortiert zu halten, wenn Daniel so dicht vor ihm stand und ihn mit diesen unglaublichen Augen ansah. „Und ich werde deine Entscheidung respektieren, ich meine, ähm- ich kann verstehen, wenn du danach nie wieder mit mir reden willst-"
„Das wird nicht passieren", unterbrach der Norweger ihn angespannt. Er musste sich zurückhalten, den Abstand zwischen ihnen nicht zu überwinden, um Domen einfach zu küssen und ihn zu erlösen. Er konnte es einfach nicht fassen, dass Anders tatsächlich Recht behalten sollte. Alles lief genau auf dieses eine Ereignis hinaus, dass er für so unwahrscheinlich gehalten hatte.
„Das ist ähm... nett, aber warte lieber erstmal bis ich...okay, du hast gesagt, du brauchst Zeit und ich habe dich vor meiner fehlenden Geduld gewarnt, die unglücklicherweise ein äh... Eigenleben entwickelt hat", stammelte der Slowene betreten weiter.
„Warte mal... Wovon sprichst du?", verwirrt starrte der Norweger ihn an. Was auch immer er erwartet hatte, das war es nicht gewesen. Regungslos starrte Domen ihn an.
„Ich hab was geklaut. Also genommen. Geliehen? Aber widerrechtlich...", stammelte er und zog den Brief aus seiner Tasche. -
„Du hast was?!" Fragend sah Daniel zwischen dem Zettel in Domens Hand und dem Slowenen hin und her.
„Naja, der lag da so rum... so ganz allein auf deinem Bett und irgendwie... vielsagend. Keine Ahnung, ich hab nicht nachgedacht und ihn einfach genommen und es tut mir leid, okay?", platzte es schließlich in atemberaubender Geschwindigkeit aus ihm heraus.
„Ich hätte es mir eigentlich denken können", sagte Daniel fast mehr zu sich selbst, als zu Domen und wandte sich dem Fenster zu, von dem aus man die dunklen Silhouetten der Berge sehen konnte, die in der Ferne aufragten.
„Was hättest du dir denken können?", fragte Domen nach, der nicht ganz verstand was da bei Daniel gerade passiert war. Er hatte damit gerechnet, dass er ihn anschreien würde, wütend den Raum verlassen, aber nicht... das. Daniel wirkte enttäuscht und resigniert und gleichzeitig so wütend auf sich selbst. Dabei sollte er doch auf ihn wütend sein. Er hatte schließlich Mist gebaut.
„Vergiss es einfach!" –
„Nein, Daniel! Jetzt warte doch! Ich hab ihn nicht gelesen. Wirklich! Und ich verstehe, dass du sauer-"
„Du verstehst?! Nein, du verstehst gar nichts! Nicht das geringste, sonst hättest du die Sache nämlich auf sich beruhen lassen!" Daniel war wütend. Wütend auf sich selbst, dass er sich von Anders hatte so beeinflussen lassen. Wütend auf Domen, weil der einfach nicht verstand. Wütend, dass er nicht mehr haben konnte.
„Das liegt aber nicht an mir! Du musst doch unbedingt das Schweigen der Lämmer spielen! Aber weißt du was? Du hast Recht. Ich verstehe wirklich nicht, was dein Problem ist", verschränkte Domen uneinsichtig die Arme und blickte böse zu Daniel.
„Ich werde das jetzt nicht mit dir diskutieren", blockte der Norweger ab und wollte sich einen Weg am Slowenen vorbei bahnen, doch der versperrte ihm mit seinem Arm den Weg zur Tür.
„Wieso nicht? Du kannst mir nicht erzählen, dass du heute Abend schon was Besseres vor hast", stichelte Domen munter weiter. Irgendwann zwischen seiner Entschuldigung und Daniels Ausbruch hatte diese ganze Sache ein Eigenleben entwickelt. Er hatte aufgehört zu denken und seine guten Absichten über Bord geschmissen. Den ganzen Tag über hatte er sich Gedanken um Daniel gemacht, wurde von den seltsamsten Vorstellungen gequält, die sein völlig übermüdeter Verstand ihn aufdrängte. Er konnte jetzt nicht einfach aufhören. Er wollte wenigstens irgendetwas in Ordnung bringen, danach konnte er sich immer noch seiner vorgezogenen Midlife-Crisis zuwenden.
„Doch, eigentlich schon." Daniel hatte sogar eine Menge zu tun. Er musste seinen Scherbenhaufen wieder zusammenkleben, den Domen unwissentlich gerade bei ihm hinterließ.
„Dann wird deine Selbstmitleidsparty eben warten müssen", erwiderte dieser zur Überraschung des Norwegers, der bei dessen Worten zusammengezuckt war.
„Wieso begreift ihr es nicht? Es gibt nichts zu reden! Ich kann da nichts machen, außer es akzeptieren", versuchte er, Domen das Ganze irgendwie begreiflich zu machen. Es machte ihn wahnsinnig, dass Domen genau wie Anders, einfach keine Ruhe geben konnte. Dabei hatten beide nicht die geringste Ahnung, wovon sie da eigentlich sprachen. Besonders Domen nicht. „Ich weiß nicht, was daran so schwer ist, dass Anders und du es nicht kapieren können!"
„Vielleicht, weil wir Recht haben? Du kannst nicht einfach so resigniert dastehen und nichts tun! Hör auf, dich zu verkriechen und fang zu leben an!"
„Fang zu leben an...?! Ernsthaft? Ich hab Puls, okay?! Ich atme, ich laufe. Ich glaube, das versteht man unter leben", zeigte Daniel wütend an sich Körper herunter. Jetzt fing Domen auch schon an, dabei war der überhaupt Schuld an dem Ganzen.
„Du weißt, was ich meine. Weiß sie überhaupt, wie es dir geht? Hast du mit ihr gesprochen?", fragte Domen und ignorierte das Unbehagen, dass ihn überkam, wenn er von ihr sprach. Wer auch immer das Mädchen war, dass Daniel so aus der Fassung brachte, sie hatte ihn nicht verdient.
„Das würde keinen Unterschied machen, glaub mir. Es gibt nun mal Sachen, die kann man nicht erzwingen. Ich weiß, das ist schwer nachvollziehbar für dich, aber man kann nicht immer mit dem Kopf durch die Wand", fauchte Daniel verzweifelt, obwohl er beinahe hysterisch aufgelacht hätte. Wieso hatten plötzlich alle das Gefühl, sich in sein Leben einmischen zu müssen?! Das brachte alles durcheinander! Sie sollten ihn bloß alle in Ruhe lassen! „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, wie du ja schon festgestellt hast, muss ich jetzt wirklich zu meiner Selbstmitleidsparty."
„Erst redest du mit mir", dachte Domen gar nicht daran, jetzt nachzugeben, doch statt zu antworten, wollte sich Daniel einfach an ihm vorbei zur Tür schieben. Domen war jedoch schneller, drehte den Schlüssel im Schloss und zog ihn heraus. „Oder mit ihr. Mir egal, aber du solltest aufhören, alles in dich reinzufressen, denn falls du es nicht merkst, es macht dich total kaputt. Vielleicht wird es ja nicht leichter, aber zumindest musst du dich nicht mehr verstecken. Das wäre doch schon mal was, oder?"
Überfordert überlegte Daniel, was er tun sollte. Alles was Domen ihm sagte, was Anders und seine Mutter ihm gesagt hatten, klang so schrecklich vernünftig. Wenn es dabei nur nicht um den Slowenen gehen würde. „Mach diese verdammte Tür wieder auf!", forderte Daniel verzweifelt. Domen brachte ihn um. Seine Unwissenheit und Naivität. Er musste raus. Runterkommen. Danach konnte er sich wieder mit ihm befassen.
„Nein", verkündete Domen knapp. Er wollte jetzt wissen, warum Daniel sich so aufführte. Wovor er solche Angst hatte.
„Gib mir sofort diesen dämlichen Schlüssel!", schnappte der Norweger, trat einen Schritt näher an ihn heran, während seine Hand vorschnellte und Domens Handgelenk zu fassen bekam, dass der Slowene mit aller Kraft hinter seinen Rücken zerrte und damit seine und Daniels Hand zwischen sich und der Tür einklemmte.
„Komm schon Daniel. Setz einmal im Leben alles auf eine Karte. Ich biete mich hier als Versuchsobjekt an. Wenn du willst verstelle ich auch meine Stimme, dann kannst du dir vorstellen, ich wäre sie, wenn dir das hilft und ich werde auch nicht davonrennen. So schrecklich kann das gar nicht sein", versprach Domen und sah Daniel direkt in die Augen, die sich durch seine Aktion nur noch ein paar Zentimeter von ihm entfernt befanden. Es fiel Domen schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Er nahm seine andere Hand und dieses Mal gab er seinem Impuls einfach nach und legte sie Daniel an die Wange.
Überrumpelt starrte er Domen mit großen Augen an. Versuchte seinen Verstand wieder für sich arbeiten zu lassen, sich abzuwenden, doch nichts davon brachte er Zustande. Jede Faser seines Körpers war damit beschäftigt, sich auf Domen zu konzentrieren und seine Berührung, die alles beherrschte und gleichzeitig ins Chaos stürzte, zu verarbeiten, während Anders wieder mit seinem Ritt in den Sonnenuntergang in seinem Hirn rumspukte. Er sollte alles im Leben auf eine Karte setzen, sich nicht mehr verstecken. Er war es so unendlich leid sich zu verstecken.
Domen beobachtete Daniel dabei, wie er mit sich rang, ließ sich regelrecht von seiner Anwesenheit gefangen nehmen, während er die Körperwärme spürte, die von Daniel ausging und sich auf seinen Körper übertrug. Hitze machte sich breit und eine knisternde fast unerträgliche Spannung lag über ihnen. „Also, warum erzählst du es mir nicht einfach?"
....
„Weil du es bist." Der Norweger hatte leise gesprochen und es dauerte eine Weile, bis Domen realisierte, was genau er da gehört hatte.
„Was soll das heißen: Weil ich es bin? ", verwirrt ließ er seine Hand sinken, die bis eben noch auf Daniels Wange gelegen hatte. „Glaubst du etwa, man kann mit mir nicht reden? Dass ich kein Geheimnis bewahren kann?!"
„Nein, das hab ich so nicht ge-"
„Das klang aber gerade verdächtig danach", stieß er Daniel verletzt zurück, obwohl er wusste, dass er kein recht hatte, sich so zu fühlen.
„Du hörst mir nicht richtig zu, ich-"
„Nein, alles klar, schon verstanden. Ich hab den Zettel geklaut. Spricht nicht unbedingt für mich, auch wenn ich das nur getan habe, um dir zu helfen, weil ich mir Sorgen gemacht habe, aber naja, dann sag wenigstens ihr, was Sache ist-", wütete der Slowene vor sich hin und lief wild gestikulierend vor Daniel hin und her.
„Domen-" –
„Ist es denn wirklich so schwer zu verstehen, dass ich mir Sorgen gemacht habe!?", rief er frustriert in den Raum und dachte an Severin und seine Frau. Die hatte sich auch Sorgen gemacht und Severin hatte sich helfen lassen. Wieso musste Daniel nur alles so kompliziert machen? „Ja, vielleicht schon, aber- Hey, was soll das?!"
Domen fand sich plötzlich erneut Angesicht zu Angesicht mit Daniel wieder. Empört wollte er sich befreien, doch dieses Mal war Daniel derjenige, der nicht lockerließ und Domen an den Schultern gegen eine Säule gepresst festhielt. Festentschlossen zu Ende zu bringen, was er angefangen hatte. Er würde dieses eine Mal alles auf eine Karte setzen. Er wollte wissen, wie Domen reagieren würde. Was seine Hand eben in seinem Gesicht zu suchen hatte. Er konnte an nichts Anderes mehr denken.
„Du verstehst das falsch", seufzte Daniel, sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er sich zu Domen herunterbeugte.
Was tat der Norweger da? Was tat er hier? Bewegungsunfähig starrte er Daniel mit weitaufgerissenen Augen an, nervös wanderte sein Blick zu dessen Lippen und wieder zurück zu seinen Augen, die den Eindruck machten, als trügen sie alle Last der Welt in sich. „Und wie soll ich es dann verstehen?", fragte Domen erstarrt, nur um die Stille zu durchbrechen, die mit jedem Millimeter, die Daniel näher kam, unerträglicher wurde.
Frustriert, über die Verwirrung in Domens Gesicht, überwand Daniel kurzerhand das letzte bisschen, was man noch als konventionellen Abstand zwischen ihnen hätte bezeichnen können.
„Du bist es, Butterprinzessin", flüsterte der Norweger kaum hörbar, bevor er seine Lippen sanft auf die des jungen Slowenen legte und damit alles auf eine Karte setzte.
DU LIEST GERADE
Hello Hurricane
Fanfiction(Domen Prevc x Daniel-André Tande) Sie sind jung, beliebt, feiern einen Erfolg nach dem anderen und die Skisprungwelt liegt ihnen zu Füßen: Domen, der mit seinen gerade mal 17 Jahren schneller an der Weltspitze angekommen ist, als je jemand gedacht...