16. Peter / Anders - Garmisch-Partenkrichen - Tag des Wettkampfes

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PETER stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab. Den Blick nach vorn gerichtet, darauf vertrauend, dass Nejc ihn auffangen würde, so wie er es immer tat.

Einen kurzen Moment hielt ihr Co-Trainer ihn in der Luft und Peter versuchte seine perfekte Flugposition zu finden. Die, die ihm im letzten Jahr all die Erfolge beschert hatte. Doch je mehr er versuchte, sich wieder an dieses Gefühl zu erinnern oder vielmehr seinen Körper dazu zubringen sich zu erinnern, desto ferner erschien ihm alles. Als würde er versuchen, mit offenen Händen Wasser zu schöpfen.

Er spürte, wie Nejc den Druck auf seine Arme verringerte und kurze Zeit später wurde er wieder auf den Boden gesetzt. Nejc wirkte zufrieden. Oder zumindest strahlte er Zuversicht aus und hielt ihm eine Hand zum Abklatschen entgegen. „Wird doch!"

„Scheint so", antwortete Peter und beide waren sich bewusst, dass sie sich anlogen. Peter wusste, dass die Trainer genauso ratlos waren, wie er selbst. Sie arbeiteten akribisch und es belastete ihn, keine Ergebnisse liefern zu können. Das war er nach der letzten Saison einfach nicht mehr gewöhnt und so sehr er sich über die Ergebnisse seines jüngeren Bruders freute, desto mehr musste er tief in seinem Inneren zugeben, dass sie ihn zermürbten. Er konnte die Siege von Domen einfach nicht genießen, während er sich heimlich wünschte, er und Domen würden die Plätze tauschen. Der Rausch der Siege klebte an seinem Wesen und es war schwer, sich mit so viel weniger abzufinden. Auch wenn er sein bestes gab.

„Gut, das wars dann für dich für heute. Ab jetzt pure Konzentration auf den Wettkampf. Einfach springen. Nicht nachdenken. Du musst nicht gewinnen. Es geht hier nur darum, voran zu kommen. Alles klar?", lächelte Nejc Peter an, der nach kurzem Zögern schließlich nickte.

Du musst nicht gewinnen. Die Worte seines Trainers klingelten sturm in seinem Kopf. So weit war es inzwischen schon gekommen. Du musst nicht gewinnen? Wofür war er sonst Leistungssportler geworden? Am liebsten hätte er dies alles Nejc und dem gesamten Trainerstab ins Gesicht geschrien, hätte gern irgendwelche Skier zu Kleinholz verarbeitet, stattdessen stand er mitten im Springerdorf, ein Lächeln auf den Lippen und sich der Kameras und all den Erwartungen an ihn mehr als bewusst. Daniels Mutter hatte ihm gesagt, er solle sich ein Beispiel an Domen nehmen und dabei nicht die geringste Ahnung gehabt, wie oft er sich das schon gewünscht hatte. Aber er war nun mal nicht Domen. War kein 17jähriger Junge mehr, dem man seine Impulsivität leicht verzieh. Sein Team vielleicht. Die Presse mit Sicherheit nicht.

„Ja, alles klar. Das wird schon", nickte Peter dem slowenischen Co-Trainer zu, lehnte sich mit den Händen an die Wand eines der Container und begann mit seinen Lockerungsübungen.

„Sag mal, hast du deinen Bruder irgendwo gesehen? Der wollte eigentlich auch noch kurz Trockenübungen machen", suchend sah Nejc sich um. Doch von dem jungen Prevc fehlte jede Spur. Die einzigen anderen, die er mit grünen Jacken sah, waren die deutschen Springer, die sich lebhaft diskutierend aufwärmten. Dabei fiel Nejc auf, dass der junge Wellinger irgendwie verstimmt aus der Wäsche sah.

„Ich würde mal in irgendeiner ruhigen Ecke nachsehen. Wahrscheinlich hat der seine Nase wieder in eines seiner Bücher vergraben und wärmt sich nebenbei auf", riet Peter, während er sein Bein wechselte und die Beschaffenheit der Containerwand betrachtete. Irgendjemand sollte die auch mal wieder streichen, schoss es ihm durch den Kopf, als er die Rostflecken direkt vor sich bemerkte.

„Doch nicht Cene. Ich meinte Domen", stellte Nejc gedankenverloren richtig. Gerade erregte der polnische Cheftrainer seine Aufmerksamkeit: Er lief gemeinsam mit Kamil Stoch an ihnen vorbei und zeigte auf irgendein Blatt Papier, das verdächtig nach den neuesten Wetterprognosen für diesen Tag aussah. „Hey, wenn du Domen siehst, sag ihm einfach, dass er noch zu mir kommen soll, wenn er tatsächlich noch einmal die Abläufe durchgehen will", rannte Nejc den beiden Polen hinterher und ließ sich von Stefan Horngacher die Prognosen zeigen.

Stirnrunzelnd sah Peter ihnen nach. Seit wann verzichtete Domen auf sein Training? Er benahm sich in letzter Zeit sowieso schon so seltsam. Noch seltsamer als sonst und er wusste nicht, ob dieses Verhalten wirklich auf den Druck und den Stress der Tournee zurückzuführen war. Sicher, der Absturz in Oberstdorf hatte Domen wahrscheinlich mehr mitgenommen, als er zuzugeben bereit war, aber konnte das wirklich alles sein? Immerhin war da die Szene im Kraftraum, die ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Und das war noch vor dem Wettkampf gewesen. Aber wie sollte er ihn darauf ansprechen, ohne gleich wieder ihren zerbrechlichen Frieden zu gefährden? Und vielleicht hatte Domen ja auch Recht und er reagierte tatsächlich über, wenn es um seinen jüngsten Bruder ging.

Und vielleicht hatte er ja auch schon längst jemanden gefunden, mit dem er reden konnte. Immerhin verbrachte er in letzter Zeit auffällig oft Zeit mit Daniel. Selbst Jurij war das schon aufgefallen.

„Peter Prevc immer fleißig am Arbeiten. Was meinen Sie, sehen wir heute wieder einen Slowenen auf dem Treppchen?"

Erschrocken drehte Peter sich um. Vor ihm stand Paul Thiessen, der ihm freundlich entgegenlächelte und dabei seine Haifischzähne entblößte.

„Auf jeden Fall wird es mal ein spannender Wettkampf", antwortete Peter ausweichend und ging in die Hocke, nur um sich kraftvoll vom Boden abzustoßen. Vielleicht verschwand der Reporter ja wieder, wenn er bemerkte, dass er störte.

„Ach, nicht so bescheiden mein Junge. Nach dem Wettkampf in Oberstdorf können wir sicherlich bald wieder gemeinsam jubeln. Das sah doch schon fast wieder wie der alte Peter Prevc aus", sagte Thiessen und hatte tatsächlich den Nerv, ihm kumpelhaft auf die Schultern zu klopfen.

„Ja, das war mal wieder einer von den besseren Sprüngen, trotzdem sollten wir den Ball flach halten, Paul", versuchte Peter den Reporter wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Er wollte gar nicht wissen, was Thiessen in seinem Vorbericht zum Springen wieder für Erwartungen geschürt hatte. Er wusste, er würde sie nicht erfüllen können. Noch nicht. Vielleicht ja auch nie mehr?

Nein! Das würde schon wieder werden. Er brauchte nur einfach länger, um sich auf das neue System einzustellen. Die neuen Skier. Die eigentlich dieselben wie letztes Jahr waren , meldete sich sein innerer Zweifler mal wieder zu Wort.

„Peter Prevc. Bescheiden und bodenständig. Wie immer. Naja, sie haben ja ihren Bruder als Gegenpol. Der scheint heute auch wieder besser in Form zu sein. Könnte das am Druck liegen, der nun, nach seiner relativ aussichtslosen Platzierung in der Gesamtwertung, weg ist?", interessiert sah er Peter dabei zu, wie er begann auf der Stelle zu laufen und dabei seine Knie bis an die Brust zog. Geduldig wartete er ab, bis er die Übung beendet hatte. Peter wurde misstrauisch. Normalerweise verstand auch ein Thiessen, wann er bei den Vorbereitungen störte.

„Kommen Sie schon Paul. Wir sind beide lang genug im Geschäft, um zu wissen, dass die Tournee ihre ganz eigenen Geschichten schreibt. Und was haben Sie erwartet? Domen ist siebzehn. Schon seine Siege am Anfang der Saison waren eine Sensation", gab Peter schnaufend zu bedenken und wollte seinen Bruder in Schutz nehmen. Wenn er im Fokus der Medien stand, wie er es immer tat, würde er es noch schwerer haben, sich wieder in den Griff zu bekommen. Es war schwierig die Ruhe zu bewahren, wenn alle mit gut gemeinten Tipps und Ratschlägen kamen, die inhaltlich alle so weit entfernt voneinander lagen, wie Slowenien vom Mond.

„Natürlich, trotzdem bleibe ich dabei, dass er heute schon wieder wesentlich besser in Form zu sein scheint. Wenn er so springt, wie in der Probe, dann ist ein Podestplatz allemal drin, immerhin scheint er wieder 140 Prozent gegeben zu haben", beschrieb Thiessen Peter freundlich seinen Eindruck des Probedurchgangs und beobachtete den ältesten Prevc dabei sehr genau.

„Wir geben immer unser bestes", antwortete Peter tonlos. Als würden die anderen 49 Springer nicht ihr Bestes geben. Und wieder sah Thiessen nur Domen auf dem Podest. Sicher, er hatte ihm bessere Sprünge attestiert, aber das war nur Mittel zum Zweck gewesen, wie Peter erkannte. Wahrscheinlich hatte er gehofft, so seine Chancen auf ein Gespräch über Domen zu erhöhen.

„Das würde ich nie bezweifeln, aber es ist schon erstaunlich, wie der Junge sich von den Schanzen stürzt. Spektakulär", schwärmte sein Gegenüber weiter und Peter hätte ihn am liebsten stehengelassen. „Aber das scheint einfach in seinem Naturell zu liegen. Und damit scheint er ja auch ziemlich gut anzukommen."

„Was wollen Sie damit andeuten, Paul?", hellhörig geworden unterbrach Peter seine Übungen. Da war so ein seltsamer Unterton in Thiessens Stimme gewesen. In seinem Magen breitete sich ein ungutes Gefühl aus.

„Naja, immerhin scheint Ihr Bruder ziemlich viel Zeit mit dem Norweger Daniel- André Tande zu verbringen. Zumindest hat man die beiden in letzter Zeit öfter zusammen gesehen und sie wirkten ziemlich naja, doch ich denke, vertraut trifft es ganz gut", sagte Theissen als wäre es das normalste der Welt, und trotzdem wurde Peter das Gefühl nicht los, dass sich hinter seinen Worten weit mehr verbarg. „Aber das ist ja nichts Ungewöhnliches. Naja, wie auch immer. Ich wollte sie nicht weiter stören. Viel Erfolg heute", wünschte Thiessen dem Slowenen überraschend und ließ Peter einfach stehen. Stirnrunzelnd sah er dem unsympathischen Reporter hinterher, der mit wachsamen Augen durchs Springerdorf lief. Er bewegte sich unauffällig durch die Menge. Kaum ein Springer schenkte ihm Beachtung. Alle konzentrierten sich auf ihre Wettkampfvorbereitungen.

Was zum Teufel wollte er damit andeuten? Die beiden waren befreundet. War doch nichts dabei, oder? Vielleicht war er nur auf der Suche nach einer netten Story nebenbei und wollte austesten, ob sein Eindruck richtig war. Ganz nach dem Motto: Freundschaft und erbarmungsloser Konkurrenzkampf- Geht das? Immerhin standen auch Michael Hayböck und Stefan Kraft deswegen immer mal wieder im Rampenlicht.

Er sollte sich von Thiessen nicht verrückt machen lassen. Aber es war schon ungewöhnlich, dass Domen sein Training verpasste, dachte er, gerade als Domen aus dem Wald gehetzt kam. Na bitte, er war nur mal wieder spät dran, stellte Peter wenig überrascht fest. Und keine drei Sekunden später tauchte Daniel auf, der seinem Bruder etwas hinterherrief, was Peter nicht verstand. Zu Peters Überraschung reagierte sein Bruder aber überhaupt nicht und rannte einfach weiter, aber nicht in Richtung ihres Containers, wie Peter es vermutete hätte. Stattdessen hüpfte er, nachdem er sich kurz verstohlen umgesehen hatte, einfach über die Absperrung, die das Springerdorf vom Auslauf der Normalschanze trennte auf der Werbeballon von Milka stand.

Was zum Teufel tat er da schon wieder? Ihm musste doch klar sein, dass das nur Ärger geben würde! Wenn er entdeckt werden würde, Goran würde ihm die Hölle heiß machen, dabei war er momentan sowieso schon nicht gut auf Domen zu sprechen, dachte Peter bevor er sich zu fragen begann, warum sein Bruder das tat. Er war nicht dumm. Er wusste sicher, dass das Ärger geben würde, sollte ihn jemand erwischen. Unschlüssig stand Peter da und überlegte.

Irgendetwas stimmte da doch nicht. Die ganzen letzten Tage schon nicht. Und er wurde den Gedanken nicht los, dass der Norweger darin verwickelt war.

Kurz bevor er Domen im Kraftraum gefunden hatte, völlig von der Rolle, hatte er die beiden noch zusammen gesehen. Sie hatten gemeinsam auf einer Bank gesessen, die Sonne genossen und sich unterhalten. Zumindest hatte er das bisher immer angenommen. Immerhin war er gerade auf dem Weg zu Goran gewesen mit dem er noch einmal seine Sprünge durchgegangen war und der ihn anschließend in den Kraftraum geschickt hatte, wo er dann auf Domen getroffen war. Er hatte beides bisher nicht in Zusammenhang gebracht. Aber was, wenn das ein Fehler war?

Kurzentschlossen schlich er seinem Bruder hinterher. Nervös sah er sich bei jedem seiner Schritte um, darauf fokussiert nicht entdeckt zu werden. Er wollte Ärger um jeden Preis vermeiden. Er konnte es nicht gebrauchen, noch negativer aufzufallen als er es so schon tat. Dabei fiel ihm auf, dass er sich wie ein Schwerverbrecher vorkam. Nein, er kam sich nicht nur so vor, er benahm sich auch so und weil er so damit beschäftigt war, seinen Hals um 360 Grad zu drehen, um sämtliche potenziellen Beobachter in der Ferne zu enttarnen, lief er auch prompt gegen Anders Fannemel.

„Oh, nein. Mist! Ohje. Tut mir Leid! Hab dich gar nicht gesehen", entschuldigte er sich peinlich berührt, während er sich fragte, warum das ausgerechnet wieder ihm passieren musste. Die Eisgeschichte hatte inzwischen auch schon die Runde gemacht und Peter fühlte sich in seiner sich selbst zugeschriebenen Rolle, als Trampel vom Dienst, ganz und gar nicht wohl. Außerdem wurde er den unangenehmen Gedanken nicht los, dass Anders es ihm an der Nasenspitze ansehen konnte, dass er etwas ausheckte.

„Nichts passiert. Ist nicht schlimm, ehrlich Peter", beteuerte dieser, während er Peter genau musterte. „Sag mal, ist alles klar bei dir?"

„Prima. Alles bestens", beeilte er sich zu sagen. „Nur etwas spät dran. Das stört die Routine. Deswegen muss ich auch gleich weiter", ließ er den Norweger stehen und eilte weiter. Dabei nahm er einen kleinen Umweg, um keinen Verdacht zu erregen. Erst als er sich sicher war, aus Anders Blickfeld zu sein, steuerte Peter auf den Zaun zu.

Ohne Probleme sprang er über die Absperrung und sah sich suchend um. Er entdeckte Domen sichtgeschützt hinter dem Werbeballon an der Bande der kleinen Schanze, die er zu Peters Entsetzen mit den Füßen bearbeitete. Dabei fluchte sein Bruder vor sich hin. Wenigstens erregte er hier keine Aufmerksamkeit, konnte sich Peter den Gedanken nicht verkneifen, bevor er sich besorgt auf seinen Bruder zubewegte. „Was ist los mit dir?"

Erschrocken drehte Domen sich um. „Scheiße! Peter! Was machst du hier?!"

„Aufpassen, dass du keinen Ärger bekommst", ließ er seinen Bruder nicht aus den Augen, der deutlich aufgewühlt war. Das leichte Zittern seiner Hände, dass Domen versuchte zu verstecken, indem er die Hände in die Jackentaschen steckte, war ihm nicht verborgen geblieben. Hatte Thiessen ihm doch etwas sagen wollen?

„Das kann ich schon selbst. Danke", blockte Domen ihn einmal mehr ab. Aufs tödlichste frustriert fuhr Peter sich durch die Haare. Wie hatte er nur glauben können, dass sie diese Phase inzwischen überwunden hatten?!

„Weißt du was? Dann mach doch. Bitte. Sieh doch selbst wie du kommst. Ich hab die Schnauze so voll! Aber komm dann nicht geheult, wenns zu spät ist!", brannte Peter eine Sicherung durch und ohne es zu merken, schrie er Domen das erste Mal in seinem Leben ohne Rücksicht auf Verluste oder Beobachter an. Er hatte es so satt, ständig gute Miene zum bösen Spiel machen zu müssen. Und wie Domen schon öfters treffend festgestellt hatte: Er hatte genügend eigene Probleme, dachte er verbittert und wandte sich ab.

„Scheiße! Peter! Jetzt warte doch! Es tut mir leid, okay? Ich hatte einen harten Tag. Ich wollte nicht schon wieder-"

Wütend drehte er sich wieder um. Domen stand zerknirscht an der Bande und wirkte hilflos, den Blick gesengt, nervös mit seinen Fingern spielend. „Glaubst du, du bist der einzige, der einen harten Tag hatte? Trotzdem schreie ich nicht jeden an", verschränkte der Ältere die Arme und fühlte sich plötzlich ein bisschen besser. Vielleicht war schreien ja doch die Lösung.

„Ich will dir ja jetzt nicht in die Parade fahren, Pero, aber naja, genaugenommen tust du das irgendwie doch gerade", stellte sein jüngerer Bruder für seinen Geschmack etwas zu vorlaut fest und gerade, als er zu einer klugen Antwort ansetzen wollte, fiel ihm auf, dass Domen Recht hatte.

„Das täuscht", war alles, was ihm dazu einfiel, während er sich auf den Boden fallen ließ, für einen Moment die Augen schloss und der Zuschauermenge lauschte, die die ersten Springer ins Tal trugen.

Seufzend ließ Domen sich neben ihm ins Gras fallen. Schweigend saßen sie nebeneinander und beobachteten von ihrer Position aus die ersten Springer, die vom Bakken gingen, während Domen begann, Grashalme aus der Erde zu rupfen.

„Was ist los?", wagte Peter sich noch einmal vor, dabei versuchte er dieses Mal diesen besorgt-alarmierten Tonfall außen vor zu lassen.

„Ich hab Scheiße gebaut. Mega Scheiße", brummte sein Bruder nach einer Weile leise der Erde zu.
„Okay, was hast du dem armen Norweger angetan?", fragte Peter, als Domen sich nicht weiter dazu herabließ mit weiteren Details um sich zu schmeißen. Dabei konnte er ihn nicht einmal böse sein, denn sein Bruder wirkte, als wäre er mit den Gedanken gerade ganz woanders.

Offensichtlich hatte er mit seiner Mega-Scheiße nicht übertrieben und wenn Domen das schon so wahrnahm, dann musste es wirklich schlimm sein. Sofort fragte er sich, was Thiessen von dem Ganzen schon wusste und musste sich beherrschen, Domen nicht an den Schultern zu packen und einmal kräftig durchzuschütteln. Peter musste sich zwingen, nicht genauer nachzufragen. Er hoffte einfach, dass Domen, wenn er dazu bereit war, zu ihm kommen würde.

„Das willst du gar nicht so genau wissen, aber mein schlechtes Gewissen bringt mich um. Ich meine, wir sind gerade so etwas wie Freunde geworden und auch wenn Daniel immer so taff tut und jede Menge Menschen um sich zu haben scheint, scheinen ihn nur wenige zu kennen. Ich- keine Ahnung. Ich habs echt versaut, ich weiß es und das macht mich krank. Lässt mich durchdrehen. Wirklich!", seufzte Domen und saß zusammengesunken neben Peter.

Das beschäftigte ihn also. Erleichtert atmete er aus. Peter war davon ausgegangen, dass sein Bruder weitaus schlimmer im Schlamassel steckte. Das konnte Thiessen doch unmöglich interessant finden, oder?

„Und jetzt?"

„Naja, sagen wir mal so: Ich wäre echt dankbar, wenn irgendwo eine alte hässliche Frau herumliefe, die mir Karten legen könnte, damit ich weiß, was ich tun soll", schnaubte Domen und betrachtete die Wolken.

„Sag es ihm doch einfach. So schlimm kann es ja nicht sein", riet er Domen tat es ihm gleich. Im Hintergrund hörten sie die laute Menge, die soeben kurz aufgestöhnt hatte.

„Du hast ja keine Ahnung."

„Naja, aber so geht es offensichtlich auch nicht. Glaub mir, auch wenn das momentan nicht so aussieht, die Wahrheit ist immer der bessere Weg. Sowohl für dich, als auch für ihn. Und nichts wäre schlimmer, als wenn er es irgendwann auf anderem Weg herausfinden. Was auch immer du getan hast, besser er hört es von dir. Dann entschuldigst du dich, Daniel wird vielleicht ein paar Tage sauer sein und sich danach bestimmt wieder einkriegen. Er erscheint mir nicht der nachträgliche Typ zu sein", versuchte Peter seinem Bruder zu helfen. Er wusste selbst, dass das alles wesentlich schwerer war, als er es jetzt hier darstellte.

„Und wenn es mir nicht leidtut? Ich meine, vielleicht war das ja kein Fehler. Immerhin wollte ich ihm helfen", trotzig sah Domen ihn an und für einen Moment wirkte er wieder wie der zwölf jährige Junge, dem nicht klar war, wieso man keine Tipis aus Nachthemden bastelte, wenn man sich ungerechtfertigt behandelt fühlte.

„Hör mal, ich weiß, wenn es etwas gibt, das wir beide nicht gut können, dann ist das einzugestehen, dass wir einen Fehler gemacht haben. Und wir beide, dass wir welche gemacht haben. Also spring über deinen Schatten und geh beichten", zwinkerte er Domen zu, als er sich aufrappelte und ihm die Hand reichte, um ihm aufzuhelfen. „Und jetzt sollten wir uns schleunigst auf den Weg machen, sonst wirst du dich erst aus deinem Grab ausbuddeln müssen, um dich bei Daniel zu entschuldigen", drängelte der ältere Slowene mit einem Blick auf die Uhr.

„Wieso müssen sich die Worte aus deinem Mund nur manchmal so vernünftig anhören?!", stöhnte Domen und ließ sich von seinem Bruder aufhelfen.

„Nur manchmal? Du willst doch nicht etwa schon wieder Krieg?", fragte er seinen Bruder lachend.

„Was? Wir hatten Krieg? Ehrlich, du übertreibst maßlos, das waren doch maximal militärische Übungen", winkte Domen ab und wurde im nächsten Moment wieder ernst. „Und du meinst wirklich, ich muss es ihm sagen?"

„Ehrlich? Es schadet auch dir nicht, deinen Horizont mal zu erweitern und dich zu entschuldigen", stöhnte Peter und sprang seinem Bruder über die Absperrung nach. Das würde heute ein langer Tag für ihn werden, denn so wie es aussah, würde es noch ein bisschen Überredungskunst brauchen, Domen die Beichte gegenüber Daniel, die dringend nötig war, wenn sein kleiner Bruder wieder ruhiger werden wollte, schmackhaft zu machen.

Und um Thiessen würde er sich schon kümmern. Immerhin war er der große Bruder und das Domen mit der Situation komplett überfordert war, ging nun wirklich niemanden etwas an.


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ANDERS war hin und her gerissen. Nervös sah er auf seine Uhr, dann wieder zur Absperrung über die gerade Peter und Domen sprangen und sich leise unterhielten. Dieses Bild war so ungewohnt, dass Anders tatsächlich für einen Moment in seinen Bewegungen erstarrt war. Nun, hatte er sich wieder gefangen und musste entscheiden, was er tun wollte.

Peter hatte eindeutig seine Neugierde geweckt, als er ihn vorhin ausversehen angerempelt hatte. Man hatte es ihm an der Nasenspitze angesehen, dass er etwas zu verbergen hatte und jetzt lief er leise flüsternd mit Domen durchs Springerlager, der nicht glücklich aussah und äußerst nervös wirkte. Konnte das alles ein Zufall sein? Kurzentschlossen gab er sich einen Ruck und folgte den beiden Slowenen in kurzem Abstand. Fünf Minuten konnte er sich noch erlauben. Vielleicht auch zehn.

„Tu es einfach", wehte die genervte Stimme von Peter zu Anders herüber. „Sag es ihm."
Wem was sagen? Wenn er nur etwas näher an die beiden herankommen würde, dachte er frustriert, als Domen seinem Bruder etwas antwortete, was Anders nicht verstand, weil in der Wachskabine neben ihm die Wachsmaschine angeschmissen wurde.

„Domen, das....... Richtige. Du kannst so nicht weitermachen.... Frisst ...auf...", schnappte Anders weitere Bruchstücke von Peter auf, die sich langsam in seinem Kopf zu einem logischen Teil zusammensetzten. Konnte es wirklich sein?

„Was.... Daniel ... Redet? Nie mehr? .....tue, als wäre...immer. Normal."

Unerwartet blieb Peter stehen und Anders wäre beinahe über seine eignen Füße gestolpert. Er sah, wie Peter seinen Bruder seufzend musterte, während Anders sich hinter eine Mülltonne hockte und vorgab sich seinen Schuh zuzubinden. Sie redeten also ganz eindeutig über Daniel. Er war sich sicher, dass sein Name gefallen war. Ihm fiel auf, dass Domen genauso nervös wirkte wie vorhin, als er Daniel verkündet hatte, dass Domen Angst hatte, Jarkko könnte ihn ersetzen. Als ob das jemals möglich wäre. Daniel war so verschossen in den kleinen Slowenen, der würde nicht einmal dem Sexiest Man Alive Beachtung schenken, wenn Domen danebenstehen würde.
„Hör mal, ich kann dir die Entscheidung nicht abnehmen, aber ich sage dir, dass du mit ihm reden musst. Danach wird es dir wesentlich bessergehen, als mit deinem Masterplan der Verdrängung", sagte Peter und Anders hätte schwören können, dass der ältere Slowene dabei genauso klang, wie Anders immer gegenüber Daniel.

„Aber was soll ich ihm denn überhaupt sagen?", hilflos warf der kleine Slowene seine Arme in die Luft. So hatte Anders Domen noch nie gesehen. Normalerweise wirkte er immer so taff, niemals um eine Antwort verlegen. Vielleicht hatte Daniel ja doch recht und in dem Kleinen steckte mehr, als man auf den ersten Blick erkennen konnte. Jedenfalls schien er sich reichlich Gedanken um seinen Freund zu machen. Umso mehr freute es ihn, dass es Domen offensichtlich ganz genauso ging wie Daniel. Auch er hatte Gefühle entwickelt und wusste nicht weiter.

Grinsend registrierte Anders Peters Augenrollen, dass er nur allzu gut nachvollziehen konnte. Außerdem rechnete er es dem Slowenen hoch an, dass er seinen kleinen Bruder, trotz aller Schwierigkeiten, die die beiden bekanntermaßen miteinander hatten, so unterstützte. Es ließ ihn hoffen, dass Daniels Weltsicht vielleicht doch wieder etwas aufgehellt werden könnte.

„Domen jetzt mach da bitte keine-"

„Alles okay bei dir, Anders?", schob sich Simon Ammann in Anders Blickfeld und sah in besorgt an. Die Mülltonne bot offensichtlich nur von einer Seite genügend Deckung.

„Ja. Was sollte nicht okay sein? Mein Schnürsenkel war-"

„Klettverschluss."

„Was?!", verwirrt sah Anders auf seine Schuhe. Heute hatte er seine blauen Nike-Turnschuhe an, die tatsächlich keine Schnürsenkel hatten. Das war ihm in all der Aufregung irgendwie entgangen. „Ja, meine ich ja. Kleben nicht mehr richtig und dann...äh...ja, rutschen sie raus", versuchte er eine halbwegs logische Erklärung zu finden. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Peter und Domen weitergegangen waren und er betete, dass sie ihn nicht bemerkt hatten. In letzter Zeit hatte er verdächtig oft Zeit in der Nähe der Slowenen verbracht.

„Ja, der Nachteil an Klettverschlüssen. Deswegen mag ich die nicht. Ich hab mir erst vor ein paar Wochen diese Schuhe hier gekauft. Ich sage dir: Ein Traum. Mit extra reißfesten Schnürsenkeln. Robust wie Drahtseile. Und-"

„Ja, ähm ich komme vielleicht mal drauf zurück, aber entschuldige, ich muss jetzt echt los, Simon. Sonst verpasse ich noch den Start", unterbrach er den Schweizer und sah auf seine Uhr. Entsetzt stellte er fest, dass er den Slowenen fast eine Viertelstunde gelauscht hatte.
Schnell rannte er zum norwegischen Container, wobei er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Er musste seine Erkenntnisse unbedingt mit Daniel teilen. Das sollte selbst dem alten Pessimisten mal ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Domen war tatsächlich in Daniel verliebt. So richtig hatte Anders das noch gar nicht realisiert. Aber eigentlich hatte doch schon seine Eifersucht, die der Slowene nicht einmal ansatzweise unter Kontrolle gehabt hatte, Bände gesprochen.

Schwungvoll riss er die Tür auf. Mitten im Raum stand Daniel, der sich gerade seinen Sprunganzug überzog. Anders trat in den kleinen Raum, die Tür hinter ihm war noch nicht einmal richtig zugefallen, als Daniel vor Wut kochend vor ihm stand und Anders überrumpelte.

„Was hast du gemacht?", schrie ihn sein bester Freund an und strich sich seine Haare mit zitternden Händen aus dem Gesicht.

„Nichts! Wirklich! Gar nichts!", stritt Anders alles erst einmal alles reflexartig ab. Er gab ja zu, dass Lauschen vielleicht nicht die feine englische Art war, aber- Moment. Daniel konnte doch davon eigentlich gar nichts wissen, oder? „Wovon sprechen wir doch gleich?", fragte er unsicher, als Daniel ihm noch ein wenig mehr auf die Pelle rückte.

„Das fragst du noch? Von Domen natürlich! Was hast du ihm erzählt?", wollte der Blonde wütend wissen und starrte ihn anklagend an, während bei Anders der Kronleuchter aufging. Er sprach also von seinem Gespräch mit Domen, während Daniel Volleyball gespielt hatte. Daran wollte er jetzt eigentlich keinen Gedanken mehr verschwenden, sondern lieber über die aktuellen News debattieren, die viel welterschütternder für Daniel waren.

„Daniel, das ist der ganz falsche Ansatz. Du solltest mich eher fragen, was er mir erzählt hat, also fast", grinste er vielsagend und war dabei äußerst stolz auf sich. Er persönlich war ja der Meinung er verdiente einen Orden wegen besonderer Freundschaftsdienste unter erschwerten Bedingungen oder so. Jedenfalls sollte Daniel ihm dankbar sein, dass er sich im Grunde auf das Niveau eines Waschweibes herunterließ. So intensiv, wie in den letzten Tagen, hatte er sich noch nie mit aktuellem Klatsch und Tratsch abgegeben. Aber wie sonst hätte er mehr über den für ihn undurchsichtigen Slowenen herausfinden sollen? Inzwischen wusste er mehr über die einzelnen Springer, als er in den letzten Jahren erfahren hatte. Und auch wollte.

„Insofern er das Gespräch nicht von selbst mit dir gesucht hat, will ich es nicht wissen", brummte Daniel vorwurfsvoll und viel zu undankbar für Anders Geschmack. Nicht dass er kein Verständnis für die verzwickte Lage des jungen Norwegers hatte, aber man konnte sich eben auch anstellen. Die beiden schienen wirklich wie füreinander gemacht.

„Ich würde doch niemals- Ja, gut vielleicht würde ich, aber ich sage dir, du musst-"

„Ich muss nichts und ich werde nichts. Und ich will es schon gar nicht hören. Alles war gut so, wie es war und du, mein Freund, wirst das wieder gradebiegen", piekte ihm der Blondhaarige mit seinem Finger mehrmals in die Brust.

„Aber das ist scheiße! Verdammt Daniel! Ich dachte, ich weiß nicht, du würdest langsam mal aus deinem Schneckenhaus herauskommen, wenn du nur-"

„Wenn ich nur was, Anders? Wenn ich erst Hoffnung hätte, dass das Schicksal mir einmal im Leben wohlgesonnen ist? Das ist es doch, was du mir mal wieder weismachen willst, oder?", aufgebracht schmiss Daniel seine Klamotten in die Ecke und schnappte sich seinen Sprunganzug.

„Ja, eigentlich schon, nur scheint mir das momentan zwecklos, denn ich fürchte, wir werden uns gleich wieder im Kreis drehen", seufzte Anders wieder am Boden der Tatsachen angelangt. Wenn das hier vorbei war und Domen und Daniel glücklich in den Sonnenuntergang ritten, würde er sich erst einmal in Therapie begeben. Und Daniel würde dafür zahlen. Das hielt doch kein Mensch aus. Dabei ließ er sich von Daniel, der immer noch neben ihm stand und ihn anfunkelte nicht beeindrucken. Stattdessen setzte er sich auf die Bank und begann sich umzuziehen.
„Versuch doch einmal im Leben deine Angst beiseitezuschieben und stell dir die Frage, was du mit deinem Leben anfangen willst. Mal abgesehen vom Sport", verlangte er.

„Das hat nichts mit Angst zu tun, sondern mit der Realität, Anders. Die lässt sich nur schwer verleugnen", machte Daniel komplett dicht.

Seit wann war er nur so stur? Dabei hatte Anders gedacht, nach dieser komischen Freundschaftssache, die seiner Meinung nach für Daniel niemals würde funktionieren können, dass es endlich vorwärtsgehen würde. Nicht nur, dass Daniel ihm mit seiner Einstellung den letzten Nerv raubte, nein, ihm selbst tat es weh, seinen Freund in seinem selbstgeschaufelten Abgrund zu sehen, in dem er sich auch noch häuslich einzurichten schien. Auch wenn Daniel sich mit seinem Leben abgefunden hatte, er würde das niemals können. Nicht nach seinen Erkenntnissen des heutigen Tages. Und auch ohne sah er es nicht ein, dass Daniel nicht glücklich werden sollte, nur weil er Männer liebte. Es sollte egal sein.

„Und vielleicht reicht mir das ja? Und selbst wenn nicht, nach meiner aktiven Karriere kann ich mir das immer noch überlegen", verschränkte Daniel trotzig die Arme und Anders fragte sich, ob Domen Prevc vielleicht ansteckend war.

„Ja, dann sind auch nur die vielleicht besten Jahre deines Lebens rum. Ehrlich Daniel, das ist so dumm!", stellte er sich vor seinen Freund und schüttelte ihn an den Schultern, mit der stillen Hoffnung, dass, was auch immer bei Daniel rausgesprungen war, wieder einrastete.

„Schön, dann bin ich eben dumm-"

„Weißt du, genau das ist es: Du bist nicht dumm, Daniel. Du hast nur gerade ne Menge Pech beim Denken, sonst wüsstest du nämlich, dass dein Plan scheiße ist. Das kann einfach nicht funktionieren. Und das wird es auch nicht. Nicht für dich. Nicht für ihn. Für keinen", platzte ihm der Kragen.

„Schön. Wenn du meinst. Okay, aber du wirst das wieder in Ordnung bringen. Gestern war alles noch okay und heute...ergreift er die Flucht, nur weil ich mit Tannenzapfen schmeiße", setzte sich Daniel seinen Helm mit Nachdruck auf den Kopf und nahm seine Handschuhe vom Tisch.

„Wann war bitte bei euch mal was okay?", fragend sah er Daniel an und Daniel starrte finster zurück. Eingefroren in seinen Bewegungen. Offensichtlich wusste er nicht, was er darauf antworten sollte und Anders konnte sich nur mit Mühe ein lautes Ha! verkneifen.

„Du weißt, was ich meine", brummte Daniel, schulterte seinen Rucksack und verließ ohne ein weiteres Wort den Container. Das war dann wohl das Ende der Diskussion.

„Unfähig. Alle beide! Man sollte sie einfach in einen Schrank sperren und anschließend den Schlüssel wegwerfen!", grummelte Anders und packte seine Sachen zusammen. Er war viel zu spät dran. Er konnte nur hoffen, dass Peter bei Domen mehr Erfolg hatte. Anders war überzeugt, dass wenn der Slowene den ersten Schritt machte und Daniel seine Gefühle gestand, es für seinen Freund kein Zurück mehr geben würde.

Seufzend lief er durchs Springerdorf zu den Autos, die sie nach oben bringen würden. Daniel stieg gerade in eines der Autos. Kopfschüttelnd stellte er fest, dass auch Peter und Domen mit von der Partie waren. Daniel hatte aber auch ein Glück., dachte er schadenfreudig. Weglaufen war eben immer so eine Sache. Irgendwann holten einen die Dinge doch wieder ein. Auch wenn Domen nach Anders Geschmack ruhig etwas weniger zerknirscht wirken könnte. Auch die finsteren Blicke, die er seinem älteren Bruder zuwarf, weil der auf dem Vordersitz platznahm, entgingen den wachsamen Augen des Norwegers keineswegs. Peter stellte sich also genauso geschickt im Kuppeln an, wie er selbst, stellte er fest und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Die Skier bitte einfach hinten ins Auto", tippte ihn der Fahrer ungeduldig auf die Schultern.
„Ja, sicher", beeilte er sich und setzte sich in den Wagen, als die Türen gegenüber sich öffneten und Noriaki Kasai in den Wagen stieg. Freundlich begrüßten sich die beiden und brachten im einträchtigem Schweigen die Fahrt hinter sich.

Oben am Schanzenturm luden sie ihre Skier wieder aus und Anders nahm sich wie immer kurz die Zeit, ins Tal zu sehen. In diesem Jahr sah der Ort so aus, als würde der Frühling kurz bevorstehen. Nicht einmal die Berggipfel waren weiß. Alles wirkte von dort oben so klein. Man war ein wenig der Welt entrückt. Dann wandte er sich und fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben. Noch ein weniger näher dem Himmel entgegen, um sich dann der Erde entgegenzustürzen.

Im Warteraum herrschte reges Gedrängel. Springer und Vorspringer waren auf engstem Raum zusammengedrängt. Nicht zu vergessen der Kameramann, der einen großen Teil des kleinen Raums für sich beanspruchte. Einige von ihnen saßen völlig in sich selbst versunken auf ihren Plätzen, gingen ein letztes Mal die Charakteristik der Schanze durch und verbanden diese mit ihren Bewegungsabläufen des Sprungs, andere wiederrum saßen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Viele der Vorspringer hatten sich vor der Glastür postiert um Sonne zu tanken. Wenn es gut lief, würden sie erst wieder nach dem ersten Durchgang zum Einsatz kommen.

Anders setzte sich zu dem Russen Klimov, der kurz vor ihm an der Reihe sein würde. Von seinem Posten aus hatte er einen guten Blick auf den Fernseher, der wie immer aufgestellt worden war und so ganz nebenbei konnte er Daniel und Domen im Blick behalten, die zu seiner Überraschung in ein Gespräch vertieft ihm direkt gegenübersaßen. Beide starrten dabei gebannt auf eben jenes elektronische Gerät über ihren Köpfen. Nur nicht den anderen ansehen, der könnte ja was merken, dachte Anders und verdrehte in seinen Gedanken seine Augen einmal um 360 Grad.

Jeder, der die beiden nur ein bisschen kannte, würde erkennen können, dass sie sich benahmen, als würden sie auf rohen Eierschalen laufen. Und trotzdem warfen sie sich Blicke zu, wenn der jeweils andere gerade nicht hinsah, die sie verrieten. Konnte es auf der Welt zwei andere Verliebte geben, die sich noch unbedarfter anstellten? Vermutlich nicht, dachte Anders seufzend. Wenn sie es bis morgen nicht hinbekommen würden, würde er sie wirklich in einen Schrank sperren, nahm er sich vor. Immerhin war morgen ihr freier Tag und somit hatten sie genügend Zeit, sich auch anderen Dingen neben dem Training zu widmen. Und wie er aus zuverlässiger Quelle erfahren hatte, würden auch die Slowenen die Nacht noch in Garmisch verbringen.
Entschlossen, seinen Plan wahrzumachen - am liebsten hätte er den beiden drohend einen Countdown unter die Nase gehalten - stand er auf und bahnte sich seinen Weg nach draußen. Oben auf dem Sprungturm ließ er sein Gesicht von der Sonne kitzeln, schloss für einen Moment die Augen. Aber jetzt würde er sich endlich einmal auf sich konzentrieren. Schließlich war er nicht ins Team gerückt, um Amor zu spielen.

Hocke, nicht zu tief, dann ungefähr drei oder vier Sekunden, dann wäre der Schanzentisch direkt vor ihm. Hüfte nach oben und Sprung. Austarieren, V gleichmäßig öffnen und Spannung halten. Dann könnte es ganz gut laufen. Garmisch war zwar ebenso wie Oberstdorf immer noch keine der großen Großschanzen, die ihm eher entgegenkamen, aber zumindest wollte er seine guten Trainingsleistungen bestätigen. Daran hatte er akribisch-

„Anders?"

Überrascht öffnete er die Augen. Daniel stand vor ihm. Unsicher lächelnd. Stumm abwartend fixierte der ältere Norweger den Horizont und ließ Daniel zappeln.

„Tut mir leid wegen vorhin. Das- du- Ich meine, du wolltest mir helfen und ich- naja", stammelte er und sah betreten zu Boden.

„Ist okay. Lass uns einfach erstmal den Wettkampf hinter uns bringen, ja?", lenkte Anders ein. Und obwohl Anders am liebsten noch einmal nachgelegt hätte, wusste er, dass es nichts brachte, wenn Daniel sich von Schuldgefühlen zerfressen diese Schanze herunterstürzen würde.

„Mmmh", kam es fast schon widerwillig von Daniel, der schnell neben ihm in die Knie ging und die seine Anfahrtsposition probte. Stirnrunzelnd musterte er den Jüngeren. Er war nervös. Unruhig. Und das sicher nicht wegen des Wettkampfes. Da wollte er ihn einmal in Ruhe lassen und dann wollte der Junge diskutieren...

„Okay, was ist schon wieder?", gab er seufzend nach und behielt die Tür direkt hinter ihnen im Auge.

„Ich- ach, nein. Ist in Ordnung. Nichts", rang Daniel sichtlich mit sich und Anders fand es wirklich süß, wie er es versuchte, sich dann doch verstohlen umsah und ein Stück näher an ihn heranrückte: „Was wolltest du mir vorhin erzählen?"

„Ach, hat uns dann doch die Neugier gepackt?", fragte Anders schadenfreudig grinsend. „Was hat denn den Sinneswandel ausgelöst?"

„Nichts. Naja- Ach, verdammt! Ehrlich, das fragst du noch? Seit ich ihn das erste Mal getroffen habe, versuche ich, dieses kleine letzte bisschen hartnäckiger Hoffnung zu begraben. Was prima funktioniert hat, bis du aufgetaucht bist. Jetzt frage ich mich ständig, ob du nicht vielleicht doch Recht haben könntest und aus dem kleinen zarten Pflänzchen Hoffnung wird so langsam ein verdammter 30 Meter Baum, den ich nicht mehr unter Kontrolle habe! Und das nur deinetwegen und dann kommt Domen an. Will sich mit mir treffen, hat er gesagt und war dabei so nervös wie ein verdammtes Schulmädchen!", schnaubte Daniel empört und hatte den Nerv ihn vorwurfsvoll anzusehen, als hätte er damit auch nur irgendwas zu tun. Kurz verstummte er, als er hörte, wie die Tür sich öffnete. Sie warteten ab, bis Severin Freund an der Treppe des Schanzenturms angekommen war. Dann fuhr Daniel leise zischend fort: „Was soll ich davon bitte halten? Was hast du schon wieder gemacht?"

„Er will sich mit dir treffen?", fragte Anders überrascht und ein fettes Grinsen übernahm die Kontrolle über seine Mundpartie. Das ging dann doch schneller als gedacht. Peter war offensichtlich besser als er.

„Ja! Dabei kann er mir kaum in die Augen sehen. Scheiße, vielleicht hat er was gemerkt? Und will mich nur nicht vor versammelter Mannschaft bloßstellen?", ließ Daniel seinen Gedanken freien Lauf und verstärkte seinen Griff um das Geländer vor ihm.

Anders bemerkte Daniels Panik und legte ihm eine Hand auf die Schulter: „Jetzt krieg dich wieder ein, das will er nicht. Im Gegenteil."

Erstaunt sah Daniel ihn an. Suchte nach irgendeinem Hinweis, dass Anders sich das alles nur ausdachte, ihn einfach nur ablenken wollte oder wie immer mit mehr Optimismus an die Sache heranging, als gut war. Doch da war nichts. Nicht die geringste Unsicherheit.

Anders bemerkte, wie sich Daniels Gesichtszüge zu einer Mischung aus purer Überraschung und Unglauben verzog. Doch er sah auch, wie die Augen seines Freundes anfingen zu strahlen. Daniels Hoffnungsbaum schien sich trotz all der Zweifel verdammt gut zu entwickeln und Anders konnte nur hoffen, dass der kleine Slowene es nicht versaute.

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So ihr Lieben,

heute melde ich mich mal persönlich zu Wort, einfach um Danke zu sagen! Vielen Dank an diejenigen, die für die Story so fleißig abstimmen oder mir einen Kommentar hinterlassen haben. Es freut mich zu sehen, dass es ein paar Menschen gibt, die mit Hello Hurricane etwas anfangen können. Und an dieser Stelle möchte ich auch einfach einmal sagen: Auch, wenn ihr was auszusetzen habt, dürft ihr mir das gern mitteilen. Ich bin immer dankbar für konstruktive Kritik, ich will mich ja auch verbessern ;) Gern auch per Mail.

In diesem Sinn, hoffe ich, ihr hattet Spaß mit dem neuen Kapitel und wünsche euch noch ein hoffentlich erholsames Wochenende.

Man liest sich!

liebe grüße

zaara

Hello HurricaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt