20. Daniel - Innsbruck - Day Off

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Er war so ein Idiot. Naiv. Gutgläubig. Ein Träumer. Hatte er wirklich einmal gedacht, dass es anders laufen würde? Besser. Akzeptanz? Sicher. Der Weltfrieden war ja schließlich auch nur einen Steinwurf entfernt.

Konzentriert ging er in die Hocke.

Er hatte so viel Zeit damit verbracht, über Domen nachzudenken. Über ihn zu reden. Sie hatten miteinander gesprochen. Sie hatten versucht Freunde zu sein. Aber egal wie sehr er es auch versucht hatte diese Freundschaft zu erhalten, war sie doch von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Irgendwann musste er sich ja zu so einem Scheiß hinreißen lassen. Dieses Mal hatte es sogar nur Tage gedauert. Keine Jahre.

Das Brett auf dem er stand, rollte los. Er fixierte Magnus, der darauf wartete ihn in die Luft zu heben.
Und jetzt? Musste er irgendwie weitermachen. Sich voll auf den Sport konzentrieren. Es würde vielleicht schwerer werden, als das letzte Mal, aber er würde es schaffen. Er würde drüber hinwegkommen. Hoffentlich. Irgendwann.

Er stieß sich ab. Spürte wie starke Arme ihn um die Hüfte packten. Ihn nach oben katapultierten. Er richtete seinen Blick stur geradeaus.

Es durfte einfach nicht wie das letzte Mal laufen. Domen durfte einfach nicht so sein wie San. Auch wenn er dieselben Fehler gemacht hatte. Er würde das Getuschel, die Blicke und Hänseleinen nicht noch einmal ertragen. Nicht hier. Nicht in seinem sicheren Hafen. Denn dieses Mal hatte er nichts zu dem er fliehen würde können. Kein Sportzentrum an dem ihn niemand sonst kannte. Wieso hatte er nicht einfach den Mund gehalten?

Magnus senkte die Arme. Er spürte wie sich sein Griff lockerte. Er winkelte die Beine an, breitete die Arme aus. Telemark. Eine perfekte Landung. Alex hinter ihm klatschte zufrieden. Die Presse war begeistert und schoss ihre Fotos. Der Rest des Teams, verteilt in der Turnhalle, setzte seine Übungen fort ohne ich Beachtung zu schenken. Es war alles wie immer. Nichts Besonderes.

„Sehr gut, Daniel. Super Hüfthaltung. Morgen an der Schanze genau noch einmal so, dann wirst du wieder gut dabei sein", rief Alex, während er sich irgendetwas auf seinem Klemmbrett notierte. „Es freut mich, dich so fokussiert zu sehen. Ich weiß, der Adler wäre dein großer Traum."

Daniel schluckte. Konnte darauf gerade nichts erwidern. Es stimmte, der Adler war einer seiner großen Träume. Gerade war er ihm allerdings erschreckend egal. Er brauchte nur irgendetwas auf das er sich konzentrieren konnte. Dass ihm nicht das Gefühl gab, das sein Leben bald gehörig aus den Angeln gehoben wurde, wenn alle es erfuhren. Er rang sich ein Lächeln ab, lief zu den Hürden.

Nervös saß er an seinem Platz in der Schule. Starrte immer wieder zur Tür, wenn sie geöffnet wurde. Er hatte ihn seit gestern nicht mehr gesehen. Nach der Schule war er einfach abgehauen. Hatte ihn mit den Hühnern stehenlassen. Als er sie schließlich zu seinem Vater gebracht hatte, hatte dieser ihm mit einem fragenden Blick mitgeteilt, dass San nicht da war.

Daniel hatte ihn am Fenster stehen sehen. Hatte gesehen, wie er ihn beobachtet hatte.

Erneut wurde die Tür aufgerissen. Daniel drehte sich um. Sein Herz setzte einen Moment aus, seine Hände begannen zu schwitzen. San. Er betrat den Klassenraum, begrüßte ihre Mitschüler mit einem breiten Grinsen. Würdigte ihn nicht mit einem Blick. Es war als hätte er aufgehört zu existieren. San ließ sich auf einem Stuhl am anderen Ende des Raumes nieder.

Verwunderte Blicke huschten zwischen ihnen hin und her. Das Tuscheln begann.


Ein Schauer überlief Daniel, bevor er losrannte. Direkt auf die Hürden zu. San war von Anfang an vor ihm geflohen. Genau wie Domen. Er hatte das klären wollen. Sich entschuldigen. Versichern, dass es nie wieder vorkommen würde. Dass sie trotzdem Freunde bleiben konnten, weil es für ihn damals nichts Wichtigeres gegeben hatte. Mehr hatte er nicht gewollt. Doch San war genau wie Domen gerannt. Immer und immer wieder. Immer und immer weiter. Und er war anfangs so dumm gewesen und war ihm gefolgt. Hatte er Sans Reaktion provoziert?

Er fixierte einen Punkt auf dem Boden, ging in die Knie und hebelte sich in die Luft. Übersprang mit Leichtigkeit die Hürden, die vor ihm aufgereiht waren. Eine nach der anderen bis er schwer atmend zum Stehen kam.

„Sehr beeindruckend. Immer und immer wieder. Verzeihen Sie, dürfen wir sie für ein kurzes Interview stören?", kam ein Reporter des deutschen Fernsehteams auf ihn zugelaufen.

„Sicher. Dafür sind wir ja hier", entgegnete er höflich, wie selbstverständlich mit einem Lächeln auf den Lippen. Würde er auch noch ein Interview wollen, wenn er die Wahrheit wüsste, fragte er sich während er dem Mann zu seinem Team folgte. Er wartete bis sie ihn verkabelt hatten.

Stumm hielt er seinem Sportlehrer die Springseile entgegen. Der Unterricht war beendet und er war zum Aufräumdienst verdonnert worden.

„Alles klar bei dir, Junge? Du bist die ganze Woche schon nicht richtig bei der Sache...Schwierigkeiten im Verein? Schaffst dus nicht mehr?", erkundigte sich sein Sportlehrer, während er ihm die Seile aus den Händen nahm und sie über den Haken im Geräteraum hing.

„Nein, alles bestens", log er tonlos und holte das Netz mit den Bällen.

„Dann...Ärger mit den Mädels? Habt ihr euch deswegen gestritten, San und du?", bohrte sein Lehrer weiter und Daniel hatte das unangenehme Gefühl genaustens durchleuchtet zu werden.

„Wir haben uns nicht gestritten, verstanden!? Es ist alles okay. Prima. Kann ich dann jetzt gehen?", zappelte er ungehalten herum und blaffte das erste Mal in seinem Leben einen Lehrer an. Wie sollte man auch streiten, wenn man aufgehört hatte zu existieren?


„So, das hätten wir", klopfte der Tontechniker ihm auf die Schultern und holte ihn wieder zurück aus seiner Vergangenheit.

Neben ihm hörte er Alex, der gerade dem österreichischen Sender zur Verfügung stand. „Ja, ähm ein witziger Typ. Er ist sehr positiv. Ist immer ... immer ein Lächeln im Gesicht, Daniel ist sehr interessiert in vielen Dingen. Er kann sich über die einfachen Dinge im Leben freuen."

Ja, weil er gelernt hatte, seine Ansprüche herunterzuschrauben. Was für andere normal war, kam in seinem Leben fast einem Privileg gleich, dachte er und hätte beinahe laut aufgelacht.

„Kann es losgehen?", beugte sich der Kameramann hinter seiner Kamera hervor, zählte mit seinen Fingern den Countdown herunter. Drei. Zwei. Eins.

„Daniel, Ihr Erfolg wurde in ihrem Heimatland frenetisch gefeiert. Über die Hälfte der norwegischen Bevölkerung hat ihren Sieg in Garmisch am Fernseher verfolgt, ihr ehemaliger Teamkollege Johan Remen Evensen, der jetzt als TV- Sportexperte bei NRK arbeitet, hatte sich sogar extra bei ihrem Sprung in ein Superheldenkostüm gezwängt. Wie fühlt sich das an?", fragend starrte ihn ein Reporter des deutschen Fernsehens.

„Ja, ich liebe die Aufmerksamkeit. Das ist der Lohn für gutes Skispringen. Hoffentlich bleibt das auch so den ganzen Winter", lachte Daniel ganz automatisch in die Kamera. Es kostete ihn eine Menge Kraft, die Rolle des erfolgreichen Überfliegers.

„Wir sind bei unserer Recherche auf ein interessantes Phänomen gestoßen: Montagen, die vor allem deine weiblichen Fans von dir erstellt haben und dich als nächstes Model von Armani oder Versace sehen. Wäre das wirklich was für Sie?", interessiert hielt ihm sein Interviewpartner das Mikrophon unter die Nase.

„Ja, ich habe im Sommer tatsächlich mal ein Fotoshooting gemacht, das war wirklich lustig. Vielleicht mache ich mehr davon nach meiner Karriere. Mal sehen", erzählte er und schluckte den Kloß in seinem Hals herunter.

„Ihre weiblichen Fans dürften sich freuen, das zu hören. Was sagen Sie dazu, dass – wenn man den Zeitungen glauben darf- die Hälfte aller Zuschauer aus Norwegen junge Frauen gewesen seien?", wollte der Reporter lachend wissen und zwinkerte ihm belustigt zu.

Dass sie alle ihre Zeit verschwendeten. Den lustigen, interessierten, positiven Daniel gab es nicht, Das war nur eine Rolle, weil den echten niemand sehen wollte. „Ich fühle mich natürlich geschmeichelt und es ist gut für den Sport, wenn junge Leute sich dafür interessieren", antwortete er schließlich. Belustigt.

„Da haben Sie sicher nicht unrecht. Wir wünschen Ihnen natürlich alles Gute für die Tournee und bedanken uns, für Ihre Zeit", beendete der Reporter das Interview.

Erleichtert wandte Daniel sich ab und schnappte sich einen Basketball. Er würde jetzt einfach noch ein paar Körbe werfen, bis die Zeit endlich um war. Mit dem Ball in der Hand sprintete er in Richtung des Korbs.

„San!... Komm schon! Jetzt rede mit mir! Es tut mir leid! Ich hätte das- San! Aleksander!", rannte er seinem besten Freund hinterher. Sie befanden sich auf dem Nachhauseweg.

„Jetzt hör mir doch mal zu!", packte er seinen besten Freund am Arm und zwang ihn, ihn anzusehen. Schwer atmend starrten sie sich stumm an.

„Fass mich nicht an!", riss San sich angeekelt los. Panisch sah er die Straße hinab. Doch außer ihnen beiden war da niemand.

„San bitte! Es tut mir leid. Ich weiß nicht- Was soll ich denn noch machen, damit du wieder mit mir redest? Ich will doch nur, dass alles wieder wird wie-", flehte er verzweifelt.

„Wie früher? Dann werd normal. Mach ne Therapie, denn das, Danny, ist krank", zeigte er verächtlich auf ihn, bevor er sich umdrehte und seinen Weg fortsetzte und Daniel einfach stehenließ.


„Lass mal sehen, was du kannst, Daniel", tauchte Andreas vor ihm auf und versuchte, ihm den Ball abzunehmen.

„Du würdest staunen, Stjernen", gab Daniel zurück. Immer schön lächeln und winken. Er war erfolgreich und führte ein tolles Leben, dachte er, als er an Anders vorbeilief, der immer noch mit dem verbandsinternen SKI-TV beschäftigt war.

„Es ist... ich bin mir nicht sicher, welcher Tag heute ist... aber es ist unser freier Tag. Wir sind spät in Garmisch aufgewacht, haben unsere Taschen gepackt und sind nach Innsbruck gefahren", erzählte Anders dem SKI-TV Team, während sie einen kurzen Blick austauschten. Anders beobachtete ihn schon während des gesamten Trainings mit äußerstem Misstrauen.

„Jetzt pass auf, Danny-Boy! Jetzt zeige ich dir mal, wie das geht", rief Andreas ihm zu, nahm ihm den Ball ab und dribbelte gekonnt an ihm vorbei. Dann sprang er und versenkte ganz lässig einen Treffer. Dabei ahmte er mit seinen Händen eine Pistole nach, richtete sie auf die Kamera und benahm sich, als wäre er der Pate persönlich.

„Michael Jordan wäre echt beeindruckt, wenn er gesehen hätte, wie du die sieben fünf Meterschränke auf deinem Weg zum Korb einfach beiseitegedrängt hast", schrie Halvor ihm hämisch entgegen, der auf sie zugelaufen kam. Er klopfte Daniel kameradschaftlich auf die Schulter. Gestern Abend spielte für Halvor keine Rolle mehr. Er konnte das einfach abhaken. Weitermachen.

„Daniel, bleibst du bitte noch einen Moment?", bat ihn seine Klassenlehrerin, als es zur Pause klingelte und sie ihre Sachen zusammenpackten. Eine Papierkugel flog quer durchs Zimmer, traf ihn am Kopf. Wütend blickte er auf.

„Sorry, wollte den Mülleimer treffen", lachte Jonas, während er sich ein High Five von seinem Gefolge abholte.

„Gut gezielt, Alter", hörte er San sagen, als er an der Reihe war.

„Jungs! Los ab mit euch jetzt", mischte sich Mrs Hansen ein. Unter lautem Gegröle verließen sie schließlich den Raum und Mrs Hansen wandte sich schließlich ihm zu.

„Ich hab gehört, dass du bald deinen ersten internationalen Wettkampf hast. Glückwunsch", anerkennend sah sie ihn an. Stirnrunzelnd sah er zurück. Hatte sie ihn deswegen dabehalten?
„Ist nur der Alpencup", brummte er und versuchte ihrem besorgten Gesichtsausdruck zu entfliehen.

„Was heißt hier nur? Das ist doch ein toller Erfolg! Und ich verstehe, dass das momentan Vorrang hat, aber Daniel, du musst ein bisschen aufpassen. Du bist in letzter Zeit oft übernächtigt, unkonzentriert. Ich hab mit deinem Trainer gesprochen und es ist wirklich lobenswert, dass du jede freie Minute dazu nutzt, an dir zu arbeiten, aber du bist nur einmal jung, Daniel. Wenn du dir erstmal wieder ein bisschen Zeit für deine Freunde nimmst, dann wird es dir in der Klasse auch wieder bessergehen. Ich bin mir sicher, Aleksander vermisst seinen Kumpel", mitleidig legte sie ihm eine Hand auf die Schulter, die er wieder abschüttelte.


„Jetzt sei nicht so fies und mach ihm falsche Hoffnungen. Nachher glaubt er tatsächlich, dass es einen Sport gibt, den er beherrscht", erwiderte Daniel. Immer noch mit einem Lächeln im Gesicht, während die Geheimnisse ihn auffraßen. Er sich noch nie so unwohl im Team gefühlt hatte.

Sehnsüchtig warf er einen kurzen Blick zur Uhr, die an der Stirnseite der Halle für alle gut sichtbar angebracht war, als die Eingangstür sich laut quietschend öffnete und Silje hereingestolpert kam. „Sorry, ich wollte nicht stören, ich hab nur-"

„Happy Birthday to you. Happy Birthday to you...", stimmten sie alle an und versammelten sich im Kreis um Silje, die sich gerührt die Hände an die Wangen drückte. Daniel stand ganz außen gefühlt neben seinem Lächeln, ertrug Halvors Berührung, der den Arm um ihn gelegt hatte.

„Danke!", quietschte Silje, als die Gesangseinlage endlich beendet war. Erleichtert machte Daniel sich los und drehte sich weg. Etwas abseits beobachtete er wie die anderen Silje gratulierten, während Claas neben ihm von SKI-TV interviewt wurde und das Prozedere kommentierte.

„Ja, Silje ist meine älteste Tochter. Ist heute einundzwanzig geworden. Das sind schon eine Menge Geschenke, die sie während dieser Zeit bekommen hat. Deswegen hat es dieses Mal auch nicht für mehr gereicht. Das Ständchen des Teams wird dieses Jahr ihr einziges Geschenk von mir bleiben", entschuldigend hob er die Arme und Silje starrte ihren Vater belustigt an.

„Jetzt sieh ihn dir an, Daniel, den armen alten Mann. Am Ende seiner Kräfte", lachte sie und Daniel fiel mit ein. Sein Lachen klang gar nicht so schlecht, stellte er fest. Nur wenn man genau hinhörte, konnte man den etwas hohlen Klang erkennen.

Hinter ihnen klatschte Alex laut in die Hände. „Ich möchte mich noch einmal bedanken, dass Sie alle der Einladung gefolgt sind und hoffe, sie hatten eine angenehme Zeit mit dem Team und wünsche uns allen natürlich noch eine erfolgreiche Tournee. Und dem Team viel Spaß bei ihrer wohlverdienten Pause", beendete Alex ihr Training.

Erleichtert verabschiedeten sie sich und stürmten laut plappernd in die Umkleidekabinen. „Endlich. Ich dachte schon, dass die Zeit nie rumgehen würde", stöhnte Robert und streifte sich seine Jacke über.

„Bist du krank? Du warst doch ständig im Gespräch-"

„Bist also quasi deiner größten Leidenschaft nachgegangen", unterbrach Tom Halvor. Gemeinsam stellten sie sich unter die Duschen.

„- der du normalerweise Stunden deiner Zeit opferst-", hörte Daniel Andreas sagen.

„Also eigentlich deine gesamte Lebenszeit und dann mussten die dir auch noch zuhören", gab Anders seinen Senf dazu, während Daniel draußen in seiner Tasche kramte.

„Ihr habt ja keine Ahnung, wie anstrengend das ist. Sich immer neue originelle Antworten auf dieselben Fragen auszudenken. Ich hab eben Ansprüche im Gegensatz zu manch anderen", erwiderte Robert. Schallendes Gelächter drang nach draußen zu Daniel.

Warum konnte er nicht solche Probleme haben? Er wollte sich auch über Roberts Rededrang lustig machen. Mit den anderen Scherzen. Sich nicht schon wieder wie ein Aussätziger fühlen, dachte er als die anderen aus der Dusche zurückkamen und er endlich sein Shampoo gefunden hatte.

„Uups. Entschuldige. War keine Absicht", zischte Aleksander scheinheilig, als er das Chaos auf dem Boden betrachtete.

Ohne auf seine Provokation einzugehen, stand Daniel auf und begann, seine Blätter, die überall auf dem Boden lagen wieder einzusammeln. Hoffte, dass er so weiteren Hänseleien aus dem Weg gehen konnte. Er war es so leid. Inzwischen zählte er die Tage, bis er endlich seinen Abschluss hatte.

„Das macht dir Spaß, oder? Auf dem Boden rumzukriechen. Mir deinen Arsch hinzuhalten?"


Wütend drehte er das Wasser voll auf und ließ es sich übers Gesicht laufen. Wünschte sich, das Wasser könnte den ganzen Mist, der an ihm klebte einfach den Abfluss hinunterspülen. Frustriert drehte er den Hahn ab, wickelte sich das Handtuch um die Hüften.

Als er zurück in die Umkleide kam, waren die anderen schon fort. Nur Anders stand noch dort. Musterte ihn, während er das Shampoo in seine Tasche pfefferte.

„Weißt du, das wäre viel befriedigender, wenn-"

„Zum letzten Mal, Anders: Ich brauche weder ein Seil noch Klebeband und schon gar keine Schaufel. Lass ihn einfach zufrieden, okay? Dann kann Gras über die Sache wachsen. Desto schneller können wir alle wieder zur Normalität zurückkehren", brummte Daniel finster, während er in seine Klamotten stieg. Sie hatten dieses Gespräch seit gestern schon unzählige Male geführt.

„Aber danach würde es dir bestimmt viel bessergehen!" –

„Du meinst, danach würde es dir bessergehen, Anders. Das ist ein Unterschied", stellte Daniel schnaubend richtig. Was er wollte, interessierte generell ja eher weniger.

„Ich bin überzeugt, dass es dir nach anfänglichen Skrupeln gefallen könnte, den kleinen Idioten kunstvoll zu einem Paket zusammenzuschnüren, während er um Verzeihung bettelnd das Klebeband auf seinem Mund durchsabbert", versuchte Anders seinen Freund zu überzeugen.

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber ich habe schon andere Pläne", zog Daniel sich seine Schuhe an und hoffte, dass die Diskussion damit beendet wäre.

„Was denn? Verbrennung? Waterboarding? Oder doch die etwas klassischer angehauchten Zementschuhe?", ließ Anders nicht locker und folgte ihm nach draußen.

„Sag mal, was verstehst du eigentlich an: Lass ihn in Ruhe nicht?", blieb der Norweger stehen und drehte sich mit einem Funkeln in den Augen um. Er konnte es nicht mehr hören.

„Was ich nicht verstehe?! Wirklich? Er hat dich zum zweiten Mal einfach stehengelassen. Ist feige weggerannt, obwohl er mit Sicherheit weiß, wie es dir dabei geht und ihr doch eigentlich Freunde seid und du tust so, als wäre das absolut in Ordnung", hielt Anders ihm vor.

„Was soll ich ihm denn vorhalten? Dass ich ihn geküsst habe? Dass meinetwegen sein Weltbild Kopf steht? Dass er sich deswegen von mir belästigt fühlt? Was davon, Anders?", wollte Daniel verzweifelt wissen. Er hatte es doch versaut. Das war alles seine Schuld! Und es würde nur schlimmer werden, wenn er jetzt nicht aufhörte. Wieso verstand Anders ihn nur nicht?

„Ohja, ich bin mir sicher, bevor er dich getroffen hat, war ihm noch nicht mal bewusst, dass Sex überhaupt existiert. Ehrlich Daniel, wie konntest du seine Vorstellungen vom Storch nur zerstören!", überschüttete Anders ihn mit einem Schwall Sarkasmus, der an seinen Nerven zerrte. „Du bist nicht an allem Schuld, Daniel. Auch wenn du das gern so hättest."

„Glaubst du echt, ich hab mir den ganzen Scheiß ausgesucht?!"

„Nein. Keiner von uns hat die Macht zu beeinflussen, wie er auf diese Welt kommt, aber es ist immer noch deine Entscheidung, was du draus machst und wie du sie wieder verlässt. Und momentan muss ich dir leider sagen, mein Lieber, dass du unter größter Anstrengung Kurs auf die nächste Betonwand hältst", rümpfte Anders die Nase. „Wieso versuchst du nicht noch mal mit der kleinen Hohlbirne zu reden?"

„Da gibt es nichts zu reden, Anders. Das dürfte selbst dir heute Morgen klargeworden sein", schnaubte Daniel angesichts so viel Naivität.

„Mir würde da eine Menge einfallen." -

„Du solltest Folter nicht mit Reden verwechseln, Anders."

„Das eine muss das andere noch lange nicht ausschließen. Und ich finde wirklich, jemand sollte ihm sagen, dass er ein Arsch ist", bemerkte Anders altklug. Außerdem könnte Daniel so ganz nebenbei dem Kleinen noch ein bisschen mehr auf die Pelle rücken. Vielleicht war er dann endlich mal gezwungen, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. „Wieso versuchst du es nicht einfach noch mal?"

„Weil das- Ich meine- Das bringt nichts! Es- Scheiße, ich kann einfach nicht, okay?!" Mutlos betrachtete Daniel die Wand gegenüber. Dachte an seine Geister der Vergangenheit, die ihn einfach nicht gehen lassen wollten, egal wie sehr er sich anstrengte. Irgendwann holten sie ihn doch wieder ein. Stumm lauschte er dem Wind der sich durch die Ritzen der Halle drängte. „Ich- Es ist alles wie damals. Mit San. Nur dieses Mal hab ich keine Alternative. Keinen anderen Ort an den ich fliehen kann. Kein anderes Leben. Und Domen...er reagiert genauso. Du hast ihn gesehen. So ist das mit San auch gewesen. Ich hab das Klären wollen, was alles nur tausend Mal Schlimmer gemacht hat. In kürzester Zeit gab es in der ganzen Schule Gerüchte über mich. Getuschel. Blicke. Niemand konnte etwas beweisen, aber das hat schon gereicht. Mein Leben ist innerhalb eines Tages zur Hölle geworden. Ich hab eine Freundschaft zerstört, die wahrscheinlich für die Ewigkeit gehalten hätte. Und nach all dem schaffe ich es tatsächlich denselben Fehler zwei Mal zu machen?! Ich bin so dumm, doch dieses Mal werde ich schlauer sein und hoffen, dass ich das Schlimmste noch verhindern kann. Du hast Halvor gestern gehört. Und deswegen werde ich auch einfach weitermachen. So tun, als wäre alles wie immer und beten, dass es mir dieses Mal wenigstens der Rest erspart bleibt."

„Okay, du hast Angst. Das verstehe ich. Glaub mir. Aber das wird nicht besser. Irgendwann musst du dich diesem Scheiß stellen, weil er dich sonst nie loslassen wird. Und ich rede hier noch nicht mal von einem Outing. Domen ist nicht San, Daniel", legte er seinem Freund beschwörend die Hand auf die Schulter. Anders wusste einfach, dass er Recht hatte.

„Du weißt ja doch, wie er heißt", lachte Daniel traurig und befreite sich aus seinem Griff.

„Dickschädel, sagte ich doch. Und wen wundert's? Immerhin hab ich die letzten Tage gefühlt nichts anderes gemacht, als über ihn zu sprechen oder ihn heimlich zu beobachten. Was wirklich verstörend ist, wenn ich das mal so sagen darf...", bemerkte Anders, bevor er wieder ernst wurde: „Hör auf zu laufen, Daniel. Schluss mit dem Wegrennen. Wenigstens einer von euch, muss damit aufhören, sonst befindet ihr euch bald in verschiedenen Sonnensystemen."

„Das ist alles nicht-"

„Wenn du diesen Satz zu Ende bringst, schwöre ich dir, ich stelle dir höchstpersönlich ein Bein", brummte Anders finster und beschloss, die Sache fürs erste auf sich beruhen zu lassen. Er wollte nicht auch noch den ganzen Tag auf Daniel herumhacken. Er war sich sicher, das übernahm sein Freund schon selbst die ganze Zeit. „Und jetzt lass uns erstmal Essen gehen. Ich verhungere gleich. Und mit vollem Magen sieht die Welt gleich ganz anders aus."

„Essen?", alarmiert sah Daniel auf. Alex hatte ihnen gesagt, dass es mittags ein kaltes Buffet geben würde und abends für alle Springer geschlossen warmes Abendessen. Was, wenn Domen dort war? „Wolltest du nicht mit Robert und Tom in die Stadt?"

„Schon, aber erst heute Nachmittag", teilte Anders ihm mit und trat nach draußen. Das Hotel lag nicht einmal fünf Gehminuten von der Turnhalle entfernt. Die ersten Wolken schoben sich vor die Sonne und ein kräftiger Windhauch fuhr ihnen um die Nase, wirbelte den Staub vom Boden auf.
„Und jetzt erzähl mir nicht, dass du keinen Hunger-"

„Doch. Klar. Ich war- ähm...Ja. Lass uns gehen", stammelte Daniel und versuchte dem missbilligenden Blick aus dem Weg zu gehen. Manchmal hatte er das unangenehme Gefühl, dass Anders Gedanken lesen konnte.

„Isst deine Ma eigentlich mit uns?", fragte Anders, während sie den kleinen Berg zum Hotel hinaufliefen.

„Die ist verabredet. Sie hat dann heute Abend wieder für mich Zeit hat sie mir heute Morgen mitgeteilt, und dass noch bevor sie mir das Schreigefäß aufschwatzen wollte, weil meine Aura einen nicht akzeptablen Farbton angenommen hatte", plapperte Daniel nervös um sich abzulenken. Sie kamen dem Hotel immer näher und die Enge in seiner Brust wurde immer übermächtiger.

„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst aufhören mich zu verfolgen, du dämlicher Schwanzlutscher?", mit aller Kraft stieß San ihn beiseite, sodass er auf dem harten Toilettenboden landete.
Schmerzenstränen schossen ihm in die Augen mit denen er San entgeistert ansah. Er hatte es schon vor Wochen aufgegeben, Aleksander zur Vernunft zu bringen. Seit das Getuschel angefangen hatte.

„Was? Hab ich dir etwa wehgetan? Rennst du jetzt zu deiner Mami? Du bist so erbärmlich! Kein Wunder, dass dein Dad gegangen ist. Ich wäre auch gegangen, wenn ich so einen als Sohn hätte", verächtlich sah er auf Daniel hinab, bevor er ihn auf dem Boden zurückließ.

„...niel? Hallo?", wedelte Anders mit seiner Hand vor seinem Gesicht herum.

„Was?" –

„Schreigefäß?", fragte der Norweger, dem Daniels Unruhe nicht entgangen war.

Scheiße, was hatte er da nur wiedererzählt? „Ja...ähm... meine Mutter war der Meinung, dass ich meine Wut als Kind nicht oft genug herausgeschrien habe... Ich... keine Ahnung...sie hatte es sowieso nicht leicht, da wollte ich es nicht noch schwerer machen. Irgendwann kam sie mit so einem riesigen hässlichen Porzellanhund um die Ecke. Den hat sie, dann schließlich vor meinen Augen geköpft, ihn mir vor die Nase gestellt und mir regelrecht befohlen, mich in den Hund auszukotzen, also zu schreien. Als Zehnjähriger kann das echt verstörend sein...", berichtete er, während Anders neben ihm anfing zu lachen.

„Ich mag deine Mum. Wirklich. Die versteht wenigstens was von Aggressionsbewältigung", kommentierte Anders vergnügt, als die Eingangstür des Hotels sich vor ihnen öffnete.

Warme Luft strömte ihnen entgegen, zusammen mit dem undeutlichen Stimmengewirr der Gäste. Gerade war eine Reisegruppe eingetroffen, die sich mit ihrem Gepäck in der ganzen Eingangshalle ausgebreitet hatten.

Zielstrebig folgte er Anders an den Menschen vorbei, die sie ehrfürchtig musterten. In ihrer Mannschaftskleidung waren sie auch nicht schwer zu erkennen. Hier und da zeigte jemand mit dem Finger auf sie, doch keiner schien sich so wirklich zu trauen die beiden Norweger anzusprechen. Sie bogen in den Flur ab, der zu den Speiseräumen führte. Auch hier herrschte reger Betrieb.

„Maciej, Piotr! Habt ihr uns überhaupt noch was vom Buffet übriggelassen?", rief Anders den beiden Polen lautstark entgegen, die gerade aus dem Saal kamen. Jeder beladen mit einem riesigen Teller Brötchen.

Gebannt starrte Daniel an den beiden vorbei, hinein in den Raum, der vor ihnen lag. Auf den ersten Blick keine graugrünen Sachen, stellte er erleichtert fest, während er sich gleichzeitig zur Ordnung rief: Es war alles wie immer. Keiner wusste Bescheid. Er wollte hier nur schnell einen Happen Essen.
„Wer zu spät kommt!", lachte Maciej, als sie an ihnen vorbeiliefen.

„Pff! Von wegen. Ich sagte es dir schon das letzte Mal, Maciej: Das hat nichts mit der Uhrzeit, sondern vielmehr mit Disziplin und Anstand etwas zu tun", gab Anders amüsiert zurück.

Die beiden Polen ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken, hoben lediglich ihre Hand und winkten ihnen zum Abschied zu, ohne sich noch einmal umzudrehen.

„Frechheit!", schnaubte Anders neben ihm, als sie den Raum betraten. Kurz setzte sein Herzschlag aus, doch keiner widmete ihrer Ankunft auch nur einen Funken Aufmerksamkeit. Zielstrebig hielt er auf das Buffet zu.

„Siehst du, ich wusste doch, dass du vor Hunger fast umkommst", grinste Anders selbstüberzeugt, als er bemerkte, in welcher Geschwindigkeit Daniel sich seinen Teller belud.

„Mhh", brummte Daniel, der bereits mit einem Tisch in einer kleinen mit Pflanzen zugepflasterten Nische liebäugelte zu dem er schnellstens verschwinden wollte.

„Schau mal, die haben sogar Parmaschinken! Ich werd irre! Hier halt mal!", bekam Daniel Anders' Teller in die Hand gedrückt, der sich mit einem Messer bewaffnete. Nervös heftete Daniel seinen Blick auf den Teller.

„Verfolgst du mich etwa immer noch, Schwuchtel?"

Atem wich aus seinen Lungen, als er gegen die Schulspinde gedrückt wurde. Erschrocken starrte er in meerblaue Augen, die ihn kalt musterten.

„Ich... San, bitte, ich- Es-", stotterte er verzweifelt, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Was er noch tun sollte. Er konnte sich nun mal nicht in Luft auflösen, so sehr er es sich auch wünschte.

„Ich. Äh. Es. Was? Vernebelt dir meine Anwesenheit schon so das Hirn, dass du stotterst wie ein kleines verängstigtes Mädchen? Wie kann man nur so mit sich leben?", verächtlich schüttelte er den Kopf, seine Fäuste verkrallten sich weiter in seinem T-Shirt. Gebannt starrte er San an. Konnte nicht glauben, was da für hässliche Dinge aus seinem Mund gekrabbelt waren.


„Anders, ich ähm... brauch was zu trinken...", presste Daniel hervor und bemühte sich, seine aufsteigende Panik niederzukämpfen. Anders Teller stellte er auf die fast leere Tomate-Mozzarella-Platte, drehte sich um und starrte ganz ohne Vorwarnung in weit aufgerissene waldgrüne Augen, während der Rest der Welt plötzlich stillstand.

Unfähig sich auch nur einen Millimeter zu rühren, wurden die waldgrünen Augen unvermittelt zu eisblauen Augen. Die auf ihn herabsahen. Ihn verachteten. Ihn innerlich gefrieren ließen. Unfähig außer Leere irgendetwas wahrzunehmen.

„Ich- ähm... Butter. Kannst du... Reichst du mir die Butter, bitte?"

Drang Domens Stimme zu Daniel durch und brachte ihm den Wald zurück. Unsicher standen sie sich gegenüber. Ihre Blicke bohrten sich ineinander. Ergründeten sich. Suchten unsicher nach Hinweisen, wie es nun weitergehen sollte.

Bedeutete das etwa...? Konnte das...? Butterprinzessin... War das...? Hieß das...? Scheiße, was sollte das heißen? Daniel schluckte, versuchte sein Hirn wieder in Gang zu setzen, durch das soeben ein Hurricane fegen musste, so chaotisch, wie seine Gedanken umherpurzelten. Nervös unterbrach Daniel ihren Blickkontakt und starrte auf Domens Hände. Müsli.

„Okay... ich unterbreche eure... Was-auch-immer-nur-ungern...aber hier wollen auch noch Leute vorbei", mischte sich Anders Stimme von irgendwoher ein, bevor er begann die beiden ungeduldig vor sich herzuschieben. Jeder Blinde mit Krückstock konnte sehen, was hier gerade passierte, dachte Anders und dirigierte die beiden entschieden in Richtung Ausgang. Da sollte Daniel ihm noch einmal erzählen, der slowenische Quadratschädel hätte keine Gefühle für ihn. Er jedenfalls hatte Daniel noch nie so angesehen, wie der Slowene es eben getan hatte. Jeder Hollywood-Kitsch-Regisseur wäre in Jubelgeschrei ausgebrochen und hätte nach dem nächsten Oskar geschrien.

Abwesend stolperte Daniel vor sich hin, erst als Anders ihm seinen Teller aus den Händen nahm, bemerkte er, wo sie sich befanden. „Ihr wollt euch sicher ungestört unterhalten", wandte er sich finster an Domen, bevor er Daniel in den Blick nahm: „Oder anschreien."

Und noch bevor Daniel ihn böse anstarren konnte, verabschiedete Anders sich ungerührt mit einem Winken in Richtung des Buffets. Verlegen starrte Daniel Domen an, der neben ihm stand und den Boden ziemlich interessant zu finden schien.

„Wir...ähm... Wollen wir ein Stück gehen?", schlug Daniel vorsichtig vor und registrierte erleichtert, dass Domen neben ihm nickte.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren durchquerte Daniel ein weiteres Mal an diesem Tag die Eingangshalle, den Blick stur auf den Boden gerichtet. Was tat er hier eigentlich? Was erwartete Domen von ihm? Was wollte er? Nervös spielte er mit seinen Fingern. Schielte kurz zu Domen, der seine Hände in den Taschen vergraben hatte.

Gemeinsam schlugen sie den Weg in den Wald ein. Es konnte keinen geeigneteren Ort als diesen für dieses Gespräch geben. Der mit unzähligen Steinen versehene Feldweg führte sie weiter hinein in die beruhigende Stille, die wie Balsam auf der Seele wirkte. Hoch über ihren Köpfen zwitscherten die Vögel ihr Lied, das begleitet wurde vom Wind, der die kahlen Äste sanft hin und her schwingen ließ. Nur das Knirschen ihrer Schuhe unterbrach dieses Konzert. Immer weiter entfernten sie sich von der alles bestimmenden Hektik ihres Lebens und mit jedem Meter breitete sich angenehme Ruhe zwischen ihnen aus.

Tief sog Daniel die klare Luft in die Lungen, beobachtete die Äste, die in der Sonne tanzten. Alles war so friedlich. Unschuldig. Der Wald gaukelte Daniel eine heile Welt vor, für die er fast alles getan hätte, um sie zu behalten. Als hätte der Wald die Kraft, alles böse draußen zu halten.
Für Daniel verging eine kleine wunderschöne Ewigkeit bis Domen neben ihm plötzlich stoppte und ihn zwang sich wieder auf die Realität zurückzubesinnen. Der Grund, warum sie überhaupt hier waren.

Verlegen fuhr Domen sich durch die Haare, wandte sich unsicher zu Daniel. Holte tief Luft. „Ich- ähm... Das tut mir...- Ich habe...- Scheiße, ich kann das nicht...", stammelte Domen, wandte sich frustriert ab und Daniels Herz setzte aus.

Es wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. „Schon okay. Ich versteh das, wenn du damit nicht klarkommst. Nur bitte, sag es keinem. Ich werde dich auch nicht-"

„Wovon redest du da?", runzelte Domen die Stirn.

„Ich-... ich verstehe, wenn dir meine Anwesenheit unangenehm ist. Ich bin dir dankbar, dass du so ehrlich bist und-"

„Dankbar?!", unterbrach Domen fassungslos den sich windenden Norweger und steckte wütend die Fäuste in seine Taschen, um sich davon abzuhalten auf Daniel loszugehen. „Sag mal hast du sie noch alle?! Ehrlich, bis eben war ich mir noch ziemlich sicher, dass die Person, der ich gerade am liebsten einen Schlag versetzen würde, immer noch ich bin, aber gerade machst du mir echt Konkurrenz. Du solltest mich anschreien, Daniel. Ich kann es selbst nicht glauben- Ich bin so sauer auf mich selbst! Das glaubst du gar nicht, aber- Und du... Verstehst?!"

„Naja, immerhin hab ich dich... mit dem... Kuss überfahren...", begann Daniel zögerlich sich zu rechtfertigen und versuchte das kurze Stocken von Domens Händen zu ignorieren. Er hatte es immer noch nicht überwunden. „Das war nicht unbedingt...ähm...rücksichtsvoll von mir."

„Nicht Rücksichtsvoll? Von dir? Sag mal, kann es sein, dass du irgendwie Wahrnehmungsgestört bist? Oder hast du schon vergessen, wer unbedingt seinen Willen durchsetzen musste? Ich hab dich in die Ecke gedrängt, nicht andersherum. Ich hab dich wie den letzten Arsch behandelt. Wenn sich hier einer für irgendwas entschuldigen muss, dann bin das ja wohl ich", stellte Domen wütend richtig und schoss mit seinen Füßen einen Stein in den Wald.

„Aber-" –

„Daniel, deine soziale Ader in allen Ehren, aber willst du dich jetzt allen Ernstes mit mir darum streiten, wer hier der Arsch ist? Ich meine, bitte. Tu dir keinen Zwang an, aber wir wissen beide, dass ich das für mich entscheiden werde", unterbrach er den Norweger aufmüpfig. Schweigend blitzten sie sich an.

„Bitte. Du bist der Arsch. Du kommst damit nicht klar. Zufrieden? Ich hatte Recht", gab er widerwillig nach. Trotzdem konnte Daniel es nicht verhindern, dass er sich schuldig fühlte. Dass er der Grund für Domens Überforderung war.

„Nein, hattest du nicht. Ich- Verdammt! Es tut mir so leid! Alles! Ich... weiß nicht, wieso ich so... ausgeflippt bin. Ich kann mit solchen Situationen einfach nicht umgehen. Da legt sich ein Schalter um. Das soll keine Ausrede sein, ehrlich... Ich... Es war nur ein... Kuss, oder? Also, ich meine... Scheiße, natürlich nicht nur irgendeiner... Also...er war schon... Das soll nicht heißen, dass...Was rede ich hier eigentlich?", hilflos raufte Domen sich die Haare.

„Sag es einfach. Das ist okay. Ehrlich. Ich kann damit umgehen", forderte Daniel Domen auf. Er wusste, was jetzt kam und obwohl es ihm wehtun würde, hatte Domen in einem Recht gehabt: So wusste er wenigstens woran er war und konnte irgendwie weitermachen. Musste sich zumindest vor Domen nicht mehr verstecken.

„Ich bin nicht schwul. Es- Ich fühle mich geehrt, aber ich stehe auf Mädchen." Ängstlich starrte der Slowene zu Daniel, der die Augen geschlossen hatte und das leichte Zittern in seiner Stimme wahrgenommen hatte. Keine Frage: Domen quoll gerade über vor Mitleid, etwas, dass er nicht haben wollte. Er lauschte in die eingetretene Stille. Ließ es kurz zu, dass der Schmerz ihm einen Stoß versetzte, bevor er Domen wieder ansah.

„Jetzt schau nicht so gequält. Ich hab gesagt, dass es okay ist. Ich musste es nur einmal laut von dir hören", versuchte er ein kleines Lächeln, um Domen die Sache irgendwie leichter zu machen.
„Sicher? Ich meine...äh...", nervös steckte Domen seine Hände in die Jackentaschen, um sich abzulenken. „Ich... hab Taschentücher?", zog er ein Paket aus der Jackentasche und lief rot an, als ihm bewusstwurde, was er da gerade schon wieder unüberlegt von sich gegeben hatte.

„Jetzt übertreibst du wirklich", hörte Daniel sich antworten und entlockte Domen ein kleines unsicheres Lachen, dass Daniel auf seine ganz eigene Art verzauberte. Er konnte es nicht verhindern und es tat weh, daran zu denken, dass es keine Zukunft für sie gab, aber das änderte nichts daran, dass der kleine Slowene sich mit all seinen Fehlern tief in sein Herz geschlichen hatte. Seufzend drehte er sich um. Es wurde Zeit, dass sie wieder in die Realität zurückkehrten.

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Und bevor das Kapitel jetzt wirlich zu Ende ist, möchte ich mich noch für die lieben Rückmeldungen von euch bedanken!

Ich wünsche euch noch ein schönes Wochenende und viel Spaß beim Sommer-Grand-Prix in Hinterzarten (der SWR bietet übers Internet/Facebook einen Livestream an)!

liebe grüße

zaara

Hello HurricaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt