24. Daniel - Innsbruck - Tag der Qualifikation

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„Keine Ausreden. Die Wettervorhersagen für heute sind gut. Was morgen ist, werden wir sehen. Die Quali sollte in jedem Fall drin sein. Für jeden von euch", streng sah Alex sie an. Im Mannschaftscontainer hätte man eine Stecknadel fallen hören können. „Nutzt die Probesprünge vor allem, um an eurem Timing zu arbeiten. Die Schanze hat einen steileren Radius, als andere und verleitet dazu zu spät abzuspringen. Ihr müsst die Schanze erspüren. Kennenlernen. Optimalerweise so, dass ihr gemeinsam vor den Traualtar treten könntet. Noch Fragen?"

Schweigend schüttelte das Team mit den Köpfen. Alex hatte sich klar ausgedrückt. Sie wussten alle, was sie zu tun hatten. „Gut. Dann kommen wir zum letzten Punkt auf der Liste: Die kleine Raw-Air-Vorstellung am heutigen Abend. Alle wichtigen Vertreter der Presse werden da sein. Wir müssen kräftig in der Werbetrommel rühren. Es geht schließlich nicht nur darum, dass das Format angenommen werden soll. Das Springen als solches muss in Norwegen wieder populärer werden. Mehr Zuschauer an die Schanzen kommen. Mit Daniel haben wir schon einen guten Grundstein gelegt", verkündete ihr Trainer und sah den blonden Norweger zufrieden an.

Während das gesamte Team Alex Beispiel folgte und seine Aufmerksamkeit auf Daniel richtete, rutschte dieser unruhig auf seinem Platz herum. Er versuchte sein schlechtes Gewissen beiseite zu schieben. Skispringen war für ihn in den letzten Tagen in den Hintergrund gerückt. Und jetzt war er derjenige, auf den alle zählten. Er zwang sich, lässig in die Runde zu lächeln und schaffte es sogar die Augen zu verdrehen, als Tom ihm von gegenüber heftig zuwinkte.

„Das gilt es jetzt auszubauen. Dafür brauchen wir die Presse. Und es werden alle kommen. Nehmt euch also ruhig mehr Zeit für Interviews. Keine Faxen heute. Das muss seriös über die Bühne gehen. Verstanden? Tom?", mahnend sah Alex seinen Schützling an, der immer noch damit beschäftigt war, Daniel Luftküsse zuzuwerfen.

„Bin die Seriosität in Person, Chef", sprang der lebhafte Norweger von seinem Platz auf und vollführte einen mädchenhaften Hofknicks.
„Das hatte ich befürchtet", stöhnte Alex, konnte jedoch sein amüsiertes Grinsen kaum unterdrücken. Er wusste, dass auf das Team verlass war. Selten hatte er einen solchen Zusammenhalt innerhalb einer Mannschaft erlebt. „Aber jetzt erstmal: Fokus auf Training und Quali. Über die Kleiderwahl könnt ihr später diskutieren", klatschte Alex mit den Händen und trat in die Mitte.

Der Rest tat es ihm gleich und mit einem lautem „Heia Norge" wurde die kleine Teamsitzung beendet. Schnell wandte Daniel sich ab. Er spürte die stechenden Blicke von Anders im Rücken. Sie hatten sich heute Morgen nach dem Frühstück bereits ein lebhaftes Gespräch über seine Freundschaft zu Domen geführt. Anders war nach wie vor der festen Überzeugung, dass auch Domen Gefühle für ihn hatte und nur zu doof war, dass zu erkennen. Genervt kramte er in seiner Tasche, als jemand auf seine Schulter tippte. „Hau ab, Anders! Ich hab keine Lust auf eine weitere Predigt. Ich- Oh...", überrascht starrte Daniel in die Augen seines Trainers.

„Kann ich dich einen Moment sprechen?", nickte dieser zum Ausgang.

„Klar", antwortete Daniel und folgte ihm unter den neugierigen Blicken der anderen nach draußen. Alex führte ihn in eine kleine ruhige Gasse zwischen ihren Containern. „Was gibt's?", fragte der blonde Norweger, als sie stehen geblieben waren.

„Alles klar bei dir? Du weißt, deine Sprünge sind gerade auf wirklich hohem Niveau. Kein Grund nervös zu werden. Die Schanze sollte dir entgegenkommen", musterte Alex ihn aufmerksam.

„Sicher. Ich freu mich aufs Springen. Es macht Spaß", zuckte Daniel gelassen mit den Schultern. Seine Art Alex zu sagen, dass er es schon nicht vermasseln würde. Dass er funktionierte, wie man es von ihm erwartete. Abwesend starrte Daniel in die Ferne. Kamil und Simon liefen joggend an der Gasse vorbei. Alles war wie immer.

„Okay", entgegnete Alex nach kurzem Zögern. „Aber, wenn du irgendwas brauchst, dann sag es bitte und wir werden sehen, was möglich ist."

„Alles klar", nickte der Norweger, während sein Blick wie automatisiert weiter zu den slowenischen Mannschaftsunterkünften direkt gegenüber glitt. Als würden sie magnetisch angezogen werden. Das, was er brauchte oder vielmehr wollte, konnte Alex ihm leider auch nicht geben. Damit würde er sich abfinden müssen. Auch wenn das sonst niemand einsah. Er musste drüber hinwegkommen. So einfach war das. Wieder zur Tagesordnung übergehen.

„-kann dich briefen und bei den schwierigen Fällen helfen. Was meinst du dazu? ... Daniel?"

„Wozu?", fokussierte Daniel sich langsam wieder auf Alex vor ihm, als er seinen fragenden Blick bemerkte.

„Zu Silje als deiner offiziellen Begleitung? Ihr versteht euch doch sowieso so gut. Sie hätte bestimmt nichts dagegen, wenn du sie bittest", grinste Alex ihn vielsagend an und Daniels Brust wurde enger.

Er wusste, dass Silje ihn mochte. Jeder wusste das. Eigentlich hätte es für ihn so einfach sein können. So normal. „Ja, ähm- klar. Ich frag sie einfach. Wird bestimmt... lustig."

„Prima. Ich bin mir sicher, sie wird sich freuen", klopfte Alex Daniel auf die Schultern und sah beiläufig auf seine Uhr. „Okay, ich muss dann. Und wenn noch irgendwas ist..."

„Ich melde mich. Keine Sorge", brummte Daniel und sah seinem Coach hinterher, der pfeifend um die Ecke bog. Silje. Einer der freundlichsten und loyalsten Personen, die er je getroffen hatte. Lebenslustig. Immer ein Lächeln auf den Lippen. Alle mochten sie. Domen hatte sie angestrahlt. Sie auffällig unauffällig gefragt, ob sie vergeben war. Mühsam drängte er die Erinnerung an Domens Wangen zurück, die vor Verlegenheit geglüht hatten, als die anderen ihn wegen seines nicht gerade subtilen Versuchs herauszufinden, ob Silje vergeben war, aufgezogen hatten. Silje war vielleicht ein wenig zu alt für Domen, aber wo die Liebe eben hinfiel. Das machte ihm nichts aus. Domen tat nichts Falsches. Sie waren ja Freunde. Seufzend öffnete er die Tür zum Container. Er brauchte seine Jacke und danach musste er dringend Luft schnappen.

Ohne sich groß aufzuhalten, stürmte er zu seiner Tasche und zog seine Jacke raus. Während die anderen sich über den Abend oder den anstehenden Wettkampf unterhielten. Er beobachtete wie Tom seinen Catwalk im Raum übte, während Halvor und Robert alles kommentierten. Schwach lächelte Daniel, während er seine Jake anzog.

„Hey, alles klar bei dir?", fragend sah Andreas ihn von der Seite an, während er seine Sprungschuhe schnürte. Daniel hatte gar nicht bemerkt, dass er neben ihn getreten war.

Gequält lächelte er Andreas an, der ihn ehrlich besorgt ansah. Er musste sich wieder in den Griff bekommen. Sich an seine eigentlichen Ziele erinnern. Den ganzen Gefühlsquatsch beiseiteschieben.

Schließlich hatte er so die drei besten Jahre seines Lebens verbracht. Mit der Mannschaft und dem Sport, den er liebte. In dem er gerade wirklich erfolgreich war. Er sollte vor Glück im Dreieck springen. Glück im Spiel, naja, dem Sport und Pech in der Liebe. So hieß es doch, oder nicht? Eigentlich konnte er sich gerade wirklich nicht beschweren. Er beschwerte sich ja auch nicht. Aber- Stopp. Nein. Es war gut so, wie es war. Ende der Diskussion, wies der Norweger sich in Gedanken selbst zurecht. „Alles bestens. Wirklich. Ich hab nur... Es ist gerade ziemlich viel los", zuckte er mit den Schultern. „Es ist so... beängstigend schön, dieser ganze Erfolg. Ich meine, es kann jeder Zeit wieder vorbei sein. Einfach so. Und... keine Ahnung", entschuldigend sah er Andreas an.

„Ich weiß, was du meinst, aber vergiss nicht: der Sport ist nicht alles", sagte Andreas und starrte Daniel nachdenklich an.
„Was?! Ähm... wie... ich meine...-", haspelte Daniel nervös vor sich hin. Alles war normal.

„Naja, nur falls das das Problem zwischen dir und deinem Waldmädchen ist. Sie sollte dich nicht nur wegen deines Erfolges mögen. Oder ist es die Fernbeziehung? Kann ein ziemlicher Beziehungskiller sein. Ich glaube, das musste jeder von uns schon mal feststellen", führte Andreas leise aus.

„Nein, aber... Ich meine, das ist es nicht. Ich-", suchte Daniel nach Worten. Was sollte er Andreas sagen?

„Das wird schon", stieß Andreas ihm wie aufs Stichwort aufmunternd seinen Ellenbogen in die Seite, bevor er aufstand und seinen Rucksack schulterte. „Dann wollen wir doch mal die zukünftige Braut kennenlernen", verkündete er laut und die anderen begannen zu lachen.

„Die Hochzeit dürfte höchst interessant werden", schnappte Halvor mühsam nach Luft. „Und die Kosten für das Brautkleid erst!", wischte er sich Lachtränen aus den Augen.

„Naja, wenigstens stellt die keine großen Ansprüche", prustete Robert und hielt sich lachend an Anders fest, der schweigend in seiner Ecke gesessen hatte.

„Oder hat nervtötende Schwiegereltern." – „Klammert nicht." – „Beschwert sich nicht über Socken auf dem Boden." – „Widerspricht nicht." – „Du meinst, sagt überhaupt nichts."

Munter warfen sie sich die irrsinnigsten Sachen an den Kopf und lachten gemeinsam über ihre Einfälle. Daniel stand mitten im Raum und beobachtete das Treiben von seinem Platz in der Ecke aus.

Domen war impulsiv, vorlaut und ein echter Dickschädel. Er selbst war das alles eher nicht. Er schleppte seine Vergangenheit mit sich rum, Domen lief ohne Gepäck durch die Weltgeschichte. Naja, zumindest fast. Immerhin war er noch ein Teenager. Erwachsenwerden war für niemanden lustig. Trotzdem, wahrscheinlich hätten sie sowieso keine Chance gehabt. Genau. Er hatte es versucht, war gescheitert und jetzt konnte er drüber hinwegkommen. Er war ja schon fast drüber hinweg. Entschlossen trat Daniel aus dem Mannschaftscontainer hinaus und ließ sich die Sonne auf sein Gesicht scheinen.

Es war ein schöner Tag. Er war dem Tourneeführenden auf der Spur. Er sollte sich wirklich nicht beschweren. Motiviert öffnete er die Augen und starrte direkt in Cenes Gesicht, der ihm in einigem Abstand gegenüberstand. Freundlich nickte er ihm zu und gerade als er loslaufen wollte, öffnete sich die Containertür hinter dem mittleren Prevc-Spross.

Schnell lief Daniel los. Schlängelte sich zwischen den Menschen hindurch. Es war alles in Ordnung, dachte er während er Abstand zwischen sich und dem slowenischen Container brachte. Er kam bestens klar, aber gerade wollte er keine Ablenkung. Er wollte sich auf den Wettkampf konzentrieren. Domen und Silje blitzen vor seinem inneren Auge auf ohne, dass er etwas dagegen tun konnte. Tief atmete er durch. Starrte grimmig nach vorn, schob das Bild wieder beiseite. Kein Problem. Er kam damit-

„Daniel! Hey! Gut, dass wir dich treffen. Was würdest du-"

„Nein! Markus! Aus!", stoppte Andreas Wellinger seinen älteren Teamkameraden peinlich berührt, der zielstrebig auf Daniel zugelaufen kam. „Das hab ich doch nur so gesagt...",

„Was hast du nur so gesagt?", fragte Daniel froh über die Ablenkung. Und gerade als Markus voller Inbrunst anfangen wollte zu erzählen, sprang Andreas auf seinen Rücken und hielt ihm den Mund zu.

„Nein! Okay? Ich habs verstanden!", schrie Andreas mit geröteten Wangen und hielt sich mit aller Kraft auf Markus Rücken fest, der versuchte ihn abzuschütteln und begann, ihn durchzukitzeln.

Fasziniert beobachtete Daniel die beiden. Markus und Andreas verstanden sich fast blind. Während Markus alles versuchte, seinen persönlichen Klammeraffen wieder vom Rücken zu bekommen, ahnte Andreas fast jede seiner Bewegungen voraus. Daniel erinnerte sich an die Szene im Wald, wo er die beiden unfreiwillig beim Joggen belauscht hatte. Sie hatten sich gegenseitig aufgebaut. Mut zugesprochen. Genauso konnte es auch werden. Er wollte, dass es so wurde. Wollte nichts mehr.

„Au!", schrie Andreas kurz auf und zog seine Hand von Markus Mund. „Verdammt! Ich dachte, du hast keinen Maulkorb mehr, weil du dich endlich unter Kontrolle hast!"

„Nicht so viel denken, Welle! Täte dir auf jeden Fall ganz gut. Und Caro wahrscheinlich auch", zog Markus den jungen Deutschen lachend auf und schüttelte Andreas von sich runter, der es nicht mehr schaffte, sich rechtzeitig festzuhalten und langsam den Rücken von Markus herunterrutschte.

Lachend plumpste er auf den Boden. „Nette Vorstellung, du Monster!", rief er und begann unvermittelt heftig zu winken. Als sie sich umdrehten, sahen sie einen Kameramann der alles gefilmt hatte und sich kurz darauf wieder zurückzog. Niemand fand diese Vorstellung ungewöhnlich.

„Jetzt erkennen deine Fans vielleicht, wer du wirklich bist und unterstützen künftig lieber mich", klopfte Andreas Markus nochmals auf die Schulter, während der große Deutsche ihm aufhalf.

„Ein klassischer Fall von Wahnvorstellungen... Wann hattest du gesagt, hattest du deine letzte Tetanusimpfung?", beäugte Markus den Blonden und hielt ihm besorgt eine Hand an die Stirn.

„Geh weg da!", schlug Andreas die Hand weg und beide blödelten noch ein wenig weiter, während Daniel danebenstand und sie lächelnd beobachtete. Bei den beiden war alles so einfach.

„Okay, jetzt bin ich neugierig", gab Daniel schließlich zu und sah sie abwechselnd an.

Kurz tauschten die beiden Deutschen einen Blick. Andreas zuckte mit den Schultern. Dann begann Markus zu erzählen: „Du erinnerst dich an Andis Silvesterkatastrophe mit Caro?", wollte er wissen.

„Nenn es nicht immer Katastrophe! Das vermittelt einen völlig falschen Eindruck!", grummelte Andreas, während seine Wangen sich sofort wieder verfärbten. Verlegen richtete er seinen Blick auf seine Finger.

„Entschuldige, du hast Recht. Also, du erinnerst dich noch an Andis Silvester-Apokalypse?", begann Markus ernst von vorn und schaffte es, die Fratze zu übersehen, die Andreas empört zog.

„Klar. Schwer zu vergessen", erwiderte Daniel und warf einen entschuldigenden Blick zu Andreas.

„Die liebe Caro also, liegt jetzt im Bett. Grippe und Magen verdorben. Zu allem Überfluss scheint die gute auch noch ansteckend zu sein, zumindest, wenn man unserem Teamarzt glauben darf. Also-"

„Kontaktverbot?", riet Daniel und Andreas nickte betrübt.

„Nennen wir es Empfehlung. Aber im Grunde: ja. Okay, und was hat sich unser lieber Andi hier als Wiedergutmachung ausgedacht?", erwartungsvoll grinsend sah Markus ihn an.

„Ähm... ein kleines süßes Kuscheltier?", schlug Daniel vor und Markus schüttelte mit dem Kopf. Sein Grinsen wurde dabei immer breiter. „Ein heimlich-romantisches Treffen trotz der äh...Empfehlung?"

„Dööööd", imitierte Markus einen dieser Buzzer, die man aus Quizshows kannte und die immer ertönten, wenn der Kandidat falsch lag.
„Keine Ahnung...Ein Carepacket mit Lieblingsfilm, Wärmflasche, nem leckeren Tee und extraweichen Taschentüchern?", riet Daniel weiter, dem langsam die Ideen ausgingen.

„Alles tolle Ansätze. Aber die kommen nicht an Andis Idee ran, die ich geradezu als romantischen Exzess beschreiben würde. Unser kleiner Casanova hat sich nämlich was ganz Besonderes ausgedacht", kicherte Markus und konnte sich kaum auf den Beinen halten.

„Haha", kam es trocken von Andi, dessen Gesicht inzwischen einen ziemlich interessanten Farbkontrast zur Mütze bildeten.

„Wie lässt es sich am besten in Worte fassen?", sinnierte Markus und griff sich in einer dramatischen Geste an die Brust. „Eine farbliche Explosion seiner Gefühle, die aufgeklatscht in herzzerreißender Höhlenmalerei daherkommt, in einem nur durch die Liebe selbst zusammengehaltenem weißen Gefängnis" Daniel musste angesichts dieser Darbietung schmunzeln, hatte aber immer noch keine Ahnung, worauf der Schwarzhaarige hinauswollte.

Andreas neben ihm schnaubte. „Ich hatte vor, ihr eine Genesungskarte zu kaufen, okay? So eine süße mit Teddy drauf."
„Autsch!", war alles, was Daniel dazu einfiel.

„Sag ich ja!", nickte Markus heftig, bevor er sich wieder seinem Kumpel zuwandte. „Ganz ehrlich mein Lieber, keine Ahnung, was bei dir schiefgelaufen ist, aber es muss etwas mit einer Genmutation zu tun haben. Anders kann ich mir dieses Ausmaß nicht erklären."

„Wie man das überhaupt erst für ne gute Idee halten kann...", gab Daniel dem Deutschen Recht.

„Jaja, schon klar. Romantikkrüppel. Schon verstanden. Aber Caro wusste ja, worauf sie sich einlässt", rechtfertigte Andreas sich und verschränkte die Arme.

„Trotzdem muss man es nicht ausreizen. Aber wozu hat man denn Freunde?", legte Markus seinen Arm versöhnlich um Andreas, der theatralisch schniefte.

„Taschentuch?", fragte Markus beinahe sofort und beide verfielen in einträchtiges Gelächter.

Daniel starrte die beiden beinahe neidisch an. Er wünschte sich wirklich, sie würden das mit der Freundschaft auf die Reihe bekommen. Aber wieso sollten sie auch nicht? Der Anfang war gemacht. Er war drüber weg. Würde er bald sein. Silje und Domen. Kein Problem. Innerhalb kürzester Zeit würden sie auch so über Beziehungen reden können. Er wäre in der Lage, Domen zu sagen, dass er zu einem Date den grauen Pulli tragen sollte, weil dadurch seine schöne Augenfarbe nur noch mehr zur Geltung kam. Jetzt war er vorbereitet.
Gewappnet. Heute Morgen war einfach zu unerwartet gewesen. Genau.

„Shit! Wir müssen los!" – „Man sieht sich!" Verabschiedeten sich die beiden Deutschen hastig und rissen Daniel aus seinen Gedanken. Verwirrt verfolgte er, wie die beiden rasant auf Roar zuliefen, der ungeduldig mit dem Fuß wippend vor der Tür der deutschen Mannschaftsunterbringung stand.

Es würde funktionieren. Nichts wollte er mehr. Er war drüber hinweg. Er war ja nicht unsterblich in den kleinen Slowenen verliebt... gewesen. Es war mehr eine Art Schwärmerei. Es hatte sich nur so heftig angefühlt, weil es ihn an San erinnert hatte. Domen erinnerte ihn an San. Nein. Falsch. Seine Situation erinnerte ihn an San. An seine Schulzeit. Doch inzwischen wusste er es besser. Domen und er waren Freunde. Wie Andreas und Markus. Oder zumindest auf dem Weg dahin. Genau.

Entschlossen richtete er seinen Blick nach vorn. Direkt auf neongrüne Jacken in 200 Metern Luftlinie. Domen und Cene, die sich angeregt unterhielten. Domen, der wild gestikulierte. Cene, der danebenstand, aufmerksam zuhörte. Irgendetwas erwiderte, was der jüngere nicht allzu amüsant fand. Seinem Bruder einen Vogel zeigte. Daniel wollte rübergehen, sich am Gespräch beteiligen. Ganz so, wie Domen es heute Morgen getan hatte. Freunde. Es fühlte sich seltsam an.

Er war drüber hinweg. Hatte realisiert, dass es keine Chance gab. Dass war es, was ihn heute Morgen beinahe umgebracht hatte. Aber jetzt kam er drüber hinweg, dachte Daniel und strafte sich selbst Lügen, als er sich langsam abwandte, um allein im Wald joggen zu gehen.
Die Sonne schien dem Norweger warm ins Gesicht, als er loslief. Trotzdem zog er seinen Reißverschluss noch ein Stück höher und schlang seinen Schal enger um sich. Er würde jetzt ganz wie immer-

„Arghh!"

Erschrocken schrie der Norweger auf, stoppte und begann einen seltsamen Tanz aufzuführen, in dem Bemühen, irgendetwas aus seinem Kragen zu fischen, dass ihn vorher am Hinterkopf getroffen hatte. „Scheiße! Was-?"

„Warte ich helfe dir. Jetzt zapple nicht so!", tauchte Daniels Mutter lachend neben ihm auf und zog einen grünen Plastikpropeller aus seinem Kragen.

Erleichtert atmete Daniel aus. Dann sah er seine Mutter skeptisch an, die das Schnellstartergerät des Kinderspielzeugs in der Hand hielt und ihn offenbar höchstselbst abgeschossen hatte. „Mum!", stieß er vorwurfsvoll aus.

„Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass das viele Training allein dir nicht gut tut? Kein Wunder, dass hier alles bedrohlich schwarz-gelb vor sich hin wabert", tadelte sie ihren Sohn, dem sie sanft über den Arm strich.

„Mum!", zischte Daniel erneut und sah sich kurz um. Hoffentlich hatte sie keiner gehört. Wenn sie in geschlossenen Räumen über Aurafarben sprach, konnte er damit leben. Aber nicht hier, wo doch die Finnen und die Schweizer und überhaupt alle nur ein paar Meter entfernt standen und sich unterhielten. Schwarz-gelb. Pff. Von wegen. Er hatte keine schlechten Gedanken! Das waren ganz ausgezeichnete Gedanken. Und trübsinnig war er schon mal gar nicht. Das hatte er hinter sich gelassen... Vor zehn Minuten.

„Er mag dich", fuhr sie unbeeindruckt fort.

Seufzend starrte der Norweger in den Himmel. Natürlich ahnte seine Mutter, was oder vielmehr wer ihn beschäftigte. „Ich weiß und es ist toll, dass wir uns so gut verstehen." War es ja auch. Gute Freundschaften waren wichtig. Und Domen konnte einen guten Freund hier gebrauchen. Einen, der ihn nicht ständig bevormundete, sondern ihn unterstützte. Jemand in dessen Nähe er gern war, mit dem er über alles reden konnte. Einen, der absolut alles von ihm wissen wollte.

„Daniel...", seufzte seine Mutter und sah ihn mit diesem mitleidigen Blick an, den er am liebsten ignorieren wollte, weil es dazu überhaupt keinen Anlass gab. „Gib nicht auf. Du musst nur ein bisschen Geduld mit ihm haben. Er ist ein guter Junge. Nur eben ein bisschen schüchtern und zurückhaltend", zog Mrs Tande ihren Sohn ungefragt in eine Umarmung.

Angesichts ihrer Einschätzung musste Daniel kurz auflachen. Domen war aufmüpfig, eine Nervensäge, viel zu Impulsiv, uneinsichtig und ein absoluter Sturkopf, trotzdem war er einer der loyalsten, ehrlichsten und wundervollsten Personen, die er jemals getroffen hatte. Aber schüchtern und zurückhaltend?!"Reden wir über dieselbe Person?", scherzte Daniel und wurde angesichts des kleinen Klapses auf seinen Hinterkopf wieder ernst.

„Ich weiß und ich weiß nicht, ob du mir gerade zugehört hast, aber wir sind Freunde. Naja, sagen wir, wir kämpfen uns durch, aber das ist nicht unbedingt das, was man als aufgeben bezeichnen würde", erwiderte er stur. Sie sollte nicht auch noch damit anfangen. Langsam fragte er sich, ob seine Mutter und Anders sich hinter seinem Rücken heimlich trafen. Domen hatte mit ihm sogar Händchengehalten. Wenn das keine Freundschaft war, dann wusste er auch nicht. Dass er dabei die ganze Zeit nur daran gedacht hatte, wie richtig es sich angefühlt hatte, Domens Hand in seiner und wie gern er ihn zu sich herangezogen hätte, um ihn zu küssen, das verdrängte er entschieden. Das musste Domen auch nicht wissen. Er würde das schon schaffen. Die Freundschaft war wesentlich mehr, als er jemals erhofft hatte. Das reichte ihm.

„Wenn du das so sagst...", seufzte sie und sah dabei so aus, als hätte sie noch eine Menge mehr zu sagen. Doch sie schüttelte nur ihren Kopf. „Geh mal einen Schritt zur Seite Schatz", forderte sie ihren Sohn auf und als er nicht gleich tat was sie sagte, schob sie ihn kurzer Hand selbst ein Stück nach links. „Wir müssen mal ein bisschen Rosa ins Grau bringen, wenn du verstehst, was ich meine", hob sie den Schnellstartergriff des Spielzeugpropellers und zielte auf irgendetwas hinter seinem Rücken.

„Mom! Nein!", versuchte er ihr das Spielzeug aus der Hand zu schlagen, als er erkannte, dass es ausgerechnet Domen war, den sie anvisierte, doch als er ihr das Spielzeug aus der Hand gezogen hatte, war es leider schon zu spät und der kleine Propeller sauste zielstrebig auf den Kopf des Slowenen zu, der in einiger Entfernung zu ihnen stand und sich mit Cene unterhielt.

„So langsam hab ich den Dreh raus", murmelte seine Mutter zufrieden, als Domen zusammenzuckte und verwirrt auf den Propeller am Boden sah. „Glaub mir, Domen kann ein bisschen rosa im dunkel wirbelndem grau gut gebrauchen", grinste sie ihn verschwörerisch an, bevor sie sich umdrehte und einfach davonlief. Fassungslos starrte er ihr nach. Grau... stand für Blockaden, Verwirrt-Sein, sogar für Angst. Rosa für Sentimentalität, Zielorientierung und... Verliebtheit, Wärme, Zuneigung, kramte er mühsam Wissensfetzen aus den Untiefen seines Hirns zusammen. Warum lebten alle in seinem Umfeld nur in einem Wunschtraum?!

„Sag mal: Erst rennst du einfach weg und jetzt schießt du mich auch noch ab... Willst du mir irgendwas sagen, Lahmarsch?", kam Domen ihm mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen und hielt den kleinen Propeller fragend in die Luft.

Er wollte ihm so viel sagen, aber er konnte nicht. Es würde alles kaputt machen. „Nein?", antwortete Daniel mehr fragend als sagend mit einem Lächeln im Gesicht.

„Wieso dann deine fragwürdigen Versuche als Scharfschütze?", ließ Domen nicht locker und musterte Daniel. Der Slowene hatte schon die ganze Zeit über nach Daniel Ausschau gehalten und sich verwirrt gefragt, warum der Blonde heute Morgen so plötzlich verschwunden war.

„Ich wollte schon immer mehr mit Menschen arbeiten", antwortete Daniel frech und drängte das Bild von Silje und Domen wieder zurück. Das gehörte hier nicht hin.

„Und alle glauben immer, ich wäre derjenige mit Aggressionsbewältigungsproblemen", schmunzelte Domen über Daniels Antwort. „Wer steht denn neben mir noch so alles auf deiner Liste?"

„Wenn ich dir das verrate, müsste ich dich leider töten", antwortete Daniel todernst und Domen begann schallend zu lachen. „Hey! Das meine ich völlig ernst! Keine Ahnung, was es da zu lachen gibt, Prevc", stand Daniel etwas hilflos vor Domen, während dieser sich kringelte vor Lachen. Was hatte er denn von sich gegeben, was so lustig war?

„Tschuldige, Daniel...aber dieses Spionagegefasel... ist wirklich nicht dein Ding...du...bist mehr so der...ähhh...blümchenpflückende Pazifist vom Typ her...", kicherte Domen vergnügt vor sich hin.

„Blümchenpflückender Pazifist? Willst du mich verarschen?", fragte Daniel ehrlich empört. Nach kurzem Zögern boxte er dem Slowenen in die Seite, dem inzwischen Lachtränen übers Gesicht liefen.

„Ich weiß nicht, ob du darauf ne Antwort willst...", versuchte Domen sich wieder zusammenzureißen und scheiterte dabei grandios.

Daniel, der mit verschränkten Armen vor dem Slowenen stand, sah sich etwas hilflos um. Cene sah fragend zu ihnen herüber. Daniel zuckte lediglich mit den Schultern. Er hatte doch auch keine Ahnung, was bei Domen gerade falsch verkabelt wurden war. „Haben wir es dann?", fragte Daniel mit Engelsgeduld und sah zu seiner rechten ein Fass mit Regenwasser stehen, das ihn auf eine Idee brachte. Er schöpfte mit seiner Hand ein wenig von dem Eiswasser heraus. „Kleine Abkühlung gefällig?", fragte er den jungen Slowenen, zog an dessen Kragen und schüttete das Eiswasser den Rücken des Slowenen hinunter.

„Ah! Nein! Warte, das wirst du mir büßen!", schrie Domen empört, während er wild von einem Bein aufs andere hüpfte in der Hoffnung, die Gänsehaut am Rücken wieder loszuwerden. „Das ist echt fies Lahmarsch!"

„Danke! Genau das, was ich meine. Blümchenpflückender Pazifist!", schnaubte Daniel noch einmal empört, während er damit beschäftigt war, das Wasser von seinen Händen zu bekommen und seine Handschuhe, die er in seinen Jackentaschen stecken gehabt hatte, anzuziehen.

„Ich verneige mich vor deinen düsteren Welteroberungsplänen, Lahmarsch!", hörte Daniel den Slowenen hinter seinem Rücken spotten.
„Hey, ein bisschen mehr Respekt vor einem Tyrannen neben dem Jack the Rippfft! Päh! Nein! Butt- Prevc!", fluchte Daniel und wischte sich das Eiswasser, von dem er eine erstaunliche Menge abbekommen hatte, aus dem Gesicht und taumelte dabei nach hinten. Dann passierten mehrere Sachen gleichzeitig.

„Pass auf!", stieß Domen erschrocken aus, dann wurde Daniel am Kragen gepackt und zurückgerissen. Überrascht starrte er in die aufgerissenen Augen des jungen Slowenen, als sie gegeneinanderprallten. Domens Hand, die immer noch seinen Kragen umklammerte, zog ihn fest gegen den Körper des Slowenen. Ließ nicht einmal mehr einen Millimeter Platz zwischen ihnen. Ein Duft aus Nadelwald und Neuschnee stieg Daniel in die Nase. Benebelte seinen Verstand, zog ihn weiter in Domens Bann, der den Rest der Welt ganz automatisch auszuschließen schien und die Zeit verlangsamte. Er verlor sich in seinen Wunschvorstellungen. Domen und er. Zusammen. Hand in Hand die Treppen hinunterlaufend. Domens Hand in seinem Gesicht, die eine Feuerspur hinterließ. Der Kuss, der ihn in Brand gesteckt hatte. Seine Blicke, die sein Innerstes durcheinanderwirbelten, egal wie sehr er sich im Vorfeld wappnete. Domen war die Naturkatastrophe, Daniel der Mensch, der ihm gnadenlos ausgeliefert war. Gebannt starrte er den jungen Slowenen an, dessen Mund sich bewegte, ohne dass ein Laut durch den Sturm in Daniels Innerstem zu ihm durchdrang. Einzig Domens Hand auf seiner Brust, die seinen Herzschlag nur allzu deutlich spüren musste, war ihm mehr als deutlich bewusst, jagte ihm eine Gänsehaut den Rücken hinunter und verbrannte den Rest seiner Sinne. Verführte ihn. Ließ ihn glauben, dass es vielleicht doch möglich war. Er war so nah. Domen hatte keine Ahnung, was er da mit ihm machte. Welche Wirkung er hatte. Am liebsten würde Daniel ihn an den Schultern packen und-

Ein lautes ungeduldiges Hupen durchschnitt Daniels Kokon. Geistesabwesend sah er Goran Janus hinterher, der in seinem Wagen vor sich hin schimpfend vorbeifuhr und ihnen böse Blicke zuwarf.

„Daniel? Alles okay bei dir?", besorgt hob Domen seine Hand, die auf seiner Schulter landete.

„Ja", räusperte der Norweger sich und starrte konzentriert in die Ferne, versuchte seinen gnadenlosen Sinkflug in die Realität irgendwie abzufedern. Bemühte sich, alles unter Kontrolle zu halten, was weit über freundschaftliche Gefühle hinausging. Er schaffte das. Würde sich an Domens Nähe gewöhnen. Er musste nur... Fahrig strich er sich seine Haare aus dem Gesicht und trat einen Schritt zurück. Andreas und Markus, rief er sich immer noch durcheinander ins Gedächtnis. Genau das war es, was er wollte.

„Sicher?", widerwillig ließ Domen den Norweger los, bemerkte Daniels halbherziges Lächeln. „Vielleicht...lass uns einen Moment in die Sonne setzten, um zu trocknen", zog er Daniel am Arm auf eine Bank, die neben der Regentonne, direkt vor dem kleinen Holzhäuschen für Trainingseinheiten im Sommer stand.

Daniel lehnte seinen Kopf gegen die Holzhütte, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und schloss die Augen. Von weiter her hörte er die Stimmen, die zu ihnen herüberwehten. Den Stadionsprecher der einen weiteren Springer ankündigte. Domen setzte sich direkt neben ihn und begann beinahe sofort mit seinen Beinen zu zappeln. Eine Zeit lang sagte keiner von ihnen etwas, dann durchbrach Domen die Stille. „Wieso bist du vorhin einfach so abgehauen?"

Überrascht öffnete Daniel die Augen. Hatte er ihn also doch vor den Mannschaftsunterkünften gesehen?

„Ich meine beim Frühstück. Bist du irgendwie sauer auf mich? Hab ich was falsches gemacht? Hätte ich mich lieber nicht zu euch an den Tisch setzen sollen?", fragte Domen weiter, als Daniel nicht gleich antwortete.

Seufzend öffnete Daniel die Augen. „Nein", antwortete er leise. Wie sollte er dem Slowenen auch erklären, dass es an ihm lag? Dass es ihn zerriss, wenn er sah, wie er Silje anlächelte? Dass er verzweifelt nach einem Weg suchte, klarzukommen? „Es... ich... ähm... bin nur nervös. Das ist alles."

„Vor dem Springen?", drehte der Slowene sich erstaunt zu ihm um.

„Ja. Die Presse und all die Erwartungen... Millionen Menschen, die auf mich zählen." Wo ihm doch eigentlich nur dieser eine wirklich wichtig war. „Was, wenn ich es vermassle?", fragte Daniel frustriert. Dass es dabei nicht um das Springen ging, schien Domen überhaupt nicht zu bemerken.

„Das ist so ein Quatsch! Du schaffst es jedes Mal wieder aufs neue deine Höhenangst zu besiegen, da solltest du dir über so einen Scheiß echt keine Gedanken machen. Und wenn alle Stränge reißen, dann hast du ja immer noch mich...", tönte Domen, rutschte noch ein Stück näher zu ihm heran und legte ihm einen Arm um die Schulter.

Was tat Domen da nur schon wieder mit ihm?, fragte sich Daniel verzweifelt, während er versuchte ruhig zu bleiben.

„... Ich geb dir schon den nötigen Arschtritt", beendete der Slowene seinen Satz mit einem alles dahinschmelzendem Grinsen, dass ganz allein ihm galt.

Schwach grinste er ihm entgegen. „Prevc, deine Anteilnahme ist wirklich rührend", scherzte Daniel schwach und fühlte sich viel zu verloren, als Domen seinen Arm wieder zurückzog.

„Kann ich... kann ich dich mal was fragen?", wollte Domen nach einer Weile des Schweigens wissen und setzte sich nervös auf.

„Klar", antwortete Daniel schlicht und bemerkte, wie Domen mit sich rang. Egal was er wissen wollte, es hatte nichts mit Smalltalk zu tun.

„Ich... wie ist... also...chrm... ich meine... wie hast du gemerkt, dass du...Ähm...", stotterte Domen verlegen. Er wusste nicht, ob es ihm überhaupt zustand, Daniel solch private Sachen zu fragen. Es war nur, dass es ihn wirklich interessierte. Wie es war, auf Männer zu stehen. Wie Daniel es überhaupt gemerkt hatte. Warum er sich dagegen entschieden hatte, sich zu outen. Unsicher erwiderte er Daniels Blick. „Bist du eigentlich gut mit Silje befreundet?", kam es schließlich aus seinem Mund, während er sich plötzlich überaus interessiert seinen Schuhen zuwandte und sich zum Teufel wünschte.

Wenn er Daniel angesehen hätte, hätte er gesehen, wie Daniel bei seiner Frage kaum merklich zusammengezuckt war. Hätte die Schatten bemerkt, die sich in Daniels Augen breitmachten. „Schon ganz gut... Wieso?"

Nickend nahm Domen Daniels Antwort zur Kenntnis. „Ich hab über das Interview nachgedacht. Vielleicht kann ich Goran doch noch irgendwie überzeugen. Ich finde, sie sollte Thiessen zeigen, was sie kann. Ich hab dein Interview mit ihr gelesen. Sie hat echt Talent", gab Domen zu und konnte nicht verhindern, leicht rot um die Nase zu werden. Er hatte das Interview zufällig gefunden, als er nach Informationen über Daniel gesucht hatte. Er hatte mehr über den Norweger erfahren wollen und Siljes Interview war mit Abstand das Beste gewesen. Ihr war es gelungen, Daniels Persönlichkeit authentisch einzufangen. Kein Wunder, dass sie den Norweger so ansah.

„Ich bin mir sicher, sie würde sich freuen, wenn sie das von dir hört", sagte Daniel und stand auf. Seine Vermutung stimmte also tatsächlich. Er konnte unmöglich weiter hier untätig sitzen bleiben. Es kostete ihn große Mühe, sich Markus und Andreas vor Augen zu halten. Demonstrativ sah er auf seine Uhr. „Ich glaube, wir sollten langsam los."

„Was? Ja. Sicher. Shit! Hab gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen ist", erhob auch Domen sich von der Bank. „Ich sollte doch noch in die Wachskabine", klatschte er sich mit der Hand gegen die Stirn. „Scheiße! Bis später, Lahmarsch!", rief Domen ihm über die Schulter zu und eilte davon.

Daniel setzte sich ebenfalls mechanisch in Bewegung. Lief an all den Menschen einfach vorbei. Ignorierte die Rufe von Jarkko und Karl. Hatte nicht die Kraft, den freundlichen Gruß von Simon zu erwidern. Wich den Blicken von Cene aus. Flüchtete sich in den Container, der verlassen vor ihm lag. Er war noch nie so glücklich über einen Augenblick für sich selbst gewesen. Der Probedurchgang war in vollem Gang. Auch er sollte sich langsam fertigmachen.

Wütend feuerte er seine Turnschuhe in eine Ecke. Setzte sich auf die Bank und raufte sich die immer noch nassen Haare. „Arrrgh!", schrie er in die Stille des Raumes hinein, als sich die Tür öffnete und Anders eintrat, der ihn schon wieder finster anstarrte.

„Dir ist klar, was für eine bescheuerte Idee das ist, oder?", mit finsterer Miene kam Anders auf ihn zugelaufen und baute sich direkt vor ihm auf.

„Nur weil du es für eine bescheuerte Idee hältst, muss es noch lange nicht so sein", verschränkte Daniel die Arme. Er wollte unbedingt, dass es irgendwann funktionierte. Wie hieß es so schön? Aller Anfang war schwer. Das galt eben auch für die Freundschaft mit Domen.

„Hast du überhaupt eine Ahnung, was du da tust? Du spielst, Daniel. Und das nicht gerade fair. Dabei weißt du genau, was sie für dich empfindet", knurrte Anders gefährlich ruhig.

„Warte. Wir reden hier gar nicht von Domen, oder?", fragte Daniel verwirrt.

„Das ist genau das, was ich meine. Während deine ganze Welt sich um den Dickschädel dreht, merkst du gar nicht, wen du alles noch in diese Geschichte mit reinziehst. Ich rede von Silje! Alex hat gerade jedem verkündet, dass sie dich heute Abend auf diese dämliche Veranstaltung begleitet! Jetzt strahlt sie wie ein verdammtes Atomkraftwerk!", schimpfte Anders und schmiss seine Handschuhe in die Ecke. „Du weißt, was sie für dich empfindet!"

„Und? Ich hab sie nie glauben lassen, dass sie eine Chance hätte. Was soll ich noch tun? Sie vergraulen? Mich wie ein Arsch aufführen?", rechtfertigte Daniel sich verwirrt.

„Keine schlechte Idee, dass solche Freundschaften scheiße sind, müsstest du eigentlich am besten wissen", setzte Anders noch eins drauf und Daniel riss endgültig der Geduldsfaden.

„Wieso interessiert Silje dich eigentlich? Normalerweise habt ihr euch doch ständig in den Haaren und seid froh, wenn ihr euch aus dem Weg gehen könnt", bemerkte Daniel stirnrunzelnd.

„Und? Ich mag es eben nicht, wenn jemand ungerecht behandelt wird", schnappte Anders, während er sich seiner Klamotten entledigte, um seinen Sprunganzug überzuziehen.

„Nur zu deiner Information: Das war nicht meine Idee, sondern die von Alex. Der hat das alles zu etwas aufgebauscht, was es nicht ist. Ich hätte ihr schon gesagt, dass es eben kein Date ist. Aber danke für dein Vertrauen. Wirklich", gekränkt wandte Daniel sich ab.

„Als ob das was bringen würde... man könnte meinen, du hättest ihr einen Liebestrank eingeflößt, so fixiert wie sie auf dich ist...", grummelte Anders vor sich hin.

„Falls es dich glücklich macht: Ich könnte mir vorstellen, dass sich das demnächst ändert", zischte Daniel und stampfte wütend mit seinen Sprungstiefeln auf den Boden, weil er wie immer nicht richtig reinkam.

„Was soll das denn heißen?" – „Na, du warst doch heute Morgen dabei, oder nicht?"

Ahnungslos hob Anders die Schultern und wartete darauf, dass Daniel seine Gedanken ausführte. Der ältere hatte jedenfalls keine Ahnung, worauf Daniel hinauswollte. „War ja wohl kaum zu übersehen, dass Domen und Silje sich gut verstehen", stieß Daniel frustriert aus und sah sich nach seinem Helm um, als Anders tatsächlich zu lachen anfing. „Schön, dass wenigstens einer von uns seinen Spaß hat."

„Leidest du unter Wahnvorstellungen?" –

„Du hast sie doch heute Morgen gesehen. Hast gesehen, wie gut sie sich verstanden haben. Wie Domen sie angehimmelt hat. Wie vertraut sie miteinander waren", verbittert stopfte er den Helm in seine Tasche und sah sich nach seinen Keilen um.

„Du verarschst mich oder? Der Feuerkopf steht nicht auf Silje. Wenn Thiessen nicht gekommen wäre, hätte er sie wahrscheinlich bei der nächstbesten Gelegenheit unauffällig verschwinden lassen und wir hätten nie erfahren, was mit ihr passiert ist. Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich bin-"

„JETZT HÖR ENDLICH AUF DAMIT! Ich hab es so satt! Es- Das wird nie passieren, okay?!. NIEMALS! Ich- Weißt du eigentlich, was das mit mir macht?", schrie Daniel Anders an, der ihn perplex anstarrte.

„Ohhhh nein! Vergiss es! Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass ihr niemals nur Freunde sein könnt, dass du es nur versuchen musst, dass-"

„Ich hab es doch versucht! Ich hab gemacht, was ihr von mir wolltet. Der einzige Unterschied ist, dass ich weiß, wann man aufhören muss. Und wieso auch nicht? Immerhin sind wir jetzt Freunde-" -

„Ja, und was ihr für tolle Freunde seid!", bemerkte Anders sarkastisch.

„Und wieso ist das so? Mmh? Das ist doch alles nur deine Schuld! Du hast alles wieder vorgeholt! Machst mir ständig Hoffnung, statt sie einfach mal sterben zu lassen, damit ich wenigstens diese Freundschaft erhalten kann, die mir alles bedeuten würde-"

„Und was machst du dann? Wie sieht dein Plan aus? Den Dummkopf weiter anschmachten? Ihm dabei zusehen, wie er glücklich wird, während du danebenstehst und nicht loskommst? Brav applaudierst und dich für ihn freust? Und dabei ganz nebenbei dein Leben vergeudest? Für jemanden, der es überhaupt nicht verdient hat? Gehst du jedes Mal ein Stückchen mehr ein, wenn er sich wieder in eine andere verknallt? Sie ansieht und berührt, wie er es mit dir nie machen wird? Lechzt du nach seiner Aufmerksamkeit? Fühlst dich wie auf Wolke Sieben, nur weil er einmal im Monat Zeit für dich hat, weil sein Leben normal weitergeht? Was, Daniel? Das ist es doch, was du in Wirklichkeit gerade planst, oder nicht?", beinahe verächtlich starrte Anders ihn an.

„Das ist nicht fair, Anders. Du weißt genau-" –

„Fair? Natürlich ist es nicht fair! Die Welt ist nicht fair! Weder zu dir, noch zu sonst jemandem. Deswegen gebe ich dir einen gut gemeinten Rat: Entweder ganz oder gar nicht! Scheiße, Daniel! Du weißt, dass sie in dich verschossen ist, seit sie dich das erste Mal gesehen hat! Du bist der Grund, warum alle abblitzen! Immer und immer wieder. Obwohl ihr euch manchmal Monate nicht seht. Da ist nicht mal eine winzig kleine Chance. Du hältst sie dir warm und raffst es nicht mal! Wo ist das bitte fair?", wütete Anders völlig aus der Fassung geraten.

Schwer atmend standen sie sich gegenüber. Das Gesagte dröhnte immer noch in Daniels Ohren, als gäbe es ein Echo im Raum. Fassungslos starrte Daniel Anders an. Er hatte keine Ahnung gehabt, wusste nicht, was er sagen sollte. Während Daniel geschockt nach Worten suchte, raffte Anders seine Sachen zusammen.

„Anders...ich...das..." Daniel hatte nichts davon gewusst. Er war immer nur mit sich selbst beschäftigt gewesen.
„Vergiss es einfach!", blaffte Anders ihn an und rauschte aus dem Raum. Überfordert starrte Daniel seinem Freund hinterher.

Hello HurricaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt