17. Rettung in letzter Sekunde

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Nun, die Zimmermädchen und Hotelbesitzer hatten es nicht leicht mit mir und sie tun mir wirklich leid, dass ich sie schon wieder schocken muss. Immerhin wird es kein Blutbad geben, denn die Giftkapseln wirken schnell und ich werde aussehen, wie das schlafende Schneewittchen. Natürlich färbe ich meine Haare wieder dunkel, es kümmert eh keinen mehr, wer ich bin und das ich Jeremy getötet habe. Ich schminke mich, style den schwarzen Bob und ziehe mir ein emeraldgrünes Abendkleid an. Genieße im Speisesaal meine „Henkersmahlzeit", die ich komplett aufessen kann. Ich spüre, dass ich mit mir und der Welt im Reinen bin. Es gibt keine Zukunft für Leute wie mich, kein Happy End und am Wenigsten die Absolution. Ich weiß, dass Jeremy spürt, dass wir bald zusammen sein werden, ohne, dass ich es ihm hätte sagen müssen. Wir haben kaum gesprochen, als ich in Hypnose war, alle Worte wären sinnlos gewesen. Ich suche mein Zimmer auf und lege mich auf das Bett. Öffne eine Flasche Champagner, schenke mir ein Glas ein und hole die Giftkapseln aus dem eingenähten Fach in meiner Handtasche. Warum habe ich gleich drei davon bekommen? denke ich schmunzelnd. Ich kann mich ja schließlich nur ein Mal umbringen! Dann schließe ich die Augen und denke an Jeremy, während ich den Champagner in meinem Mund prickeln lasse.

Auf uns! denke ich. Verzeihe mir.

Langsam führe ich die Kapsel zum Mund. Drauf beißen, dann geht's schneller, sagte Niko. Irgendwie vermisse ich ihn, er war der Einzige, mit dem ich so etwas wie eine freundschaftliche Beziehung hatte. Ich lege die Kapsel auf die Zunge, der künstliche Geschmack der Umhüllung breitet sich aus und dann wird die Tür aufgerissen. Vor Schreck spucke ich die Kapsel wieder aus und starre Niko an, der mich wieder herum anstarrt.

„Gott, Tascha! Was soll das werden?" schnauft er mit Blick auf die Kapsel, die über den Boden kullert.

Ich lächle schief.

„Ich bin am Ende, Niko. Ich kann nicht mehr. Was willst du hier? Mein Urlaub ist noch nicht vorbei, sie haben mir versprochen, dass..."

Er unterbricht mich, während er die Tür schließt.

„Du brauchst dich nicht selbst umbringen! Sarkow hat jemand auf dich angesetzt, er ist stinksauer wegen der Sache mit Colman! Wir haben einen Informanten bei ihm eingeschleust, und nun kommt es: Der Engländer ist nicht tot! Er liegt im Koma und Sarkow lässt ihn rund um die Uhr bewachen, er hat ihm ein Intensivzimmer in seiner Villa einbauen lassen. Anscheinend hält er große Stücke auf ihn."

„Was?"

„Ja, hätte auch nie gedacht, dass Sarkow so ein barmherziger Samariter ist und Leute mag..." schüttelt Niko den Kopf.

„Nein...was hast du davor gesagt?" hauche ich.

Niko schenkt sich Champagner ein.

„Was meinst du? Das Colman noch lebt?"

Ich nicke. Mein Herz rast. Aber...

„Naja, leben kann man das ja nicht nennen, er wird nur noch durch Maschinen am Leben erhalten. Aber ist doch egal, es geht darum, dass Sarkow irgendwie raus bekommen hat, wo du bist! Deshalb bin ich hier. Du musst so schnell wie möglich abreisen!"

„Und wo soll ich hin?" murmele ich.

Und plötzlich fällt es mir ein.

„Wo steht diese Villa?" frage ich und springe auf.

Uh, der Alkohol!

„Tascha, nein! Du kannst Sarkow doch nicht freiwillig in die Arme laufen! Er wird dich zerteilen, bevor du deine Sache beenden kannst!"

Ich schaue Niko ernst an.

„Ich will nichts beenden, sondern etwas zurückbringen, was nicht mir gehört. Frag nicht weiter. Und ich bin sowieso schon tot, Niko. Also, wo finde ich Colman?"

Niko mustert mich bewundernd.

„Du bist eine außergewöhnliche Frau, Tascha. Ich finde es echt schade, dich zu verlieren. Aber wie du willst- in Riga. Du wirst aber nicht hinein kommen, glaube mir."

„In Lettland?" frage ich ungläubig.

„Ja, wunderschön, am Meer. Er hat noch viele andere Häuser, auch in Moskau. Aber Colman ist dort versteckt."

Nein, nur sein Körper. Colman ist bei mir, in mir, und ich werde ihn nach Hause bringen. Das bin ich ihm schuldig, das ist meine Chance, es wieder gut zu machen. 

Ja, schließlich bin ich doch sein Engel!

Wie ich am Anfang dieser unseligen Geschichte schon erwähnt hatte, bin ich nicht gut im Pläne schmieden und fliege nach Riga, ohne mich darauf vorzubereiten, wie ich in die Villa eindringen könnte. Es wäre fatal, wenn man mich erschießen würde, bevor ich bei Jeremy war und ihm seine Seele wieder gegeben habe! Ich zermartere mir den Kopf, andererseits bin ich unruhig und habe das Gefühl, keine Zeit verlieren zu dürfen. Und schon wieder dicke Kleidung! Da ich nahezu sofort in den Flieger gestiegen bin, trage ich immer noch das grüne Abendkleid und darüber einen falschen Pelzmantel. Und das Glück ist mir an diesem Tag hold. Als ich vor dem gusseisernen Tor von Sarkow's Villa stehe, kommt eine Limo vorgefahren und ein beleibter Kerl beugt sich aus dem Fenster. Er fragt auf russisch, ob ich Lust auf eine Party hätte. Gern, antworte ich. Mein Freund hätte mich leider versetzt. Ich steige ein und schon fahren wir durch das Tor. Ich gebe mir innerlich High Five! Natürlich bin ich unbewaffnet, denn ich brauche mich nicht mehr zu verteidigen und will auch niemanden mehr töten. Ich schlage meine Beine übereinander und der dicke Kerl, der sich Vladimir nennt, grabscht nach meinem nackten Knie. Okay, da muss ich jetzt durch. Für Jeremy! Ich erinnere mich, wie ich Jeremy zum ersten Mal angesehen hatte. Als ich zu ihm hochblicken musste, immer noch voller Abscheu, doch wußte ich in diesem Moment, dass dieser schöne Mann mein Verderben sein würde.

 Als ich zu ihm hochblicken musste, immer noch voller Abscheu, doch wußte ich in diesem Moment, dass dieser schöne Mann mein Verderben sein würde

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Und wie er mich berührt hatte, ja, Jeremy weiß genau, wie man jemanden anschaut oder anfasst. Er drückt nicht, wie Vladimir, einfach irgendwo drauf herum, sondern legt sanft seine Fingerspitzen ab, verstärkt den Druck langsam, bis man seine ganze Hand spürt. Ich stöhne leise bei der Erinnerung an Jeremy's Berührungen und die dicken Finger rutschen höher. Vladimir beginnt, an meinem Ohr zu knabbern und ich möchte am Liebsten schreien! Doch dann sind wir da. Im Foyer frage ich sofort nach einer Toilette. Säusele dem Dicken zu, dass ich mich frisch machen möchte und er grabscht mir gierig an den Po. Ich drehe mich von ihm weg und rolle mit den Augen. Natürlich halte ich mich nicht an den Weg, der mir beschrieben wurde, sondern fange an, zu suchen. Die Villa ist dreistöckig und riesig und ich will schon fast aufgeben, als ich endlich den Geruch von Desinfektionsmitteln rieche. Ein Mann mit einem Stethoskop kommt aus einer der Türen und ich warte, bis er weg ist. Gehe hinein und laufe fast in eine Krankenschwester hinein.

„Gehen sie, das ist privat!" sagt sie auf russisch.

„Sarkow schickt mich. Ich bin Schamanin und habe ihn überzeugt, dass ich es schaffen kann, Colman zurück zu holen." antworte ich.

„Wen zurückholen?"

„Den Patienten."

Sie schaut mich prüfend an. Doch ich habe den Mantel schon im Foyer abgegeben und trage nur das enge Kleid. Nicht mal eine Handtasche.

„Sind meine Kräuter schon da?" frage ich nun. „Sarkow wollte sie schicken lassen."

Sie schüttelt den Kopf und zeigt auf das große Fenster, hinter dem das Colröschen schläft. Bei seinem Anblick bekomme ich einen großen Kloß im Hals und weiche Knie. Ich hole tief Luft und sage:

„Gut, ich werde es erst einmal ohne Verräucherung versuchen."

Gehe tapfer auf die Tür zu und trete ein.

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