Ich bin verwirrt und einen kurzen Moment abgelenkt, sodass Jeremy meine Hand greifen und sie wegdrücken kann. Ich stecke die Pistole wieder ein und gucke aus dem Fenster. Verdammt!
„Hör zu, ich verspreche dir, dass ich dich nicht mehr provozieren werde." murmelt Jeremy atemlos.
"Tut mir leid." hauche ich.
„Nein, mir tut es leid, dass...es nicht funktioniert hat. Wie gesagt, war ich schlecht drauf und ich hatte zu viel Kopfkino. Er hat sich einfach nicht geregt, obwohl...deine süßen Puppenlippen mich wahnsinnig gemacht haben."
„Hör auf damit, bitte." knurre ich.
Er nickt.
„Ich will nur, dass du...keine Ahnung, was ich will. Ich sollte dich hassen, in erster Linie, aber ich denke, ich habe das verdient, was du getan hast. Erst dachte ich, du willst den Spieß nur umdrehen. Und mich vögeln. Bis ich begriffen habe, dass ich tatsächlich sterben werde, hat es ziemlich lange gedauert..." raunt er traurig.
Bei dem Gedanken an die schrecklichen Szenen wird mir wieder kotzübel. Jeremy's Blick in dem Moment des Begreifens... oh, Gott! Ich schmecke Blut, habe mir zu fest auf die Unterlippe gebissen. Jeremy gibt Gas und ich schluchze leise in das Geräusch hinein. Plötzlich legt er kurz seine Hand auf meine. Eine sanfte, flüchtige Berührung. Und ja, ich habe gelogen. Er soll mich anfassen. Oder auch nicht...was soll ich nur tun? Ich bin so zerrissen...
Wir fahren eine Weile schweigend, jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Doch das ist genau das, was mich kaputt gemacht hat. Also beginne ich leise, zu erzählen:
„Es ist fünf Jahre her. Ich hatte einen Kerl kennengelernt, nachdem ich eine miese Trennung hinter mir hatte. Es war irgendwie zu früh für eine neue Beziehung und ich sagte es Micha nach einem Monat, wir beschlossen, Freunde zu bleiben. Das klappte auch, ein Jahr lang, bis ich mich neu verliebte. Micha machte den Neuen von Anfang an nur schlecht, obwohl er ihn nicht mal kannte. Wir stritten uns fürchterlich, ich wollte Abstand, aber er hielt sich nicht dran. Lauerte mir auf. Belagerte mich. Verdrehte alles, was ich gesagt habe, sodass der Neue irgendwann genug hatte und ging. Natürlich war Micha dann wieder handzahm, doch ich blieb dabei, dass ich ihn nicht mehr sehen wollte. Er stalkte mich, bis ich auf die Idee kam, ihm vor lauter Verzweiflung die Bremsen zu kappen, bevor er auf die Autobahn musste. Er hat den Unfall überlebt, ich wurde festgenommen, weil mich dummerweise jemand gesehen hatte. Versuchter Totschlag, fünfzehn Jahre. Doch nach einem Jahr holte mich jemand zur „Resozialisierungsbefragung" ab. Die Typen sahen nicht so aus, als wären sie von der Sozialbehörde. Sie fragten, ob ich es wieder versuchen würde, und ich sagte ja. Die nächste Frage war, WIE ich es machen würde."
Ich mache eine Pause und seufze.
„Wow. Die sind ja ran gegangen." raunt Jeremy.
„Jep. Da wußte ich, dass was faul ist. Ich fragte, ob sie mich verarschen wollten und sie lachten. Dann legten sie mir Fotos von ermordeten Menschen vor die Nase. Gräßliche, zerfetze Leichen. Ich sagte, ich würde Micha trotzdem umbringen, denn er hatte dafür gesorgt, dass ich umziehen musste, meinen Freund verloren hatte, fünf neue Telefonnummern brauchte und... was das Schlimmste war...viel zu oft wimmernd in meiner eigenen Wohnung auf dem Boden gesessen hatte und auf allen Vieren an den Fenstern vorbei gekrochen war, damit Micha mich nicht entdecken konnte. Der Kerl hatte aus mir ein ängstliches Häschen gemacht, und das hatte niemand geahndet! Und wenn die Justiz nicht fähig wäre, solche Psychos zu stoppen, müsste man es eben selbst tun, hatte ich ihnen gesagt. Weißt du, ich hatte Micha's Ex kennengelernt, sie hatte eine Angststörung, konnte nicht mehr aus dem Haus, ohne Panik zu schieben. Nun, hatte ich den Typen erklärt, würde Micha wahrscheinlich gerade die nächste Frau in den Wahnsinn treiben, weil er ein "Nein" einfach nicht akzeptieren kann. Er läuft draußen rum, während seine Ex ein Fall für den Psychiater ist und ich im Knast sitze. "Fällt ihnen da was auf?" hatte ich gefragt."
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Schattenspiele
Misterio / SuspensoDas unsere Welt düster und korrupt ist, hat ja jeder schon mitgekriegt, und jeder versucht, sich irgendwie durchzumogeln. So auch die Heldin der Story, die nach missglücktem Mordversuch an einem Stalker zu jahrelanger Haft verurteilt worden ist. Jed...