Kapitel 4

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Phil und Thomas stiegen in Phil's Wagen ein und fuhren zurück zu ihrer Wohnung. Immer wieder sah Thomas sich nervös nach den Autos neben oder hinter ihnen um, immer in Angst, dass die Männer sie vielleicht doch verfolgen würden. "Also, willst du mir eventuell erklären, was da eben gerade passiert ist?", fragte Phil ihn. "Wer waren die? Und was wollen die von uns?" Thomas sah zu seinem Freund, der die Augen fest auf die Straße gerichtet hielt. "Das kann ich dir sagen.", antwortete er. "Aber erst, wenn wir in Sicherheit sind." "In Sicherheit?", erwiderte Phil aufgebracht. "Wir sind doch schon aus diesem verdammten Krankenhaus entkommen!" "Klar", gab Thomas zurück. "Aber die werden in null Komma nichts herausgefunden haben, wo wir wohnen. Das Beste ist, wenn wir gleich einige Sachen zusammen packen und dann für ein paar Wochen untertauchen." "Das ist nicht dein Ernst, oder? Bitte sag mir, dass das ein Scherz ist." "Nein, ist es nicht.", erwiderte Thomas. "Tut mir leid, aber sicher ist sicher." "Na toll. Dieser Tag wird immer besser..."

Keiner von beiden sagte ein Wort, bis sie bei ihrer Wohnung angekommen waren. Sie parkten den Wagen an der Straße hinter dem Haus, um notfalls aus der Feuerschutztür ihrer Wohnung verschwinden zu können. Thomas war froh, dass dies in ihrer Situation eine relativ einfache Art zu fliehen sein würde, das sie nur durch die Tür raus auf die Feuerleiter und diese ein Stockwerk runter laufen mussten, bis sie im Hinterhof angekommen waren. In der Wohnung sammelte jeder für sich die Sachen zusammen, die sie für die nächsten Wochen brauchen würden. Viel war es nicht, einige Klamotten, Zahnbürsten, Geld, etwas Proviant. Thomas lief immer wieder nervös an ein Fenster und sah hinaus, denn schließlich konnte es jeden Moment sein, dass sie hier ankommen würden. Neben der Angst, dass seine Verfolger ihn fangen könnten, traten nun die Kopfschmerzen, die langsam einsetzten. Er spürte bereits, wie sein Schädel wie nach jedem Tag, an dem er seine Kräfte gebraucht hatte, zu brummen und langsam und stetig, aber immer stärker zu pochen begann. Deswegen lief er, als er seine Sachen zusammengepackt und im Auto verstaut hatte, in die Küche und durchsuchte die Schränke nach etwas, was er erst in der hintersten Ecke des letzten Schrankes finden konnte: Es war eine Tafel Schokolade. Er setzte sich mit ihr an den Küchentisch und aß sie, während er auf Phil wartete. Dabei stützte er den Kopf in eine Hand und maskierte seine Schläfe etwas, als wenn das etwas helfen könnte. "Wir sind am Anfang einer filmreifen Flucht, und du nimmst dir die Zeit, um Schokolade zu futtern?", erklang wenig später die Stimme seines Freundes, der mit vor der Brust verschränkten Armen an dem Türrahmen hinter ihm gelehnt stand. Thomas nickte. "Es ist gegen die Kopfschmerzen.", entgegnete er dann. "Du hast Kopfschmerzen? Von den Schmerzmitteln?" Thomas schüttelte mit dem Kopf, nur um es sofort zu bereuen, da die Schmerzen dadurch nur noch schlimmer zu werden schienen. "Nein. Es ist etwas anderes, ich erkläre es dir irgendwann." "Aha", antwortete Phil skeptisch. "Und dagegen hilft Schokolade?" "Theoretisch gesehen nicht. Aber es wirkt wie bei dem Placebo-Effekt: Ich rede mir ein, dass es dadurch besser wird, also wird es das auch." "Achso", erwiderte Phil. "Und du glaubst wirklich, dass wir von hier weg müssen? Ich meine, vielleicht ist das ganze nur ein Missverständnis. Vielleicht wollen sie nur... ach, ich weiß auch nicht, irgendwas." Thomas sah Phil ernst an. "Nein, glaube mir, das sind ganz üble Typen. Sie wollen uns nichts gutes, und sie werden nicht ruhen, bis sie uns haben. Sie sind böse, glaub mir." "Du weißt schon, dass es nach einem Tag wie heute leicht ironisch ist, wenn jemand wie du so etwas sagt?", entgegnete Phil trocken. "Schließlich musste ich dich bisher immer davon abhalten, als Phantom die Menschheit zu vernichten." "Können wir das Thema nicht erst mal aufschieben?", fragte Thomas leicht genervt. "Können wir schon, aber ich würde echt gerne wissen, was ausgerechnet dich dazu gebracht hat, zu jemandem wie Phantom zu werden." Thomas wollte gerade etwas erwidern, doch die Geräusche von einer Salve zuschlagender Autotüren liess ihn aufhorchen. "Verdammt...", sagte Thomas. "Sie sind hier." Ein Hauch von Panik lag in seiner Stimme, der Phil dazu brachte, sich zu fragen, wer diese Männer waren, dass sein Freund solche Angst vor ihnen hatte. "Also müssen wir los.", sagte Phil ruhig. "Was ist der Plan?" Thomas sah zu ihm. "Wir warten, solange wir können. Wenn sie versuchen, in die Wohnung zu gelangen, ist die Chance am höchsten, dass wir unbemerkt aus der Feuerschutztür fliehen können." "Soll ich die Wohnungstür verbarrikadieren?", fragte Phil, doch Thomas schüttelte mit dem Kopf. "Das würde zu viel Lärm machen, außerdem besteht die Gefahr, dass sie, wenn sie die Tür nicht einfach genug aufkriegen, es durch die Hintertür versuchen und uns da in die Quere kommen." "Okay", Phil sah seinen Freund fest an. "Wenn du meinst. Du gibst das Startsignal, ich folge dir." Thomas nickte knapp, dann lief er aus der Küche zu der Feuerschutztür, die sich im Wohnzimmer befand, öffnete sie leise und wartete davor, während er auf die Geräusche horchte, die aus dem Treppenhaus zu ihnen schallten. Unten wurde die Tür geöffnet, dann das Geräusch von vielen Leuten, die die Treppe hochliefen. Thomas fragte sich, ob es nicht sogar mehr als beim Krankenhaus waren. Schließlich kam das große Finale: Die Schritte stoppten vor ihrer Wohnungstür, kurz darauf ein lautes Klopfen, dann eine Stimme. "Wir wissen, dass sie da drin sind! Öffnen Sie die Tür!" "Los, raus hier.", murmelte Thomas leise, dann schlüfte er durch die Feuerschutztür und eilte so leise es ging die eiserne Treppe hinab. Phil folgte, hinter sich ließ er die Tür zufallen, denn auf diese Weise hoffte er, würden sie noch etwas Zeit gewinnen. hinter ihnen war ein dumpfer Knall zu hören, als die Tür aufgebrochen wurde. "Verdammt", zischte Thomas leise. "Wir müssen uns beeilen." Zusammen stürmten sie die Treppe nach unten und durch den Hinterhof immer auf die Straße zu. "Stop", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. "Bleibt sofort stehen, oder wir schießen." Phil drehte sich im Laufen um und blieb stolpernd stehen, als er die beiden Männer sah, die hinter ihnen standen und die Waffen auf sie gerichtet hielten. Die Stimme, die eben gerade gesprochen hatte, gehörte einer Frau, die ohne Waffe neben den Männern stand, aber die selbe Uniform trug wie diese. Als sie sah, dass sowohl Thomas als auch Phil stehen geblieben waren, grinste sie. "Sehr gut.", sagte sie schlicht. "Hätte mir klar sein sollen.", sagte Thomas, während er die Frau wütend ansah. "Ihr habt euch aufgeteilt." "Ach bitte, natürlich haben wir das.", erwiderte die Frau. "Denn wie kriegt man einen Fuchs am besten aus seinem Bau? Indem man die Vordertür abbrennt und ihn erschießt, wenn er aus der Hintertür kommt." "Was wollt ihr von uns?", fragte Phil. Die Frau richtete ihre kalten, blauen Augen auf ihn und musterte ihn, bevor sie lächelte. "Oh, hat Amos dir das nicht erzählt, Philipp Julius Haver?" "Warte. Woher kennt ihr meinen Namen? Und wer ist Amos?", fragte Phil. Thomas räusperte sich neben ihm. "Das bin ich." "Du bist Amos?", widerholte Phil. Thomas nickte. "Ich hab meinen Namen umgeändert." "Oh, wie es scheint, sind da ein paar mehr Geheimnisse zwischen euch.", mischte sich die Frau ein. "Das erklärt immer noch nicht, woher ihr meinen Namen kennt.", sagte Phil ruhig. "Mal abgesehen davon, dass dein Name groß auf dem Türschild vor deiner Wohnung steht, wissen wir mehr über dich, als du denkst. Du hast uns bloß noch nicht den Grund gegeben, dass wir uns dir vorstellen sollten. Im Gegenteil: Dadurch, dass du als Neuromind Amos bekämpft hast, hast du uns sogar geholfen, aber jetzt, wo es so aussieht, als würdet ihr euch verbünden, sind wir der Ansicht, dass es sicherer ist, einzuschreiten. Daher bitten wir euch, mit uns mitzukommen." Thomas lachte trocken. "Du weißt, dass wir nicht freiwillig mitkommen werden." Die Frau zog eine Augenbraue hoch. "Und du weißt, dass uns euer Einverständnis dazu nicht interessiert." Damit tippte sie dem Mann neben sich auf die Schulter, der sofort reagierte, indem er den Abzug betätigte. Der andere tat es ihm gleich.

Phil hatte in der winzigen Millisekunde vom Schuss bis zum Aufprall kaum die Zeit an irgendetwas zu denken, außer daran, dass der Knall leiser war, als er es sich vorgestellt hätte. Thomas indessen schaffte es irgendwie, vor Phil zu treten, sodass er ihn mit seinem Körper beschützte. Die Patrone, die für Thomas bestimmt war, flog an ihrem Ziel vorbei, während die Patrone, mit der der eine Schütze auf Phil gezielt hatte, Thomas an der Schulter traf. Es waren nicht die herkömmlichen Kugeln, die in jeder sonstigen Waffe zum Einsatz kamen, wie Phil feststellen musste, als Thomas sich an die Schulter griff und die Patrone raus zog. Es war eine kleine Kapsel, nicht viel größer wie ein Daumen mit einer winzigen Nadel dran. Die Flüssigkeit, die ursprünglich in der Kapsel war, war nur noch zur Hälfte gefüllt, doch Thomas beachtete das gar nicht und warf die Patrone achtlos weg, bevor er sich umdrehte und Phil alarmiert ansah. "Du hast 7 Sekunden, bis sie nachgeladen haben.", sagte er schnell. 7 Sekunden. Phil sah kurz zurück. Das Gelände war zu offen, um in sieben Sekunden aus der Schussbahn zu rennen. 5 Sekunden. Irgendwie musste er die Angreifer unschädlich machen. 4 Sekunden. Thomas sah ihn eindringlich an, als wüsste er, was Phil machen musste. 3 Sekunden. 2 Sekunden. Klar. Endlich wusste Phil, was er tun musste. 1 Sekunde. Die Männer hatten nachgeladen und legten neu an, doch Phil lächelte nur. Er sah zu dem Sichtschutz-Zaun aus Holz, der den Hinterhof umgab, riss ein Teil davon mit seinen Kräften aus der Verankerung und ließ es auf die Männer und die Frau zufliegen. Diese sprangen zur Seite, um auszuweichen und die Trümmerteile des Zauns versperrten die Schusslinie. "Los jetzt", rief Phil, bevor er Thomas am Arm packte und mit ihm das restliche Stück über den Hinterhof bis zum Auto rannte. Als sie endlich im Wagen saßen, schmiss Phil den Motor an und raste los, in der Hoffnung, so viel Abstand zwischen sich und den Verfolgern zu bringen wie möglich. Dabei ignorierte er Ampeln, Stopp-Schilder und Vorfahrten und bog so oft ab wie möglich. "man, ich hab dich noch nie so viele Gesetze brechen sehen.", kommentierte Thomas grinsend. Phil wollte irgendetwas wütendes entgegnen, doch die Freude über die gelungene Flucht und das Adrenalin, das ihm durch die Adern schoss, machte es ihm schwer, sauer zu sein. "Du bist ein echt schlechter Einfluss.", antwortete er stattdessen. Thomas lachte. "Du kannst übrigens langsamer fahren. Sie arbeiten zwar mit Krankenhäusern zusammen, aber nicht mit der Polizei. Sie machen keine Verfolgungsjagden, weil sie sich eine Polizeikontrolle genau so wenig leisten können wie wir." "Na dann." Phil nahm den Fuß vom Gas, seine Miene entspannte sich etwas. "Trotzdem sollten wir aus dieser Stadt raus.", fuhr Thomas fort. Phil nickte. "Dein echter Name ist also Amos?", fragte er dann. Thomas nickte. "Amos Cleak. Hab ihn geändert, damit diese Leute mich nicht so schnell finden." "Von Amos Cleak zu Thomas Clarke also...", erwiderte Phil. Thomas zuckte nur mit den Schultern. "Der Name sollte ein bisschen unauffälliger als Amos sein, und Thomas Clarke klang da genau richtig." "Achso.", sagte Phil knapp. "Und willst du mir jetzt endlich sagen, was hier los ist?" Thomas schüttelte mit dem Kopf. "Ich hab nicht mehr genug Zeit dazu." "Warte. Was???", Phil sah etwas panisch zu ihm. "Du stirbst doch nicht etwa." Thomas grinste. "Nein, so früh noch nicht. Aber die Kapsel eben, mit der der Typ mich beschossen hat, da war ein bestimmtes Mittel drin." "So wie ein Gift?" Thomas nickte. "Ich kenne das bereits, ich weiß, welcher Wirkstoff das ist, und nehme deswegen regelmäßig Tabletten dagegen, die mich dagegen fast immun machen, aber durch die Verletzung, die anderen Schmerzmittel und so habe ich noch vielleicht..." Er sah auf seine Armbanduhr. "Zwei Minuten, bis ich für ein paar Stunden bewusstlos werde." "Warte mal", entgegnete Phil. "Das heißt, hätte mich die Patrone getroffen..." "Wärst du sofort bewusstlos geworden.", vollendete Thomas seinen Satz. "So fangen sie Leute wie uns ein." "Woher weißt du so viel über die?", fragte Phil verwirrt. "Das erzähle ich dir alles später.", antwortete Thomas, er sprach bereits etwas leiser und seine Augenlider wurden schwer. Lange würde es nicht mehr dauern, bis er bewusstlos würde. "Lass es bloß nicht zu einer Gewohnheit werden, ständig vor mir das Bewusstsein zu verlieren.", sagte Phil scherzhaft. Thomas lächelte schwach. "Wir sehen uns in ein paar Stunden.", entgegnete er, bevor er sich erneut der Tiefen Schwärze hingab, die ihn langsam umhüllte. 

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