Sie schafften es insgesamt fast eineinhalb Wochen, das Haus nicht zu verlassen. Nach ungefähr neun Tagen jedoch hatten sie weder etwas von den Vorräten, die sie aus ihrer alten Wohnung mitgenommen hatten, noch etwas von den Konserven, die noch auf dem Haver Anwesen waren. Zudem wollte Thomas einen Rucksack mit Notfallvorräten für den Fall, dass sie schnell verschwinden mussten, in das Auto packen. Dazu brauchten sie noch Klamotten und all die Dinge, die sie in ihrer Wohnung zurück lassen mussten, oder von denen sie nur so wenig mitnehmen konnten, dass es bereits leer war. Ein "Shopping-Trip" war also angesagt, wie Thomas es mit einem sarkastischen Unterton nannte. Dabei bestand er darauf, dass sie zum Einkaufen in eine weiter entfernte Stadt fuhren, damit ihr Zuhause nicht so schnell aufgedeckt werden konnte. Phil fand das etwas übertrieben, da er davon ausging, das O.R.I.O.N. eher ihre Adresse herausfinden würde, als sie in der Stadt zu erkennen und ihnen von da zum Haver-Anwesen zu folgen, doch Thomas meinte nur, dass man nie vorsichtig genug sein konnte. Schließlich könnten ja auch Kreditkartendaten vielleicht auf ihren Standort zurückverfolgt werden. Phil stimmte Thomas schließlich zu, was mehr daran lag, dass er von so etwas sowieso nichts verstand und keinen Streit riskieren wollte, als daran, dass er überzeugt worden war, sodass sie am Morgen des nächsten Tages eine umfangreiche Liste dessen anfertigten, was sie alles benötigen würden, bevor sie sich schließlich ins Auto setzten und eineinhalb Stunden fuhren, um schließlich in einer Stadt nahe Hannover das einzukaufen, was sie benötigen. Während der Fahrt redeten sie kaum ein Wort, was entweder daran lag, dass sie beide ziemlich müde waren, weil es gerade einmal acht Uhr morgens war und ihre Schlafrhythmen sich noch nicht erholt hatten, sodass das Durchschlafen bis zum Mittag Programm war, oder daran, dass sie einfach nicht wussten, worüber man reden sollte. Phil hatte eine CD mitgenommen, die er in einem der Schränke gefunden hatte und nun in dem Autoradio abspielte, wobei er mit den Fingern den Takt auf dem Armaturenbrett mitklopfte. Thomas beobachtete Phil, der es nicht zu bemerken schien, weil er die Augen fest auf die Straße gerichtet hielt, um auf den Verkehr zu achten. Er wirkte angesichts ihrer Situation ungewöhnlich entspannt und nicht ansatzweise so nervös, wie Thomas sich fühlte. Das konnte entweder daran liegen, dass Phil nicht einmal halb so viel über O.R.I.O.N. wusste wie Thomas, daran, dass er hoffte, dass es nicht so schlimm war, wie Thomas ihm gesagt hatte, oder daran, dass er seine Lässigkeit nur spielte. Bei der dritten Möglichkeit musste er aber ein großes Schauspieltalent haben.
Sie fuhren langsam in die Stadt rein und sprachen ab, dass sie zunächst ein paar Klamotten kaufen wollten, da sie nur einen kleinen Teil ihrer Sachen aus ihrer alten Wohnung mitgenommen hatten, und danach den Rest an Lebensmitteln und anderen Sachen kaufen wollten. "Also, wohin gehen wir zuerst? H&M? New Yorker?", fragte Phil, als sie in einem Parkhaus in dem Stadtzentrum geparkt hatten und ausgestiegen waren. "Was? Ach bitte, nicht solche Billig-Läden. Lass uns irgendwo da Kleidung kaufen, wo die Betriebe ihren Arbeitern auch etwas für ihre Arbeit zahlen. Schließlich ist es nicht so, als hättest du dafür kein Geld.", entgegnete Thomas aufgebracht, sodass Phil grinsen musste. "Was ist daran so lustig?", fragte Thomas halb verwirrt, halb genervt. "Ganz einfach: Das Phantom weigert sich, in Ausbeuterkonzernen Klamotten zu kaufen. Tut mir leid, aber dadurch hast du im 'böse sein' ein paar Punkte verloren." "Ach?", erwiderte Thomas. "Was ist denn bitte 'Böse sein' für dich?" "Naja, Dinge, die die Welt schlechter machen. Wie... keine Ahnung. Omas umschubsen oder so. Aber nicht so etwas." "Selbst wenn ich böse einfach nur für das Böse sein wäre, dann würde ich keine Omas umschubsen. Die haben meistens ihre Handtaschen dabei. Und das ist wie eine tödliche Waffe. Der Morgenstern der Rentner.", erklärte Thomas knapp. "Okay, wie du meinst." Phil konnte sich ein Lachen kaum verkneifen und seine Stimme klang ungewöhnlich hell, weil er versuchte eines zurückzuhalten. "Können wir dann jetzt los?"
Wenig später fanden Phil und Thomas sich in einem Fair-Trade Shop wieder, wo jeder von ihnen ein paar T-Shirts und Jeans kaufte, bis Phil seinen, seiner Aussage nach schier 'endlosen' Hunger verkündete, sodass sie beide sich einigten, noch zum Frühstück in einem Café Halt zu machen. Sie gingen in das Café "Naughty and Nice", einem Szenecafé in der Innenstadt, direkt zwischen einem Geschäft für "Faires und Bewusstes Leben" und einem Bücherladen. Phil bestellte sich ein Käsebrötchen und einen Tee, Thomas ein Croissant mit Marmelade und einen Kaffee, den er, fast direkt nachdem er von dem Kellner gebracht worden war, austrank. Phil bemerkte dies und schmunzelte, sagte jedoch nichts. Er genoss die friedliche Stimmung des Cafés, die irgendwie auf ihn überfloss. Er konnte sich fast einreden, dass sie noch in ihrer alten Wohnung lebten, und bloß einen Wochenendausflug hierher machten. Vielleicht hatte Thomas ja in einer Hausarbeit gut abgeschnitten und sie wollten es feiern. Phil ließ sich weiter in den Tagtraum fallen, während Thomas die Gäste des Cafés betrachtete. Am meisten fiel ihm ein Mädchen auf, das unweit von ihnen alleine an einem runden Tisch saß. Sie trug -abgesehen von ihren knallpinken Sneakers- nur schwarze Klamotten, was aber an sich nichts ungewöhnliches war. Viele Mädchen hatten sich schließlich der dunkel gekleideten Seite verschrieben. Auffällig an ihr waren aber ihre meerschaumtürkis gefärbten Haare, die in langen Wellen über ihre Schultern fielen. Außerdem sah sie in die Speisekarte, was an sich nichts ungewöhnliches war, doch das tat sie schon seit geschlagenen zehn Minuten. Ohne dabei umzublättern. Genau das verwirrte und verunsicherte Thomas. "Seltsam", sagte er leise, und eher zu sich selbst, während er in sein Croissant biss. "Was ist?", fragte Phil neugierig. "Hm?", Thomas sah zu ihm, schüttelte dann aber abwinkend mit dem Kopf. "Ach nichts." Trotzdem behielt er das Mädchen weiter im Auge. "Okay, na dann.", antwortete Phil. "Aber der Tee schmeckt hier absolut großartig." Thomas verdrehte die Augen und grinste. "Das ist der selbe wie in jedem anderen Café auch. die verkaufen dir nur einen Beutel, den sie selbst eingekauft haben, zusammen mit heißen Wasser. Eigentlich sollte man da keine zwei euro fünfzig einnehmen." "Ich weiß", entgegnete Phil eingeschnappt. "Trotzdem schmeckt mir der Tee hier besser als in anderen Cafés." "Wie du meinst", erwiderte Thomas, während er weiter sein Croissant bearbeitete und das Mädchen beobachtete. Diese blickte plötzlich hoch und sah von ihrer Karte auf direkt zu Thomas, als wäre sein Blick ein Wort gewesen, das er ihr zugeworfen hatte. Ihre Augen waren von einem so unnatürlichen Grün, dass Thomas sich nicht einmal sicher war, ob sie Kontaktlinsen trug. Sie war eine Agentin von O.R.I.O.N. Das sagte zumindest seine Paranoia. Er selbst sprach dagegen, und behauptete, dass sie nur ein ganz normales Mädchen sei und die Gefahr, geschnappt zu werden dafür sorgte, dass er übervorsichtig wurde, doch es klang nicht besonders sicher, und am Ende eigneten beide Parteien sich darauf, vorsichtig zu bleiben, was sie anging, und möglichst schnell zu verschwinden. "Wir sollten weiter.", sagte Thomas dann. Obwohl er versuchte, ruhig zu wirken, konnte er einen Hauch Anspannung nicht in seiner Stimme verbergen. "Jetzt schon? Aber ich hab doch noch gar nicht aufgegessen...", erwiderte Phil überrascht. "Ich weiß", sagte Thomas. "Aber wir haben noch einiges einzukaufen, und wir sollten unser Glück nicht auf die Probe stellen. Ich bin mir nicht sicher, wo und vor allem wie weit O.R.I.O.N. seine Agenten verteilt hat." Widerspenstig nickte Phil. "Also gut. Du hast wahrscheinlich recht. Besser wir bilden ein bewegtes Ziel, oder?" Thomas nickte. Dann bezahlten sie und verließen das Café, wobei Thomas noch einen Blick auf das Mädchen warf. Als sie merkte, dass er sie ansah, grinste sie. Es war kein nettes Grinsen.
Der Rest des Einkaufs verlief mit einer unterschwelligen Anspannung, die sowohl Phil als auch Thomas einiges an Nerven kostete. Thomas blickte sich ständig nervös um immer auf der Suche nach möglichen O.R.I.O.N. Agenten, wobei er einige Male glaubte, die türkisfarbene Mähne des Mädchens aus dem Café wieder zu erkennen. Ob nun in einer Gruppe Teenager, an einem Verkaufsstand, wenn seine Paranoia danach suchte, fand er sie überall. Irgendwann wurde es Phil, der das merkwürdige Verhalten seines Freundes längst bemerkt hatte, zu viel, sodass er ihn zur Seite nahm und ihm klar machte, dass er sich entspannen solle, und dass keine Leute, die danach trachteten, sie umzubringen oder sonstiges, in der Nähe seien. Thomas war davon nicht überzeugt, dennoch entspannte er sich etwas, blickte sich nicht mehr ganz so häufig um und versuchte, seine Anspannung und Angst zu verdrängen. Phil und Thomas waren beide gleichermaßen erleichtert, als sie endlich mit ihren vollen Einkaufstaschen zurück beim Auto ankamen und endlich den Heimweg antreten konnten.
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Roommates
ActionPhil und Thomas sind beste Freunde und Mitbewohner. Doch jeder der beiden hat sein eigenes, großes Geheimnis, welches jeweils die Leben wie auch die Freundschaft der Beiden gefährden könnte.